Zeitschrift für Palliativmedizin 2023; 24(05): 235-239
DOI: 10.1055/a-2123-6729
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Doppelkopf: Maria Bullermann-Benend und Ulla Mariam Hoffmann

Maria Bullermann-Benend

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Als eine der ersten Absolventinnen des neuen Studiengangs Oecotrophologie in Gießen Anfang der 70er-Jahre, hatte ich den festen Vorsatz, dazu beizutragen, Ernährungstherapie im klinischen Alltag zu etablieren – glücklicherweise nicht ahnend, wie steinig der Weg werden würde – von der Eminenz- zur Evidenzmedizin …Ein offenes Ohr und eine intensive Hospitationszeit ermöglichte mir 1993 Prof. Jochen Kindler am Akademischen Lehrkrankenhaus Würselen des Universitätsklinikums Aachen. Ich erlebte dort die Ersteinrichtung einer Palliativstation. Dazu gehörte auch eine Stationsküche mit Zugang für Patient*innen und Angehörige – eine Revolution in der Versorgung der Patient*innen mit Essen und Trinken. Starre Mahlzeiten wurden infrage gestellt und Wunschkost eingeführt. Diese mir dort gewährte Hospitation – und die Wertschätzung für meine Visionen – lassen mich immer wieder liebevoll an den engagierten Mediziner und Freund Jochen Kindler denken – Danke vielmals!Über Lehrtätigkeit neben der Familienphase und Beratung onkologischer Patient*innen wurde mir die Bedeutung palliativer Begleitung immer bewusster. Außerdem waren die Begegnung mit und die Arbeit von Prof. Kindler nachhaltig. Mit dem verständnisvollen Ehemann und Partner an meiner Seite waren Lehrtätigkeiten u. a. an der FH Osnabrück und Familienzeiten mit vier Kindern vereinbar – natürlich nicht frei von Hürden.2007 hörte und erlebte ich Martina Kern das erste Mal. Ich war entflammt und die Malteser Akademie in Bonn war aus meinem Leben mit allen Höhen und Tiefen nicht mehr wegzudenken. Mit sehr großer Dankbarkeit denke ich zurück an diese Zeit mit aufgeschlossenen Kolleg*innen aller teilnehmenden Berufsgruppen. Aufmerksame Offenheit im Miteinander und das familiäre Ambiente haben mich überallhin begleitet und weiter geprägt. Liebe Andrea Krahe: Du bist Lachen, Achtsamkeit und Herz – bis heute an meiner Seite.Mein Ansinnen, Lebensqualität/-freude von Palliativpatient*innen durch ernährungstherapeutische Maßnahmen zu verbessern, habe ich als Hörende und später als Dozentin immer wieder vorgetragen. Das Feedback der Seminarteilnehmer hat diese Pionierarbeit forciert. Sehr engagierte Kolleginnen wie Dr. Maike Groeneveld, Ruth Rieckmann und Elke Broxtermann haben dann durch ihre konstruktive Arbeit die Gründung der Sektion Ernährung in der DGP entscheidend vorangetrieben.Here we are!

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Da muss ich nicht lange überlegen: Hilfs- und Bildungsprojekte für und in Afrika. Eine große Liebe zu Afrika seit Kindertagen und die Notwendigkeit vor Ort zu unterstützen, begleitet mich mal mehr, mal weniger. Weihnachten 2014 kam dann Afrika zu mir: 11 geflüchtete junge Männer aus Eritrea landeten in unserem Dorf. Alles, was zur Integration (Wohnung, Bildung, Arbeitsplatzbeschaffung, Gesundheit, Gemeinschaft) gehört, läuft seitdem über ein von mir und meiner Familie mit meiner Assistentin gegründetes Projekt mit zurzeit 42 Eritreern. Gemeinsam leben wir in und rund um unser Haus. Mittlerweile sind 4 Familienzusammenführungen frohmachend und dankbar beendet, 9 Schulkinder werden zurzeit von uns begleitet. Eine glückliche Fügung mit ganz viel Freude für mich und alle Beteiligten!Außerdem wird meine Arbeit bezüglich Tod und Trauer durch die fürsorglichen Rituale der Eritreer noch bereichert. „Con pane“ (mit dem ich das Brot teile) – gehört unbedingt dazu. Für mich als Liebhaberin von „Crossover“-Küche ist es immer noch phänomenal, wie eine sehr überschaubare Anzahl an Lebensmitteln in der eritreischen Küche gleichzeitig eine gesunde, vollwertige und leckere Ernährung ermöglicht.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Als Lerche stehe ich gerne früh auf – im Sommer um 6, im Winter um 7 Uhr. Dann im Bademantel Tee kochen, Zeitung vom Gartentor holen – kurzer Frischluftkontakt – dann in Ruhe News und WhatsApp durchgehen, das Evangelium lesen, Namens-/Geburtstage vom Tag würdigen, Gratulationen verschicken, To-Do-Liste checken und immer wieder den vergeblichen Versuch starten, eine Prioritätenliste zu erstellen. Um 8 Uhr bin ich dann „vorzeigbar“ im Büro, wo mich meine stets fröhliche, ausgeglichene und großartig unterstützende Assistentin Nadine mit einem Kaffee erwartet.

Leben bedeutet für mich …

große, große Dankbarkeit für ein sehr lebhaftes, reiches und buntes Leben. Jeder Tag bietet die Chance, Neues zu erleben und neugierig auf Menschen zu sein und zu bleiben – denn Leben bedeutet Veränderung (Sr. Kerstin Marie).Begegnung – Austausch – Lernen: Das ist Leben.Nicht zu vergessen: Essen und Trinken (… hält Leib und Seele zusammen) möglichst in frohmachender Begleitung.

Sterben bedeutet für mich …

Abschied vom Leben hier auf der Erde als Teil des Lebens. Mit der Zuversicht von Ostern vertraue ich auf eine erfüllende Vollendung. Hoffentlich noch nicht so bald – es gibt noch viel zu tun. Unfalltod hat etwas Erschreckendes für mich, und wäre Sterben eine Wunschveranstaltung würde ich mir Zeit erbitten, um Abschied zu nehmen. Die Nähe zu den existenziellen Nöten der Menschen nicht nur in der Palli, sondern auch in der Begegnung mit Geflüchteten, hat mitgebracht, dass Abschied, Sterben, Tod und Trauer vertrauter wurden. Es lässt mich täglich noch dankbarer auf mein dynamisches und erfülltes Leben schauen.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Weiter nachdenken über Ernährung und Spiritualität als Ressource – eine Annäherung an das Thema im Kontext von Palliative Care. Dazu ein Gedanke:
„Über das sinnliche Erleben, Übersinnliches erfahren.“ Dr. Martin FeltesSinneswahrnehmung als Teil von Spiritualität im Zusammenhang mit Essen und Trinken.Die Mitarbeit der Ernährungstherapeuten im multiprofessionellen und interdisziplinären Palliative-Care-Team „nagelfest“ zu machen.Biografiearbeit – eine Essbiografie für Palliativpatient*innen fertigstellen.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Perspektivwechsel als Lösungshilfe im Team und im Patientengespräch.Nicht zu lange mit Plänen warten, die man noch gerne umsetzen würde: „Nicht zögern, machen!“dass gustatorische Sinnesreize (Proust-Effekt) ebenso wie achtsame Berührungen (basale Stimulation) gerade auch für berührungsscheue bzw. Palliativpatient*innen von unschätzbarer Bedeutung sind.

Was würden Sie gern noch lernen?

Unbedingt mehr Gelassenheit gegenüber Dingen, auf die ich nur begrenzte Einflussmöglichkeiten habe. … lassen können und mein Alter genießen!

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Wo finde ich Entspannung? In der Kirche und in der Sauna. Näher erläutert bedeutet das nicht die Intuition Kirche, sondern das, was uns die christliche Botschaft verheißt: Liebe – nicht mehr und nicht weniger. Wie schwer das manchmal ist, wenn mein Ehrgeiz oder mein rheinisches Temperament mit mir durchgehen, spüren auch meine liebsten Menschen um mich herum. Da kann ich nur immer wieder um Verzeihung bitten.Seitdem ich denken kann, vertraue ich auf meinen Schöpfer und eine innige Gottesbeziehung und bin dankbar für alle guten Fügungen. Dazu gehören auch unsere mittlerweile vier erwachsenen Kinder. Kritische Kommunikation, intensiv, aufrichtig und offen, möglichst bei gutem gemeinsam zubereitetem Essen. Das gibt Kraft und stärkt mich! Dazu gehören vielfältige Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Menschen – für mich ein großartiges Geschenk.Reichlich Glücksgefühle verspüre ich, wenn ich unsere acht Enkelkinder (3–17 Jahre) erlebe – eine Quelle an Lebensfreude, Neugier und Temperament.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Ich kann mich da nur schwer entscheiden. Eine ganze Liste trage ich seit Jahren mit mir herum: von August Everding bis Papst Johannes XXIII. Zwei Persönlichkeiten/Charaktere hätte ich besonders gerne persönlich kennengelernt.Nelson Mandela: „Ich verliere nie – entweder gewinne ich oder ich lerne.“ Ich lese immer wieder gerne über diesen „Leadership“ wegen seiner inspirierenden Art, den Menschen zu begegnen.Astrid Lindgren fasziniert mich als politischer Mensch, seitdem ich ihre Kriegstagebücher gelesen habe. Aus dem Privileg der Verschonten (Schweden blieb im Zweiten Weltkrieg neutral) entwickelte sie ein Gefühl der Verantwortung und des sich Engagierens und Handelns. Mut, Menschlichkeit und Fremdenfreundlichkeit lebt Pipi Langstrumpf und ganz manchmal wünsche ich mir, Pipi zu sein – mit so viel Starkmut und Fröhlichkeit.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

auf ein Pferd (Isländer) steigen und einen ausgedehnten Ritt durch Feld und Wald an einem See entlang genießen, dort schwimmen und mich an der Natur erfreuen. Sichtbar wäre die Figur, die ich heute auf dem Pferd abgebe, nicht wirklich ansehnlich!

Wie können Sie Sr. Dr. med. Ulla Mariam Hoffmann OSB beschreiben?

Unsere gemeinsame Geschichte ist noch nicht sehr alt: Während der Erstveröffentlichung bzw. Präsentation der Handreichung zum „Freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken am Lebensende“ (FVET) – wegen Corona online – durch die DGP-Geschäftsstelle und mich als Referentin sah ich unter den Hörer*innen ein deutlich zustimmendes Feedback einer strahlenden Ordensfrau – Fügung … Keinen Tag später erhielt ich von Sr. Dr. med. Ulla Mariam Hoffmann OSB, MAS (Palliative Care) eine Einladung als Referentin an den Starnberger See in das Benediktiner Krankenhaus Tutzing – mit Begegnung im Kloster. Seitdem ist sie spontan in meinem Herzen gelandet – tief beeindruckt von ihrer unerschöpflichen Energie, ihrem erfrischenden Humor und ihrem verschmitzten Lächeln, ihrer deutlichen Sprache, ihrer offenen und direkten Art, intensiv und wertschätzend diskutierend – eine Frau mit „klarer Kante“.Als leitende Oberärztin auf der Palliativstation ist sie für ihre Patient*innen, ihr Team, ihre Schwestern im Konvent, mit wehendem Schleier gefühlte 24 Stunden aktiv und – hier schließt sich der Kreis erneut – sorgt und arbeitet für ihr Krankenhaus in Tansania/Afrika. Nicht umsonst ist ihr Kosenamen SUMM – damit es fixer geht in der Kommunikation und es klingt immer sehr liebevoll. Besonders begeistert mich ihre Aufgeschlossenheit für und Sachkenntnis in Ernährung in der Palliativmedizin. Unter Mediziner*innen ein Solitär! Für das Teilen ihrer Spiritualität und für einen wunderbaren Gedankenaustausch bin ich sehr dankbar.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

In der Küche mit der Zubereitung des Abendessens – am liebsten mit einem Schluck Wein, nicht nur zum Abschmecken (Zwinkern). Wenn Fernsehen dann N3, viel lesen, im Winter Sauna und im Sommer schwimmen. Fast immer gehe ich dabei zu spät ins Bett.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ja, im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Kontext von Palliativmedizin: Gibt es Menschen, die Sie ganz besonders beeindrucken in der Arbeit für Palliativpatient*innen? Zwei Frauen tauchen dann immer wieder auf und lösen bei mir ganz viel positive Gefühle, Respekt, Anerkennung und Dankbarkeit aus – dankbar, mit ihnen arbeiten zu dürfen und Freundschaft zu leben.Dr. Iryna Slugotska, die Vorsitzende der Palliativmediziner*innen in der Ukraine – noch vor Kriegsbeginn haben wir unsere Zusammenarbeit gestartet. Ich bewundere Irynas ganzheitliche Sichtweise in der Versorgung von Palliativpatient*innen gepaart mit Charme und Wärme. Dazu gehört auch ihr großes Interesse und ihre Wissbegier für Ernährung von Palliativpatient*innen. Ihr Mut und ihre Stärke, auch unter den Herausforderungen des Krieges, Palliativmedizin in der Ukraine weiter voranzutreiben, berührt mich sehr.Und da ist noch Dr. Doris Gatterer – „die Gatterer“, wie sie in Südtirol und rund um den Kraftort Ritten von allen tituliert wird. Als Hausärztin und gut vernetzte Palliativmedizinerin mit einem großen Herzen, einer riesigen Geduld und hoher Fachkompetenz trägt sie palliative Begleitung bis auf den letzten Bergbauernhof. Einfühlsam und zugleich pragmatisch nimmt sie die Bedürfnisse ihrer Patient*innen und deren Zugehörigen wahr und ermöglicht immer wieder gut begleitetes Sterben in häuslich familiärer Umgebung. Ich genieße jedes Gespräch und jede Zusammenarbeit mit ihr und bin dem Himmel dankbar für dieses berufliche und familiäre Miteinander!Diese beiden Frauen machen mir Lust auf „Weitermachen“ auch jenseits der 70 Lenze. Wie sich im Leben einige Dinge entwickeln, ist manchmal eine Mischung aus Schicksal, Fügung und auch Glück.

Zur Person

Maria ist bekennende Rheinländerin und seit 50 Jahren mit dem Südoldenburger Claus Bullermann verheiratet, 4 Kinder (3 Töchter, 1 Sohn) 8 Enkelkinder – dazu gesellte sich 1994 ein Südtiroler Theologiestudent als „Ziehsohn“.

„Maria liebt Menschen und Lebensmittel“ (O-Ton Sr. Ulla Mariam Hoffmann OSB)

1952 wurde sie in Aachen geboren. Auf einem rheinischen Bauernhof ist sie mit zwei jüngeren Geschwistern aufgewachsen.

1970 Abitur am Gymnasium St. Ursula Aachen mit einer modernen aufgeschlossenen Schul- und Ordensleitung, die sie geprägt hat – Ordensfrauen haben stets positiv in ihre Lebensläufe hineingewirkt und sind in der Familie Anlass für humorvolle Verarbeitung ihrer Zuneigung zu mehreren ganz besonderen Ordensfrauen.

1974 Examen Dipl. oec. troph. an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen

1974–1976 Promotion/Graduiertenstipendium am Zentrum für Innere Medizin im Fachbereich Medizin der JLU Gießen; Inhalt: Parenterale Ernährung und Lipidstoffwechsel

1976 Erste Staatsprüfung – Pädagogik (schadet nie)

1978 Niederlassung in Südoldenburg

1979–2012 Praxis für Ernährungsberatung mit Lehr- und Referententätigkeit in Assoziation zur Praxis des Ehemannes Dr. Claus Bullermann und der Tochter Dr. Anne Bullermann

Von Sommersemester 1987 bis Wintersemester 1993/1994 Lehrauftrag an der FH Osnabrück im Fachbereich Landwirtschaft, Abteilung Ernährungswissenschaften. Tätigkeiten: Vergabe von Diplomarbeiten, Erweiterung des Studiengangs und Prüferin

2012 Hospitation Palliativ-Station und Hospiz Koblenz

2012–2019 Ernährungsberatung am Brustzentrum Dr. Albert v. der Assen, OS, Klinik für Senologie am Zentrum für Onkologie und Hämatologie

Seit 2008 Palliative Care Aus- und Fortbildung fortlaufend bis 2017 am Malteser Bonn, dem „Mekka der Palliativmedizin“, Ernährung in der Palliativmedizin als Schwerpunktthema für Beratung, Dozententätigkeit und Forschung

2018 Gründung der Sektion Ernährung in der DGP – Sprecherin der Sektion

2021 Handreichung zum Thema „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken am Lebensende“ als Autorin u. a. der Sektion Ernährung über DGP als Herausgeber

Seit 2022 Arbeit am Praxishandbuch „Ernährung in der Palliativmedizin“ – Erstausgabe – und Essbiografie für Palliativpatient*innen



Publication History

Article published online:
04 September 2023

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