NOTARZT 2008; 24(5): 169-174
DOI: 10.1055/s-2008-1067465
Berufspolitik

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Dokumentationspflicht und -pflichtverletzung des Notarztes und des nichtärztlichen Assistenzpersonals im Rettungsdienst

The Obligatory Documentation Requirement of Emergency Physicians and Paramedics in EMSK.  Fehn1
  • 1Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht[1], ordentl. Professor für Strafrecht und öffentliches Recht, Köln
Further Information

Publication History

Publication Date:
10 October 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Dokumentationspflicht ist eine Rechtspflicht gegenüber dem Patienten, die vornehmlich der Therapiesicherung dient. Sie gilt im Rettungsdienst für Notärzte und für nichtärztliches Assistenzpersonal gleichermaßen, sofern letzteres einen Einsatz ohne Beteiligung eines Notarztes durchführt. Zu dokumentieren sind grundsätzlich nur medizinisch notwendige Inhalte. Eine Verletzung der Dokumentationspflicht und eine verspätete Dokumentation können in zivilrechtlicher Hinsicht im Einzelfall zu Beweislasterleichterungen zugunsten des Patienten führen, ggf. sogar eine Beweislastumkehr nach sich ziehen. In strafrechtlicher Hinsicht kann eine vollständige Dokumentation die Beweisführung zugunsten des Beschuldigten erheblich erleichtern. Die Manipulation einer medizinischen Dokumentation birgt nicht nur im Zivilprozess beweisrechtliche Gefahren, sondern auch strafrechtliche Risiken im Hinblick auf die allgemeinen und besonderen Urkundsdelikte sowie den Betrugstatbestand.

Abstract

Any emergency physician is as well as any paramedic under a legal obligation to the patient to fulfill the obligatory documentation requirement. However, this applies for paramedics only in case of missions where an emergency physician is not leading the emergency team. The main purpose of the obligatory documentation requirement is to assure the medical therapy. Therefore in principle only those aspects need to be documented which are necessary for the purpose of the therapy. A violation of this obligation or a delay in fulfilling it might lead into an alleviation or a shift of the burden of proof in a civil action. From a criminal law perspective a complete medical documentation can disburden the reasoning in support of the accused. Any manipulation of a medical documentation does not only carry the risk of an alleviation or a shift of the burden of proof in a civil action but also a penal risk, especially with regard to the elements of a crime „falsification of documents” and „fraud”.

1 Prof. Dr. Fehn ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Köln und Partner der Sozietät Dr. Schneider & Partner, Frankfurt/Main, Koblenz, Köln. Schwerpunkt der Kanzlei sind medizinstrafrechtliche und wirtschaftsstrafrechtliche Mandate. Der Verfasser ist zudem Professor für Strafrecht an der Fachhochschule Köln. Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Beitrag des Verfassers zur Dokumentationspflicht in GesR 2007, S. 504 ff.

2 So der früher übliche Begriff, vgl. BGH, NJW 1978, 2337 (2338); Hochloch, NJW 1982, 2577 (2577).

3 Vgl. statt Vieler BGH, VersR 1963, 65 ff.; Grömig, NJW 1970, 1212.

4 Narr, Ärztliches Berufsrecht, 2. Auflage 1977, Rn. 1147 f.; Spann, Ärztliche Rechts- und Standeskunde, 1962, S. 77 f.; Laufs, NJW 1975, 1435; OLG Düsseldorf, NJW 1973, 558 f.; OLG Celle, NJW 1978, 1200; BGH, VersR 1963, 65 ff.; BGH, NJW 1974, 602.

5 BGH, NJW 1978, 2337 (2339).

6 Vgl. auch BGH, NJW 1987, 1482.

7 Fehn/Selen, Rechtshandbuch für Feuerwehr und Rettungsdienst, 2. Aufl., S. 274 m. w. N.

8 BGH, VersR 1963, 65 ff.; Müller, in: Münchner Kommentar zum BGB, a. a. O., Rn. 58.

9 Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 60, Rn. 1 ff.

10 S. auch Fehn, in: Steegmann, Recht des Feuerschutzes und der Hilfeleistung in NRW, Stand: Dezember 2007, § 4 RettG, Rn. 33 ff.

11 Vgl. hierzu auch Fehn, a. a. O., § 17 RettG, Rn. 26.

12 Vgl. Prütting, Rettungsgesetz NRW, 3. Aufl. 2001, § 5, Rn. 12; Fehn, a. a. O., § 5 RettG, Rn. 44; § 8 RettG, Rn. 11; vgl. ferner FwDV 100, Ziffer 3.3.5.

13 Str., ablehnend zur Beweissicherung BGH, NJW 1994, 799; BGH, NJW 1999, 3408. Allerdings sprechen die zahlreichen beweisrechtlichen Folgen im Zivilverfahren, die die Rechtsprechung an Dokumentationsmängel knüpft, dafür. So auch Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 59, Rn. 8.

14 Es ist nicht gerechtfertigt, die Dokumentationspflicht als Unterfall einer Beweissicherungspflicht zu betrachten, wie es Peter, NJW 1988, 751 (752) vorschlägt. Dies vernachlässigte insbesondere die Funktion der Therapiesicherung, die dem Schutz der wichtigsten Rechtsgüter des Patienten, Leben und Gesundheit, dient.

15 Eingehend hierzu Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 69, Rn. 9 m. w. N.

16 Inhalt und Umfang der Aufklärung sind der Notfallsituation und der zur Verfügung stehenden Zeit anzupassen. So ist i. d. R. keine Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden erforderlich. Geht es um „Leben und Tod” kann die Notwendigkeit zur Aufklärung ganz entfallen, vgl. BGHSt 12, 382; Fischer, StGB, 55. Aufl., § 228, Rn. 16.

17 Die es als Rechtsinstitut nicht gibt, vgl. hierzu im Einzelnen Fehn, in: Steegmann, a. a. O., Rn. 44 ff. m. w. N.; Fehn/Selen, Rechtshandbuch für Feuerwehr und Rettungsdienst, 2. Aufl., S. 281 ff.; Tries, Strafrechtliche Probleme im Rettungsdienst, 2. Aufl., S. 54; ders., Rettungsdienst Heft 10/2001, S. 69.

18 Hierauf weist etwa ein Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns vom 24.5.2007 an den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte e. V. zu Recht hin.

19 BGH, NJW 1985, 2193; Müller, NJW 1997, 3049 (3050).

20 BGH, NJW 1993, 2375; BGH, NJW 1994, 799.

21 Zur Amtshaftung für notärztliche Behandlungsfehler vgl. BGHZ 120, 184; BGH, 153, 268; 160, 216; BGH, NJW 1991, 2954; NJW 1997, 2109, 2110, OLG Schleswig, OLGR Schleswig 2007, 17–19; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.4.2004, 6 S 17/04, www.juris.de; vgl. ferner Fehn/Lechleuthner, MedR 2000, 114 ff.; Fehn/Selen, a. a. O., S. 197 f.; Fehn, in: Steegmann, a. a. O., Rn. 31 f.; vgl. auch Fehn, MedR 2008, 203 ff.

22 Zu den Konsequenzen s. u. IV.

23 Vgl. statt Vieler Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 59, Rn. 11.

24 Vgl. OLG Frankfurt, VersR 1992, 578; BGH, NJW 1988, 762; BGH, NJW 1978, 2337.

25 Zum Behandlungsfehler vgl. Fehn, GesR 2007, 385 ff.; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 4/2001, S. 1 ff; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1/2002, S. 2 ff.; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 2/2002, S. 1 ff.; Fehn/Lechleuthner, MedR 2000, S. 114 ff. m. w. N.

26 Vgl. zum Behandlungsfehler etwa Fehn, GesR 2007, S. 385 ff.; Fehn, Der Notarzt 2008, S. 85 ff. jew. m. w. N.

27 BGH, NJW 1983, 332; BGH, NJW 1988, 2949; BGH, NJW 1993, 2375; BGH, NJW 1995, 779; BGH, NJW 1995, 1611; s. auch Müller, NJW 1997, 3049 (3054); Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 111, Rn. 5.

28 Vgl. oben Fußnote 18.

29 BGH, NJW 1978, 1681; BGH, NJW 1980, 1333; BGH, NJW 1991, 1540 m. w. N.

30 Vgl. BGH, VersR 1981, 752.

31 Zutreffend Müller, a. a. O.

32 Laufs/Uhlenbruck, a. a. O.

33 Vgl. ausführlich hierzu Fehn, GesR 2007, 385 ff.

34 S. hierzu nachfolgend 4.

35 Kindhäuser, LPK-StGB, 2. Aufl. 2005, § 267, Rn. 2; Fischer, a. a. O., § 267, Rn. 2 jew. m. w. N.

36 Vgl. nur Fischer, a. a. O., Rn. 18 f.; Kindhäuser, a. a. O., Rn. 34 f. jew. m. w. N.

37 Statt vieler Erb, a. a. O., Rn. 1 ff.

38 Vgl. hierzu Fischer, a. a. O., Rn. 18 a; Kindhäuser, a. a. O., jew. m. w. N.

39 § 277 StGB erfasst im Gegensatz zu § 278 StGB das Ausstellen eines Gesundheitszeugnis durch Personen, die hierzu formal schon nicht berechtigt sind, aber eine ihnen nicht zustehende Bezeichnung als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson verwenden. § 279 StGB bezieht sich auf den Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses.

40 So Erb, a. a. O., Rn. 180; im Ergebnis ebenso BayObLG, RReg. 4 St 164/87, NStZ 1988, 313 m. Anm. Puppe.

41 Vgl. hierzu BGHSt 13, 382 (387); Fischer, a. a. O., § 267, Rn. 19 a; Erb, in: Münchner Kommentar zum StGB, Band 4, 1996, § 267, Rn. 189 m. w. N.

42 OLG Koblenz, NJW 1995, 1624 ff. – ein Arzt, der ermittelte Laborwerte später verändert, begeht eine Urkundenfälschung; vgl. auch Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., Rn. 7.

43 Vgl. Erb, a. a. O.

44 Vgl. oben I.

45 RGSt 3, 324 f.; RGSt 5, 259 (261); Erb, a. a. O., Rn. 180; Fischer, a. a. O., § 267, Rn. 19.

46 Erb, a. a. O., Rn. 186; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 267, Rn. 67; Hoyer, in: SK-StGB, § 267, Rn. 77.

47 Zu Recht Erb, a. a. O.

48 Vgl. BGHSt 29, 192 (194); BayObLG, NJW 1980, 1057; Erb, a. a. O. m. w. N.

49 Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass auch das Verändern oder „Wegwerfen” von Transportscheinen unter dem Blickwinkel der Urkundsdelikte strafbar sein kann; vgl. hierzu etwa Fehn/Selen, a. a. O., S. 175 ff.

50 Dazu grundlegend Lackner, Der Prozessbetrug, 1957; vgl. auch Fischer, a. a. O., § 263, Rn. 24.

Prof. Dr. Karsten Fehn

Dr. Schneider & Partner GbR, Rechtsanwälte

Kaiser-Wilhelm-Ring 14–16

50672 Köln

Email: koeln@dr-schneider-und-partner.de

    >