DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2004; 2(01): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-818826
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

"...jederzeit voll und ganz dabei sein!"

Christoph Newiger
Fraunhoferstr. 42, 80469 München
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Februar 2004 (online)

Geneviève Heim

Ein heiterer Buddha thront auf einer Kommode und begrüßt die Patienten neben der Tür zu ihrem Praxisraum. Scheint die Sonne, dann brechen sich ihre Strahlen in dem großen Yin-und-Yang-Zeichen, das ein Künstler in das seitliche Fenster eingearbeitet hat und werfen ein Lichtspiel auf die gegenüberliegende Wand, vor der der Behandlungstisch steht, an dem Geneviève Heim ihre Patienten behandelt. Soviel Fernöstliches hat seinen Grund, denn Geneviève Heim hatte als Physiotherapeutin Akupunktur studiert und sich der Traditionellen Chinesischen Medizin schon lange vor ihrer Ausbildung zur Osteopathin verschrieben.

Ihr Interesse galt schon immer der ganzheitlichen Medizin, so dass der Schritt von der Akupunktur und Physiotherapie hin zur Osteopathie ein nur kleiner war. Doch mit jener vorwiegend parietalen Osteopathie, wie sie anfangs noch am Atman-College in Paris unterrichtet wurde, wollte sie nichts zu tun haben. "Ruft mich", hatte sie ihren Kollegen gesagt, "wenn auch kraniale Osteopathie unterrichtet wird."

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Abb. 1
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Abb. 2 Geneviève Heim wurde in Algerien (damals zu Frankreich gehörig) geboren und lebte dort und in Marokko 18 Jahre. Mitgebracht, sagt sie, hat sie aus Nordafrika Toleranz, Aufgeschlossenheit, Gastfreundschaft und die Bereitschaft zu teilen.

Damals, Anfang der 1970er Jahre, war Geneviève Heim der Liebe wegen nach München gezogen, wo sie mittlerweile seit über dreißig Jahren zusammen mit ihrem Mann lebt. Ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin hatte sie in Frankreich absolviert und als sie nun in Deutschland anfing, in Krankenhäusern zu hospitieren, machte sich große Ernüchterung breit: Zu gravierend waren die Unterschiede zu Frankreich, wo Physiotherapeuten viel von dem machen, was in Deutschland nur Heilpraktiker ausüben. In ihrer eigenen Praxis wandte sie vor allem die Dehnhaltungstherapie nach Mézières an, die aktive Dehnhaltungen mit Atemübungen und therapeutischen Griffen kombiniert. Die Wirksamkeit dieser ganzheitlichen Therapieform sprach sich schnell herum und bald musste sie in ihren alten Praxisräumen anbauen und bis zu sieben Mitarbeiterinnen beschäftigen. Dann kam eines Tages der Anruf, auf den sie lange gewartet hatte. Am Atman-College bot man nun auch kraniale Osteopathie an. Es folgten mehrere, sehr reiseintensive Jahre: Leben und Arbeiten unter der Woche in München und osteopathische Fortbildung an den Kurswochenenden in Paris.

Eine Schule gründen

Das Interesse an der Osteopathie in München war enorm. An ein Erlebnis erinnert sich Geneviève Heim mit Schaudern zurück, auch wenn es erst Mitte der 1990er Jahre nach Gründung des COE stattfand. Damals war ein Fernsehbericht über die Osteopathie erschienen und im Abspann wurden private Telefonnummer und Adresse ihrer Praxis genannt. Kaum war die Sendung vorbei, klingelte das Telefon und hörte für eine ganze Woche lang nicht mehr auf zu läuten. Im Schichtbetrieb mussten sie, ihr Mann, ihre Tochter und deren Freund das Telefon bedienen. Der Briefträger brachte in den folgenden Tagen und Wochen säckeweise etwa 9.000 Briefe und Karten.

Jahre zuvor hatte sie bereits die Idee gehabt, eine eigene Osteopathieschule zu gründen. Ihre Kolleginnen hatte sie schon kostenlos osteopathisch unterrichtet, aber damit konnte sie den Bedarf an Osteopathie natürlich nicht abdecken. So wandte sie sich zuerst an Jean-Pierre Guillaume, einen Freund und Kollegen aus den Atman-Zeiten in Paris, der mittlerweile eine eigene Schule, das COE, damals in Lyon, gegründet hatte. Doch Guillaume lehnte ab, er wollte erst sein Medizinstudium beenden, bevor er mit der Gründung einer neuen Schule begann. Geneviève Heim wandte sich daraufhin an eine weitere Schule aus Lyon und hier willigte man ein. So vereinbarte sie eine Kooperation auf Zeit, die auch nach einem Jahr ihr Ende fand. Erneut kontaktierte sie Jean-Pierre Guillaume und diesmal sagte der nun fertige Mediziner zu. Gemeinsam mit Pierre Rebaud kam er nach München und die drei gründeten im Herbst 1990 das COE München.

