Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(28/29): 1460
DOI: 10.1055/s-0031-1284329
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Gesundheitswesen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie effektiv sind öffentliche Programme für körperliche Aktivität?

Are public programs to promote physical activity effective?B. Rakowitz
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Publication Date:
05 July 2011 (online)

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Es ist erwiesen, dass Bewegung die Gesundheit fördert. Dennoch ist die Zahl der Inaktiven hoch und stieg in den vergangenen Jahren sogar weiter an. Viele Länder investieren daher zunehmend in Förderprogramme, um den Aktivitätsgrad in der Bevölkerung zu erhöhen. Zu diesem Zweck gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, jedoch fehlte bislang eine systematische Übersicht zur Effektivität dieser Interventionen.

Einleitung: Rentieren sich gesellschaftsweite Programme zur Förderung körperlicher Aktivität der Bevölkerung? Mit dieser zentralen Frage sollte das Cochrane Review vor allem politischen Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen dienen. Denn wer Investitionen in derartige Förderprogramme beschließt, sollte die Qualität dieser Interventionen einschätzen können. Die Autoren des vorliegenden Reviews haben die Vielzahl bisheriger Studien gesichtet, um die jeweiligen Effekte bewerten zu können.

Studien: Eine initiale Suche im Herbst 2009 lieferte den Autoren 17 538 Zitationen, die sich mit dem Thema der gesellschaftsweiten Förderung körperlicher Aktivität befassten. Nach sorgfältiger Auswahl geeigneter Studien gingen 25 dieser Publikationen in das Cochrane Review ein. Eine Voraussetzung zur Aufnahme war, dass der Zeitrahmen für Veränderungen der körperlichen Aktivität mindestens 6 Monate betrug. Die Interventionen sollten sich entweder an eine definierte geographische Region (z.B. eine bestimmte Stadt) richten oder sich an bestimmte Bevölkerungsgruppen (z.B. mit ähnlichen sozialen und kulturellen Merkmalen) wenden. Die Programme mussten mindestens zwei verschiedene Strategien beinhalten, beispielsweise Marketing durch Massenmedien, individuelle Beratung oder die Erweiterung von Angeboten wie Wanderwege.

Ergebnisse: Die Autoren fanden keine durchgängigen Hinweise, die eine Effektivität von gesellschaftsweiten Programmen zur Förderung körperlicher Aktivität in der Bevölkerung belegen. Die einzelnen Interventionen unterschieden sich beträchtlich bezüglich der angewandten Methoden, der Intensität und auch hinsichtlich der jeweiligen Ergebnisse. Sämtlichen Studien wurden auf das Risiko systematischer Fehler überprüft – bei 16 Studien wurde dieses Risiko als sehr hoch bewertet, bei keiner der Studien ergab sich ein nur geringes Risiko. Gründe hierfür waren vor allem fehlende Randomisierung sowie die Nutzung nicht-validierter Messungen.

Fazit und Diskussion

Anhand dieses Reviews könnte man postulieren, dass gesellschaftsweite Interventionen den Aktivitätsgrad in der Bevölkerung nicht steigern können. Dennoch glauben die Autoren, dass eine derartige Schlussfolgerung verfrüht wäre angesichts der schlechten Qualität der zugrundeliegenden Studien. Eine Interpretation der Ergebnisse sei aufgrund der schwachen Messmethoden nicht möglich. Die Autoren empfehlen klar, dass weitere Studien exakt geplant und analysiert werden müssen, um verlässliche und sensitive Messungen zu erhalten.

Dr. med. Bettina Rakowitz, Sachsen b. A.

Kommentar aus der Praxis

Bewegungsmangel wird neben Fehlernährung für zahlreiche mit dem individuellen Lebensstil zusammenhängende Erkrankungen in Verbindung gebracht. Im Umkehrschluss nehmen körperliche Aktivität bzw. die Vermeidung von Inaktivität in der Prävention und Therapie eine Schlüsselrolle ein. Entsprechende Projekte werden daher heutzutage in einer großen Vielzahl und in verschiedenen Lebensräumen, z.B. auch kommunalbasiert, durchgeführt. In der Regel handelt es sich um gut gemeinte Ansätze, die aber ohne theoretischen Hintergrund konzipiert und selten auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Dies spiegelt sich auch in der vorliegenden Publikation wider: Aus 17 538 entsprachen letztlich nur 25 Artikel den Auswahlkriterien. Definierte Zielgruppen, präzise Fragestellungen und dazu passende Interventionen und Messmethoden sind in diesem Feld nicht unbedingt selbstverständlich, verbessern aber eindeutig die Studienqualität und tragen zur Vermeidung möglicher selektiver Einflüsse bei. Insbesondere die valide Messung von körperlicher Aktivität stellt eine Herausforderung dar und sollte sich nicht nur auf ein Instrument, meist Fragebögen, stützen, sondern – wenn möglich auch objektive Verfahren, z.B. Bewegungsmelder, Schrittzähler, oder ggf. mögliche Surrogatparameter (peak VO2; Adipokine etc.) integrieren. Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Dauer des Beobachtungszeitraums ausreichend lang zu wählen; gerade in der Prävention treten mögliche Effekte erst nach Jahren bzw. Jahrzehnten auf. Um somit entsprechende Interventionen erfolgreich gestalten zu können, ist ein adäquates Projektmanagement und Qualitätssicherung in der Wissenschaft, aber auch der Praxis unerlässlich. In Studien kann dies – wie auch von den Autoren gefordert – durch ein entsprechendes Design gewährleistet werden und macht die Entwicklung klarer und für die Praxis wichtiger Handlungsempfehlungen möglich.

Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, Deutsche Sporthochschule Köln

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Originalarbeit

  • 1 Baker P R A, Francis D P, Soares J, Weightman A L, Foster C. Community wide interventions for increasing physical activity.  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 4 DOI: 10.1002/14651858.CD008366.pub2 www.thecochranelibrary.com
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Originalarbeit

  • 1 Baker P R A, Francis D P, Soares J, Weightman A L, Foster C. Community wide interventions for increasing physical activity.  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 4 DOI: 10.1002/14651858.CD008366.pub2 www.thecochranelibrary.com