Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(08): 355
DOI: 10.1055/s-0032-1301773
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Pneumologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist Sauerstoff auch bei COPD und nur milder Hypoxämie sinnvoll?

Is the application of oxygen also medically sensible in patients with COPD and only mild hypoxaemia?
D. Köhler
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft GmbH, Schmallenberg

Publication History

Publication Date:
16 February 2012 (online)

 

    Einige Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) leiden zwar unter Dyspnoe, haben aber höchstens eine milde Hypoxämie. Möglicherweise könnte eine Sauerstoff-Langzeittherapie, so der Ansatz von Uronis et al. im Cochrane-Review, die Dyspnoe-Symptomatik dennoch reduzieren. Die Effizienz einer Sauerstoffbehandlung ist aber für diese Indikation umstritten.


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    Einleitung: Eine Sauerstoff-Langzeittherapie zur Symptomreduktion ist bis dahin nur bei hypoxämischen Patienten mit COPD (PaO2 < 55mmHg) indiziert. Bei Patienten mit milder Hypoxämie (PaO2 55– 59 mm Hg) sowie bei Patienten mit einem Sauerstoffpartialdruck > 59 mmHg geben die Leitlinien keine Empfehlung für eine häusliche Sauerstofftherapie – dennoch wird diese häufig auch bei diesen Patienten verschrieben. Die Diskrepanz zwischen Praxis und verfügbarer Evidenz hat bedeutende Folgen: Möglicherweise erhalten die Patienten eine ineffektive Therapie, die zudem teuer und auch nicht ohne Risiken ist.

    Studien: Grundlage des Cochrane-Reviews waren 28 randomisierte kontrollierte Studien der 333 potenziell relevanten Referenzen. Diese umfassten insgesamt 702 erwachsene Teilnehmer, die jeweils an einer COPD mit Dyspnoe-Symptomatik litten und deren Sauerstoffpartialdruck bei ≥ 55mm Hg lag. Primäre Zielgröße war die subjektiv empfundene Dyspnoe, gemessen anhand validierter Messskalen. Sekundäre Zielgrößen waren messbare funktionelle Veränderungen, Lebensqualität und Vorlieben der Patienten. Im Kontrollarm der jeweiligen Studien wurde Medizinische Luft (medizintechnisch hergestellte, komprimierte Atemluft) oder Raumluft verwendet.

    Ergebnisse: 18 randomisiert, kontrollierte Studien mit insgesamt 431 Patienten konnten in die Meta-Analyse bezüglich Dyspnoe als Zielgröße einfließen. Sauerstoff verbesserte signifikant die Dyspnoe mit einer Standardisierten Mittelwertdifferenz (SMD) von -0,37 (95 %–Konfidenzintervall [KI] - 0,50 bis -0,24 p<0,00001) bei Patienten mit COPD und nur milder Hypoxämie, im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Autoren führten zudem diverse Subgruppenanalysen durch. Diese fokussierten sich auf unterschiedliche Aspekte, wie beispielsweise PaO2 ≥ 70mmHg versus < 70mmHg oder Patienten mit Entsättigung unter Belastung. Bei nahezu allen Subgruppenanalysen reduzierte die Sauerstoffgabe die Dyspnoe signifikant. Einzig bei den Subgruppen, die nur kurzandauernde Sauerstoffgaben („short-burst oxygen therapy“) erhielten, blieb die Therapie ohne Effekt (SMD 0,01 95 %–KI -0,26–0,28 p=0,95). Nur wenige Studien untersuchten den Effekt der Sauerstoff-Langzeittherapie auf die sekundären Zielgrößen. Aufgrund der Heterogenität eigneten sich diese Studien allerdings nicht für Meta-Analysen. Insgesamt war die Verzerrung der Daten (Bias) in den meisten Studien nicht ausreichend ermittelt worden, sodass keine allgemein abschließende Aussage zum Bias getroffen werden konnte.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Auch bei Patienten mit COPD und maximal milder Hypoxämie kann die häusliche Sauerstoff- Langzeittherapie (LTOT) eine Dyspnoe- Symptomatik reduzieren. Auf der Visuellen Analogskala mit 10 cm entspricht der Effekt einer Reduktion um 0,78 cm – gemäß den Autoren – einer signifikanten Veränderung, da bereits eine minimale Differenz von 10– 20 mm klinisch bedeutsam sei. Die kleinen Teilnehmerzahlen und die Heterogenität der einzelnen Studien würden eine generelle Empfehlung jedoch nicht zulassen. Solange keine aussagekräftigeren Studien vorliegen, raten Uronis und ihre Kollegen, den Einsatz einer LTOT individuell abzuwägen.

    Dr. med. Bettina Rakowitz, Sachsen bei Ansbach

    Originalarbeit: Uronis H et al. Symptomatic oxygen for nonhypoxaemic chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 6. DOI: 10.1002/14651858.CD006429.pub2 http://www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    In den letzten Jahren wird zunehmend in der Medizin nur noch das für wahr gehalten, was Metaanalysen von randomisiert kontrollierten Studien ergeben. Vergessen wird aber nicht selten, dass diese Aussagen nur für die untersuchten Studienpopulationen mit ihren entsprechenden Ein- und Ausschlusskriterien gelten. Jedoch für die in der Praxis häufig multimorbiden Patienten mit unterschiedlichen Phänotypen der Erkrankung kann die Aussage eingeschränkt, mitunter sogar falsch sein, denn diese Gruppen werden selten in Studien eingeschlossen, da sie die gewünschte Aussage zu verwässern drohen. Eine interessante Spielart dieser Problematik ist die vorliegende Cochrane-Analyse zur Sauerstofftherapie bei milder Hypoxämie. Hier liegt ein Systemfehler vor, den man in der Literatur zur Sauerstofftherapie recht häufig findet. Bei der COPD kommen zwei unterschiedliche Ursachen für die Luftnot unter Belastung in Betracht (Pneumologie 2011; 65: 25–36): a) eine hypoxämische respiratorische Insuffizienz (nur Sauerstoffmangel) oder b) eine hyperkapnische (Sauerstoffmangel + Hyperkapnie). Seit 2011 gibt es hierzu auch eine ICDKlassifikation (J96.10 chron. hypoxische Insuffizienz, Typ I bzw. J96.11 chron. hyperkapnische Insuffizienz, Typ II). Das Besondere bei beiden Patientengruppen ist, dass sie mitunter schon in Ruhe, aber immer unter Belastung einen Abfall des Sauerstoffpartialdrucks (PaO2) zeigen, der PaCO2 sich jedoch gegenläufig verhält. Die Ursachen sind pathophysiologisch differenzierbar und bedingen auch unterschiedliche Therapien, die in der deutschen Empfehlung zur Sauerstofflangzeit-Therapie (www.pneumologie.de) umgesetzt sind. Die Indikation zur Sauerstofftherapie, ob dauerhaft oder nur unter Belastung, ist also mit der einfachen Messung der Sauerstoffsättigung nicht zu beantworten. Es erfordert eine differenzierte Diagnostik zum Ausmaß des COPD-Phänotyps – mittels Ganzkörperplethysmographie, Messung der CO-Diffusionskapazität und der Blutgase in Ruhe wie unter Belastung. Insofern ist die vorliegende Cochrane-Analyse nicht hilfreich, sondern eher verwirrend, denn diese beiden Gruppen sollten nicht in einer Metaanalyse vermischt werden.

    Prof. Dr. med. Dieter Köhler Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft GmbH, Schmallenberg


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    Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft GmbH, Schmallenberg