Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(06): 249
DOI: 10.1055/s-0032-1329141
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Angiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thrombozytenaggregationshemmer bei Claudicatio intermittens?

Are antiplatelet agents effective in intermittent claudication?
F. Tatò
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Prof. Dr. med. Federico Tatò
Gefäßpraxis im Tal, München

Publication History

Publication Date:
29 January 2013 (online)

 

    Thrombozytenaggregationshemmer vermindern das Risiko für zerebrovaskuläre und koronare Ereignisse bei Hochrisikopatienten. In einem Cochrane-Review wurde nun die Wirkung und Sicherheit dieser Medikamente bei einer Claudicatio intermittens untersucht.


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    Einleitung: Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) hat Markerfunktion für eine systemische Arteriosklerose und ist mit koronaren und zerebrovaskulären Erkrankungen assoziiert. Patienten mit Claudicatio intermittens (IC) zeigten eine 3- bis 6-fach erhöhte kardiovaskuläre Mortalität. Die präventive Effektivität und Sicherheit von Thrombozytenaggregationshemmern wurde bei Patienten mit IC bislang nicht ausreichend untersucht.

    Studien: Die Daten stammten aus doppelblinden randomisierten Studien mit Patienten mit pAVK im Stadium Fontaine II. Ausschlusskriterien waren geplante Interventionen und andere pAVK-Stadien. Die Studien mussten eine Dauer von mindestens 24 Wochen haben und die Substanz 3 Monate eingenommen worden sein. Indobufen, Picotamid, Ticlopidin und Triflusal wurden mit Placebo, Clopidogrel und Picotamid mit Acetylsalicylsäure (ASS) verglichen.

    Ergebnisse: 12 Studien erfüllten die Einschlusskriterien (n=12 168). Viele stammten aus den späten 1980er und 1990er Jahren und wiesen ein erhöhtes bzw. unklares Risiko für eine Datenverzerrung (Bias) auf – wegen unzureichender Methodenbeschreibung, fehlender Details und weil die vollständigen Protokolle nicht erhältlich waren. In 6 Studien waren die Ausfallraten hoch. Das Revaskularisationsrisiko war unter Thrombozytenaggregationshemmern niedriger als unter Placebo (Risk Ratio [RR] 0,65; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,43–0,97). Auch die Gesamtmortalität (RR 0,76; 95%-KI 0,60–0,98) und die kardiovaskuläre Mortalität (RR 0,54; 95%-KI 0,32–0,93) waren bei Thrombozytenaggregationshemmung im Vergleich zu Placebo signifikant geringer. Kardiovaskuläre Ereignisse unterschieden sich nicht signifikant (RR 0,80; 95%-KI 0,63–1,01). Ebenso gab es keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Anzahl an Herzinfarkten (RR 0,84; 95%-KI 0,63–1,12) und Schlaganfällen (RR 0,71; 95%-KI 0,45–0,1,13). Unter Picotamid- und Clopidogreltherapie zeigte sich eine signifikant geringere Mortalität (RR 0,73; 95%-KI 0,58–0,93) und weniger kardiovaskuläre Ereignisse (RR 0,81; 95%-KI 0,67–0,98) als unter ASS-Therapie (2 Studien). Therapieabbrüche und gastrointestinale Nebenwirkungen waren unter Thrombozytenaggregationshemmern etwa doppelt so häufig wie unter Placebo. Über schwere Blutungen lagen unzureichend Daten vor, ebenso für Nebenwirkungen in den mit ASS vergleichenden Studien.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Thrombozytenaggregationshemmer führten zu einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären und der Gesamtmortalität bei Claudicatio intermittens. Nebenwirkungen, insbesondere des Gastrointestinaltrakts, traten jedoch deutlich häufiger auf als unter Placebo. Die Vorreiterrolle der ASS sei zu überprüfen: alternative Medikamente senkten die Mortalität stärker. Die Daten reichten aber für einen zuverlässigen Vergleich der positiven Effekte und Nebenwirkungsraten nicht aus, weshalb weitere Studien dringend benötigt werden.

    Dr. med. Susanne Krome, Melle

    Originalarbeit: Wong PF, Chong LY, Mikhailidis DP et al. Antiplatelet agents for intermittent claudication. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011; Issue 11DOI: 10.1002/14651858.CD001272.pub2

    Kommentar aus der Praxis

    Die hohe Rate an koronaren und zerebrovaskulären Ereignissen bestimmt die schlechte Prognose von Patienten mit pAVK. Um das kardiovaskuläre Risiko zu vermindern, gilt heute die Thrombozytenaggregationshemmung (TAH) mit ASS oder Clopidogrel als eine der Säulen der Therapie der pAVK. Die Datenlage zu Nutzen und Risiko der TAH bei pAVK ist allerdings spärlich. Neue Studien zum Einsatz von ASS bei Patienten mit asymptomatischer pAVK sind negativ ausgefallen und haben Zweifel am Nutzen dieser Therapie aufgebracht. Vor diesem Hintergrund hat die Cochrane-Analyse von Wong et al. die heutige Datenlage zur TAH bei manifester pAVK aufgearbeitet. Die Metaanalyse von 12 methodisch soliden Studien bei insgesamt über 12 000 Patienten zeigt, dass die Therapie mit unterschiedlichen Thrombozytenaggregationshemmern die Gesamtmortalität um etwa 25% und die kardiovaskuläre Mortalität und/oder die kardiovaskuläre Ereignisrate um 20%–50% senkt. Prinzipiell wird das Konzept der TAH zur Senkung des kardiovaskulären Risikos somit bestätigt. Bei genauer Betrachtung dieser Analyse wird aber deutlich, wie unzureichend die Datenlage weiterhin bleibt. Keine Studie hat die Wirksamkeit von ASS im Vergleich zu Placebo untersucht, sodass für den heute noch am häufigsten verordneten Thrombozytenaggregationshemmer bisher jegliche Daten fehlen. Von den 12 000 eingeschlossenen Patienten wurde fast die Hälfte (etwa 5 700) mit Ticlopidin, Picotamid, Indobufen oder Triflusal behandelt – also mit Substanzen, die in der klinischen Routine nicht eingesetzt werden und sich darüber hinaus in Wirksamkeit und Nebenwirkungsspektrum unterscheiden. Die restlichen Patienten (6 452) wurden mit Clopidogrel behandelt und stammen ausschließlich aus der pAVK-Subgruppe der CAPRIE-Studie. Diese Metaanalyse ändert also nichts an der Tatsache, dass die wenigen auf die klinische Praxis anwendbaren Daten aus einer einzigen Subgruppenanalyse einer industriegesponsorten Studie stammen (CAPRIE). Wie die Autoren zu Recht bemerken, besteht somit weiterhin ein sehr hoher Bedarf an qualitativ guten Studien zur medikamentösen Therapie der pAVK.


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    Interessenkonflikte: keine

    Prof. Dr. med. Federico Tatò
    Gefäßpraxis im Tal, München