Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(11): 522
DOI: 10.1055/s-0033-1360608
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Pneumologie – Intensivmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nicht-invasive Beatmung als überlegene Weaning-Strategie?

Non-invasive ventilation as a superior weaning strategy?
T. Welte
Further Information
Prof. Dr. Tobias Welte
Zentrum Innere Medizin, Klinik für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover

Publication History

Publication Date:
04 March 2014 (online)

 

    Gefahren und Komplikationen nehmen bei anhaltender invasiver Beatmung ebenso wie die Schwierigkeiten bei der Entwöhnung des Patienten proportional zur Dauer zu. Im Fokus der Forschung auf diesem Gebiet stehen daher Strategien mit dem Potenzial, die Dauer der invasiven Beatmung zu minimieren.


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    Einleitung: Typische Komplikation einer länger dauernden invasiven Beatmung sind beatmungsassoziierte Pneumonien (VAP), Barotraumen wie Pneumothorax oder ARDS, Sinusitiden, Komplikationen im Rahmen einer Tracheostomaanlage und zuletzt auch die zunehmende Schwäche der Atemmuskulatur. Das derzeit erfolgversprechendste Konzept ist eine nicht-invasive Maskenbeatmung über die physiologischen Atemwege (noninvasive positive pressure ventilation, NPPV).

    Studien: In das Cochrane-Review eingeschlossen wurden 16 randomisierte oder quasi-randomisierte Studien mittlerer und guter Qualität mit 994 Patienten (zu etwa zwei Dritteln mit der Diagnose COPD), die bei der Entwöhnung von der Beatmungsmaschine (Weaning) eine invasive Positivdruck-Beatmung (IPPV) mit einer frühen Extubation im Rahmen der NPPV-Strategie verglichen. Primärer Endpunkt war Letalität, sekundäre Endpunkte Weaning-Versagen, VAP, Dauer der Beatmung, des Intensivaufenthalts und des gesamten stationären Aufenthalts sowie Komplikationen. Das Review ist ein Update und umfasst mit vier neu eingeschlossenen Studien fast doppelt so viele Patienten wie 2010.

    Ergebnisse: Ein nicht-invasives Weaning mit NPPV verminderte gegenüber dem invasiven Weaning mit IPPV die Sterblichkeit bei COPD-Patienten statistisch signifikant (9 Studien; n=632; relatives Risiko [RR] 0,36; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,24–0,56). Die Reduktion der Letalität bei Studien mit gemischten Diagnosen war dagegen nicht statistisch signifikant (7 Studien; n=362; RR 0,81; 95%-KI 0,47–1,40). Unter NPPV kam es für alle Patienten statistisch signifikant seltener zu Weaning-Versagen (RR 0,63; 95%-KI 0,42–0,96) und VAP (RR 0,25; 95%-KI 0,15–0,43). NPPV verkürzte den Intensivaufenthalt (mittlere Differenz [MD] -5,59 Tage; 95%-KI -7,90 bis -3,28) den Krankenhausaufenthalt (MD -6,04 Tage; 95%-KI -9,22 bis -2,87), die Gesamtbeatmungsdauer (MD -5,64 Tage; 95%-KI -9,50 bis -1,77) wie auch die Dauer der invasiven Beatmung (MD - 7,44 Tage; 95%-KI -10,34 bis -4,55). Nichtinvasive Weaningstrategien verminderten auch signifikant die Raten für Tracheotomie (RR 0,19; 95%-KI 0,08–0,47) und Reintubation (RR 0,65; 95%-KI 0,44–0,97). Der Ausschluss einer nur quasi-randomisierten Studie veränderte diese Ergebnisse nicht.

    Fazit der Cochrane-Autoren

    16 Studien mittlerer und guter Qualität, die überwiegend COPD-Patienten untersuchten, ließen den Schluss zu, dass eine Weaning-Strategie unter Einschluss nicht-invasiver Beatmungsverfahren wahrscheinlich die Letalität und die Häufigkeit beatmungsassoziierter Pneumonien vermindert, ohne dabei das Risiko eines Weaning-Versagens oder einer Reintubation zu erhöhen.

    Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

    Originalarbeit: Burns KEA et al. Noninvasive positive-pressure ventilation as a weaning strategy for intubated adults with respiratory failure. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 12. DOI: 10.1002/14651858.CD004127.pub3 www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Die beatmungsassoziierte Pneumonie ist eine wesentliche Komplikation bei langzeitbeatmeten Patienten. Die Wahrscheinlichkeit, eine Pneumonie zu erwerben nimmt mit der Länge der Beatmung zu. Eine frühzeitige Extubation verringert das Infektionsrisiko, eine Re-Intubation nach Extubation erhöht es jedoch um ein Vielfaches. Mit Hilfe der nicht-invasiven Beatmung (NIV) kann die Zahl der Re-Intubationen vermindert und damit die Infektionsrate und die Sterblichkeit reduziert werden. Dass der Vorteil zugunsten der NIV bei COPD-Patienten am größten war, ist kein Zufall. Diese Beatmungstechnik zeigt immer dann gute Effekte, wenn ein Ventilationsversagen – in der Regel als Folge eines Atemmuskelpumpenversagens – vorliegt, also ein hyperkapnisches Lungenversagen. Bei einem hypoxischen Lungenversagen infolge von Gasaustauschstörungen ist die Möglichkeit, mit Hilfe von NIV extrinsischen Druck zu applizieren und damit Alveolen zu rekrutieren, begrenzt. Bei einem schweren hypoxämischen Lungenversagen bleibt nur die Re-Intubation. Die in die Cochrane Analyse eingegangenen Studien wurden alle in für NIV hoch erfahrenen Zentren durchgeführt. Der Erfolg von NIV hängt in starkem Maße von der Erfahrung mit diesem Verfahren ab. Eine gute Indikationsstellung, eindeutige Abbruchkriterien für NIV, richtige Masken- und Geräteauswahl und individuelle Einstellung der Beatmungsdrücke sind der Schlüssel zum Erfolg. NIV hat über das Weaning hinaus in der Behandlung des akuten hyperkapnischen Lungenversagens – vor allem bei der akuten Exazerbation der COPD – und bei leichteren Fällen von hypoxämischem Lungenversagen seinen Platz. NIV sollte heute als Standardverfahren auf jeder Intensivstation vorhanden sein.


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    Interessenkonflikte: keine

    Prof. Dr. Tobias Welte
    Zentrum Innere Medizin, Klinik für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover