Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(50): 2627
DOI: 10.1055/s-0032-1329138
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Neurologie – Geriatrie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Morbus Alzheimer: Sind nicht-steroidale Antiphlogistika und Steroide wirksam?

Alzheimer's disease: Are non-steroidal anti-inflammatory drugs effective?
O. Peters
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Dr. med. Oliver Peters
Modul Psychiatrie des Alterns, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Publication History

Publication Date:
05 December 2012 (online)

 

    Möglicherweise liegen der Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung entzündliche Prozesse zugrunde, weshalb entzündungshemmende Medikamente wie Steroide oder nicht-steroidale Antiphlogistika einen therapeutischen Effekt haben könnten. D. Jaturapatporn et al. gingen dieser Frage nun in einer Cochrane-Metaanalyse nach.


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    Einleitung: Die genauen pathophysiologischen Mechanismen von Morbus Alzheimer sind nach wie vor nicht geklärt. Es existieren jedoch zwei Haupthypothesen: Zum einen die Ablagerung von β-Amyloid-Proteinen, zum anderen entzündliche Prozesse. Auch gibt es Hinweise, dass das Enzym Cyclooxygenase-2 (COX-2) in die neurodegenerativen Prozesse bei Alzheimer involviert sein könnte. Wäre dies tatsächlich der Fall, könnten möglicherweise Hemmstoffe der COX-2, wie nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAR), den Abbauprozess verlangsamen.

    Studien: Die Autoren suchten in mehreren medizinischen Datenbanken sowie Studienregistern nach randomisiert-kontrollierten Studien, die die Wirksamkeit von steroidalen und nicht-steroidalen antiinflammatorischen Medikamenten (z.B. Acetylsalicylsäure [ASS]) in der Behandlung von Alzheimer-Erkrankungen überprüften. Primäre Endpunkte der Primärstudien waren die objektiv gemessene Kognition, Nebenwirkungen oder Todesfälle. Sekundäre Endpunkte waren klinische Veränderungen, psychologische Aspekte (Depression), Verhaltensstörungen, Aktivitäten des täglichen Lebens, Lebensqualität, Belastungen für die Gesundheitsdienstleister und Einweisungen in Pflegeheime.

    Ergebnisse: Insgesamt erfüllten 14 randomisiert-kontrollierte Studien (n=2445) die Einschlusskriterien der Cochrane-Analyse. Die Autoren unterteilten die in den Studien durchgeführten Interventionen nach 4 Kategorien, nämlich ASS (3 Studienarme; n=352), Steroide (1 Studienarm; n=138), klassische NSAR (6 Studienarme) und selektive COX-2-Inhibitoren (5 Studienarme). Weder für ASS, andere NSAR oder COX-2-Inhibitoren noch für Steroide fand sich ein signifikant positiver Effekt auf die Kognition. Allerdings hatten Patienten unter ASS im Vergleich zu Kontrollgruppen signifikant mehr Blutungen (Relatives Risiko [RR] 7,90; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 2,43–25,69). Bei Patienten unter Steroiden kam ein tendenziell höherer Anteil an Hyperglykämien, pathologischen Laborwerten und Gesichtsödemen vor. Unter NSAR traten vermehrt Übelkeit, Erbrechen, erhöhte Kreatinin- und Leberwerte sowie Hypertonien auf. Die Analyse ergab keine deutlichen Hinweise auf eine Erhöhung oder Abschwächung des Mortalitätsrisikos. Der Bias war in 5 Studien gering, in 7 Studien hoch und in 2 Studien unklar.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Eine positive Wirkung von Acetylsalicylsäure, anderen nicht-steroidalen Antiphlogistika (klassische NSAR sowie selektive COX-2-Inhibitoren) oder Steroiden auf Morbus Alzheimer lasse sich nicht nachweisen. Zudem waren diese Medikamente mit einem höheren Nebenwirkungsrisiko assoziiert, beispielsweise traten unter ASS signifikant mehr Blutungen auf. Diese Medikamente könnten daher nicht, so die Autoren, für eine Behandlung des Morbus Alzheimer empfohlen werden.

    Dr. med. Johannes Weiß, Bad Kissingen

    Originalarbeit: Jaturapatporn D et al. Aspirin, steroidal and non-steroidal anti-inflammatory drugs for the treatment of Alzheimer's disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 2 DOI: 10.1002/14651858.CD006378.pub2. www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Die Schadenskaskade der Alzheimer- Erkrankung konnte bislang nicht aufgeklärt werden. In Folge dessen ist ein kausaler Behandlungsansatz bislang nicht verfügbar. Seit langem wird jedoch entzündlichen Prozessen im Gehirn eine Bedeutung zugeschrieben. Diese werden entweder von anderen Teilen der Schadenskaskade angestoßen (z.B. Amyloidablagerungen, Mikrogliaaktivierung, Zytokinausschüttung etc.) oder lösen ihrerseits pathologische Prozesse aus oder verstärken diese. Aus neuropathologischer Sicht ist wahrscheinlich, dass der Verlauf der Alzheimer-Erkrankung durch begleitende entzündliche Prozesse ungünstig beinflusst werden kann. Epidemiologische Studien (BMC Med 2007; 5: 20) weisen auf einen protektiven Effekt von antiinflammatorischen Substanzen im Rahmen der Alzheimer-Erkrankung hin. Der vorliegende Review gibt einen Überblick der Ergebnisse von 14 randomisiert-kontrollierten Interventionsstudien hinsichtlich der Wirkung und Nebenwirkung von ASS, Steroiden, NSAID und COX-2-Hemmern für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung (n=2445). Die Autoren des Reviews kommen zu dem Schluss, dass kein Nachweis einer Wirksamkeit gefunden werden konnte – bei teils beträchtlichen zu erwartetenen Nebenwirkungen unter Langzeiteinnahme. Die derzeitige klinische Forschung wendet sich perspektivisch sehr frühen, sogenannten prodromalen Stadien der Alzheimer-Erkrankung zu. Es ist Aufgabe zukünftiger Forschung zu klären, ob durch sehr frühzeitigen, gezielten und zeitlich befristeten Einsatz von antiinflammatorischen Substanzen der Verlauf der Alzheimer-Erkrankung beeinflusst werden kann.


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    Interessenkonflikte: keine

    Dr. med. Oliver Peters
    Modul Psychiatrie des Alterns, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin