Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(48): 2450
DOI: 10.1055/s-0032-1329166
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Notfallmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hydroxyethylstärke zur Volumenersatztherapie – ein Abgesang?

Hydroxyethyl starch for volume replacement therapy – a swan song?
K. P. Ittner
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PD Dr. Karl Peter Ittner
Leitung Notarztwagen, klinische Pharmakologie Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Publication History

Publication Date:
19 November 2013 (online)

 

    Plasmaexpander, vor allem Hydroxyethylstärke (HES), zählen seit rund drei Jahrzehnten zum selbstverständlichen notfallmedizinischen Repertoire bei Volumenmangelbedingten Schockzuständen. Mutter et al. nahmen dazu 2010 kritisch Stellung, nun gibt es ein aktuelles Update.


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    Einleitung: Bei intravaskulärem Volumenmangel nutzte man lange Jahre die hohe Osmolarität synthetischer Kolloide wie HES, um das verminderte Kreislaufvolumen wieder aufzufüllen. Gewebswasser sollte, dem osmotischen Gradienten folgend, in die Gefäße diffundieren, so den Blutdruck stabilisieren und einem Kreislaufschock entgegenwirken. In den letzten Jahren gab es Berichte über durch HES ausgelöste Nierenschäden, die erstmals 2010 in einem Cochrane-Review zusammengefasst worden waren. Nun wurde ein Update unter Berücksichtigung neuer Studien veröffentlicht.

    Studien: Eingeschlossen wurden 42 randomisiert- kontrollierte Studien (11 399 Patienten), von denen 19 bereits im Review 2010 berücksichtigt worden waren, sowie 23 neue Arbeiten. 15 Studien des Reviews von 2010 wurden nun wegen Zweifeln an der Konsistenz der Daten oder fehlenden Kreatininwerten ausgeschlossen. Als primäre Endpunkte wurden Eintritt einer Dialysepflichtigkeit, Niereninsuffizienz und akutes Nierenversagen anhand der RIFLE-Kriterien (Risk-Injury-Failure- Loss-ESRD [End Stage Renal Disease]) definiert. Die methodische Qualität der berücksichtigten Studien wurde als gut bewertet.

    Ergebnisse: Unter Therapie mit HES mussten Patienten, verglichen mit anderen Volumenersatztherapien, statistisch signifikant häufiger dialysiert werden (Relatives Risiko [RR] 1,31; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,16–1,49; n = 9857); eine Niereninsuffizienz trat ebenfalls öfter auf (RR 1,59; 95%-KI 1,26–2,00; n = 1361). Auch das Risiko eines akuten Nierenversagens war erhöht (RR 1,14; 95%-KI 1,01–1,30; n = 8402). Eine Ausnahme waren die auf Kreatinin-Werten und Urinausscheidung beruhenden Kriterien für ein erhöhtes Risiko des akuten Nierenversagens (RIFLE-R[isk]), bei denen die HES-Therapie geringfügig besser abschnitt (RR 0,95; 95%-KI 0,91–0,99; n = 8769). Bei Ausschluss der Urinausscheidung als Kriterium per Protokoll kehrte sich der Trend ohne Signifikanz um. Bezüglich der Kriterien für Nierenschädigung (RIFLE-I[njury]) fand sich dagegen für HES wiederum ein signifikant erhöhtes Risiko: RR 1,22 (95%-KI 1,08– 1,37; n = 8338). Die ungünstigen Ergebnisse für HES waren unabhängig von der Dosierung und dem Molekulargewicht des HES-Präparats. Unterschiede zwischen sepsisbedingtem und nicht-sepsisbedingtem Volumenmangel traten hinsichtlich der RIFLE-R- und RIFLE-I-Kriterien auf, worin sich wahrscheinlich pathophysiologische Unterschiede eines prärenalen und eines sepsisbedingten Nierenversagens widerspiegeln.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Die derzeitige Datenlage spreche dafür, dass die Anwendung von HES in allen Patientenpopulationen mit erhöhtem Risiko eines akuten Nierenversagens und einer Dialysepflichtigkeit verbunden sei. Eine sichere Menge einer HES-Zubereitung sei noch zu definieren. In den meisten klinischen Situationen sei es wahrscheinlich, dass das Risiko einer HESGabe deren Nutzen überwiege. Deshalb sollten alternative Therapien bevorzugt werden.

    Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

    Originalarbeit: Mutter TC, Ruth CA, Dart AB. Hydroxyethyl starch (HES) versus other fluid therapies: effects on kidney function. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 7. Art. No.: CD007594. DOI: 10.1002/14651858.CD007594.pub3 www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Nahezu parallel zur Veröffentlichung dieser Metaanalyse von Mutter et al. haben Arzneimittelbehörden ihre Arbeit aufgenommen. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat im Oktober den Einsatz zu hydroxyethylstärkehaltigen Infusionslösungen (HES) bewertet. Am 14.10.2013 wurde das Ergebnis auch vom BfArM veröffentlicht: „HES sollte bei Patienten mit Sepsis, bei kritisch kranken Patienten sowie bei Patienten mit Verbrennungen nicht mehr angewendet werden, weil die Anwendung bei diesen Patienten mit einem erhöhten Risiko für Nierenschäden und Mortalität assoziiert ist. HES-haltige Infusionslösungen können weiterhin für eine eingeschränkte Patientenpopulation angewendet werden. So kann HES weiter bei Patienten mit Volumenmangel aufgrund von akutem Blutverlust eingesetzt werden, wenn die Behandlung mit kristalloiden Infusionslösungen allein nicht ausreichend ist. In diesen Fällen sollen allerdings zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung getroffen werden. Zusätzlich forderte der PRAC von den pharmazeutischen Unternehmern weitere Studien zur Anwendung von HES bei Traumapatienten und bei Patienten, die sich nicht zwingend erforderlichen Eingriffen unterziehen. Die PRAC-Empfehlung wird nun der Koordinierungsgruppe (Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human (CMDh)), die vom 21.– 23. Oktober 2013 tagt, zur Entscheidung vorgelegt.“

    http://www.bfarm.de/DE/ Arzneimittel/Pharmakovigilanz/ RisikoBewVerf/Liste/ RV-hes3.html (Stand 18.11.2013)


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    Interessenkonflikte: keine

    PD Dr. Karl Peter Ittner
    Leitung Notarztwagen, klinische Pharmakologie Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg