Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(27): 1391
DOI: 10.1055/s-0032-1301865
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reizdarmsyndrom: Hilft eine symptomatische Therapie?

Irritable bowel syndrome: Does systematic therapy help?
P. Layer
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Peter Layer
Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg

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Publication Date:
26 June 2012 (online)

 

    Das „spastische Kolon“ hat eine multifaktorielle Genese und ist sehr häufig. 15–20 % der Erwachsenen geben entsprechende Beschwerden an, die oft bis in die Kindheit zurückverfolgt werden können. Pharmakotherapeutisch stehen ausschließlich symptomatische Behandlungen zur Verfügung, deren Effektivität umstritten ist.


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    Einleitung: Es gibt vier mehr oder weniger dominierende Symptomvarianten beim Reizdarmsyndrom: Diarrhoe-, Obstipations-, Schmerz- oder Blähtyp. Je nach der vorherrschenden Symptomatik werden natürliche oder synthetische Füllstoffe, Spasmolytika und Antidepressiva eingesetzt, deren therapeutischer Nutzen fraglich ist.

    Studien: In der Cochrane-Analyse wurden nur kontrolliert-randomisierte Untersuchungen berücksichtigt, bei denen die medikamentöse Intervention mit Placebo verglichen wurde. Die Patienten waren mindestens 12 Jahre alt. Primärer Endpunkt waren Schmerzlinderung, Symptomkontrolle und eine Besserung im IBS-Score (Irritable Bowel Syndrome). In Subgruppenanalysen erfolgte der Vergleich zwischen löslichen und unlöslichen Füllstoffen sowie die Wirksamkeitsprüfung unterschiedlicher Spasmolytika und Antidepressiva (z.B. SSRI, Trizyklika).

    Ergebnisse: Die Recherche ergab für die Füllstoffe 1118 Untersuchungen, von denen 12 die Einschlusskriterien der Cochrane-Meta-Analyse erfüllten; nur 7 nahmen mehr als 30 Patienten auf. Es konnten 29 Studien zu Spasmolytika und 15 zu Antidepressiva eingeschlossen werden. Insgesamt lagen Daten von 3725 Patienten vor. Die Therapie mit Füllstoffen war hinsichtlich Schmerzen, Symptomkontrolle (Relatives Risiko [RR] 1,10; 95 %–Konfidenzintervall [KI] 0,91–1,33) und Symptomschwere Placebo nicht überlegen (Intervention 4–16 Wochen); dies galt für lösliche und unlösliche Substanzen. Spasmolytika wirkten in der Interventionsphase v.a. signifikant schmerzlindernd (Interventionsdauer 1Woche–6 Monate; RR 1,32; 95 %–KI 1,12–1,55), besserten den Gesamtzustand (RR 1,49; 95 %–KI 1,25–1,77) und den IBS-Wert (RR 1,86; 95 %–KI 1,26– 2,76). Dies galt für z.B. Pfefferminzöl, Pinaverium, Trimebutin und Cimteropium/ Dicyclomin. Auch Antidepressiva verringerten signifikant Schmerzen und steigerten das Gesamtbefinden mit messbarer Verbesserung im IBS-Wert (4–12 Wochen; RR 1,99; 95 %–KI 1,32–2,99). Dabei wirkten sich SSRI positiv auf den Gesamtzustand und Trizyklika eher auf Schmerzen und Symptomschwere aus. Insgesamt war der Bias in den Studien niedrig.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Die Meta-Analyse zeigt, dass Füllstoffe in der Behandlung des Reizdarmsyndroms keine signifikante Wirkung zeigen, Spasmolytika hingegen hilfreich sind. Die Fülle der verfügbaren Präparate und das unterschiedliche Ansprechen erforderten besondere Sorgfalt bei der Auswahl und eine umfassende Patientenaufklärung, so die Autoren weiter. Bei persistierenden Beschwerden seien Antidepressiva zu erwägen. Für die Zukunft seien Studien wichtig, die auch die Symptomtypen unterschieden und den Einfluss auf die Lebensqualität betrachteten.

    Dr. med. Susanne Krome, Melle

    Originalarbeit: Ruepert L et al. Bulking agents, antispasmodics and antidepressants for the treatment of irritable bowel syndrome. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 8. DOI 10.1002/14651858.CD003460.pub3 http://www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Folgerungen aus Meta-Analysen eignen sich nur bedingt als generelle Therapieempfehlungen, weil sie ganz wesentlich von Zahl und Qualität der untersuchten Studien abhängen. Weil überdies das therapeutische Ansprechen der Symptome des Reizdarmsyndroms sehr uneinheitlich ist, lässt sich nur ein eingeschränktes Fazit für die Praxis ableiten:

    1. Bestätigt wird die wertvolle Rolle der Spasmolytika beim schmerzprädominanten Syndrom.

    2. Ballaststoffe sind hingegen meist ineffektiv; ein befristeter Behandlungsversuch kann dennoch im Einzelfall sinnvoll sein.

    3. Die errechnete Wirksamkeit von Antidepressiva basiert überwiegend auf Studien, bei denen psychische Komorbidität kein Ausschlusskriterium war. Demgegenüber erwiesen sie sich nach a priori-Ausschluss von Depression und anderen Begleitstörungen als ineffektiv, was nahelegt, dass ihre augenscheinliche „Effizienz“ allein oder vorwiegend auf ihren antidepressiven Wirkungen beruhte, nicht aber auf einer unmittelbaren Wirkung am Darm. Zu warnen ist daher vor einem unkritischen Einsatz dieser – ja auch nebenwirkungsreichen – Medikamente ohne psychopathologisches Korrelat.

    Prof. Dr. med. Peter Layer Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg


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    Korrespondenz

    Prof. Dr. med. Peter Layer
    Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg