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DOI: 10.1055/s-0032-1329154
Geringeres Neuropathierisiko durch verstärkte Blutglukosekontrolle?
Reduced neuropathic risk via enhanced glucose control?Viele Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 erleiden eine deaktivierende Neuropathie. Callaghan et al. untersuchten nun in einem systematischen Cochrane-Review die Evidenz für eine präventiv verstärkte Kontrolle der Blutzuckerwerte.
Einleitung: Sowohl für Diabetes mellitus Typ 1 als auch Typ 2 wird im Zeitraum der Diabetes-Manifestation bereits bei 10% der Betroffenen eine diabetische Neuropathie diagnostiziert, 10 Jahre später sind 40–50% der Patienten betroffen. Das Cochrane-Review analysierte nun Studien, die untersuchten, ob eine forcierte Blutglukosekontrolle Patienten präventiv davor schützt, Neuropathien zu entwickeln.
Studien: Ausgewählt wurden randomisierte, kontrollierte Studien, bei denen die Auswirkungen einer Standardtherapie einerseits sowie einer intensivierten Therapie andererseits auf das Auftreten neuropathischer Symptome über mindestens ein Jahr untersucht wurden. Als Maßnahmen zur Verbesserung der Stoffwechsellage wurden u.a. häufigere subkutane Insulininjektionen, kontinuierliche Insulininfusionen, orale Antidiabetika, Veränderungen des Lebensstils sowie Pankreastransplantationen eingesetzt. Bei den eingeschlossenen 17 Studien nahmen an 7 Studien ausschließlich Probanden mit Diabetes mellitus Typ 1, an 8 ausschließlich Probanden mit Typ 2 und an 2 Studien Probanden mit beiden Diabetes-Typen teil. Als primärer Endpunkt der Metaanalyse wurde die jährliche Inzidenz einer klinischen Neuropathie definiert. Dieser Endpunkt wurde getrennt für Typ-1- (2 Studien; 1228 Probanden) und Typ-2-Diabetes (4 Studien; 6669 Probanden) untersucht. Zu den sekundären Endpunkten zählten subjektive neuropathische Symptome, Nervenleitgeschwindigkeit, Sensorik der unteren Extremitäten sowie unerwünschte Ereignisse wie z.B. Ulzerationen oder schwere Hypoglykämien.
Ergebnisse: In den Studien zu Diabetes mellitus Typ 1 war die verstärkte Blutzuckerkontrolle über mindestens ein Jahr mit einem signifikant reduzierten Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Neuropathie assoziiert (annualisierte Risikodifferenz [RD] -1,84%; 95%-Konfidenzintervall [KI] -2,56 bis -1,11; p < 0,00001). Bei den Studien zu Typ-2-Diabetes betrug die annualisierte RD -0,58% (95%-KI -1,17 bis 0,01), war also nicht signifikant (p = 0,055). Die meisten sekundären Endpunkte verbesserten sich signifikant in den Kohorten mit verbesserter Blutglukoseeinstellung. Demgegenüber traten signifikant häufiger schwere Hypoglykämien auf.
Eine intensivierte Kontrolle der Blutglukosewerte über mindestens ein Jahr reduziert die Entwicklung einer diabetischen Neuropathie bei Personen mit Typ-1-Diabetes signifikant. Ebenso ergab die Metaanalyse für Personen mit Typ-2-Diabetes eine Reduktion des Neuropathierisikos, wenngleich hier das Signifikanzkriterium knapp verfehlt wurde. Unabhängig von der Diabetesform reduzierten sich unter einer verbesserten Stoffwechsellage sowohl sensorische Kriterien wie zum Beispiel das Vibrationsempfinden als auch Parameter der Nervenleitgeschwindigkeit. Allerdings war unter niedrigeren Blutglukosewerten auch das Risiko schwerer Hypoglykämien signifikant erhöht, so dass laut den Autoren jeweils eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen sollte.
Dr. med. Winfried Keuthage, Münster
Originalarbeit: Callaghan BC, Little AA, Feldman EL et al. Enhanced glucose control for preventing and treating diabetic neuropathy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 6 DOI: 10.1002/14651858.CD007543.pub2 www.thecochranelibrary.com
Die Cochrane-Analyse bestätigt, dass eine langfristige intensive Diabetestherapie bei Diabetes mellitus Typ 1 das Risiko für die Entwicklung bzw. Progression einer diabetischen Polyneuropathie senkt. Dagegen steht die Bewertung des Stellenwertes der intensiven Diabetestherapie bei Typ 2 im Gegensatz zu einer Metaanalyse von Boussageon et al. (BMJ 2011; 343: d4169), die keinen günstigen Effekt der intensiven Diabetestherapie auf die Polyneuropathie bei Typ 2 nachweisen konnte. Diese Diskrepanz liegt u.a. an den unterschiedlichen Auswahlkriteren für die Studien. So wurden in der vorliegenden Analyse z.B. die ADVANCE- und HOME-Studien nicht mitberücksichtigt, die beide keinen positiven Effekt gezeigt hatten. Studien zur multifaktoriellen kardiovaskulären Risikointervention (einschließlich optimaler Diabeteseinstellung: Steno-Typ-2-Studie, ADDITION-Denmark-Studie), ebenfalls ohne günstigen Effekt auf die diabetische Polyneuropathie, wurden auch ausgeschlossen. Darüber hinaus beruhen die beschriebenen Vorteile der intensiven Diabetestherapie auf die Nervenleitgeschwindigkeit und Vibrationssensitivität auf einer Einzelstudie mit kleiner Fallzahl aus Japan (Kumamoto-Studie; n = 99), die aufgrund des differenten Diabetes-Phäno-typs kaum auf europäische Verhältnisse übertragbar ist. Schließlich muss erwähnt werden, dass die intensive Diabetestherapie in der miteingeschlossenen ACCORD-Studie mit erhöhter Mortalität einherging. Zusammenfassend sind die Ergebnisse der vorliegenden Cochrane-Analyse im Hinblick auf Diabetes mellitus Typ 2 zu hinterfragen. Der Beweis für einen günstigen Effekt der intensiven Diabetestherapie auf die Polyneuropathie bei Typ 2 steht weiterhin aus. Zu beachten sind hierzu auch die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL, siehe http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/diabetes2/dm2_neuro/pdf/nvl-t2d-neuro-lang.pdf).
Interessenkonflikte: keine