Psychiatr Prax 2009; 36(1): 49-50
DOI: 10.1055/s-0028-1121948
Mitteilungen der BDK

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Kommentar zum Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz - PVVG) bzw. des 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts seitens des Vorstandes der Bundesdirektorenkonferenz - BDK

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Publication Date:
15 January 2009 (online)

 
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Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin

Thomas Pollmächer, Ingolstadt

Manfred Koller, Göttingen

Ärztliches Handeln legitimiert sich durch das ausdrückliche Einverständnis des Patienten in diagnostische und therapeutische Maßnahmen.

Dieser Grundsatz trägt dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung, der Herr des Behandlungsverfahrens ist und grundsätzlich jede ärztliche Maßnahme auch dann ablehnen kann, wenn diese Ablehnung möglicherweise sein Leben verkürzt oder ihm anderweitig schadet.

Die Ausübung dieses Selbstbestimmungsrechtes setzt allerdings voraus, dass der Patient zum Zeitpunkt einer solchen Entscheidung über die entscheidungsrelevanten Informationen verfügt und fähig ist, seinen Willen frei zu bilden.

Anderenfalls muss der behandelnde Arzt nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten handeln. Frühere Äußerungen des Patienten können hierfür eine wertvolle Hilfe sein.

In den letzten Jahren treffen Patienten zunehmend schriftliche Vorausverfügungen für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit, um sicherzustellen, dass ihre Behandlungswünsche umgesetzt werden. Hierbei legen die Patienten entweder fest, wie sie behandelt bzw. nicht behandelt werden wollen (Patientenverfügung) oder sie bestimmen jemanden, der solche Entscheidungen für sie treffen soll (Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung). Gegenwärtig ist eine intensive Diskussion in breiter Öffentlichkeit im Gange und seit 2007 wird versucht die Patientenverfügung in einem Gesetz zu verankern, mit dem Ziel, ihr klare und eindeutige Verbindlichkeit zu verleihen.

Die fraktionsübergreifende politische Auseinandersetzung im Bundestag bezieht sich dabei ganz überwiegend auf die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass eine Patientenverfügung den tatsächlichen in die Zukunft gerichteten Willen eines Patienten wiedergibt, der zum Zeitpunkt der Erstellung der Verfügung eigenverantwortlich entscheiden konnte und über ausreichend Informationen verfügte, die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken.

Aus psychiatrischer Sicht sind hierzu eine Reihe von Punkten zu bedenken:

  1. Psychische Erkrankungen können die freie Willensbildung erheblich beeinträchtigen und damit auch die Fähigkeit eigenverantwortlich zu entscheiden. Dies muss berücksichtigt werden, wenn die Frage der Gültigkeit von Patientenverfügungen diskutiert wird.

    Die freie Willensbildung hängt von einigen psychischen Funktionen ab, die im Rahmen psychischer Erkrankungen beeinträchtigt sein können. Dies sind vor allem alle höheren kognitiven Funktionen (zum Beispiel Orientierung, Auffassungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis), der Affekt, also die Stimmung, das formale und inhaltliche Denken und die Wahrnehmung.

    Allgemein bekannt und anerkannt ist, dass kognitive Störungen im Rahmen einer Demenz die Willensbildung erheblich beeinträchtigen oder gar verunmöglichen können. Ebenfalls akzeptiert scheint, dass psychotische Symptome im Rahmen einer Schizophrenie, also vor allem negativen Einfluss auf Willensbildungsprozesse nehmen. Halluzinationen und Wahn können sich auch im Rahmen anderer psychiatrischer Erkrankungen manifestieren. Die Symptome erhalten insbesondere dann Bedeutung, wenn sich die Inhalte von Wahn und Halluzination unmittelbar auf das konkrete somatische Krankheitsgeschehen beziehen. Weniger bekannt und weniger offensichtlich ist, dass Affekt- und Denkstörungen im Rahmen von Depressionen ebenfalls die freie Willensbildung beeinträchtigen können. Hier sind es vor allem Insuffizienzgefühle, Hoffnungslosigkeit und nihilistische Gedanken, die bis zur wahnhaften Überzeugung gehen können selbst völlig wertlos zu sein, die die realistische Einschätzung der eigenen Gesundheit und der eigenen gesundheitlichen Perspektive stark verzerren und damit die freie Willensbildung beeinträchtigen können.

    Dies dürfte gerade bei schwer körperlich erkrankten Menschen häufig ein komplizierender Faktor der Willensbildung sein, weil die Inzidenz depressiver Syndrome sehr hoch ist (bis zu 50%). Besonders schwierig ist es in solchen Fällen, eine situationsadäquate Traurigkeit, die die Entscheidungsfreiheit nicht einschränkt, von einer akuten Depression zu unterscheiden, die dies tun kann.

    Im Prinzip kann jede schwere psychiatrische Erkrankung die freie Willensbildung derart beeinträchtigen, dass die Erstellung einer gültigen Patientenverfügung nicht möglich ist. Umgekehrt muss aber betont werden, dass das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung an sich die Erstellung einer gültigen Patientenverfügung nicht automatisch ausschließt.