Eine Bedingung hatte Geneviève Heim dabei gestellt: Sie wollte nichts mit der Organisation zu tun haben, nicht unterrichten und auch nicht die neue Schule verwalten. Aber wie das manchmal mit Vorsätzen und Absprachen so ist: Keiner der Gründer konnte sich wirklich daran halten, Geneviève Heim wurde neben Guillaume Schulleiterin und Lehrerin von der ersten Stunde an.


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Das COE

Schließt sich eine Linie zu einem Kreis, dann schwinden Anfang und Ende, dann ist der Kreis vollendet und braucht vom Zeichner nicht weiter gezogen zu werden. Vielleicht ist es mit dem COE ähnlich, dessen Leitung Geneviève Heim nach 13 Jahren abgegeben hat. Diskret und leise, wie es ihre Art ist und weil ihr Abschiede nicht liegen, hat sie für sich beendet, was bereits fertig war. Weil sie nichts so sehr hasst wie die Monotonie, weil sie gern jeden Tag anders gestaltet und weil sie wusste, dass nun endlich ein Team steht, das sie nicht mehr braucht.

Damals waren eine Menge Idealismus und ein großes Maß an Improvisationstalent in den intensiven Gründungszeiten des COE gefragt. Räumlichkeiten mussten gesucht, die An- und Abfahrt der Dozenten organisiert, ein Curriculum entworfen, die Schüler betreut, Behördengänge absolviert werden und vieles, vieles mehr. So richtete man sich ein, zu Hause bei den Heims, wo in den ersten Jahren die Dozenten aus Frankreich an den Wochenenden Unterkunft fanden, bekocht wurden und man bis spät in die Nacht über Schule und Unterricht diskutierte.

Doch die angehenden Osteopathen brauchten mehr als nur osteopathischen Unterricht und so machte sich Geneviève Heim auf die Suche nach externen Dozenten. Die Besten mussten es schon sein. Zweimal saß sie beim Münchner Anatom Professor Breul, in dessen Vorlesungen, beobachtete die Medizinstudenten und dachte sich, wie schön muss es für diesen Professor sein, Menschen zu unterrichten, die großes Interesse an der Anatomie haben. So suchte sie das Gespräch mit namhaften Fachleuten wie eben Breul, Resch, Heinzeller und Baumgärtner und machte sie, die vorher nie etwas von der Still’schen Medizin gehört hatten, zu wichtigen Befürwortern.

Politik hat Geneviève Heim nie gemocht und doch musste sie im Interesse ihrer Schüler auch in diesem Bereich aktiv werden. Im Gegensatz zu Frankreich, wo es mehrere rivalisierende Verbände gab, war in Deutschland gerade ein Verband, der VOD, neu gegründet worden. So folgte sie einer Einladung zur Mitarbeit, trat dem Verband bei und stärkte ihn im Lauf der Jahre mit neuen Mitgliedern.

"Das Schönste", sagt sie zurückblickend, "war es aber, die Schüler zu beobachten, wie sie sich im Laufe ihrer Osteopathieausbildung verändert und menschlich weiterentwickelt haben." Jeder Schüler sah sich von ihr wahrgenommen in einem klaren Spiegel, aber auch angenommen in großer Menschlichkeit, beschreiben sie Personen, die sie sehr gut kennen.


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Akademie und Schulen

Natürlich hat sie noch Kontakt zu einzelnen Schülern ihrer Schule und wird - auch wenn sie sich vom Schulalltag losgelöst hat - weiterhin die osteopathische Ausbildung in Deutschland aufmerksam verfolgen.

"Was passiert wirklich mit den osteopathischen Abschlussarbeiten?" fragt sie. "Werden deren wertvolle Ergebnisse weitergeleitet an die einzelnen Schulen, damit sie in den Unterricht einfließen und andere Studenten davon profitieren können?"

Diese Arbeiten dürfen nicht in irgendwelchen Regalen verstauben, denn sie enthalten die Saat, mit der sich die Osteopathie in Deutschland fachlich weiterentwickeln kann. Es ist Aufgabe der Akademie, die sie einst mitgegründet hat, dafür zu sorgen, dass diese Integration in den Schulen auch tatsächlich erfolgt. Deshalb hofft sie, dass sich die Rolle der Akademie rasch weiterentwickeln wird.

Und sie selbst? Wohin drängt es sie, die manchmal als ungeduldig gilt und immer ein Ziel vor Augen hat? Jetzt nach der COE-Ära kann sie sich endlich wieder Neuem widmen und sich weiterbilden. Worin, das verrät sie nicht. "Das ist geheim," sagt sie mit einem feinen Lächeln.


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