Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(50): 2629
DOI: 10.1055/s-0032-1329140
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Onkologie – Schmerztherapie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist Calcitonin bei Knochenmetastasen schmerzlindernd?

Does Calcitonin have an analgetic effect on bone pain related to metastatic cancer?
M. Engelhardt
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Prof. Dr. Monika Engelhardt
Hämatologie und Onkologie, 1. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Freiburg

Publication History

Publication Date:
05 December 2012 (online)

 

    Am Knochen hemmt Calcitonin die Osteoklastenaktivität und vermindert die Kalziumresorption. Ob bei tumorassoziierten Knochenschmerzen eine medizinische Verabreichung dieses Hormons hilfreich ist, war Gegenstand eines aktualisierten Cochrane-Reviews.


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    Einleitung: Knochenmetastasen können durch Knochendestruktion, Deformierungen und Beeinträchtung von Nervenstrukturen stärkste Schmerzen verursachen. Neben systemischen Behandlungen wie der Tumortherapie und der Allgemeinanalgesie gehört u.a. Calcitonin zu den speziell ossär wirksamen Medikamenten. Seine Hauptindikation ist die Hyperkalzämie, aber auch schmerzlindernde Effekte durch eine Stabilisierung der Knochensubstanz werden diskutiert. Bereits 2003 war eine Cochrane-Analyse zum Thema erfolgt. Jetzt wurde ein Update aus 2006 nochmals überarbeitet. Die vorhergehenden Analysen hatten keinen Hinweis auf eine analgetische Calcitoninwirkung bei Schmerzen durch Knochenmetastasen gezeigt.

    Studien: Bei der neuen Recherche wurden doppelblinde, randomisierte Untersuchungen berücksichtigt, die eine Beobachtungszeit von mindestens 4 Wochen hatten. Diese Einschlusskriterien wurden von keiner neuen Studien erfüllt, sodass das aktualisierte Cochrane-Review nur die beiden bereits in 2006 analysierten Studien enthält. In beiden Primärstudien bildeten Patientinnen mit Mammakarzinom (n=90) die Untersuchungsgruppe. Ermittelt wurden unter anderem folgende Endpunkte: Analgetikabedarf, Schmerzdauer und -beurteilung sowie Nebenwirkungen, ossäre Komplikationen (z.B. Hyperkalzämie, Frakturen) und Lebensqualität.

    Ergebnisse: Die Autoren analysierten die Daten auf Basis einer Intention-to-Treat-Analyse. Eine Meta-Analyse wurde nicht durchgeführt. Studie 1 (n=40) verglich die Gabe von 100 IU Calcitonin subkutan pro Monat mit Placebo. Tendenziell kam es häufiger bei den Patientinnen unter einer Calcitoninbehandlung zum kompletten Nachlass der Schmerzen, aber der Unterschied zu Placebo war nicht signifikant (Relatives Risiko [RR] 2,50; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,55–11,41). In Studie 2 (n=50; 100 IU Calcitonin subkutan alle 3 Monate oder Placebo) wurde nicht die Schmerzreduktion quantifiziert, sondern der Analgetikabedarf verglichen. Dieser unterschied sich zwischen den Gruppen nicht signifikant (RR 1,05; 95 %-KI 0,90–1,21). Zudem verminderten sich ossäre Komplikationen nicht unter Calcitonin. Es bewirkte auch keine Verbesserung der Lebensqualität und hatte keinen Einfluss auf das Überleben. Nebenwirkungen schienen unter Calcitonin häufiger als unter Placebo aufzutreten (RR 3,35; 95 %-KI 0,72–15,66; nicht signifikant). Dies waren vor allem Gesichtsrötungen und Schmerzen an der Einstichstelle. Das Risiko der Datenverzerrung (Bias) war für den Randomisierungsvorgang und die verdeckte Zuteilung (Allocation Concealment) unklar.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Keine neuen Studien erfüllten die Einschlusskriterien des Update zum Review von 2006. Die bisher geringe Evidenz zeige, dass sich Calcitonin nicht für die Behandlung von Knochenschmerzen bei metastasiertem Mammakarzinom eigne, so die Autoren. Sie verweisen auf die geringe Anzahl an Studien und die kleinen Patientenzahlen. Solange keine neuen aussagekräftigen Studien zu diesem Thema vorlägen, empfehlen die Autoren, andere Formen der Schmerzbehandlung vorzuziehen.

    Dr. med. Susanne Krome, Melle

    Originalarbeit: Martinez-Zapata MJ et al. Calcitonin for metastatic bone pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 3. DOI: 10.1002/14651858.CD003223.pub2 www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Knochenmetastasen und damit verbundene Schmerzen stellen eine Hauptkomplikation und Therapieindikation für viele Patienten mit soliden Tumoren dar, z.B. bei Mamma-, Prostata-, Lungen,- und gastrointestinalen Tumoren, aber auch Lymphomen, multiplen Myelomen oder anderen hämatologischen Neoplasien. Deren effektive Behandlung umfasst üblicherweise peripher und zentral wirksame Analgetika, Bisphosphonate, Radiotherapie, Chemo- bzw. systemische Tumortherapien und in bisher wenigen randomisiert-kontrolliert durchgeführten Studien auch Calcitonin. Der vorliegende Cochrane-Review ist ein Update früherer Cochrane-Reviews, welcher allerdings, nach Ausschluss von 9 potenziell relevanten Studien, nur 2 sehr kleine randomisiert-kontrollierte Studien von 1986 und 1988 aufnahm, und damit insgesamt nur 90 Patientinnen mit Mammakarzinom. Diese beiden Studien zeigten keinen signifikanten Effekt von Calcitonin auf die Schmerzreduktion und den Analgetikaverbrauch sowie die Vermeidung von Knochenkomplikationen, Verbesserung der Lebensqualität (QoL) oder Verlängerung des Überlebens. Im Gegenteil waren die unter Calcitonin auftretenden Nebenwirkungen höher als unter Placebogabe, sodass der Einsatz von Calcitonin klinisch nicht empfohlen wird. Dieser Review illustriert allerdings auch die mangelhafte Datenlage mit Aufnahme weniger Patienten und die mangelnde Studienqualität. Bessere primäre und sekundäre Endpunkte in weiteren Studien zu Calcitonin und anderen Ko-Analgetika bei Metastasen-bedingten Knochenschmerzen sind daher gefordert, um eine substanzielle Verbesserung von Schmerzen, QoL und ggf. sogar Tumor-/ Metastasenbeeinflussung zu erwirken. Relevant bei diesen Daten ist, dass von den Fachgesellschaften in den aktuellen Leitlinien der Calcitoningebrauch für tumorbedingte Schmerzen ebenfalls nicht empfohlen wird. Im klinischen Alltag bleibt unsere vordringlichste Aufgabe, tumorbedingte Schmerzen rasch und suffizient zu beeinflussen, wobei Calcitonin im therapeutischen Arsenal potenter Substanzen bzw. Maßnahmen, keine objektivierbare Effektivität besitzt.


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    Interessenkonflikte: keine

    Prof. Dr. Monika Engelhardt
    Hämatologie und Onkologie, 1. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Freiburg