Laryngorhinootologie 2024; 103(01): 17-24
DOI: 10.1055/a-2216-8474
Leitlinien und Empfehlungen

Stellungnahme zur Altersuntergrenze bei der ambulanten Durchführung von Adenotomien und Tonsillotomien

Statement on the lower age limit for outpatient adenotomies and tonsillotomies
T. Deitmer
1   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Bonn
,
C. E. Beck
2   Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
K. Becke-Jakob
3   Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten. Klinik Hallerwiese-Cnopfsche Kinderklinik, Nürnberg
,
C. Eich
4   Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Abteilung Anästhesie, Kinderintensiv- und Notfallmedizin, Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult, Hannover
,
S. Hackenberg
5   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Universitätsklinikum Würzburg
,
T. K. Hoffmann
6   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universitätsklinikum Ulm
,
A. Koitschev
7   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Klinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten, Plastische Operationen, Klinikum Stuttgart
,
J. Löhler
8   Deutscher Berufsverband der HNO-Ärzte, Neumünster
,
K. Röher
9   Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
,
C. Sittel
7   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Klinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten, Plastische Operationen, Klinikum Stuttgart
,
H. J. Welkoborsky
10   Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Klinik für HNO-Heilkunde, Krankenhaus Nordstadt, Kliniken Region Hannover
,
A. Wienke
11   Fachanwalt für Medizinrecht, Justiziar der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Bonn
,
G. Badelt
12   Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Klinik für Anästhesie und Kinderanästhesie, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, Klinik St. Hedwig, Regenburg
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Mit Beginn des Jahres 2023 haben sich in der Regelung für das ambulante Operieren in Deutschland erhebliche Änderungen ergeben, die in einem trilateralen Vertrag der Selbstverwaltung zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung niedergelegt wurden. Hier wurden unter anderem in einem Katalog Tatbestände angegeben, unter denen eine Operation nicht oder nur fraglich ambulant durchgeführt werden sollte. In diesem Katalog wurde zum Patientenalter ausgeführt: „Bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres kann eine stationäre Durchführung einer Leistung begründet sein.“ Diese Formulierung für sich bedeutet, dass Kinder ab einem Jahr regelhaft ambulant zu operieren sind.

In den wissenschaftlichen Fachgesellschaften für HNO-Heilkunde, Kopf und Halschirurgie sowie für Anästhesiologie und Intensivmedizin regten sich Zweifel, ob diese Altersgrenze auch für Operationen im Rachen wie Adenotomie oder Tonsillotomie wissenschaftlich begründbar sei.

Es wurde eine Recherche in internationalen Leitlinien sowie in der internationalen Literatur durchgeführt und die dortigen Aussagen bewertet. Die Ergebnisse dieser Literaturrecherche wurden mit Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO), der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC) und dem wissenschaftlichen Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) in Konferenzen beraten.

Diese Konsensfindung ergab, dass eine strikte Altersgrenze mit dem vollendeten ersten Lebensjahr für die ambulante Durchführung von Adenotomien und Tonsillotomien nicht sachgerecht ist. Zunächst ist überhaupt die Angabe einer strikten Altersgrenze fragwürdig, da unabhängig vom Alter etliche andere medizinische und soziale Faktoren Einfluss auf die verantwortungsvolle Durchführbarkeit ambulanter Operationen haben. Im Weiteren ist die Altersgrenze von einem Jahr mit Blick auf Literatur, Leitlinien und praktische Ausübung im internationalen Bereich nicht als sachgerecht anzusehen. Die Bewertung der Literatur und die Beachtung der Durchführung im internationalen Bereich lassen eine Altersgrenze eher in dem Bereich von 2–3 Jahren als sachgerecht erscheinen.

Diese Übersichtsarbeit gibt den verantwortlichen Ärzten vielerlei Erkenntnisse, Aspekte und Argumente an die Hand, um die Entscheidung zur ambulanten oder stationären Durchführung dieser Operationen sachgerecht und verantwortungsvoll treffen zu können.


#

Abstract

At the beginning of 2023, there have been significant changes to the regulations for outpatient surgery in Germany, which were set out in a trilateral self-administration agreement between the umbrella association of statutory health insurance companies, the German Hospital Association and the Federal Association of Statutory Health Insurance Physicians. Among other things, a catalog stated circumstances under which an operation should not be carried out on an outpatient basis or should only be carried out with doubt. This catalog explains the patientʼs age: up to the first year of life, inpatient performance of a service can be justified. This formulation in itself means that children from one year of age on should regularly undergo outpatient surgery.

In the german scientific societies for otolaryngology, head and neck surgery as well as for anesthesiology and intensive care medicine, doubts arose as to whether this age limit could also be scientifically justified for operations in the throat such as adenotomy or tonsillotomy.

A search was carried out in international guidelines and in the international literature and the statements were evaluated. The results of this literature search were discussed with representatives of the Pediatric Otorhinolaryngology Working Group (AG PädHNO) of the German Society for Otorhinolaryngology, Head and Neck Surgery (DGHNO-KHC) and the scientific working group for pediatric anesthesia (WAKKA) of the German Society for Anesthesiology and Intensive Care Medicine (DGAI) in conferences.