    Deshalb sollte beim Vorliegen einer solchen Erkrankung vor Erstellung einer Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht durch eine psychiatrische Untersuchung geklärt werden, ob die freie Willensbildung beeinträchtigt ist, oder nicht.

  2. Bei der Erstellung von Patientenverfügungen, die die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen betreffen, und bei der Beurteilung ihrer Gültigkeit müssen die besonderen Gefahren berücksichtigt werden, die das Unterlassen der Behandlung einer solchen Erkrankung sowohl für den Patienten, als auch für Dritte mit sich bringen kann.

    Für die Erstellung von Patientenverfügungen, die die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen betreffen, gilt zunächst einmal das oben gesagte, sie können also nur dann in gültiger Weise verfasst werden, wenn zu diesem Zeitpunkt eine freie Willensbildung möglich ist. Prinzipiell ist es aber durchaus möglich und sinnvoll, Verfügungen für den Behandlungsfall zu treffen, gerade wenn bei einer wiederholt auftretenden Erkrankung Wirkungen und Nebenwirkungen bestimmter Behandlungsverfahren für einen bestimmten Patienten schon bekannt sind.

    Besonders hilfreich kann es sein, im Sinne einer Vorsorgevollmacht eine vertraute Person zu bestimmen, die dann in seinem Sinne und im Dialog mit den Behandlern Entscheidungen trifft, wenn der Patient seinen Willen nicht äußern oder frei bilden kann.

    Bei der Erstellung solcher Vorausverfügungen sind aber einige Besonderheiten psychiatrischer Erkrankungen zu beachten, die es problematisch machen, bestimmte Behandlungsverfahren auszuschließen. Die zentrale Besonderheit schwerer psychiatrischer Erkrankungen ist, dass die Einschränkung der freien Willenbildung sehr häufig mit einer Gefährdung der eigenen Person und/oder Dritter verbunden ist, die mit dem Krankheitsprozess nicht direkt in Verbindung steht und in aller Regel reversibel ist, also nur vorübergehender Natur. Der häufigste Aspekt der Eigengefährdung ist die Suizidalität. Patienten können sich aber durch die Erkrankung anderen körperlichen Gefahren, zum Beispiel erheblichen Unfallgefahren aussetzen. Eine krankheitsbedingte Fremdgefährdung kann von psychiatrisch kranken Patienten durch fremdaggressives Verhalten ausgehen, aber auch indirekt dadurch dass sie andere zum Beispiel im Straßenverkehr durch unsachgemäßes Verhalten gefährden.

    Wenn im Rahmen einer Patientenverfügung bestimmte, einzelne Behandlungsmaßnahmen abgelehnt werden (zum Beispiel die Verabreichung bestimmter Medikamente) kann zunächst versucht werden, die Therapie mit anderen Methoden durchzuführen. Umgekehrt kann dann, wenn Patienten verfügen, dass eine ganz spezielle Therapie angewendet werden soll, diesem Wunsch entsprochen werden, wenn die gewünschte Methode dem empirischen Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.

    Ähnliches gilt bei Sicherungsmaßnahmen wie der Unterbringung auf einer geschlossenen Station oder dem Anbringen mechanischer Beschränkungen.

    Wenn aber durch die Erfüllung solcher spezifischer Behandlungswünsche oder -ausschlüsse klar die Gefährdung erhöht wird, stellt sich einerseits die Frage, wer die Verantwortung für diese erhöhte Gefahr trägt und ob es im besonderen Hinblick auf eine mögliche Fremdgefährdung unter Abwägung der Rechte Dritter überhaupt statthaft sein kann, die Verfügung des Patienten umzusetzen.

    Schließlich stellt sich in der Psychiatrie, inwieweit eine dem fachlichen Standard entsprechende Behandlung etwa mit Neuroleptika, die nach aller Erfahrung in der Lage wäre, den Zustand der Urteilsfähigkeit und freien Willensbildung binnen kurzer Zeit wiederherzustellen, nicht auch dann durchgeführt werden sollte, wenn sich der Patient zuvor in einer Patientenverfügung gegen den Einsatz von Psychopharmaka ausgesprochen haben sollte. Stellt die Wiederherstellung der Entscheidungsfähigkeit dann nicht das höhere Rechtsgut dar? Der Patient könnte ja danach unbeeinträchtigt entscheiden, ob er die Behandlung fortsetzen möchte oder nicht.

    Zusammenfassend scheint es deshalb ratsam, gerade Patientenverfügungen, die eine psychiatrische Behandlung betreffen, besonders sorgfältig und nur mit sehr sachkundiger Beratung abzufassen, damit Situationen vermieden werden, in denen den vorher geäußerten Wünschen des Patienten nicht entsprochen werden kann.

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Termine

Frühjahrstagung der BDK 23./24.April 2009, Bochum (Ärztlicher Direktor Prof. Juckel)

Herbsttagung der BDK 22./23.Oktober 2009 in Liebenburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. med. Pajonk)