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DOI: 10.1055/s-0032-1301775
Antiretrovirale HIV-Therapie des Patienten schützt nichtinfizierten Partner
Antiretroviral HIV therapy protects the non-infected partnerIst bei Paaren ein Partner mit HIV infiziert, besteht für den Nichtinfizierten das Risiko einer Ansteckung. A. Anglemyer et al. gingen in einer Metaanalyse nun der Frage nach, wie sich eine antiretrovirale Therapie des Patienten auf die Ansteckungsrate für den nichtinfizierten Partner auswirkt.
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Einleitung: Daten aus Beobachtungsstudien deuten zunehmend darauf hin, dass die sexuelle Übertragung einer HIV-Infektion bei Paaren mit nur einem infizierten Partner seltener erfolgt, wenn dieser antiretroviral therapiert wird. Antiretrovirale Medikamente werden schon bereits zur Vermeidung einer Mutter-Kind- Transmission nach der Geburt oder als Postexpositionsprophylaxe nach sexuellem Kontakt eingesetzt.
Studien: Eingang in die Cochrane-Recherche fanden randomisierte, kontrollierte Studien sowie Kohorten- und Fall-Kontroll- Studien (1987–2011), in denen der infizierte Partner HIV-diskordanter Paare antiretroviral (Einzel- oder Kombinationstherapie) behandelt wurde oder nicht, und in denen die Übertragungsrate auf nichtinfizierte Partner dokumentiert war. Dabei wurden hetero- und homosexuelle Paare in fester Beziehung berücksichtigt. Ausgeschlossen waren Studien, in denen alle infizierten Partner entweder behandelt oder nicht behandelt wurden. Primärer Endpunkt war die Rate an HIV-Infektionen der nichtinfizierten Partner.
Ergebnisse: Von 1483 gefundenen Zitaten erfüllten eine randomisierte, kontrollierte Multizenter-Studie mit 1750 Paaren und 7 Kohortenstudien die Einschlusskriterien der Cochrane-Analyse. Insgesamt kam es zu 464 HIV-Transmissionen, davon 72 im Falle einer antiretroviralen Behandlung des infizierten Partners und 392 bei fehlender Behandlung.
In der Multizenter-Studie (Brasilien, Indien, Malawi, Afrika, Thailand, USA) war das relative Infektionsrisiko (RR) für den Nichtinfizierten, wenn sein Partner antiretrovirale Therapeutika erhielt (CD4-Zellzahl 350– 550/μl), signifikant reduziert (RR 0,04; 95 %–Konfidenzintervall [KI] 0,00–0,27).
Die Meta-Analyse der Kohortenstudien mit Daten aus Italien, Spanien, Brasilien, Afrika und China ergab ein RR von 0,34 (95 %–KI 0,13–0,92); die eingeschlossenen Studien zeigten eine erhebliche Heterogenität. Nach Ausschluss zweier Arbeiten (Monotherapie; fehlende Personendaten) betrug das relative Infektionsrisiko 0,16 (95 %–KI 0,07–0,35). Eine Subgruppenanalyse zeigte ein RR von 0,02 (95 %–KI 0,00–2,87) für den Nichtinfizierten, bei einer CD4-Zellzahl ≥ 350/μl. Hierbei fanden 61 Transmissionen bei fehlender und keine unter antiretroviraler Therapie statt.
Eine antiretrovirale Therapie des infizierten Partners mit maximal 550 CD4-Zellen/μl kann bei HIV-diskordanten Paaren den nichtinfizierten Partner vor einer Transmission schützen. Fraglich bleiben die Dauer des Schutzes, die Initiierung einer antiretroviralen Therapie beim Infizierten (CD4- Zellzahl, Plasmaviruslast) und die Relation von Nutzen und Risiken der Medikamente, so die Autoren.
Dr. med. Johannes Weiß, Bad Kissingen
Originalarbeit: Anglemyer A et al. Antiretroviral therapy for prevention of HIV transmission in HIVdiscordant couples. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 8. DOI: 10.1002/14651858.CD009153.pub2 http://www.thecochranelibrary.com
Spätestens seit der Stellungnahme der Eidgenössischen Kommission für AIDSFragen 2008 („EKAF-Statement“) hat die antiretrovirale Kombinationstherapie (cART) der HIV-Infektion die zusätzliche Dimension des Schutzes eines/-r geliebten Partners/-in erhalten (Schweiz Ärztez 2008; 89: 165–169). Diese auch für die Selbstwahrnehmung HIV-positiver Menschen so eminent wichtige Feststellung bestätigte zwar bereits vielfach gelebte Praxis, basierte 2008 aber auf sehr limitierter Datenlage: Erst 2011 wurde mit HPTN 052 die erste (und sehr überzeugende) randomisierte, kontrollierte Studie zum Thema „Treatment for Prevention“ publiziert (N Engl J Med 2011; 365: 493–505).
Die daher neu aufgelegte vorliegende Metaanlayse, weitere derzeit laufende große Studien, immer besser verträgliche Substanzen sowie Leitlinien-gedeckte Indikationen für einen frühen Therapiestart werden dem Thema im individuellen (zumindest deutschen) Behandlungsalltag zukünftig eine noch wichtigere Rolle geben. Ob so (Schreckensszenario Zwangsbehandlung?) die Prävalenz der HIV-Infektion in einer Gesellschaft signifikant zu senken ist, wird intensiv diskutiert. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten verdienen auch die existierenden strafrechtlichen Implikationen von „kondomlosem“ Geschlechtsverkehr HIV-positiver Menschen wieder eine Diskussion im breiten gesellschaftlichen Rahmen.
PD Dr. med. Ulrich Seybold, MSc, Sektion Klinische Infektiologie, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Campus Innenstadt, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
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Interessenkonflikte: Der Autor erklärt, finanzielle Unterstützung für Reisekosten und Konferenzgebühren von Gilead Sciences, Tibotec/Janssen-Cilag, Abbott Laboratories, Pfizer, GlaxoSmithKline und Honorare für Vorträge und Fortbildungsmaterial von Gilead Sciences, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Tibotec/Janssen- Cilag sowie für das Advisory Board von Abbott Laboratories erhalten zu haben.