The consensus revealed that a strict age limit of the first year of life is not appropriate for the outpatient performance of adenotomies and tonsillotomies. First of all, specifying a strict age limit is questionable because, regardless of age, a number of other medical and social factors influence the responsible performance of outpatient operations. Furthermore, the age limit of one year is not considered appropriate in view of literature, guidelines and practical experience in the international area. The assessment of the literature and the consideration of the implementation in the international area make an age limit in the range of 2–3 years seem more appropriate.

This review provides the responsible doctors with a variety of insights, aspects and arguments so that they can make their decision to carry out these operations on an outpatient or inpatient basis appropriately and responsibly.


#

Einleitung

Mit dem trilateralen Vertrag zum ambulanten Operieren zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Gesetzlichen Krankenversicherungen (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/amb_stat_vers/ambulantes_operieren/aop_vertrag_2022_12_21/AOP-Vertrag_21.12.2022.pdf oder: https://www.dkgev.de/themen/finanzierung-leistungskataloge/ambulante-verguetung/ambulantes-operieren-115b-sgb-v/) wurde zum 01.01.2023 ein Katalog von sogenannten Kontextfaktoren eingeführt. Treffen benannte Kontextfaktoren auf einen Patienten zu, so kann dieser Fall, auch wenn der Eingriff im AOP-Katalog als ambulant durchzuführen genannt ist, als stationäre Leistung erbracht werden. Diese Regelung soll eine medizinisch sinnvolle und verantwortungsvolle Erbringung eines solchen Eingriffs ermöglichen. Ein Fall mit Kontextfaktoren kann jedoch auch, je nach Einschätzung des erbringenden Arztes, ambulant vorgenommen werden.

Unter den Kontextfaktoren ist unter anderem benannt:

„Bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres kann eine stationäre Durchführung einer Leistung begründet sein.“

Diese Formulierung für sich bedeutet de facto, dass Kinder ab einem Jahr regelhaft ambulant zu operieren sind.

Der AOP-Vertrag beinhaltet jedoch den sog. Arztvorbehalt in § 2 Abs. 2, wonach der verantwortliche Arzt jeden individuellen Fall darauf hin prüfen muss, ob eine ambulante Erbringung medizinisch sachgerecht durchgeführt werden kann.

Text im AOP-Vertrag:

„Der Arzt ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Art und Schwere der beabsichtigten Leistung unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Patienten die ambulante Durchführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erlauben. Zugleich muss sich der verantwortliche Arzt vergewissern und dafür Sorge tragen, dass der Patient nach Entlassung aus der unmittelbaren Betreuung des behandelnden Arztes auch im häuslichen Bereich sowohl ärztlich als gegebenenfalls auch pflegerisch angemessen versorgt wird. Die Entscheidung ist zu dokumentieren.“

Mit dem Bezug auf die „Regeln der ärztlichen Kunst“ wird eine Bedingung eingeführt, die keine fixierte Norm hat. Betrachtet man die Rechtsprechung im Rahmen von ärztlichen Haftungsfragen, besteht regelhaft der Verweis auf den „fachärztlichen Standard“, der sich in einer Synopse aus medizinischen Leitlinien, evtl. vorhandenen Richtlinien, der wissenschaftlichen Datenlage, Lehrbuchwissen, Inhalten von Fortbildungen und etablierter klinischer Praxis formt.

Das ärztliche Handeln nach dem AOP-Vertrag muss sich einerseits an die dort formulierten Bedingungen halten, andererseits muss sich das Handeln auch stets an den Bedingungen der „ärztlichen Kunst“ bzw. des „fachärztlichen Standards“ unter Haftungsaspekten orientieren.

Als Entscheidungshilfe für die fallindividuelle Beantwortung der Frage, ob bei einem Kind in Planung einer Adenotomie und/oder einer Tonsillotomie eine Altersgrenze mit dem erreichten 1. Lebensjahr in diesem Spannungsfeld verantwortbar ist, sollen in dieser Stellungnahme aktuelle Erkenntnisse aus Leitlinien und Literatur dargestellt werden. Da ein wesentlicher Teil der HNO-ärztlichen Kinderoperationen als Adenotomien, Tonsillotomien und Tonsillektomien geleistet wird, ist die Recherche auf diese Eingriffsarten eingeschränkt.


#

Beschreibung der relevanten Eingriffe

Adenotomie

Entfernung der Adenoide/Rachenmandel durch unterschiedliche Verfahren (Cold-Steel-Kürettage, Microdebrider, elektrisch-thermische Verfahren). Es gibt keine anatomische Kapsel der Adenoide, sodass von einer weitgehenden, aber nicht kompletten Entfernung des Adenoidgewebes ausgegangen werden muss. Trotzdem ist im angloamerikanischen Sprachraum der Begriff „adenoidectomy“ dafür üblich.


