Laryngorhinootologie 1996; 75(3): 178-183
DOI: 10.1055/s-2007-997559
GESCHICHTE

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Trommelfellstich*

Zur Geschichte von Parazentese und PaukenröhrchenEar Drum Perforation. On the History of Paracentesis and GrommetsT. Brusis1 , H. Luckhaupt2
  • 1Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Kliniken der Stadt Köln (Chefarzt: Prof. Dr. med. T. Brusis)
  • 2HNO-Klinik des St. Elisabeth-Hospitals Bochum (Direktor: Prof. Dr. H. Hildmann)
* Herrn Prof. Dr. H. Feldmann zum 70. Geburtstag gewidmet.
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Publication History

Publication Date:
29 February 2008 (online)

Zusammenfassung

Bereits im Jahre 1649 durchbohrte Jean Riolan der Jüngere ein Trommelfell mit anschließendem Hörerfolg. Dabei handelte es sich jedoch um eine versehentliche Trommelfellverletzung während der Reinigung eines Gehörgangs mit einem Ohrlöffel. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es einige Medizin-Pioniere (Thomas Willis, Antonio Mario Valsalva, William Cheselden), die an Hunden und Menschen durch Experimente zu ergründen suchten, welche Funktionen das intakte Trommelfell für das Hören hat. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Trommelfellstich - ähnlich wie der Starstich - von umherziehenden Kurpfuschern und „Ärzten” in England, Frankreich und Deutschland kritiklos durchgeführt. Selbst zur Heilung der Taubstummheit wurde der Trommelfellstich an vielen Orten vorgenommen. Astley Cooper berichtete im Jahre 1800 über die Erfolge der Trommelfellperforation und stellte strenge Indikationen. Er empfahl die Operation ausschließlich beim Vorliegen eines Verschlusses der Eustachischen Röhre. Wegen der unkritischen Durchführung des Trommelfellstichs und der damit verbundenen negativen Folgen kam dieser Eingriff bald in Verruf und wurde über Jahrzehnte nicht mehr vorgenommen. Erst Herrmann Schwartze führte die Parazentese Ende des 19. Jahrhunderts wieder in die alltägliche Praxis der Ohrenheilkunde ein. Er war Direktor der Königlichen Universitäts-Ohren-klinik zu Halle und veröffentlichte 1867 eine bahnbrechende mehrteilige Publikation über Indikationen, Wert und Erfolge dieses Eingriffes. Da man sehr bald erkannt hatte, dass die spontane Heilungstendenz des Trommelfelles schnell zum Verschluß der künstlich gesetzten Perforation führt, versuchten viele Ärzte durch unterschiedliche Maßnahmen eine dauernde Öffnung des Trommelfelles zu erreichen. Von Cruber wurde die Hälfte des Trommelfelles - erfolglos - reseziert, andere legten Fremdkörper in die Trommelfellöffnungen wie Darmsaiten, Fischbeinstäbchen, Bleidrähte usw. In Martell Franks Lehrbuch aus dem Jahre 1845 wurde erstmalig ein Paukenröhrchen beschrieben, welches aus Goldblech hergestellt war. Politzer experimentierte mit Hartkautschukösen, gab aber seine Versuche wegen mangelhaften Erfolges wieder auf. Voltolini stellte einen offenen Hohlring aus Goldblech oder Aluminium her, der am Hammergriff fixiert werden mußte. Armstrong beschrieb 1954 eine „neue” Therapiemöglichkeit der chronisch sekretorischen Otitis media durch Einlage eines Vinyl-Tubus in das Trommelfell. Er ist jedoch nicht der Erfinder des Paukenröhrchens gewesen, sondern derjenige, der dieses Mitte des 20.Jahrhunderts wieder eingeführt hat. Eine Thermoparazentese wurde bereits 1867 von Voltolini durchgeführt, der mit einem Galvanokauter Trommelfellperforationen vornahm. Nach mehr als 100 Jahren führte der Japaner Saito die Thermoparazentese erneut in die Behandlung der Tubenventilationsstörung ein. - Parazentese, Paukenröhrcheneinlage und Thermoparazentese gehören heute - bei richtiger Indikationsstellung - zu den erfolgreichsten Behandlungsmöglichkeiten des HNO-Arztes. Ihre Anfänge reichen weit zurück.

Summary

As early as 1649, Jean Riolan the Younger pierced an ear drum, after which the patient's hearing improved. This occurred as a result of an accidental ear drum injury while cleaning an ear canal with an ear-spoon. In 17 th and 18 th centuries, several pioneers in medicine (Thomas Willis, Antonio Mario Valsalva, William Cheselden) conducted experiments in an effort to ascertain the function of the ear drum in hearing. At the end of the 18 th century, ear drum perforation, like perforation of a cataract, was indiscriminately performed by itinerent quacks and “physicians” in England, France, and Germany. Ear drum perforation was performed in many places even for the healing of deaf and dumb. Astlee Cooper reported about success with ear drum perforation in 1800 and listed strict indications. He recommended the operation only in the presence of obturation of the Eustachian tube. Because of the negative results of indiscriminate ear drum perforation, the operation soon acquired a bad reputation and was not performed for decades. It was only Herrmann Schwartze who reintroduced paracentesis into the daily practice of otorhinolaryngology. He was director of the royal ENT clinic in Halle and published a trailblazing treatise on the indications, value, and success of this operation. Since physicians had soon realized that spontaneous healing tendencies of the ear drum quickly lead to closure of an artificial perforation, many physicians tried different techniques to obtain a permanent opening. Gruber resected half of the ear drum - unsuccessfully. Others put foreign bodies into the ear drum apertures, such as catgut, whalebone rods, and lead wires. In his textbook of 1845, Martell Frank first described a grommet made of gold foil. Politzer experimented with a hard rubber ring but later abandoned his attempts because of lack of success. Voltolini manufactured an open hollow ring of gold foil or aluminium, which had to be fixed at the handle of the malleur. Armstrong described a “new” therapy for chronic secretory otitis media consisting of inserting a vinyl tube into the ear drum. While he was not the inventor of the grommet, he was the first to reintroduce grommets in the middle of the 20 th century. Thermoparacentesis was performed as early as 1867 by Voltolini, who performed this operation using a galvanic cautery device. After more than 100 years, the Japanese physician Saito reintroduced thermoparacentesis into the therapy of tube ventilation disorders. Paracentesis, grommet insertion, and thermoparacentesis are among the most successful treatments currently available to the EIMT specialist when used properly. They are treatments with a long history.

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