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DOI: 10.1055/s-0031-1286351
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Lohnt sich eine spezifische Rehabilitation bei Wahrnehmungsstörungen?
Is a specific rehabilitation worthwhile in perceptual disorders?Publication History
Publication Date:
29 August 2011 (online)
Erkrankungen des Gehirns können die Wahrnehmung von Sinneseindrücken beeinträchtigen. Es gibt verschiedene therapeutische Ansätze, diese Fähigkeiten wiederherzustellen. Die Autoren des Cochrane-Reviews haben nun entsprechende Studien gesichtet, um die Effektivität derartiger Maßnahmen zu beurteilen.
Einleitung: Ein gesundes Gehirn kann multiple und komplexe Informationen unserer Sinne verarbeiten. Wir können Farben, Formen und Größe wahrnehmen, Objekte und Gesichter erkennen sowie Tiefen und Längen abschätzen. Durch unser Gedächtnis können wir diese Fähigkeiten erweitern und zum Beispiel geschriebene Symbole oder mimische Ausdrucksweisen verstehen. Ein Schlaganfall kann jedoch zum Verlust derartiger Fähigkeiten führen. Die Patienten sind dadurch deutlich beeinträchtigt und von anderen Personen abhängig. Spezifische Therapien sollen helfen, dass die Patienten wieder eigenständiger zurechtkommen.
Studien: Geprüft wurden randomisierte, kontrollierte Studien zu therapeutischen Maßnahmen gegen jegliche Formen von Wahrnehmungsstörungen nach Schlaganfall oder nach sonstigen, nicht-progressiven Erkrankungen des Gehirns. Das Review umfasst sechs Studien mit insgesamt 338 erwachsenen Teilnehmern. Die älteste Studie war von 1971, die jüngste von 2003. Die Autoren teilten die möglichen Interventionen nach ihrem therapeutischen Ansatz in funktionelles Training, Sinnesstimulation und Strategietraining ein. Ein vierter Ansatz, das Lernen durch Wiederholung, wurde in keiner der Studien untersucht.
Ergebnisse: Um eine Wahrnehmungsstörung zu diagnostizieren, nutzten die Studien unterschiedliche neuropsychologische Tests – die Art und die Schwere der Störung war jedoch in den meisten Studien schwierig zu bestimmen. Die angewandten Interventionen waren jeweils zu wenig detailliert beschrieben, um eine Replikation der Studie oder eine praktische Umsetzung zu ermöglichen. Da eine Verblindung der Interventionen nicht möglich war, hatten alle Studien ein hohes Fehlerrisiko. Nur drei Studien mit kleinen Teilnehmerzahlen (maximal 89) lieferten analysierbare Daten. Keine der Studien konnte einen Vorteil der Interventionen gegenüber Placebo nachweisen. Eine Studie verglich unterschiedliche Therapieansätze, konnte jedoch keine Unterschiede bezüglich deren Wirksamkeit finden.
Bisher gibt es zu wenig Anhaltspunkte dafür, dass spezifische Rehabilitationsmaßnahmen Wahrnehmungsstörungen effektiv verbessern können – so die Folgerung der Autoren. Jedoch sei die Abwesenheit von Hinweisen kein Beweis für Uneffektivität. Die Autoren befürworten daher, weitere Studien anzuschließen. Als Gütekriterien sollten diese unter anderem detaillierte Informationen liefern, eine Kontrollgruppe mit Standardbehandlung beinhalten und eine ausreichend große Teilnehmerzahl bieten. Bis aussagekräftigere Ergebnisse vorliegen, empfehlen die Autoren bei Wahrnehmungsstörungen eine Neurorehabilitation entsprechend den bisherigen klinischen Leitlinien.
Dr. med. Bettina Rakowitz, Sachsen b. A.
Es ist ein grundsätzliches Problem rehabilitativer Therapiekonzepte in der Neurologie: Im Kontrast zu dem hohen Bedarf und den erheblichen bereitgestellten Ressourcen ist die Evidenz für einen Behandlungserfolg noch immer limitiert. Es verwundert daher nicht, dass die Autoren bei dieser sehr speziellen Fragestellung nur sechs Studien mit einer kleinen Gesamtzahl aufgenommener Patienten fanden. Erwartungsgemäß konnte daher die Cochrane-Analyse den Stellenwert einer spezifischen Behandlung perzeptiver Defizite nicht klären. Es wurde weder die Wirksamkeit noch die „Unwirksamkeit“ bewiesen. Ein ebenfalls wichtiger Aspekt der Behandlung bleibt naturgemäß gänzlich unberücksichtigt: Die frühe und intensive therapeutische Beschäftigung mit spezifischen Defiziten stellt nach unserer Erfahrung eine große emotionale Erleichterung für den Patienten und dessen Angehörige dar. Der Betroffene fühlt sich nicht alleine gelassen, er lernt das Defizit zu verstehen, zu benennen und zu bewältigen. Das ist in Studien schwer abzubilden, sollte aber doch unser ärztliches Handeln mit beeinflussen. Eine spezifische neurorehabilitative Behandlung ist weiter zu empfehlen.
PD Dr. Holger Poppert, Neurologische Klinik und Poliklinik, Technische Universität München
Originalarbeit
- 1 Bowen A, Knapp P, Gillespie D, Nicolson D J, Vail A. Non-pharmacological interventions for perceptual disorders following stroke and other
adult-acquired, non-progressive brain injury. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 4 DOI: 10.1002/14651858.CD007039.pub2 www.thecochranelibrary.com
Originalarbeit
- 1 Bowen A, Knapp P, Gillespie D, Nicolson D J, Vail A. Non-pharmacological interventions for perceptual disorders following stroke and other
adult-acquired, non-progressive brain injury. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 4 DOI: 10.1002/14651858.CD007039.pub2 www.thecochranelibrary.com