#

Tonsillektomie

Komplette Entfernung der Gaumenmandeln inklusive der fibrösen Kapsel. Die Entfernung kann durch einfache Dissektion (cold steel) oder durch elektrisch-thermische Verfahren erfolgen. Der Begriff „extrakapsuläre Tonsillektomie“ ist hierfür üblich. Dieser Eingriff ist im AOP-Katalog nicht gelistet. In Deutschland wird die Tonsillektomie stationär durchgeführt


#

Tonsillotomie

Teilentfernung der Gaumenmandeln unter Belassung der fibrösen Kapsel. Die Ausmaße der Teilentfernung können sehr unterschiedlich sein. Sie geht von einer partiellen Entfernung nur der Tonsillenanteile, die über den vorderen und hinteren Gaumenbogen hervorstehen, unter Belassung substanzieller Anteile der „Tonsillenwurzel“ bis hin zu einer nahezu kompletten Entfernung des Tonsillengewebes unter Belassen der Kapsel („intrakapsuläre Tonsillektomie“). Nach klinischem Wissen steigt die Nachblutungsgefahr, je mehr Tonsillengewebe entfernt wird, da die Gefäßkaliber zur Kapsel hin größer werden.


#
#

Medizinische Leitlinien

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) hat Leitlinien zu entzündlichen Erkrankungen der Tonsillen und zur Adenotomie veröffentlicht.

Die deutsche AWMF-LeitlinieTherapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis“ ist in der Novellierungsphase. Gültig ist derzeit die Version von 2015 (https://register.awmf.org/assets/guidelines/017-024l_S2k_Tonsillitis_Gaumenmandeln_2015-08-abgelaufen.pdf). Diese AWMF-Leitlinie nimmt zur Frage der ambulanten oder stationären Erbringung von Tonsillektomie oder Tonsillotomie keine dezidierte Stellung. Insofern ist auch keine Aussage zu einer Altersgrenze für die ambulante Erbringung getroffen.

Die deutsche AWMF-Leitlinie „Adenoide Vegetationen“ nimmt zur Frage der ambulanten oder stationären Durchführung einer Adenotomie Stellung (https://register.awmf.org/assets/guidelines/017-021l_S2k_Adenoide-Vegetationen_2023-02.pdf). Es wird beschrieben, dass die Adenotomie typischerweise ambulant durchgeführt wird, sofern keine medizinischen Kontraindikationen, die nicht näher ausgeführt werden, vorliegen. Die Autoren nehmen Bezug auf die G-AEP-Kriterien, welche die allgemeine Notwendigkeit einer stationären Versorgung in Deutschland beschreiben. Darin ist jedoch keine Altersuntergrenze für Kinder ablesbar. Insofern ist auch aus dieser Publikation keine Kommentierung zu einer unteren Altersgrenze für die ambulante Erbringung einer Adenotomie zu entnehmen.

Französische Leitlinie

Die französische Wissenschaftliche Fachgesellschaft (SFORL & CFC) nimmt in einer RCP (Recommandation pour la pratique clinique, Empfehlung für klinische Praxis) analog zu einer deutschen Leitlinie Stellung.

Für die Nachbehandlung nach Tonsillektomie oder Tonsillotomie wird eine Beobachtung in einem Aufwachraum mit Monitoring von Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung gefordert, wobei die Zeitdauer nicht festgelegt wird. Bezüglich einer ambulanten Erbringung sollen folgende Kriterien zunächst erfüllt sein: absehbar keine Risiken in den ersten 24 h, Sicherstellung einer hinreichenden häuslichen Pflege und Überwachung sowie Notfallstrukturen für eine Wiederaufnahme des Kindes im Krankenhaus.

Bezüglich einer Altersgrenze wird auf Studien verwiesen, wonach mit jüngerem Alter die Risiken steigen. Daraus wird formuliert, „dass es scheint, dass unter einem Alter von 3 Jahren postoperative respiratorische Risiken verstärkt“ seien. „Eine ambulante Operation unter diesem Alter müsse fallindividuell entschieden werden“ (S. 44/45 und 47).

Eine stationäre Erbringung sei in folgenden Situationen zu planen: Tonsillenhyperplasie mit Obstruktion und Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz, respiratorische Komorbiditäten, wie z. B. Asthma, ein deutlich erhöhter BMI, absehbare perioperative respiratorische Probleme, Gerinnungsstörungen, ASA-Klassifikation > 2, neurologische Erkrankungen mit respiratorischem Risiko, zervikofaziale Anomalien oder Tumorbildungen. Im Weiteren werden ausführliche soziale und strukturelle Bedingungen für eine ambulante Erbringung referiert und gefordert (S. 44–46, Empfehlung #18, S. 50) [1].


#

UK-Leitlinie

Durch Kontakt zum Generalsekretär der European Society of Pediatric Otorhinolaryngology (ESPO), Dr. Martin Bailey, konnten Aussagen über die spezielle Situation einer Altersgrenze für die ambulante Adenotomie und Tonsillektomie im UK gewonnen werden. Hier hat sich die British Association for paediatric Otolaryngology nach Aufforderung mit einer aktuellen Stellungnahme geäußert.

