Zeitschrift für Palliativmedizin 2023; 24(06): 286-288
DOI: 10.1055/a-2178-8240
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Doppelkopf: Christoph Ostgathe und Maria Heckel

Christoph Ostgathe

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Anfang der 1990er-Jahre las ich einen Beitrag über die Palliativstation am damaligen Malteser Krankenhaus in Bonn. Ich fand es als Student skurril, dass sich Ärzt*innen ausschließlich mit schwer kranken und vor allem nicht heilbaren Patient*innen befassen. Aber irgendwie hat das Gelesene trotz (oder wegen) meiner Irritation wohl ein keimfähiges Samenkorn in mir abgelegt. Der Zufall sollte dann dafür sorgen, dass ich 1995 an genau dieser Abteilung eine Stelle fand. Damit ein Samenkorn richtig keimt, sind günstige Rahmenbedingungen notwendig. Ich hatte das unendliche Glück, mein Jahr als Stationsarzt auf der Palliativstation (war Teil der Weiterbildung dort) in einer außerordentlich dynamischen Phase für unser Feld mit großartigen Rollenmodellen arbeiten und von Ihnen lernen zu dürfen! Das Wachsen – gut gewässert und gedüngt von den Pionier*innen – hat mich bis an den Lehrstuhl für Palliativmedizin in mein jetziges Tätigkeitsfeld hier nach Erlangen gebracht.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Alternativen! Als kleiner Junge wollte ich zunächst mal unbedingt (ugs.) Müllmann werden, die Vorstellung 1-mal/Woche zu arbeiten (donnerstags wurde der Müll abgeholt) und hinten auf dem Müllwagen durch das Dorf zu brausen, fand ich überzeugend. Als ich dann feststellte, dass die Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft auch 40 Stunden arbeitet, habe ich begonnen mich umzuorientieren. Hätte ich auf meinen Vater gehört, wäre ich – wie er – Bankkaufmann geworden. Wenn ich mutiger gewesen wäre, wäre ich auf die Schauspielschule gegangen. Zwischenzeitlich hatte ich mich auch mal für Landwirtschaft interessiert. Am Ende dieses ausdifferenzierten Spektrums der Möglichkeiten ist es – nach einer Schnupperphase im Zivildienst – dann zur Überraschung aller und meiner selbst doch die Medizin geworden.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Da der Arbeitsalltag oft von Überraschungen und Unvorhersehbarem geprägt ist, schätze ich in den Morgenstunden das absolut Vorhersehbare. Ich stehe zumeist vor dem Wecker um 06:00 Uhr auf und beginne meinen Tag mit zwei Bechern Filterkaffee und Müsli. Dabei lese ich die Süddeutsche Zeitung und hier immer (!) den Sportteil zuerst (der Rest kommt später dran, wenn ich den Ernst des Lebens mit vollem Bauch besser [v]ertragen kann). Ein besonders guter Morgen ist es, wenn die Tagesplanung es mir erlaubt, mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren zu können.

Leben bedeutet für mich …

… in Beziehung sein. Hier ist natürlich zunächst meine Familie, meine Frau und meine Tochter zu nennen. Aber auch das weitere Umfeld und natürlich die Menschen, mit denen ich in meiner Arbeit so viel Zeit verbringe. Auch wenn es gut ist, mal alleine zu sein, so ist Leben ohne Miteinander für mich nicht wirklich gut vorstellbar.

Sterben bedeutet für mich …

Eigentlich müsste mir nun einiges einfallen, denn das Sterben (der anderen) ist in der Palliativarbeit unser täglich Brot. Gleichsam lässt mich diese Frage aber auch schweigsam oder besser, da ich ja hier schreiben soll, wortkarg werden. Ich erlebe, wie das Sterben Fehlstellen in Lebensgeschichten hinterlässt. Fehlstellen, die sich neu organisieren, oder auch schmerzlich offen verbleiben können.Vor dem eigenen Sterben ist mir dann nicht bang, wenn ich an meiner Seite – neben meinen Lieben – auch eine gute Palliativpflegekraft und einen guten Arzt, eine gute Ärztin wüsste. Angst hätte ich dann, wenn dem nicht so wäre …

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Das meiste Gute, was ich in meinem Leben erreicht habe, habe ich mir nicht zum Ziel gesetzt. Dafür gibt es reichlich Ziele, die ich verfehlt habe. Und durch manches Unerreichte, habe ich viel geschenkt bekommen. Aber dennoch nenne ich jetzt mal zwei konkrete Dinge: alle Kontinente dieser Erde bereisen und Borussia Mönchengladbach (Mitgliedsnummer 896683) möge doch zumindest einmal noch Deutscher Meister werden.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Ich tue was ich kann, ich gebe mein Bestes, der Rest wird mir geschenkt …

Was würden Sie gern noch lernen?

Zaubern, aber richtig! Oder fliegen.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Ich fühle mich privilegiert, eine Arbeit zu machen, die ich wirklich unglaublich gerne mache. Wenn ich dann mal Erschöpfung spüre, dann liegt es weniger an der Arbeit selbst, sondern an Rahmenbedingungen. Und dann tut es mir gut, mit meiner Familie zu sein. Sollte das nicht ausreichen, dann schwinge ich mich auf mein Fahrrad und setze negative Energien 1:1 in Strecke um!

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Mit Neil Armstrong, Michael Collins und Buzz Aldrin bei Mondschein zu Abend essen und mir erzählen lassen, wie sie die entscheidenden 21 Stunden und 36 Minuten erlebt haben?

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

… mich neugierig mit all den anderen Unsichtbaren unterhalten.

Wie können Sie Frau Heckel beschreiben?

Aufrichtig, bescheiden, charmant, durchsetzungsfähig, erfolgreich, freundlich, gewissenhaft, humorvoll, innovativ, jeck (hier kommt der Rheinländer in mir durch), kompetent, loyal, mitfühlend, natürlich, organisiert, produktiv, qualitativ, ruhig, sympathisch, teamfähig, unvoreingenommen, vertrauenswürdig, wortgewandt und zuverlässig. Für die negativen Eigenschaften habe ich die Buchstaben X und Y vorgesehen und überlasse den Lesern Zutreffendes hier einzufügen …

Wie beenden Sie Ihren Tag?

In der Regel lesend, bis die Augen zufallen.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Hätten Sie vielleicht Lust mit Ihrer Frau im Kastenwagen ein Jahr immer der Nase nach die Welt zu erkunden?

Zur Person

Geboren 1965; aufgewachsen in Waldbröl, 1987–1994 Studium der Humanmedizin in Bonn, 1995–1996 AIP am Brüderkrankenhaus St. Petrus in Bonn, 1996–2004 Malteser Krankenhaus Bonn, seit 2002 Facharzt für Anästhesiologie, 2004–2010 Ltd. Oberarzt am Zentrum für Palliativmedizin Uniklinik Köln, seit 2010 Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Friedrich-August-Universität Erlangen-Nürnberg; von 2019–2023 Präsident der Europäischen Palliativgesellschaft (EAPC).



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
27. Oktober 2023

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