Zeitschrift für Komplementärmedizin 2021; 13(01): 20-22
DOI: 10.1055/a-1332-0495
Praxis
Sprachgemittelte Psychotherapie

Dritte im Bunde – Psychotherapie unter Einsatz von SprachmittlerInnen

Maren Wiechers
,
Michael Strupf
,
Brishna Sarwary
,
Aline Übleis
,
Frank Padberg
 

Summary

Der Einsatz von DolmetscherInnen in der Psychotherapieermöglicht effektive und kultursensible Interventionenbei PatientInnen mit Migrations- und Fluchterfahrung.Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprachezu artikulieren, befähigt die PatientInnen, sich imSinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischenProzess zu beteiligen. Die Gesprächssituation zudritt bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich,weshalb eine klare Rollenverteilung notwendig ist.


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Abb. 1 © verdateo / stock.adobe.com

DolmetscherInnen nehmen in der Psychotherapie von Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung eine wichtige Rolle ein – Erkenntnisse aus der sprachgemittelten Psychotherapie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München

Ein wesentliches Merkmal der psychotherapeutischen Arbeit ist die vertrauensvolle, geschützte Beziehung zwischen BehandlerIn und PatientIn. Innerhalb dieser gilt die gesprochene Sprache als wichtigstes Behandlungsinstrument. Durch die spezifische Wahl von Worten, Wortwendungen und Metaphern gewähren uns PatientInnen Einblicke in ihre Welten. Wenn Sprache als „Verkörperung des Seelenlebens“ betrachtet wird, dann folgt daraus, dass die eigene Muttersprache den unmittelbarsten Zugang zum emotionalen Erleben bietet [1]. Vor dem Hintergrund erhöhter Migrationsbewegungen verzeichnen wir einen stetig wachsenden Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung in verschiedenen Muttersprachen, der aktuell nicht gedeckt ist. Diese Versorgungslücke kann durch den Einsatz von DolmetscherInnen verringert werden. Doch ist Psychotherapie unter Hinzunahme von SprachmittlerInnen möglich? Und was ändert sich dadurch für den therapeutischen Prozess?

DolmetscherIn als Sprachrohr und kulturelle Brücke

Seit 2018 sammeln wir an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München Erfahrungen im Einbezug von professionellen SprachmittlerInnen in die Psychotherapie bei PatientInnen mit Fluchterfahrungen [2], [3]. Die SprachmittlerInnen sind dabei sowohl Sprachrohr als auch kulturelle Brücke zu unseren PatientInnen. Bei der Auswahl der DolmetscherInnen berücksichtigen wir das Geschlecht und die ethnischen Hintergründe von PatientIn und SprachmittlerIn. Die PatientInnen werden zu Beginn umfassend über die Schweigepflicht der Dolmetscherin/des Dolmetschers aufgeklärt – ein Aspekt, der insbesondere bei Opfern von Menschenrechtsverletzungen bedeutsam ist.

Zusammenfassung

Der Einsatz von DolmetscherInnen in der Psychotherapie ermöglicht effektive und kultursensible Interventionen bei PatientInnen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren, befähigt die PatientInnen, sich im Sinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen. Die Gesprächssituation zu dritt bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich, weshalb eine klare Rollenverteilung notwendig ist.

BehandlerIn, PatientIn und DolmetscherIn sitzen in einem gleichschenkligen Dreieck. Auch eine Anordnung, in welcher der/die SprachmittlerIn versetzt hinter der Patientin/dem Patienten Platz nimmt, ist möglich und betont, dass die Therapeutin/der Therapeut Ansprechpartner im Gespräch ist. Es wird in einfachen, möglichst kurzen Sätzen gesprochen. Das Konsekutivdolmetschen, bei dem das Gesagte absatzweise nach 2–3 Sätzen übermittelt wird, hat sich in der Praxis bewährt. Es verlangsamt die Gesprächsdynamik und erleichtert es der Therapeutin/dem Therapeuten, sich auf nonverbales Verhalten zu konzentrieren und nachfolgende Interventionen zu planen. Das Dolmetschen in der Ich-Form fördert die Nähe zwischen PatientIn und BehandlerIn und erleichtert der Dolmetscherin/dem Dolmetscher die unmittelbare Wiedergabe des Gesprochenen. Werden sehr emotionale oder traumatische Inhalte gedolmetscht, kann ein Wechsel in die indirekte Rede hilfreich sein. Dies unterstützt die Sprachmittlerin/den Sprachmittler bei der inneren Distanzierung von den wiedergegebenen Inhalten [4].

Die Finanzierung der Sprachmittlung, z. B. über die gesetzlichen Krankenversicherungen, würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen.

Psychotherapie unter Einbezug von DolmetscherInnen setzt klare Rollenverteilungen voraus. Mögliche Herausforderungen in der sprachgemittelten psychotherapeutischen Arbeit stellen Rollenkonfusionen, Parteilichkeit oder Rivalität dar. Mit der Dolmetscherin/dem Dolmetscher tritt eine zusätzliche Fachperson in den therapeutischen Raum ein, die häufig soziale und biografische Gemeinsamkeiten mit der Patientin/dem Patienten aufweist. Dies kann aufseiten der Therapeutin/des Therapeuten zu Verunsicherungen führen und setzt eine fortdauernde Reflexion der eigenen Rolle und der Beziehungskonstellationen voraus [1].


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Vorteile sprachgemittelter Psychotherapie

Eine sprachgemittelte Psychotherapie ist für alle Beteiligten anspruchsvoll und bietet gleichzeitig einen großen Nutzen. Sie baut Kommunikationsschwierigkeiten als eine der wesentlichen Zugangsbarrieren zu Behandlungsangeboten ab und ermöglicht den effektiven und kultursensiblen Einsatz von Interventionen bei PatientInnen, deren Sprache wir nicht sprechen. Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren, stärkt das Selbstvertrauen der PatientInnen und befähigt sie, sich im Sinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen. In dieser Hinsicht ist es erfreulich, dass in den vergangenen Jahren zunehmend spezialisierte Dolmetscherdienste aufgebaut wurden. Die Kosten für die Sprachmittlung werden im ambulanten Einsatz in der Regel von den PatientInnen selbst oder von gemeinnützigen Organisationen getragen. In der stationären Versorgung obliegt die Kostenübernahme den Kliniken. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Rechtsgrundlage für die Übernahme von Dolmetscherkosten nicht vorgesehen. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) entschied bereits 1995: Die Dolmetscherleistung „ist nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten kann“. In einem Urteil aus dem Jahr 2006 bekräftigte das BSG, dass die Hinzuziehung einer Dolmetscherin/eines Dolmetschers im Rahmen einer ambulanten Krankenbehandlung nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung gehöre. Die Folge dessen ist, dass psychotherapeutische Behandlungen unter Hinzunahme von professionellen SprachmittlerInnen kaum durchgeführt werden. Eine stabile Finanzierungsgrundlage für die Sprachmittlung, z. B. über gesetzliche Krankenkassen, würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen. Wir gehen sogar davon aus, dass diese die Versorgung substanziell verbessern würde und letztlich auch kosteneffektiver wäre.

Interessenkonflikt: Die Autorinnen und Autoren geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht.

Ganzheitliche allgemeinmedizinische Privatpraxis in Düsseldorf sucht naturheilkundlichen WBA/FA (m/w/d).

www.praganzmed.de


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M. Sc. Maren Wiechers

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Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Sektion Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Nußbaumstraße 7
80336 München
Deutschland

Maren.Wiechers@med.uni-muenchen.de


Maren Wiechers ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Wirksamkeit gruppentherapeutischer Interventionen für Menschen mit Fluchterfahrungen und den Einfluss von Sprach- und Kulturmittlern auf den psychotherapeutischen Prozess.

  • Literatur

  • 1 Morina N, Maier T, Mast M. Lost in translation? Psychotherapie unter Einsatz von Dolmetschern. Psychotherapie – Psychosomatik – Medizinische Psychologie 2010; 60 3/4 104-110
  • 2 Böge K, Karnouk C, Hahn E. et al Mental health in refugees and asylum seekers (MEHIRA): Study design and methodology of a prospective multicentre randomized controlled trial investigating the effects of a stepped and collaborative care model. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 2020; 270 (01) 95-106
  • 3 Wiechers M, Übleis A, Padberg F. Empowerment für Menschen mit affektiven Erkrankungen und Fluchterfahrungen. Stuttgart: Schattauer; 2019
  • 4 Abdallah-Steinkopff B. Zusammenarbeit mit Dolmetschern. In: Liedl A, Böttche M, Abdallah-Steinkopff B, Knaevelsrud C, Hrsg. Psychotherapie mit Flüchtlingen. Stuttgart: Schattauer; 2017: 90-107

Publication History

Article published online:
01 February 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.
KG

  • Literatur

  • 1 Morina N, Maier T, Mast M. Lost in translation? Psychotherapie unter Einsatz von Dolmetschern. Psychotherapie – Psychosomatik – Medizinische Psychologie 2010; 60 3/4 104-110
  • 2 Böge K, Karnouk C, Hahn E. et al Mental health in refugees and asylum seekers (MEHIRA): Study design and methodology of a prospective multicentre randomized controlled trial investigating the effects of a stepped and collaborative care model. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 2020; 270 (01) 95-106
  • 3 Wiechers M, Übleis A, Padberg F. Empowerment für Menschen mit affektiven Erkrankungen und Fluchterfahrungen. Stuttgart: Schattauer; 2019
  • 4 Abdallah-Steinkopff B. Zusammenarbeit mit Dolmetschern. In: Liedl A, Böttche M, Abdallah-Steinkopff B, Knaevelsrud C, Hrsg. Psychotherapie mit Flüchtlingen. Stuttgart: Schattauer; 2017: 90-107

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Abb. 1 © verdateo / stock.adobe.com