Hiernach sollte eine Adenotomie oder Tonsillenchirurgie ab dem 3. Lebensjahr als möglicher ambulanter Eingriff in Betracht gezogen werden. An spezialisierten Zentren mit pädiatrischen Stationen und Intensivstation könnten auch Kinder ohne Komorbiditäten ab dem 2. Lebensjahr als Tageschirurgie mit mehrstündig gestufter Überwachung geplant werden [2].


#

US-Leitlinie

In der US-amerikanischen Leitlinie zur Tonsillektomie bei Kindern in der letzten Version aus dem Jahr 2019 wird zur Frage einer unteren Altersgrenze ambulanten Operierens im Statement #12 empfohlen, dass sich der verantwortliche Arzt auf eine stationäre Überwachung in der Folgenacht für Kinder jünger als 3 Jahre einstellen soll. Diese Empfehlung wird mit Beobachtungsstudien und einer Risiko-Nutzen-Abwägung klassifiziert [3] [4].


#

AWMF-S1-Leitlinie „Obstruktive Schlafapnoe im Rahmen von Tonsillenchirurgie mit oder ohne Adenotomie bei Kindern – perioperatives Management“

In diesem Zusammenhang sei auf diese AWMF-S1-Leitlinie der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften DGAI, DGHNO-KHC und DGSM verwiesen: S1-Leitlinie Obstruktive Schlafapnoe im Rahmen von Tonsillenchirurgie mit oder ohne Adenotomie bei Kindern – perioperatives Management: https://register.awmf.org/assets/guidelines/001-041l_S1_Obstruktive-Schlafapnoe-Tonsillenchirurgie-Adenotomie_Kinder-perioperatives-Management_2021-01.pdf.

Zu bemerken ist, dass Schnarchen und schlafbezogene Atemstörungen zu den wesentlichen Anlässen und Indikationen für die Durchführung einer Adenotomie (AT) und einer Tonsillotomie (TT) gehören und für solche Eingriffe anstehende Kinder häufig diese Beschwerden haben. Ein erhöhtes perioperatives Risiko wird für Kleinkinder unter 3 Jahren unabhängig vom Schnarchen gesehen. Stationäre Wiederaufnahmen nach ambulanten Operationen werden zudem gehäuft im Alter unter 2 Jahren berichtet.

„3. Konsentierte Empfehlung (starker Konsens 8/8): Kinder zur Tonsillenchirurgie mit oder ohne Adenotomie mit gesicherter oder vermuteter OSA und gleichzeitigem Vorliegen von relevanten Komorbiditäten/Risikofaktoren ([Tab. 1]) sollen stationär in einer Klinik mit den Fachbereichen Anästhesiologie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kinder- und Jugendmedizin und Intensivmedizin behandelt werden.“

Tab. 1

Risikofaktoren und Strukturanforderungen in der Frage einer ambulanten Durchführung einer Adenotomie und/oder Tonsillotomie im Kindesalter (Beispiele, nicht abschließende Auflistung).

schlafbezogene Atemstörung

Untergewicht/Übergewicht

chronische Lungenerkrankungen

Chiari-2-Malformation

Herzfehler

Rechtsherzinsuffizienz bei OSA

kraniofaziale Fehlbildungen

Mukopolysaccharidosen

muskuloskelettale Erkrankungen

Prader-Willi-Syndrom

Sichelzellanämie

absehbar „schwieriger Atemweg“

Frühgeburtlichkeit

zentrale Atemantriebsstörung

kürzlicher Atemwegsinfekt

chromosomale Störungen

Nierenerkrankung

gastroösophagealer Reflux

Fieberkrämpfe

Diabetes

Gerinnungsstörung, Blutungsleiden

kritische peri- und postoperative Ereignisse bei dem Eingriff/der Anästhesie

nicht hinreichende oder auffällige postoperative 120-minütige Aufwachraumzeit bei Kindern mit OSAS [24] [25]

nicht hinreichende durchgehende postoperative Überwachung mindestens 24 h nach Entlassung

unsichere Kommunikation, Fremdsprachlichkeit

keine Verfügbarkeit von Telefon oder Autotransport

Distanz zu einer qualifizierten Notfallversorgung von > 30 Minuten Transportzeit (analog zur Frist für die Präsenz eines Facharztes nach G-BA [26]

keine 2 Personen verfügbar für einen Kinder-Notfalltransport im Auto

Es ist zu betonen, dass sich diese Leitlinie auf die Tonsillenchirurgie bezieht und die Adenotomie nicht als isoliertes Verfahren angesprochen ist.


#
#

Gesundheitspolitische Verlautbarungen

Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses

In den tragenden Gründen zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der „Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL): Tonsillotomie bei Hyperplasie der Tonsillen und bei rezidivierender akuter Tonsillitis“ (https://www.g-ba.de/beschluesse/3489/) wird eindeutig darauf hingewiesen, dass eine Überwachung des operierten Patienten auch über Nacht notwendig sein kann. Eine Tonsillotomie vor dem vollendeten 1. Lebensjahr sei in aller Regel nicht indiziert. Sollte der Eingriff in jüngerem Lebensalter notwendig sein, so bedürfe er der vollstationären Überwachung.

Die Tonsillotomie wird somit als ein ambulant möglicher Eingriff angesehen, wobei Lebensalter und Komorbiditäten zu beachten sind.

Ebenfalls und in vergleichbarer Form hat sich der G-BA auch zur längeren Überwachung (ggf. über Nacht) und damit zur stationären Leistungserbringung geäußert. Beschluss: Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung: Tonsillotomie bei Hyperplasie der Tonsillen und bei rezidivierender akuter Tonsillitis (https://www.g-ba.de/beschluesse/3490/).


#

IGES-Gutachten zum ambulanten Operieren

Im IGES-Gutachten zum ambulanten Operieren (Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V des IGES-Instituts, Berlin) vom März 2022 findet sich unter 3.4.4.2 auf S. 221 eine Stellungnahme zu Altersgrenzen. Die dortigen Gutachter sehen keine Evidenz für eine globale Altersuntergrenze, sondern stellen eine solche Überlegung der Weiterentwicklung des AOP-Vertrages und AOP-Kataloges anheim. Die Gutachter sehen eine Altersuntergrenze für ambulantes Operieren beim 16. Lebensjahr. Weitere detaillierte Argumente sind nicht bekannt (https://www.iges.com/kunden/gesundheit/forschungsergebnisse/2022/erweiterter-aop-katalog/index_ger.html).


#

Krankenhausplan NRW

Im Krankenhausplan NRW wird für alle Kinder-OPs eine untere Grenze mit dem vollendeten 4. Lebensjahr niedergeschrieben. Weitere detaillierte Argumente sind nicht bekannt (https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/krankenhausplan_nrw_2022.pdf).


#
#

Wissenschaftliche Einzelpublikationen

Es erfolgte eine Literaturrecherche in PubMed von 2019 bis Mai 2023 unter den Stichwörtern „tonsillectomy, children, age“. Danach wurde eine einengende, themenbezogene Selektion aus 340 Treffern über Titel und Abstract bis auf Volltext vorgenommen. Es konnten keine RC-Studien mit einem 2-armigen Design identifiziert werden, die die stationäre versus ambulante Versorgung von Kindern zur Tonsillektomie untersuchten.

Bajial et al. aus Houston, TX, führten eine retrospektive Studie an 2437 Kindern über OP-Techniken und respiratorische Komplikationen bei Tonsillektomie durch. Sie fanden eine Rate an respiratorischen Komplikationen von insgesamt 20 %. Als Risikofaktor wird unter anderem ein Alter zwischen dem vollendetem 2. und 3. Lebensjahr identifiziert [5].

In einer dänischen Studie ist erwähnt, dass die dänischen Gesundheitsbehörden eine stationäre Durchführung der Tonsillektomie bei Kindern unter 4 Jahren empfehlen. Die retrospektive Analyse an 414 Kindern zeigte, dass Kinder unter 4 Jahren, die entgegen der Empfehlung doch ambulant operiert wurden, eine deutlich höhere Wiedervorstellungsrate hatten. Diese resultierte eher aus Schmerzproblemen und nicht aus Blutungsereignissen [6].

Eine Studie aus Philadelphia adressierte gezielt die Frage ambulanter Führung nach alleiniger Adenotomie bei 353 Kindern < 3,5 Lebensjahre. In Summe wurden insgesamt 35 % der Kinder aller Altersgruppen geplant stationär aufgenommen. Weitere Untergruppen wurden wie folgt gebildet: Es wurden Altersklassen gebildet mit A Kindern < 1,5 Jahre, B Kindern zwischen 1,6 und 2,5 Jahren und C Kindern von 2,6–3,5 Jahren. In der jüngsten Gruppe wurden 79 % stationär aufgenommen. Insgesamt stieg die respiratorische Komplikationsrate mit fallendem Lebensalter an; für die jüngste Gruppe wird eine stationäre Überwachung empfohlen [7].

In einer Studie aus Florida wurden Kinder mit Adenotonsillektomie in einer Gruppe unter 2 Jahren und einer Gruppe von 2–3 Jahren untersucht. Die jüngere Gruppe zeigte eine signifikant erhöhte Komplikationsrate, wobei diese auch in der älteren Gruppe noch 22 % betrug [8].

Eine Studie aus Wisconsin untersuchte die Letalität nach Tonsillektomien in 5 US-Bundesstaaten. Die Studienpopulation umfasste 504 262 Personen unter 21 Jahren. Es ergab sich eine Letalitätsrate von 7,04 pro 100 000 für die Gesamtstudie, die höher erscheint als bei sonstigen Kinderoperationen. Die Letalität für Kinder mit komplexen Komorbiditäten betrug jedoch 117/10 000. Es waren Altersgruppen gebildet worden: A < 3 Jahre; B 3–4 Jahre; C 5–9 Jahre etc. Die Letalitätsrate für die Gruppe A lag im Trend höher als für die anderen Gruppen, wenn auch ohne Signifikanz [9].

Eine Studie aus Alabama untersuchte Tonsillektomien zwischen 2014 und 2017 bei 408 Kindern im Alter zwischen 24 und 42 Monaten. Die Altersgruppe von 24–35 Monaten umfasste 299 Fälle, die von 36–42 Monaten 109 Fälle. Die Autoren sehen für Kinder jünger als 24 Monate routinemäßig die stationäre Durchführung der Tonsillektomie vor. Für Kinder > 42 Monate gehen sie von einer ambulanten Erbringbarkeit aus. Die dazwischen liegende Studiengruppe wurde, soweit erkennbar, teils ambulant, teils stationär operiert, wobei medizinische und soziale Faktoren zu stationären Verfahren führten. Die Komplikations- und Aufnahmerate in der Studiengruppe waren ohne signifikante Unterschiede, sodass die Autoren schlussfolgern, dass eine Altersgrenze von 3 Jahren für eine stationäre Aufnahme durch weitere Studien gesichert werden sollte [10].

Eine Studie aus Würzburg betrachtete 1995 Kinder, die sich zwischen 2009 und 2017 einer Adenotomie oder einer Adenotonsillektomie oder -tonsillotomie unterzogen und 24 h stationär überwacht wurden. In der Überwachung ergaben sich keine gehäuften Komplikationen bei Betrachtung einer Altersgrenze von 3 Jahren, wobei jedoch ein Trend zu gehäuften Komplikationen bei geringerem Lebensalter und geringerem Körpergewicht angegeben wird. Insgesamt identifizieren die Autoren niedriges Körpergewicht, junges Alter oder andere medizinische Vorerkrankungen als Risikofaktoren, die eine stationäre Überwachung angeraten erscheinen lassen [11].

Eine multizentrische Studie aus Großbritannien untersuchte ca. 150 000 Kinder im Alter zwischen 2 und 18 Jahren, die zwischen 2014 und 2019 in Einrichtungen unterschiedlicher Versorgungslevel eine Tonsillektomie erhielten. Die ambulanten Verfahren waren bei Kindern unter 3 Jahren zurückhaltend indiziert worden. Es ergeben sich jedoch keine Hinweise für erhöhte Risiken bei ambulanter OP bei jüngeren Kindern aus diesem Studiendesign [12].

Eine unizentrische Studie aus Ohio betrachtete gezielt nur die Adenotomie an über 6000 Kindern zwischen 2 und 18 Jahren in 3 Beobachtungsjahren. Die Autoren bestätigten die Literatur-gestützte Einschätzung, dass Kinder unter 3 Jahren allein altersbedingt ein höheres Risiko tragen. Diese Regel fand auch Verankerung in den Leitlinien des Krankenhauses in dem Sinne, dass dort bei Kindern unter 3 Jahren eine stationäre Versorgung empfohlen wird. Respiratorische Probleme traten in 2 % aller Fälle auf, wobei ein junges Alter von 2 Jahren einen Risikofaktor darstellte [13].

Eine kanadische Studie erfasste 374 Kinder in einem Zeitraum von 6 Jahren mit einer Adenotonsillektomie und vorliegender Polysomnografie und untersuchte diese auf perioperative Atmungsprobleme. Als statistischer isolierter Risikofaktor ergab sich ein Lebensalter von < 3 Jahren [14].

In einer Studie aus Michigan mit 1774 Kindern zur Adenotonsillektomie zeigten sich solche mit perioperativen respiratorischen Problemen in der Altersklasse von 3 Jahren häufiger als in älteren Klassen [15].

In den USA wurde 2010 eine Versorgungsstudie zu ambulanten Tonsillektomien mit ca. 339 000 Patienten durchgeführt, wovon 71 000 Kinder unter 3 Jahre alt waren. Respiratorische und chirurgische Komplikationen wurden in 7,8 % der Fälle registriert, und ca. 9 % der Patienten konnten nicht ambulant weitergeführt werden. Das Alter unter 3 Jahren und schlafbezogene Atemstörungen werden als Risikofaktoren identifiziert, wobei das Alter unter 3 Jahren als ein etablierter Risikofaktor angesehen wird [16].

In einer US-Studie an Kindern mit Adenotonsillektomie wurden postoperative Komplikationen mit Wiedervorstellung in der Notfallambulanz in 12,8 % von 5225 Fällen gesehen. Während Blutungsprobleme mit dem Alter über 6 Jahre häufiger wurden, waren es Dehydratationsprobleme bei Kindern unter 3 Jahren. Diese Unterschiede waren nicht statistisch signifikant [17].

In Neuseeland wurden in einem Zeitraum von 4 Jahren 420 Kinder nach Tonsillektomie analysiert, von denen 37 % Komorbiditäten aufwiesen. Kinder unter 2 Jahren und Kinder mit Übergewicht zeigten ein erhöhtes Risiko und erforderten eine längere stationäre Überwachung [18].

Im Bundesstaat New York wurde eine Studie an 76 Kindern unter 2 Jahren durchgeführt, die allein eine Adenoidektomie bekamen und stationär überwacht wurden. Eine Wiederaufnahme war in 1,3 % (= 1 Fall) und eine Intervention in 9,2 % (= 7 Fälle) erforderlich. Bei Kindern mit Komorbiditäten wird die stationäre Aufnahme empfohlen [19].

Eine Studie aus den USA erfasste 3406 Kinder, die allein eine Adenoidektomie bekommen hatten. Kinder unter 3 Jahren wurden dabei stationär betreut. Dabei zeigten Kinder unter 18 Lebensmonaten eine statistisch signifikant erhöhte Rate an respiratorischen Problemen. Die Autoren empfehlen generell die stationäre Betreuung bei Kindern unter 18 Monaten und bei Kindern unter 3 Jahren, wenn Komorbiditäten bekannt sind [20].

Die American Society of Pediatric Otolaryngology (ASPO) befragte ihre 644 Mitglieder mit einer Rücklaufrate von ca. 20 % zur Frage der stationären Aufnahme bei Tonsillektomien. Eine leitliniengerechte Aufnahme (Apnoe-Hypopnoe-Index > 10; unter 3 Jahre; SaO2 < 80 %) wurde von jüngeren Chirurgen konsequenter befolgt. Eine stationäre Aufnahme von Kindern unter 3 Jahren wurde an akademischen Einrichtungen eher vorgenommen [21].

Zusammen mit einer Haftpflichtversicherung wurden in den USA 844 kindliche Schadensfälle analysiert. Die am häufigsten betroffenen Fachgebiete waren Orthopädie (34 %), Allgemeinchirurgie (15 %) und HNO (im Wesentlichen Adenotonsillektomien) (11 %). Auffällig war, dass die ausgeurteilten Schadenssummen bei sehr jungen Kindern hoch waren. 16 % der Gesamtschadenssumme wurden für den HNO-Bereich ausgeurteilt [22].

Die APRICOT-Studie (Anaesthesia Practice In Children Obervational Trial) sammelte Narkosedaten aus 261 Zentren in 33 europäischen Ländern über einen Zeitraum von 2 Wochen. Eingeschlossen wurden alle Anästhesien in ambulanten und stationären Verfahren bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr der beteiligten Zentren. Es wurden 5572 Kinder mit HNO-Prozeduren und 15 952 Kinder mit Nicht-HNO-Prozeduren untersucht. Im statistischen Vergleich zeigte die Gruppe mit HNO-Eingriffen eine erhöhte Ereignisrate bezüglich schwerer Atemwegskomplikationen Ein Trend mit erhöhten Komplikationen ergab sich bezüglich des Alters (mit einer statistischen Grenze bei 4,6 Jahren) und der Zahl solcher OPs am jeweiligen Zentrum (institutionelle Routine). Das höhere Risiko von kardiopulmonalen Komplikationen bei jüngeren Kindern wurde auch in der Gruppe der Nicht-HNO-Prozeduren gesehen. Zusammenfassend haben Kinder unter 3 Jahren und solche mit einer medizinischen Vorgeschichte einschließlich Frühgeburtlichkeit, einer Behinderung (Stoffwechsel- oder genetische Erkrankung oder neurologische Beeinträchtigung), Schnarchen, einer Atemwegsüberempfindlichkeit und einer Erkrankung mit Fieber oder unter einer Medikation ein höheres Risiko schwererer und kritischer Zwischenfälle [23].


#

Diskussion

Die Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus den USA, Frankreich und Großbritannien lassen erkennen, dass für das ambulante Operieren an Adenoiden und Gaumentonsillen die Empfehlung besteht, neben sonstigen Risikofaktoren vor allen Dingen auch das Lebensalter der Kinder in der Indikationsstellung zum ambulanten Verfahren zu beachten. Eine spezifisch auf die Fragestellung gerichtete Literaturrecherche zeigt, dass eine Altersgrenze mit dem vollendeten 1. Lebensjahr aus Studien und Leitlinien nicht für die HNO-Eingriffe Adenotomie und Tonsillenchirurgie begründbar ist. Die Studien lassen erkennen, dass mit steigendem Alter die Komplikationsrate sinkt. Dezidierte Altersgrenzen werden oft genannt, differieren jedoch. Ein relevanter Altersbereich solcher Lebensalter-Risiko-Beziehung wird zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr deutlich, in dem jüngere Kinder ein höheres Risiko zeigten.

Es bleibt also offen, auf welcher wissenschaftlichen Basis die in dem ab 01.01.2023 gültigen vertraglichen Werk des trilateralen AOP-Vertrags aufgenommene Empfehlung der Altersuntergrenze in Form des vollendeten 1. Lebensjahres zustande gekommen ist und ob sie für die Adenoid- und Tonsillenchirurgie haltbar ist.

Es mag zutreffen, dass ambulante Operationen in anderen Fachbereichen durchaus regelhaft ab einem solchen jungen Alter des vollendenten 1. Lebensjahres durchgeführt werden können und dass sich dafür auch ein „fachärztlicher Standard“ bzw. „ärztliche Kunst“ darstellen lässt. Die Frage solcher Nicht-HNO-Eingriffe ist nicht Gegenstand dieser Stellungnahme.

Die Operationen an Rachen- und Gaumenmandeln erfolgen jedoch im Bereich der oberen Luftwege und sind mit Blick auf Nachblutungsrisiken in die Atemwege, Schwellung und Verlegung der Atemwege, Sekret-Clearance und Probleme bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme besonders zu betrachten. Es ist zu betonen, dass die Indikation zu solchen Eingriffen oftmals wegen einer schlafbezogenen Atemstörung gestellt wird. Diese Vorerkrankung stellt nach den vorliegenden Studien je nach Ausprägung eine kritische Komorbidität dar.

Es muss betont werden, dass sich eventuell aufkommende haftungsrechtliche Fragen am fachärztlichen Standard orientieren und dieser auch im AOP-Vertrag als Entscheidungsmaß angeführt wird.

Ein Konsensusgespräch unter den Autoren dieser Empfehlung ergab, dass die Empfehlung einer starren Altersgrenze zur Frage der ambulanten oder stationären Erbringung klinisch nicht sinnvoll erscheint, wenn auch eine einfachere argumentative Handhabbarkeit damit entstehen könnte. Neben dem Risikofaktor des rein numerischen Lebensalters sind weitere in Studien genannte Risikofaktoren wie Über- oder Untergewichtigkeit, kürzliche Atemwegsinfekte, Atemwegshyperreaktivität sowie Zeichen schlafbezogener oberer Atemwegsobstruktionen neben anderen mit einzubeziehen.

Für den Eingriff der Tonsillotomie hat sich aus der klinischen Praxis bisher ohne Studienbeleg plausibel ergeben, dass das Nachblutungsrisiko steigt, je mehr Tonsillenvolumen entfernt wird. Bei erheblicher Entfernung von Tonsillenvolumen im Sinne einer intrakapsulären Tonsillotomie nähert sich wegen Freilegung größerer Blutgefäße das Nachblutungsrisiko dem einer klassischen extrakapsulären Tonsillektomie.

Unter Einbeziehung aller Aspekte entwickelt sich in Abschätzung von Operateur und Anästhesist eine für die genannte Entscheidung tragende individuelle Behandlungsentscheidung in der notwendigen Ex-ante-Beurteilung, die plausibel dokumentiert werden muss.

Es muss demzufolge den behandelnden Ärzten empfohlen werden, dass Operationen an Rachen- und Gaumenmandeln bei Kindern unter Beachtung der hier zusammengetragenen Erkenntnisse zum Lebensalter in Zusammenschau mit medizinischen, sozialen und organisatorischen Umständen geplant und durchgeführt werden. Eine Kumulation von Risiken wird ein höheres Grenzalter erfordern, begünstigende Umstände ein niedrigeres Grenzalter ermöglichen. Dem verantwortlichen Arzt muss eine fallindividuelle Betrachtung zugestanden werden, und diese Entscheidung muss auch nach der Vorgabe des AOP-Vertrages transparent dokumentiert werden. Die Sicherheit der Kinder muss dabei oberste Priorität haben. Der AOP-Vertrag sollte aus den oben genannten Gründen keine fixierten Altersvorgaben machen, wobei die dort gegebene Altersgrenze des vollendeten 1. Lebensjahres für die Adenotomie und Tonsillotomie nicht nachvollziehbar ist.


#

Fazit

Ziel des Positionspapieres ist es nicht, eine ambulante Erbringung der Adenotomie oder Tonsillotomie zu erschweren oder zu verhindern. Ziel ist es, in einer zunehmend durch Ressourcenverknappung ökonomisierten Gesundheitsversorgung wichtige Standards an Qualität und Sicherheit für die betroffenen Kinder zu sichern, zu begründen und klar darzustellen. Die Chirurgie von Adenoiden und Tonsillen findet im Rachen und somit im Atem- und Speiseweg statt und erfordert wegen Blutungs-, Atem- und Schluckproblemen eine gänzlich andere Bewertung als Eingriffe außerhalb des Atemweges. Diese wichtigen Aspekte finden im AOP-Vertrag bzw. den Kontextfaktoren derzeit keine direkte Beachtung. Mit diesen Ausführungen gewinnen auch die verantwortlichen Personen (Operateur und Anästhesist) Sicherheit in ihrer Ex-ante-Entscheidung. Falls sich im weiteren Verlauf eine neue Evidenz für solche Behandlungen ergeben sollte, soll das Positionspapier angepasst werden.


#
#

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Thomas Deitmer
Arbeitsgemeinschaft pädiatrische HNO-Heilkunde (AG PädHNO) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC)
Friedrich-Wilhelmstr. 2
D-53113 Bonn
Deutschland   

Publication History

Article published online:
12 December 2023

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany