Z Orthop Unfall 2011; 149(2): 121-124
DOI: 10.1055/s-0031-1276698
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Routinedaten – Zusammen führen, was zusammen gehört!

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12 April 2011 (online)

 
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Abrechnungsdaten, alias Routinedaten sind derzeit mit das Beste, was Forscher für die Qualitätsmessung im Gesundheitswesen nutzen können. Oft genug allerdings nur könnten, denn der Gesetzgeber müsste Hürden für ihre sinnvolle Nutzung beiseiteräumen.

Rechnungen hebt jeder auf, kann ja sein, dass man plötzlich einen unverhofften Gerätedefekt reklamieren muss. Folgt man einer der derzeit heißesten Debatten im Gesundheitswesen, hilft solch Sammelei aber auch ziemlich gut, wenn es um Reklamationen der Versorgungsqualität beim Doktor geht.

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Bei künstlichen Hüftgelenken geht das zum Beispiel so:

Fünf Jahre nach Erstimplantation sind knapp 5 % der Prothesen bereits getauscht, bei Männern etwas häufiger als bei Frauen. Zementierte Prothesen halten etwas länger als unzementierte, spezielle Varianten wie Femurkopfprothesen schneiden schlechter ab als "normale" Prothesen. "Das sind schon Unterschiede, die nicht allein aufgrund unterschiedlicher Indikationsstellung zu erklären sein dürften", deutet PD Günther Heller an, der für diese Untersuchung die Daten von rund 170 000 AOK-Versicherten ausgewertet hat, die zwischen 2005 und 2009 für ein Hüftgelenksimplantat im Krankenhaus waren.

Nachzulesen ist das im Krankenhaus-Report 2011 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) in Berlin. Programmatischer Untertitel: Qualität durch Wettbewerb. Denn die WIdO-Statistiker haben die Erfolgszahlen wohl sortiert – Krankenhaus für Krankenhaus: Was der Bürger schon länger ahnt, jetzt bekommt er harte Parameter für die berühmte Frage: Wohin zur Gelenkimplantation?

Für die Eingriffe Hüft- und Kniegelenks-prothesen bei Arthrose, sowie Einbau eines künstlichen Hüftgelenks nach hüftgelenksnahem Oberschenkelbruch packt die AOK seit Kurzem eine qualitative Bewertung, wie gut Implantate aus dieser und jener Klinik nun zumindest das 1. Jahr gehalten haben, in den Krankenhausnavigator (http://www.aok-gesundheitsnavi.de/behandlungsergebnisse-im-qsr-verfahren-der-aok.26.de.html).

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Klinikqualität ist messbar

"Herr Heller hat jetzt vorgerechnet, was wir einst zusammen angedacht hatten", rühmt sein einstiger Projektpartner Professor Thomas Mansky – heute Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin (siehe auch das Interview). Seit 2002 tüftelten Statistiker vom AOK-Bundesverband, von Helios-Kliniken und einem Forschungsinstitut aus Sachsen-Anhalt an der Qualitätssicherung in der stationären Versorgung mit Routinedaten (QSR). Nach den dabei entwickelten Methoden wertet das WIdO Jahr um Jahr heute weiter aus.

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Bei der Datenmenge haben die Kassen die Nase vorn (Foto: istockphoto).

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Bei künstlichen Gelenken wird es nicht bleiben

QSR wertet für die Kliniken intern u. a. auch Erfolge bei Herzinfarkt und Herzschwäche aus. Und als Nächstes werde man QSR-Daten für Operationen zur Entfernung der Gallenblase in den Krankenhausnavigator geben, erklärt Christian Günster vom WIdO.

Es ist nur ein Beispiel für eine kleine "Revolution" (Mansky) im Gesundheitswesen. Denn nicht etwa eigens aufgebaute Erfassungssysteme scheinen derzeit der praktikabelste Weg, Qualität im Gesundheitswesen zu messen. Die Nase vorn haben schlichte Abrechnungsdaten, vornehmlich auch administrative Daten oder Routinedaten. Es sind jene Daten, die Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, zu Abrechnungszwecken an Kasse und/oder zunächst KV übermitteln und die zunächst gar nicht für Qualitätsmessung angelegt werden. Gesundheitswesen paradox. Kliniken müssen den Gesetzlichen Kassen schon seit 1993 auf elektronischem Wege Abrechnungsdaten übermitteln. Doch erst mit der Einführung der DRGs seit dem Krankenhaus-Entgeltgesetz 2003 wurde das auf eine systematische Grundlage gebracht. Ein Haus übermittelt seither u. a.: Sein eigenes Kennzeichen, das Versichertenkennzeichen des Patienten, Tag und Uhrzeit seiner Aufnahme, Grund der Aufnahme, die nach der ICD-10 verschlüsselte Diagnose, nach dem OPS-Code die Art der Behandlung(en), deren Dauer und am Ende auch den Grund der Entlassung. Im Jargon sind es die 301er-Daten, festgelegt im § 301 SGB V.

Seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 2004 schicken obendrein auch niedergelassene Ärzte entsprechende Abrechnungsdaten auf elektronischem Weg an die KV, seit Januar 2011 sind sie dazu verpflichtet. Quartal für Quartal spielen die KVen diese Daten dann später auch an die Kassen.

Die kriegen noch mehr: Daten von der Gesetzlichen Unfallversicherung, aus den Reha-Kliniken, von einer evtl. ambulanten Behandlung im Krankenhaus, Daten zu Hilfsmitteln, selbst zu Zeiten einer Arbeitslosigkeit oder Pflegezeiten und, in der Regel via Apothekenrechenzentren, jedes Rezept, das ein Versicherter bei seiner Apotheke einlöst. "Seit 2003/2004 ist mit dem DRG-System die Qualität der Abrechnungsdaten aus dem Krankenhaus wirklich gut geworden", meint Dr. Ulrike Nimptsch von der TU Berlin. Sind sie doch unmittelbar für die Kasse die Abrechnungs- und Bezahlgrundlage, was diese auch entsprechend checkt. "2003 ist eine Zeitenwende" meint auch Christian Günster. Und der ambulante Sektor schließe auf: Was das DRG-System im Krankenhaus, ist hier die Einführung des Morbi-RSA: Damit, so Christian Günster, verbesserten sich auch hier Diagnosevollständigkeit und Validität, denn jetzt geht es für die Kassen auch bei diesen Daten um bares Geld.

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Die Datenmenge wächst

An einem besteht kein Zweifel: KVen und Kassen dürfen, so der § 287 des SGBV, schon längst des Patienten Daten für Forschungszwecke auswerten, und sie dabei ausdrücklich auch zusammen führen. Will sagen: Mit jedem Jahr mehr entsteht in den Rechnern eine Art, wenngleich anonymisierte, elektronische Patientenakte. Kassenvertreter betonen den Datenschutz: "Wir dürfen die Daten in aller Regel nicht unverschlüsselt zusammen führen", erklärt Christian Günster vom WIdO. Wenn, dann nur mit ministerieller Erlaubnis – etwa zur Evaluation von Disease Management-Programmen.

Anders hingegen, wenn die Daten zuvor pseudonymisiert worden sind. Name, Wohnort, Geburtsdatum und Versichertennummer werden durch ein Pseudonym ersetzt. Der Clou dabei: Die Programme in den Rechnern stellen dabei sicher, dass den Daten eines- und des gleichen Versicherten in den verschiedenen sektoralen Datenbanken auch immer das gleiche Pseudonym zugeordnet wird. "Wir bekommen so von den Landes-AOKs Datensätze eines jeden Versicherten, wenngleich der nur noch eine Nummer ist und jede Rückschlüsselung ausgeschlossen ist", betont Günster. Selbst bei einem Wechsel der Kasse lassen sich diese Daten heute über das Versichertenkennzeichen weiter zusammen führen. Das ist die große Trumpfkarte der Routinedaten als Mittel der Qualitätsmessung: Sie erlauben ein Langzeitmonitoring von Qualität, da sich mit ihnen quasi ein Patientenschicksal verfolgen lässt. Noch Jahrzehnte später wird es prinzipiell möglich zu erfassen, wann und wo Patient, alias Fallnummer XY, zu welcher OP, etwa einer Gelenksrevision, in welcher Klinik war.

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Foto: Pixelwolf/Fotolia.com

Die Institutionen nützen die Daten. Die KBV etwa lässt derzeit beim Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) Daten zur Arzneiverordnung in der ambulanten Versorgung auswerten, um damit Vertragsärzte besser beraten zu können. Die Kassen allerdings haben die Nase vorn, denn sie haben die größeren Datensätze. Und es gibt beileibe nicht nur QSR. 3,5 % aller künstlichen Hüftgelenke müssen nach 2 Jahren gewechselt werden, berichtet auch das WINEG, das wissenschaftliche Institut der Techniker Kasse nach Auswertung eigener Routinedaten im Herbst 2009. Bei 8 von 10 Fällen seien mechanische Probleme des neuen Gelenks die Ursache. Die KKH-Allianz nahm ähnliche Zahlen zum Anlass, Anfang 2011 Mindestmengen für Hüft- und Kniegelenksoperationen zu fordern.

Die Barmer-GEK wusste Anfang 2011 nicht nur, dass fast jeder Deutsche 2009 mindestens einmal beim Arzt war. Schon seit 1998 nutzt die früher eigenständige GEK in jährlichen Gesundheitsreports Routinedaten für spezielle Analysen, etwa zur Rolle von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit, Rückenleiden je nach Berufssparte, Alkoholkonsum und Krankheiten.

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Parallelstrukturen

Dabei denkt man beim Thema Qualitätsmessung zunächst an ganz andere Verfahren. So hat der Gesetzgeber mit dem § 137 des SGBV seit 2002 zunächst für die Krankenhäuser ein eigenes separates System der Externen Qualitätssicherung eingefordert. Bis 2009 umgesetzt von der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS), erhielt diese Jahr um Jahr in einem eigenen Erfassungssystem aus allen Häusern Angaben zu bestimmten Eingriffen. Etwa die Zahl an Wundinfekten nach Operationen oder die Zahl an Wiederholungseingriffen. Seit 2010 vom AQUA-Institut in Göttingen fortgeführt, hat das komplexe Verfahren für Qualitätsverbesserungen in vielen Krankenhäusern gesorgt.

Doch es hat Grenzen: Echte Langzeitdaten kann es nicht liefern, denn jede Entlassung aus einem Krankenhaus schließt die Akte der Qualitätskontrolleure für immer. Kommt der Patient womöglich später wieder, ist es ein neuer Fall. Eine Zuordnung der Daten eines und des gleichen Patienten, über längere Zeiträume hinweg, ist nicht möglich. Routinedaten, die den Patientenbezug schaffen, kann AQUA hingegen bislang nicht nützen. Zwar stehe man, so Günther Heller, zu dieser Frage im Dialog mit dem BMG und G-BA. Heller ist seit Kurzem bei AQUA unter Vertrag. Doch ist bislang nicht abzusehen, ob und wann er, anders als beim alten, beim neuen Arbeitgeber Zugang zu Routinedaten erhält. Leichter nutzen kann AQUA nur einige aggregierte Datensätze. So erhält das Bundesversicherungsamt für die Weiterentwicklung des Morbi-RSA einen aggregierten Datensatz aus dem ambulanten Bereich. Auch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) – es entwickelte das DRG-System weiter – erhält einen Auszug der Daten aus dem Krankenhaus. Letzteren möchte AQUA nutzen. Der Verlauf einer Behandlung über Jahre hinweg ist mit diesen Datensätzen aber nicht möglich. Der Versichertenbezug ist gelöscht.

Ausgerechnet eine Schlüsselstelle für die Qualitätssicherung schließt der Gesetzgeber damit bislang von Routinedaten mit Versichertenbezug aus. Stattdessen plant der G-BA einen Ausbau der Systeme zur Externen Qualitätssicherung. AQUA soll nicht nur ganz neue Parameter entwickeln, mit denen die Qualität von Artzpraxis und Krankenhaus sektorübergreifend zu messen sind. Im Oktober 2010 hat der G-BA das Institut beauftragt, solche Parameter für Hüft- und Knieendoprothesen bis Anfang 2012 zu entwickeln. Eine vom G-BA Anfang 2011 ausgeschriebene Vertrauensstelle soll in Zukunft auch beim Erfassungssystem der Qualitätssicherung im Krankenhaus erstmals Daten mit Bezug der Versicherten sammeln, die dann eine bereits ausgeschriebene Vertrauensstelle pseudonymisiert und langfristig fortlaufend zusammenführt. Der Testlauf für die Erweiterung wird in den Kliniken bereits 2011 beginnen.

Heller betont heute den Wert unabhängiger Erfassungssysteme: "Um Qualität zu messen, etwa bei der Implantation von Hüftprothesen, brauchen sie auch Angaben zum Körpergewicht, Raucherstatus, zu Begleiterkrankungen wie Rheuma – und das sind alles Dinge, die wir über Routinedaten nicht erhalten, die wir jetzt neu festlegen und erfassen können." Auch den Prothesentyp möchte das Institut in Zukunft miterfassen.

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In der Tat: Routinedaten sind kein Allheilmittel

Viele Angaben seien schlicht doppeldeutig, monierten unlängst Prof. Rüdiger Smektala und Dr. Tanja Kostuj aus Bochum in den DGU Mitteilungen: Bedeutet die ICD-Diagnose T 84.0 bei einem Versicherten, alias mechanische Komplikation durch eine Endoprothese, nun, dass sich eine Prothese wegen falscher Implantation gelockert hat oder ein Materialversagen zum Prothesenbruch führte? Beides ist allein mit dieser Ziffer nicht zu klären.

Ein anderes Beispiel: Bei einem Schlaganfallpatienten bieten Routinedaten keine Anhaltspunkte dafür, ob ein Betroffener bei Einlieferung noch bei Bewusstsein war oder nicht. "Das ist aber ein ganz entscheidender Punkt für die Prognose, ohne dessen Kenntnis eine Bewertung, wie gut die Versorgung in einem Haus gewesen ist, kaum möglich ist", berichtet Christian Günster. Zu Schlaganfall sei daher bei QSR keine Veröffentlichung von Klinikwer- ten geplant, da die Routinedaten dafür schlicht nicht taugten. Helfen könnte ein sog. "Present on Admission Parameter", ein neu einzurichtendes Datenfeld im 301er-Satz, in dem der Zustand des Patienten notiert werden könnte. "Einzurichten wäre das vom DIMDI", erklärt Günster, mit dem man seit 3 Jahren leider erfolglos dazu verhandle. "Wir sollten auf jeden Fall eher die Datensätze der Routinedaten verfeinern, anstatt neue Parallelstrukturen zu kreieren", fordert auch Thomas Mansky. So ließe sich der Prothesentyp ganz einfach im 301er-Satz der Routinedaten neu verankern (siehe das Interview). Für ein Endoprothesenregister wäre das ein wichtiger Schritt.

Und anders als noch vor Jahresfrist (siehe Interview Hassenpflug zfo 6/2009) setzt auch die DGOOC für das lang ersehnte Endoprothesenregister heute auf Routinedaten. Eine Deutsches Endoprothesenregister gGmbH soll 301er-Daten vom AOK-Bundesverband und Verband der Ersatzkassen (vdek) erhalten, zusätzlich die Daten zum Implantattyp, der mit einer Herstellerdatenbank abgeglichen wird. Die Verträge dafür waren aber zum Redaktionsschluss noch nicht unterschrieben.

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Neue Frühwarnsysteme

Eine bessere Auswertung der Routinedaten könnte am Ende mithelfen, akute Probleme mit manchen Prothesentypen rascher zu erkennen. Derzeit dauert es etwa 5 Monate nach Implantation, bis eine Stelle wie das WIdO Routinedaten zu Hüftimplantaten auswerten kann. "Die Daten sind dafür die ersten Monate nach Abrechnung noch zu unruhig, da wird noch nachgeprüft und justiert", kommentiert Günster. Doch ist er überzeugt: "Vorausgesetzt wir bekämen auch Angaben zum Prothesentyp, ließe sich ein Frühwarnsystem aufsatteln, das binnen Wochen akute Probleme erkennt." Es würde den Kassen obendrein erlauben, ihre Versicherten direkt zu warnen. "Heute", so Günster, "müssen sie ja hoffen, dass bei Problemen mit Implantaten die Krankenhäuser auch alle Patienten anschreiben und erreichen."

Gewinnen könnte obendrein die Überwachung der Arzneimittelsicherheit, die Pharmakovigilanz. Lipobay, Vioxx oder Avandia: Auch bestmögliche klinische Erforschung vor der Zulassung schützt bei neuen Arzneimitteln nicht davor, dass zu hohe Risiken auf seltene, aber gefährliche Nebenwirkung, alias Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) erst Monate, Jahre nach Zulassung entdeckt werden. Dann, wenn Zehntausend oder Hunderttausend Patienten ein Mittel einnehmen und nicht mehr die bestenfalls wenigen Tausend, die es zuvor unter Idealbedingungen in klinischen Studien bekamen. Das Spontanmeldewesen aber, Ärzte sind verpflichtet, einen Verdacht auf UAW zu melden, bleibt oft ein zahnloser Tiger. Zu gering ist die Meldebereitschaft, nur wenige Prozent aller UAW landen in den Computern der Ämter. Das System liefert oft genug nur einen Anfangsverdacht. Am Bremer Institut für Präventionsmedizin und Sozialmedizin (BIPS) läuft eines der bislang raren Projekte, die helfen können, die Lücke etwas zu schließen. Eine Gruppe um Prof. Edeltraut Garbe hat hier derzeit für den Zeitraum 2004 bis 2009 Zugriff auf Routinedaten von etwa 15 Millionen Versicherten aus 4 Krankenkassen.

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Der Datenfundus erlaubt es, gezielt jene Patienten, alias anonymisierte Fallnummern, die ein bestimmtes Mittel während eines gewissen Zeitraums eingenommen haben, mit einer Kontrollgruppe zu vergleichen, die das Mittel eben nicht nimmt. Und am Ende so danach zu fahnden, ob bestimmte Krankheiten als UAW in der Gruppe derer, die Arzneimittel einnehmen, tatsächlich häufiger sind. Ideal wäre die Kombination der verschiedenen Systeme: Dem Spontanmeldesystem bliebe die Aufgabe, einen ersten Verdacht zu liefern, der sich dann durch Suche in Routinedaten bestätigt oder auch nicht. "Das Problem eines erhöhten Herz-Kreislauf-Risikos bei Vioxx hätten wir so mit einer Verzögerung von etwa einem halben bis einem drei viertel Jahr erkennen können", kalkuliert Edeltraut Garbe. Realiter dauerte es beim COX-2-Hemmer 4 Jahre von einem ersten Verdacht bis zur Marktrücknahme im Jahr 2004. Garbe sieht gleich mehrfach den Gesetzgeber am Zug: Pharmakovigilanz mit Routinedaten sei eine öffentliche Aufgabe, der Aufbau einer entsprechenden Datenbank könne nicht langfristig von einem Forschungsinstitut finanziert werden. "Der Gesetzgeber sollte das verankern und sich am Aufbau solch einer Datenbank beteiligen."

Ärger noch: Zugriff auf Routinedaten gibt es generell für externe Forscher bislang eben nur in Kooperationen mit den Kassen und in der Regel auch nur dann, wenn – Projekt für Projekt – die zuständige Landes- oder Bundesbehörde ihr Plazet gegeben hat. "Wir wünschen uns eine Verpflichtung der Kassen, Abrechnungsdaten an eine zentrale Vertrauensstelle zu liefern, welche die Daten pflegt und aufbereitet", fordert Dr. Tania Schink vom BIPS. Und sie dann Universitäten und anderen Forschungsinstituten zur Verfügung stellt.

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§ 303 – und keine Folgen

Und da kommt das paradoxe Ende der Routinedatenstory. Denn eigentlich ist solch ein System längst eingerichtet.

Seit 2004 legt der § 303 a – f SGBV alle Grundlagen dafür fest. KBV und GKV-Spitzenverband sollen eine Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparanz (ARGE) bilden. Die muss regeln, wer die neu zu schaffende Vertrauensstelle und eine Datenverarbeitungsstelle betreibt. Erstere bekäme die Routinedaten von Kassen und KBV, um sie zu pseudonymisieren, letztere stellt sie für Forschungszwecke zur Verfügung. Und zwar ausdrücklich auch Institutionen der Gesundheitsberichterstattung, Hochschulen und sonstigen Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung. Es wurde nichts daraus. Gegründet wurde die ARGE im Oktober 2004, einen Beschluss hat sie nicht gefasst. Die Akteure kommen naturgemäß zu ihrer jeweils eigenen Sicht. Aufgrund von "Differenzen der Trägerorganisationen", so ist aus vom GKV-Spitzenverband zu hören, wurde "eine weitere Umsetzung zunächst ausgesetzt". Der Verband hat beim BMG eine Änderung zur Prüfung auf den Weg gebracht. "Das Projekt soll jetzt möglichst allein in Regie der Krankenkassen umgesetzt werden", meint Sprecherin Ann Marini. Bei geschätzten Kosten im 2-stelligen Millionenbereich stünden Aufwand und Nutzen nicht im Verhältnis, betont man bei der KBV. "Und wir glauben auch, dass solch eine zentrale Datenstelle den Grundkonzepten von Datenschutz hierzulande widerspricht – das hat auch der Gesetzgeber vielleicht nicht ganz bedacht", meint KBV-Sprecher Roland Stahl.

Das BMG wiederum hält prinzipiell am Vorhaben fest, sieht die Schuld mangelnder Umsetzung in einer "unterschiedlichen Interessenlage der Beteiligten in der Selbstverwaltung". Man diskutiere derzeit Änderungen am Konzept. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, BfDI, stellt gleich die Grundlagen des Vorhabens infrage: "Fraglich ist, ob die vorhandenen Leistungs- und Abrechnungsdaten in pseudonymisierter Form nutzbar gemacht werden können", erklärt die dortige Pressestelle.

Soviel zeichnet sich ab: Routine ist der Einsatz von Routinedaten für die Qualitätssicherung noch nicht.

BE

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Bei der Datenmenge haben die Kassen die Nase vorn (Foto: istockphoto).

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