Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(34/35): 1709
DOI: 10.1055/s-0031-1286350
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Onkologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schützt Selen vor Krebs?

Does selenium protect against cancer?O. Adam
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Publication Date:
29 August 2011 (online)

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Nahrungsergänzungsmittel haben Hochkonjunktur: In der Hoffnung auf gesundheitsfördernde Effekte lassen sich Vitamine und Spurenelemente gut verkaufen. Die Cochrane-Metaanalyse zur Wirkung von Selen konnte eine tumorpräventive Wirkung nicht bestätigen, im Gegenteil.

Einleitung: Dem essenziellen Spurenelement Selen werden zahlreiche Wirkungen zugeschrieben. Es soll u.a. antioxidativ, immunstimulierend und entgiftend sein sowie die Inaktivierung von Onkogenen beeinflussen. Die WHO empfiehlt eine tägliche Aufnahme von 30–40 µg. Selen wird in organischer und anorganischer Form aufgenommen, wobei weltweit erhebliche Unterschiede, z.B. abhängig von der Bodenbeschaffenheit, bestehen. In den 1990er Jahren wurde über eine verminderte Mortalität gastrointestinaler Tumoren berichtet, wenn eine Nahrungsergänzung mit Selen erfolgte. Folgestudien kamen bei zahlreichen Entitäten zu widersprüchlichen Ergebnissen. Es ergaben sich Hinweise für geschlechtsspezifische Unterschiede.

Studien: 55 Studien aus den Jahren 1983–2009 mit Daten von mehr als einer Million Teilnehmern wurden ausgewertet. Darunter waren 49 prospektive Beobachtungsstudien und 6 randomisierte kontrollierte Untersuchungen. Zielvariablen waren der mögliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten bösartiger Tumoren und der Selenaufnahme sowie die Effektivität einer Supplementation zur Krebsvorbeugung bei Männern und Frauen.

Ergebnisse: Weder ein ätiologischer Zusammenhang noch ein Schutzeffekt von Selen konnten definitiv bestätigt werden. In den Beobachtungsstudien ergab sich ein geringeres Karzinomrisiko (Odds Ratio [OR] 0,69; 95 %–Konfidenzintervall [KI] 0,53–0,91) und eine reduzierte Tumormortalität (OR 0,55; 95 %–KI 0,36–0,83) bei hohen Selenwerten im Blut. Dies galt stärker für Männer als für Frauen. Die Subanalyse ergab ein selteneres Auftreten von Prostata- und Blasen-, nicht aber von Brustkrebs. Ob dafür eine vermehrte Aufnahme oder der Blutspiegel selbst verantwortlich war, konnte nicht differenziert werden. Außerdem blieb unklar, ob sich die Teilnehmer mit scheinbarem Schutz durch Selen insgesamt gesünder ernährten und einen „protektiveren Lebensstil“ hatten. Bei den randomisierten Untersuchungen erhielten die Probanden Selen oder Placebo. Verwendet wurden die organische Form oder Selensalze, die möglicherweise unterschiedliche Wirkungen haben. Die Zufuhr von Selenmethionin senkte bei Männern die Wahrscheinlichkeit für ein Prostatakarzinom nicht (SELECT-Studie). Bei Frauen und Männern ergaben sich keine Schutzeffekte gegen Leber- oder nichtmelanomatöse Hauttumoren. Es ergaben sich Hinweise für ungünstige Effekte der Selensubstitution: Bei Männern und Frauen waren nicht-melanomatöse Hauttumoren in der Selengruppe 17 % häufiger. Dabei kamen Plattenepithelkarzinome nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 7,4 Jahren um 24 % öfter vor (NPCT-Studie).

Fazit für Klinik und Praxis

Eine Nahrungsergänzung mit Selen ist nach der Datenlage nicht zu empfehlen, so die Autoren. Aus den Beobachtungsstudien ergab sich eine um 31 % verminderte Tumorinzidenz und eine um 45 % reduzierte Karzinommortalität bei hohen Selenspiegeln im Blut. Nach Meinung der Autoren bestätigt dies einen ätiologischen Zusammenhang aber nicht. Die Studien waren sehr heterogen und die Resultate breit gefächert. So war nicht zu belegen, ob eine Nahrungsergänzung, die natürliche Aufnahme, ein unterschiedlicher Metabolismus oder ein insgesamt gesünderer Lebensstil die Resultate beeinflussten oder gar ursächlich waren. Randomisierte Untersuchungen wiesen die Selensupplementation eher als Risikofaktor aus. Dies und mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede seien in weiteren Studien zu untersuchen.

Dr. med. Susanne Krome, Melle

Kommentar aus der Praxis

Der Cochrane-Report bestätigt eine Reihe von Metaanalysen, die keinen Vorteil von Supplementen für das Auftreten von Erkrankungen oder für die Gesamtsterblichkeit zeigen. Immerhin ist die Abnahme der Tumorinzidenz um 31 % und die Abnahme der Karzinommortalität um 45 % ein beeindruckendes Ergebnis und bestätigt die Annahme, dass etwa ein Drittel der Krebserkrankungen durch eine gesunde Ernährung und einen empfehlenswerten Lebensstil verhindert werden können. Dazu gehört wohl auch eine ausreichende – aber nicht überhöhte – Zufuhr von Selen.

Prof. Dr. Olaf Adam, Ernährungsmedizin, Klinikum der Universität München – Innenstadt

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Originalarbeit

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