Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(48): 2437
DOI: 10.1055/s-0033-1360622
Aus der Cochrane Library – für die Praxis
Intensivmedizin – Pneumologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mechanische Beatmung: Sedierung täglich unterbrechen?

Is daily sedation interruption in mechanically ventilated patients advantageous?
B. Schönhofer
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Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer
Medizinische Klinik II, Klinik für Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Hannover
Interessenkonflikte: keine

Publication History

Publication Date:
19 November 2014 (online)

 

    Nur über mechanische Beatmung mittels Trachealtubus ist es möglich, bei ateminsuffizienten Patienten eine ausrei-chende Oxygenierung und CO2-Elimination ohne Aspirati-onsgefahr zu gewährleisten. Dies kann der Patient nur durch eine narkoseähnliche Sedierung ertragen, die Schutzreflexe wie Husten und das Bewusstsein weitgehend ausschaltet. Damit sind aber multiple schwerwiegende Risiken verbunden.


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    Einleitung: Kritisch kranke, mechanisch beatmete Patienten auf der Intensivstation benötigen als Dauerinfusion verabreichte Medikamente zur Sedierung. Diese haben eine individuell unterschiedliche Pharmakokinetik und führen bei einem Teil der Patienten zur Bioakkumulation. Dadurch wird das Abtrainieren von der Beatmung (Weaning) später erschwert. Durch eine tägliche Medikamentenpause könnte diese Akkumulation eventuell vermieden und das Weaning erleichtert werden. Auf der anderen Seite sind Komplikationen durch eine zeitweise zu geringe Sedierung zu befürchten.

    Studien: Die Autoren schlossen 9 randomisiert-kontrollierte Studien (n=1282) in das Review ein. Alle verglichen eine tägliche Sedierungsunterbrechung (daily sedation interruption, DSI) mit Sedierungsstrategien ohne tägliche Unterbrechung. Das Bias-Risiko war überwiegend gering.

    Ergebnisse: Es fand sich kein eindeutiger Hinweis, dass DSI die Beatmungsdauer relevant verkürzt. Im geometrischen Mittel errechnete sich eine Reduktion um 13% bei einem breiten Konfidenzintervall [KI] von -26% bis 2%. Eine Subgruppenanalyse von 5 Studien aus Nordamerika ergab dagegen eine statistisch signifikante Reduktion der Beatmungsdauer durch tägliche Therapiepausen um -21% (95%-KI -33% bis -5%). Hinsichtlich der Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation oder der Gesamtdauer der stationären Behandlung zeigte sich ebenfalls kein statistisch signifikanter Unterschied der Behandlungsansätze. Gleiches galt für die Mortalität während der Intensivbehandlung, das Vorliegen eines neu aufgetretenen Delirs, die Häufigkeit der akzidentiellen Entfernung des Trachealtubus oder von Kathetern. Die Unterschiede in der Gesamtdosis der zur Sedierung verwendeten Medikamente und der Lebensqualität (erfasst mittels Short Form-36-Fragebogen) erreichten keine statistische Signifikanz. Einziger statistisch signifikanter Unterschied bei Auswertung aller Studien war die Tracheotomierate: Der Eingriff war bei DSI seltener nötig (relatives Risiko 0,73; 95%-KI 0,57–0,92; 6 Studien).

    Fazit der Cochrane-Autoren

    Die aktuell vorliegenden Daten sprechen nicht dafür, dass die Beatmungsdauer, die Mortalität, die Länge des stationären Aufenthalts insgesamt und auf der Intensivstation, die Rate unerwünschter Ereignisse, die Dosis der verabreichten Medikamente oder die Lebensqualität durch DSI verbessert würden. Die Autoren mahnen eine vorsichtige Interpretation ihrer Ergebnisse an. Diese seien hinsichtlich der DSI eher als inkonsistent denn als negativ zu bewerten.

    Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

    Originalarbeit: Burry et al. Daily sedation interruption versus no daily sedation interruption for critically ill adult patients requiring invasive mechanical ventilation.Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 7 DOI: 10.1002/14651858.CD009176.pub2 www.thecochranelibrary.com

    Kommentar aus der Praxis

    Der Cochrane-Analyse liegt die Erkenntnis zugrunde, dass eine nicht zwingend erforderliche lange und tiefe Sedierung die Komplikations- und Mortalitätsrate der beatmeten Patienten erhöht. Demnach ist eine adäquate Sedierung eine wichtige Voraussetzung für die möglichst frühzeitige Beendigung der invasiven Beatmung. DSI hat sich in den vergangenen Jahren bei bestimmten Patientengruppen als eine wichtige Strategie zur Vermeidung der z.T. fatalen Übersedierung etabliert und bewährt. Ein wichtiger Grund dafür, dass sich im Cochrane-Review kein signifikanter Effekt der DSI auf unterschiedliche Parameter nachweisen lässt, liegt in der relativ kurzen Beatmungsdauer der untersuchten Patienten (im Mittel 4 Tage). Offensichtlich hat bzgl. dieser Beatmungsdauer das DSI-Konzept keine klinische Relevanz.Zum besseren Verständnis sei hier angemerkt, dass Weaning gemäß der Budapester Konsensus-Konferenz in drei Gruppen – einfach, schwierig, prolongiert – unterteilt wird. Von „prolongiertem Weaning“ spricht man, wenn das Weaning erst nach 3 erfolglosen Spontanatmungsversuchen oder nach über 7 Tagen Beatmung nach dem ersten erfolglosen Spontanatmungsversuch gelingt. Die in den analysierten Studien selektierten Patienten sind auch bzgl. der Komorbiditäten nicht mit den häufig schwerkranken Patienten im prolongierten Weaning vergleichbar. Patienten im prolongierten Weaning haben eine deutlich erhöhte Krankenhausmortalität (32%) im Vergleich zu den Gruppen „einfach“ (13%) und „schwierig“ (9%). Entsprechend der klinischen Erfahrung, vor allem in spezialisierten Weaningzentren, ist damit die (z.T. auch protokoll-basierte) DSI bei Patienten im prolongierten Weaning ein wichtiger Bestandteil des Behandlungskonzeptes mit unterschiedlicher Zielsetzung (wie z.B. Vermeidung des Deliriums, Extubation, Umstellung auf nicht-invasive Beatmung und Vermeidung der Tracheotomie). Schließlich sei angemerkt, dass in zukünftigen Studien die Frage zu beantworten ist, ob auch alternative Strategien zur DSI, wie z.B. protokollbasierte kontinuierliche Sedierung mit möglichst geringer Dosierung bei Risikopatienten im schwierigen und prolongierten Weaning, zielführend sind.


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    Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer
    Medizinische Klinik II, Klinik für Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Hannover
    Interessenkonflikte: keine