Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(50): 2628
DOI: 10.1055/s-0032-1329134
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Neurologie – Diabetologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlaganfall: Verbessert eine strenge Blutzuckerkontrolle die Prognose?

Stroke: Does intensive blood sugar control improve prognosis?
S. Martin
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Prof. Dr. Stephan Martin
Verbund der Katholischen Kliniken Düsseldorf (VKKD), Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ)

Publication History

Publication Date:
05 December 2012 (online)

 

    Eine hyperglykämische Stoffwechsellage beim Schlaganfall erhöht die Mortalität unabhängig vom Lebensalter, dem Schlaganfalltyp und seiner Schwere. Ein Cochrane-Review untersuchte, ob im Akutstadium eine strenge Insulintherapie die Prognose verbessert.


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    Einleitung: Eine Hyperglykämie schädigt ischämisches Gehirngewebe. Bei metabolischer Imbalance ist besonders die „letzte Wiese“, die Penumbra, gefährdet. Zwischen der Hyperglykämie und einer zerebralen Azidose besteht eine positive Assoziation mit konsekutiven Veränderungen (freie Radikale, Aktivierung pH-abhängiger Endonukleasen, Dysregulation der Kalziumhomöostase, sinkende Mitochondrienfunktion). Das Cochrane-Review untersuchte daher die Fragestellung, ob Patienten mit einem Schlaganfall und einer Hyperglykämie (bei Aufnahme) von einer intensivierten Insulintherapie profitieren.

    Studien: 7 randomisiert-kontrollierte Studien erfüllten die Einschlusskriterien der Cochrane-Analyse. Für die Teilnahme an den Studien musste der Blutglukosewert der Patienten bei Aufnahme > 6,1 mmol/l betragen. In den ersten 24 Stunden nach dem Schlaganfall erhielten 639 Patienten eine strenge Insulintherapie bzw. 657 eine konventionelle Behandlung auf der Stroke Unit. Die Patienten der Interventionsgruppe unterliefen einem kontinuierlichen Monitoring und erhielten eine intensivierte Insulintherapie (i.v.; Zielblutzucker 4–7,5 mmol/l). In der Kontrollgruppe erfolgten regelmäßige Kontrollen und bei hohen Blutzuckerwerten eine Insulin- bzw. Placebogabe oder keine Behandlung. Primäre Endpunkte waren die Mortalität und schwere Pflegebedürftigkeit (Barthel-Index ≤ 60 oder modifizierte Rankin-Skala 3–6), sekundäre Endpunkte waren unter anderem die Bestimmung neurologischer Defizite und (a)symptomatischer Hypoglykämien.

    Ergebnisse: Die intensivierte Insulintherapie brachte keine Vorteile: Die Mortalität nach ≤ 30 und 90 Tagen (gepoolte Odds Ratio [OR] 1,15; 95 %-Konfindenzintervall [KI] 0,88–1,51) sowie die Häufigkeit schwerer Pflegebedürftigkeit (OR 1,00; 95 %-KI 0,78–1,28) waren in den Gruppen nicht signifikant verschieden. Die Einstufung in die NIHSS/ESS-Skalen zur Bestimmung des neurologischen Defizits unterschied sich nicht signifikant voneinander (standardisierte Mittelwertdifferenz -0,12; 95 %-KI -0,23 bis 0,00). Eine Meta-Analyse ergab eine signifikant höhere Inzidenz symptomatischer Hypoglykämien mit < 3 mmol/l (OR 25,9; 95 %-KI 9,2-72,7) unter strenger Blutzuckereinstellung. Eine Subanalyse zwischen Patienten mit und ohne Diabetes in den einzelnen Gruppen zeigte ebenso keinen Vorteil für eine intensivierte Insulintherapie. Alle Studien wiesen ein paralleles Design auf und hatten eine adäquate Randomisierung. Zwei Studien zeigten eine inadäquate verdeckte Zuteilung (Allocation Concealment).

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Eine strenge, insulingesteuerte Blutzuckereinstellung in den ersten 24 Stunden nach einem Schlaganfall beeinflusse nicht signifikant die Sterblichkeit, Pflegebedürftigkeit sowie die Schwere neurologischer Defizite im Vergleich zur Kontrollgruppe nach drei Monaten. Auch Patienten mit Diabetes mellitus profitierten nicht von einer intensivierten Insulintherapie. Zudem traten in der Interventionsgruppe signifikant mehr Hypoglykämien auf. Dieses Review liefere daher keine Evidenz um eine strenge Blutzuckerkontrolle nach einem Schlaganfall durchzuführen, konstatieren die Autoren.

    Dr. med. Susanne Krome, Melle

    Originalarbeit: Bellolio MF, Stead LG. Insulin for glycaemic control in acute ischaemic stroke. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 9. DOI: 10.1002/14651858.CD005346.pub3 www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Handwerker kennen das Phänomen, wenn man eine Schraube zu fest andreht, wird sie schnell ganz locker, da sie abbricht. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen wissenschaftliche Studien zur Diabeteseinstellung. Denn sowohl zu hohe wie auch zu niedrige Blutglukosewerte sind schlecht für den Körper. Ein niedriger Blutzucker ist per se nicht gefährlich, jedoch die durch Medikamente induzierten Hypoglykämien, die sowohl für das Myokard wie auch für das Hirngewebe schädlich sind. Allerdings ist dies kein Freibrief für Nihilismus, denn es geht hier um niedrige, normnahe Zielwerte. Zielwerte sollten zwischen 140 und 180 mg/dl (7,8-10 mmol/l) liegen: Fest wie eine Schraube, aber nicht zu fest!


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    Interessenkonflikte: Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen von Firmen, die DPP4-Inhibitoren anbieten sowie andere Firmen, die blutzuckersenkende Medikamente vertreiben (u.a. Boehringer Ingelheim, Sanofi, Lilly, MSD, UCB, Berlin-Chemie, Novartis, Novo Nordisk)

    Prof. Dr. Stephan Martin
    Verbund der Katholischen Kliniken Düsseldorf (VKKD), Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ)