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DOI: 10.1055/s-0031-1280968
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Bestimmen statistische Formulierungen die Wahrnehmung?
Publication History
Publication Date:
31 May 2011 (online)
„Man kann es so oder so sagen“ – das gilt auch in der Wissenschaft. Die Präsentation statistischer Informationen beeinflusst die praktischen Konsequenzen, die aus ihr gezogen werden. Das dies insbesondere für die Darstellung von Risiken gilt, war Inhalt des aktuellen Cochrane Reviews.
Einleitung: Ein Medikament reduziert das Krankheitsrisiko um 50 % (relative Risikoreduktion). Von den unbehandelten Patienten erkranken in 3 Jahren 10 % (Wahrscheinlichkeit), also 100 von 1000 Menschen sind betroffen (Häufigkeit). Mit dem Medikament bekommen 5 % die Krankheit (5 % absolute Risikoreduktion). Das bedeutet, dass 20 Patienten 3 Jahre behandelt werden müssen, um eine Krankheit zu vermeiden („number needed to treat“ NNT). Diese statistischen Formate mit gleicher Aussage werden unterschiedlich wahrgenommen, verstanden und akzeptiert.
Studien: Zwei unabhängige Autoren wählten 35 Studien zum Thema aus. Teilweise befragten sie zusätzlich die Studienärzte wegen fehlender Informationen. 83 Vergleiche, bei denen die gleichen Risikokonstellationen auf statistisch unterschiedliche Weise präsentiert wurden, und deren Auswirkungen auf die Leser wurden analysiert. Dabei stand im Vordergrund, welchen Unterschied es macht, von Häufigkeiten oder Wahrscheinlichkeiten, absoluten oder relativen Risikoreduktionen und den notwendigen Patientenzahlen zu sprechen.
Ergebnisse: Natürliche Häufigkeiten waren verständlicher als Wahrscheinlichkeiten (SMD [„standardized mean difference] 0,69; 95 %-Konfidenzintervall [95 %-KI] 0,45–0,93). Relative Risikoreduktionen wurden stärker wahrgenommen und akzeptiert als absolute oder die zur Vermeidung eines Ereignisses notwendige Behandlungszahl. Vor allem wegen der größeren Zahlen, überzeugten die relativen Risikoreduktionen stärker (SMD 0,66; 95 %-KI 0,51–0,81). Absolute Risikoreduktionen waren im Vergleich mit NNT verständlicher (SMD 0,42; 95 %-KI 0,12–0,71). Die Überzeugungskraft unterschied sich nicht wesentlich. Für die unterschiedlichen Studienteilnehmer (Angehörige medizinischer Berufe, Patienten) waren die Ergebnisse vergleichbar.
Die Studienteilnehmer verstanden Vergleiche besser, wenn natürliche Häufigkeiten und nicht Wahrscheinlichkeiten genannt wurden. Interventionen wurden effektiver empfunden, wenn die Wirkungen als relative Risikoreduktion dargestellt wurden. Dies sei aber gleichzeitig der Knackpunkt: Eine relative Risikoreduktion um beispielsweise 50 % läge schließlich auch vor, wenn statt 4 von 1000, nur 2 von 1000 Patienten erkrankten. Hierbei werde aber ein wesentlich größerer Nutzen suggeriert, der zu Fehlinterpretationen verleiten könne und möglicherweise falsche Schlussfolgerungen begünstige.
Dr. med. Susanne Krome, Melle
Welche Darstellung von Gruppenunterschieden verstehen wir besser? Dass eine große relative Risikoreduktion (RRR) lieber publiziert wird, war bereits bekannt. Sie wird aber oft missverstanden. Man kann die relevanteste Information als natürliche Zahl NNT angeben. Die systematische Übersicht zu verschiedenen Vorschlägen spricht für zwei ganzzahlige Brüche. Aus diesen kann man die anderen Maße berechnen. Jede Darstellung hat ihren Grund. Intrinsisch wird das relative Effektmaß mit seinem Konfidenzintervall gebraucht, um von der Bedeutung des Artikels zu überzeugen. Um in Meta-Analysen zitiert zu werden, genügt oft diese Variante, solange einige der zahlreichen Endpunkte auch in anderen Studien verwendet wurden. Das absolute Effektmaß ist, wie wir jetzt sicher wissen, verständlicher, insbesondere, wenn man es durch vier natürliche Zahlen ausdrückt. Warum nicht die eine NNT? Das kann an deren extrinsischer Bedeutung liegen. Sie abstrahiert auf mehr als einen Fall, etwa für die Gesundheitsökonomie. Im Einzelfall, den Arzt und Patient betrachten, geht es um die indivduelle Wahrscheinlichkeit, von der Behandlung zu profitieren. Man orientiert sich an der berichteten Prozentzahl und schaut auf den versprochenen Nutzen. Für Vergleiche von Vergleichen müssen diese zwar meist zu RRR, ARR (absolute Risikoreduktion) oder SMD abstrahiert werden. Konkrete Endpunkte haben aber eigene minimale relevante Unterschiede (MID). Darum interessieren Ergebnisse in ISO-Einheiten, Punkten auf der Originalskala oder Zahl der Patienten mit dieser oder jener Eigenschaft. Sind sie für jede Gruppe angegeben, können Arzt und Patient am direktesten ablesen, was sie zu erwarten haben, wenn sie sich für die eine oder andere Therapie entscheiden.
Das CONSORT-Statement verlangt „für jeden primären und sekundären Endpunkt Ergebnisse für jede Gruppe und die geschätzte Effektgröße sowie ihre Präzision (z.B. 95 %-Konfidenzintervall). Für binäre Endpunkte wird empfohlen, sowohl die absoluten als auch die relativen Effektgrößen anzugeben“.
Dr. Reinhard Vonthein, Zentrum für Klinische Studien, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Universität zu Lübeck
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GlossarARR = absolute Risikoreduktion CONSORT = Leitlinie für Veröffentlichungen von randomisierten Therapie- studien („Consolidated State- ment of Reporting Trials“) ISO = Internationales Einheitensystem KI = Konfidenzintervall MID = minimale relevante Unterschiede NNT = „number needed to treat“ RRR = relative Risikoreduktion SMD = „standardized mean difference“ |
Originalarbeit
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1 Akl E A, Schünemann H. Using alternative statistical formats for presenting risks and
riskreductiones (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011; Issue 3. CD006776 DOI: 10.1002.14651858.CD006776.pub2 www.thecochranelibrary.com
Originalarbeit
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1 Akl E A, Schünemann H. Using alternative statistical formats for presenting risks and
riskreductiones (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011; Issue 3. CD006776 DOI: 10.1002.14651858.CD006776.pub2 www.thecochranelibrary.com