Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(39): 1940
DOI: 10.1055/s-0031-1286394
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Endokrinologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist eine intensive glykämische Kontrolle bei Diabetes mellitus Typ 2 von Vorteil?

Is an intensive glycaemic control beneficial in diabetes type 2?S. Martin
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Publication Date:
22 September 2011 (online)

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Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 haben eine erhöhte Mortalität und Morbidität gegenüber der Allgemeinbevölkerung. Epidemiologische Studien belegen, dass eine Reduktion des Blutzuckers das Sterberisiko senkt. Es ist jedoch weiterhin unklar, ob eine verstärkte glykämische Kontrolle besser wirkt als eine konventionelle Kontrolle.

Einleitung: Die chronische Hyperglykämie führt zu mikro- und makrovaskulären Komplikationen, wobei vorrangig die makrovaskulären Defekte die erhöhte Mortalität bedingen. Bis heute gibt es Unklarheiten über die optimale Einstellung des HbA1c (glykosyliertes Hämoglobin) bei Diabetes mellitus Typ 2. Ob nun eine intensive Blutzuckereinstellung günstiger ist, ist nach wie vor unklar. Hemmingsen und ihre Kollegen fokussierten sich daher in ihrem Cochrane Review darauf, ob eine intensive glykämische Kontrolle einen verbesserten klinischen Effekt gegenüber einer konventionellen Blutzuckereinstellung bedeutet.

Studien: Die Autoren schlossen 20 randomisierte klinischen Studien ein, die bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eine intensive glykämische Kontrolle mit einer konventionellen Therapie verglichen. In die Studien wurden insgesamt 29 986 erwachsene Patienten mit Diabetes Typ 2 eingeschlossen, wovon 16 106 den Interventionsgruppen und 13 880 den Kontrollgruppen zugeordnet waren. Im Mittel waren die Teilnehmer 62,1 Jahre alt. Die Dauer der Interventionen reichte von 3 Tagen bis 12,5 Jahren. Die intensiven Behandlungsschemata zielten meist auf einen bestimmten Level von HbA1c, der jeweils niedriger lag als bei den Kontrollgruppen mit konventioneller glykämischer Kontrolle. Auf welche Art der Blutzuckerspiegel gesenkt wurde, war in diesem Zusammenhang irrelevant. Als primäre Endpunkte wurden Gesamtmortalität sowie kardiovaskuläre Mortalität festgelegt. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem makro- oder mikrovaskuläre Komplikationen, Hypoglykämie oder Lebensqualität.

Ergebnisse: Die Autoren folgern, dass der Zielwert für HbA1c bei Patienten mit Diabetes Typ 2 indi- viduell eingeschätzt werden müsse, um die möglichen Vorteile (z.B. reduziertes Risiko mikrovaskulärer Schäden) und Nachteile (z.B. erhöhtes Risiko schwerer Hypoglykämien) zu berücksichtigen. Zwar konnten die Daten zum Einfluss der intensiven glykämischen Kontrolle auf die Lebensqualität nicht gebündelt werden. Doch Hemmingsen et al. gehen von einem negativen Effekt aus, da die Patienten manchmal mit sehr komplexen und zeitaufwendigen Behandlungsmodali- täten konfrontiert seien.

Fazit und Diskussion

Eine Nahrungsergänzung mit Selen ist nach der Datenlage nicht zu empfehlen, so die Autoren. Aus den Beobachtungsstudien ergab sich eine um 31 % verminderte Tumorinzidenz und eine um 45 % reduzierte Karzinommortalität bei hohen Selenspiegeln im Blut. Nach Meinung der Autoren bestätigt dies einen ätiologischen Zusammenhang aber nicht. Die Studien waren sehr heterogen und die Resultate breit gefächert. So war nicht zu belegen, ob eine Nahrungsergänzung, die natürliche Aufnahme, ein unterschiedlicher Metabolismus oder ein insgesamt gesünderer Lebensstil die Resultate beeinflussten oder gar ursächlich waren. Randomisierte Untersuchungen wiesen die Selensupplementation eher als Risikofaktor aus. Dies und mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede seien in weiteren Studien zu untersuchen.

Dr. med. Bettina Rakowitz, Sachsen bei Ansbach

Kommentar aus der Praxis

Diese Metaanalyse ergibt keine neuen Erkenntnisse über das hinaus, was wir aus der Diskussion der Studien der letzten Jahre und früherer Metaanalysen (Ray et al. Lancet 2009; 373: 1765–1772) wissen: Die Senkung des HbA1c führt zu einer Senkung der mikrovaskulären Schäden, und Hypoglykämien sind bei einer intensiven Blutzuckersenkung häufiger. Problem dieser Metaanaylse ist, dass die Art, mit der die Blutzuckersenkung in den verschiedenen Studien durchgeführt wurde, für diese Analyse irrelevant war. Somit finden sich in dieser Analyse auch so alte Schätzchen wie die UGDP–Studie aus dem Jahr 1975 mit inkompletter Randomisierung, bei der das Medikament Tolbutamid eingesetzt wurde. Durch diese Diversität der eingeschlossenen Studien findet sich, im Gegensatz zu der zuvor erwähnten Metaanalyse von Ray, kein Effekt der Glukosesenkung auf die Rate koronarer Ereignisse. Fazit für die Klinik sollte daher weiterhin sein, den Blutzucker individuell so stark zu senken, dass zumindest bei älteren Personen keine Hypoglykämien auftreten. Zum anderen sollte man keine reine „Zuckerologie“ betreiben und besonders auf die Einstellung der anderen kardiovaskulären Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie bei Typ-2-Diabetes achten. Zum dritten sollte man versuchen die Ursache des Typ-2-Diabetes mit zu behandeln, denn der Anstieg dieser Erkrankung ist auf Übergewicht und körperliche Inaktivität zurückzuführen. Eine erfolgreiche Lebensstiländerung hat noch einen positiven Effekt, indem die kurzfristige, aber auch die langfristige Lebensqualität ansteigt.

Prof. Dr. Stephan Martin, Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum, Düsseldorf

Interessenkonflikte: Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen von Firmen, die DPP4-Inhibitoren anbieten sowie andere Firmen, die blutzuckersenkende Medikamente vertreiben (u.a. Boehringer Ingelheim, Sanofi, Lilly, MSD, UCB, Berlin-Chemie, Novartis, Novo Nordisk)

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Originalarbeit

  • 1 Hemmingsen B. et al. .Targeting intensive glycaemic control versus targeting conventional glycaemic control for type 2 diabetes mellitus.  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 6 DOI: 10.1002/14651858.CD008143.pub2 www.thecochranelibrary.com
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Originalarbeit

  • 1 Hemmingsen B. et al. .Targeting intensive glycaemic control versus targeting conventional glycaemic control for type 2 diabetes mellitus.  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2011, Issue 6 DOI: 10.1002/14651858.CD008143.pub2 www.thecochranelibrary.com