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DOI: 10.1055/s-0034-1368678
Ernährung in der Intensivmedizin – Ist weniger und später mehr? Wie viele Kalorien benötigt der Intensivpatient?
Nutrition of the critically ill – Is less more? How much energy for the ICU patient?Korrespondenz
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
23. Februar 2014 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Hintergrund
- Kontroversen zum Energiebedarf kritisch Kranker
- Energiestoffwechsel kritisch Kranker
- Bestimmung des Energiebedarfs
- Das Problem der Hyperalimentation
- Das Problem der Hypoalimentation
- Klinische Umsetzung
- Literatur
Zusammenfassung
Ein schlechter Ernährungszustand während eines klinischen Aufenthalts korreliert mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität. Die Zufuhr von Energie in Form von Makrosubstraten ist die einzige spezifische Möglichkeit, einer weiteren Verschlechterung des Ernährungszustands zu begegnen.
Trotzdem ist eine inadäquat zu hohe wie auch zu niedrige Energiezufuhr keine inerte Maßnahme. So können in einer akuten hypermetabolen Phase des Stressstoffwechsels eine Hyperalimentation, aber bei Langliegern in der chronischen Phase auch eine Hypoalimentation zu spezifischen Komplikationen führen. Eine allgemeingültige ideale Energiezufuhr, die für jeden beliebigen Patienten und Zustand seiner schweren Erkrankung Gültigkeit hat, gibt es nicht. Als Faustregel gilt: je kränker der Patient ist, umso weniger Energiesubstrate benötigt erin der Ernährungstherapie, da die endogene Substratbereitstellung nicht supprimierbar ist. Befindet sich der Patient in einem chronischen, aber metabolisch stabilen Zustand, benötigt er umso mehr Energie, um seine Depots wieder aufzufüllen bzw. anabole Prozesse zu unterstützen.
Als Zielwert für die Energiezufuhr werden derzeit 25 kcal/kg/d oder idealerweise die aktuelle Messung des Energieumsatzes mittels indirekter Kalorimetrie angesehen. Für die Steuerung der Ernährungstherapie und damit die Identifikation der aktuell vorherrschenden Stoffwechselsituation ist letztlich das metabolische Monitoring entscheidend.
Abstract
Decreased nutritional intake or preexisting malnutrition is associated with increased morbidity and mortality during hospital stay. However nutritional support in particular for the ICU patient is not trivial. Hyperalimentationin the acute phase of critical illness but also hypoalimentation in the chronic and stable phase of illness has to be avoided. Ideally about 25 kcal/kg/d should be targeted over a few days during metabolic monitoring. Alternatively indirect calorimetry should be applied where available.
Schlüsselwörter:
Ernährungstherapie - Stressstoffwechsel - Energiebedarf - Hyperalimentation - HypoalimentationKeywords:
Artificial nutrition support - stress metabolism - energy demand - hyperalimentation - hypoalimentationDr. med. Gunnar Elke ist Facharzt an der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ernährungstherapie von Intensivpatienten, Sepsis und funktionelle Bildgebung der Lunge. E-Mail: gunnar.elke@uksh.de


Mangelernährung verschlechtert die Prognose eines Intensivpatienten erheblich. Eine exogene Substratgabe ist die einzige Möglichkeit, einem schlechten Ernährungszustand und damit einer erhöhten Morbidität und Mortalität entgegenzuwirken. Aktuelle Leitlinien bieten zwar Richtwerte für den Energiebedarf kritisch Kranker, es gibt jedoch keine allgemeingültige, ideale Energiezufuhr. Der Beitrag diskutiert die kontroverse Studienlage, zeigt auf, zu welchen Komplikationen Hyper- und Hypoalimentation führen können, und gibt konkrete Empfehlungen für das „Wann“ und das „Wie viel“ der Ernährungstherapie.
Hintergrund
Ursachen für eine Mangelernährung
Die klinische Ernährungstherapie ist die einzige spezifische Maßnahme, um den Auswirkungen einer Mangelernährung zu begegnen. Unter intensivmedizinischen Bedingungen verschlechtert sich der Ernährungszustand bei den meisten Patienten.
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Einerseits beruht das auf erheblichen metabolischen Veränderungen bzw. Auswirkungen einer zytokininduzierten Katabolie. Diese beiden Faktoren sind vom Schweregrad der Erkrankung bzw. von systemischer Inflammation und einem damit einhergehenden Organversagen abhängig.
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Andererseits ist das Auftreten eines intestinalen Versagens bei schwerkranken Intensivpatienten nicht selten und kann die klinische Toleranz und die Resorption zugeführter enteraler Nährlösungen erschweren.
Mortalität und Prävalenz
Generell ist gut belegt, dass Intensivpatienten mit einem schlechteren Ernährungszustand eine höhere Sterblichkeit aufweisen [1]. In den letzten Jahren konnten Pirlich et al. in einer im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) durchgeführten Untersuchung eindrucksvoll frühere Ergebnisse bestätigen. Sie zeigten, dass in Deutschland aktuell ca. jeder 4. Patient, der zu einer stationären Klinikaufnahme kommt, auch mangelernährt ist [2]. Die am schwersten erkrankten Patienten, die sich häufig auf einer Intensivstation befinden, sind gewöhnlich diejenigen mit der höchsten Prävalenz einer Mangelernährung. Bei einzelnen Patientensubpopulationen beträgt die Rate 40–50 % [2] [3]. Auch die Prävalenzstudie Euro-OOPS bestätigte diese Konstellation und zeigte, dass mangelernährte Patienten während eines Klinikaufenthalts gegenüber nicht mangelernährten Patienten eine ca. 3-mal höhere Komplikationsrate aufweisen [4].
Kontroverse Studienlage
Die aktuellen Leitlinien nennen zwar 25 kcal/kg/d als Ziel der Energiezufuhr einer Ernährungstherapie [5] [6]. Doch bei einer unklaren und zum Teil kontroversen Studienlage sprechen die Leitlinien nicht an, bei welchen Intensivpatienten und wie schnell bzw. auf welchem Wege dieses Ziel erreicht werden soll. Die aktuellen Studien zeigen bei einer differenzierten Betrachtung, dass sowohl eine Hyperalimentation in der Früh- oder Akutphase als auch eine Hypoalimentation in der chronischen Phase des Stressstoffwechsels zu Komplikationen führen kann. Im Folgenden wird dieser Sachverhalt detailliert diskutiert.
Intensivpatienten mit einem schlechten Ernährungszustand haben eine deutlich erhöhte Komplikationsrate. Die am schwersten erkrankten Patienten, besonders sog. Langlieger auf der Intensivstation, verschlechtern sich meistens in Bezug auf ihren Ernährungszustand.
Kontroversen zum Energiebedarf kritisch Kranker
Leitlinien der DSG
Der im Titel erwähnte Slogan „Ist weniger und später mehr?“ stammt aus einer Kontroverse über aktuelle Empfehlungen zur Substratzufuhr bei kritisch Kranken:
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Die noch aktuell gültigen Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft (DSG) aus dem Jahr 2010 [5] empfehlen, dass alle Patienten, die voraussichtlich nicht innerhalb von 3 Tagen vollständig mit normaler Kost ernährt werden können, künstlich ernährt werden sollen. Dies gilt insbesondere bei Vorliegen eines reduzierten Ernährungsstatus.
EDEN-Studie
In den aktuellen Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign (SSC) [7] sprechen sich Dellinger et al. hingegen dafür aus,
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eine volle enterale Ernährung in der 1. Woche eher zu vermeiden,
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eine niedrig dosierte Nahrungszufuhr bis zu 400 kcal zuzuführen und
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nur bei entsprechender Toleranz weiter zu steigern.
Die Aussage von Dellinger et al. stützt sich im Wesentlichen auf die sog. EDEN-Studie [8]. In dieser Untersuchung erhielten beatmete Patienten mit akutem Lungenversagen entweder über die ersten 6 Tage eine sog. „Zottenernährung“ (400 kcal/d) oder es wurde versucht, die Ernährungstherapie enteral voll auszubauen.
Die Autoren kamen zur Schlussfolgerung, dass keine signifikanten Unterschiede im Outcome zwischen dieser initialen enteralen Zottenernährung (< 20 ml/h oder 400 kcal/d) im Vergleich zur frühen voll enteralen Ernährung bei den behandelten Patienten bestanden. Patienten mit der initialen Zottenernährung wiesen allerdings weniger gastrointestinale Intoleranzen auf. Auch in 2 Folgeanalysen der EDEN-Studie zeigte sich kein Unterschied bzgl. physischen und kognitiven Langzeitdaten zwischen beiden Ernährungsstrategien [9] [10].
Einschränkungen
Leider beleuchten weder Rice et al. als Autoren der EDEN-Studie wesentliche Schwächen ihrer Untersuchung genauer noch gehen Dellinger et al. in ihrer Interpretation der SSC darauf ein:
Der Schweregrad des Lungenversagens war in der EDEN-Studie nicht sehr ausgeprägt, da nach 6 Tagen bereits 50 % aller eingeschlossenen Patienten erfolgreich extubiert werden konnten. Die intendierte volle enterale Ernährung war nach einem Algorithmus bereits nach 1,3 Tagen bei allen Patienten möglich, was bei schwerkranken Intensivpatienten selten der Fall ist.
Die von Rice et al. untersuchten amerikanischen Patienten hatten im Median einen Body-Mass-Index von 30 kg/m2 und waren relativ jung (medianes Alter: 52 Jahre). Letztlich wurde in dieser Untersuchung keine echte volle enterale Ernährung mit einer Zottenernährung verglichen, sondern es wurden 2 unterschiedliche Energiezufuhren mit 1400 kcal/d vs. 400 kcal/d verglichen. Unserer Meinung nach war diese unterschiedliche Energiezufuhr von 1400 vs. 400 kcal über einen Zeitraum von nur 6 Tagen bei weder schwer erkrankten noch mangelernährten Patienten nicht dazu geeignet, ein unterschiedliches Outcome zu zeigen.
Gastrales Residualvolumen
Die Patienten der voll enteral ernährten Gruppe hatten bezüglich der vermehrten gastrointestinalen Nebenwirkungen eine 2-mal höhere Rate an erhöhtem gastralen Residualvolumen (GRV) – allerdings ohne ein klinisch relevantes Korrelat wie eine vermehrte pulmonale Aspiration oder eine abdominelle Distension. Wie 2 aktuelle große internationale Studien [11] [12] zeigten, ist die Messung des GRV bei Intensivpatienten wohl überinterpretiert worden: Ein erhöhtes GRV führte bei vorrangig internistischen Intensivpatienten nicht zu einer höheren Rate an Komplikationen wie Regurgitation, pulmonale Aspiration oder Pneumonie. Dies schränkt die Ergebnisse der EDEN-Studie als Empfehlungsgrundlage gegen eine frühe Ernährungstherapie weiter ein.
Aus heutiger Sicht erscheint ein oberer Grenzwert des GRV von 500 ml/Messung oder der Verzicht auf die Messung des GRV annehmbar – zumindest bei internistischen Patienten ohne intestinales Versagen. Bei komplexen viszeralchirurgischen Intensivpatienten empfehlen Hartl et al. in den aktuellen S3-Leitlinien der DGEM weiterhin einen oberen Grenzwert von < 200 ml pro Messung [13].
Die Ergebnisse der EDEN-Studie müssen differenziert betrachtet werden. Sie scheinen keine Beweislage gegen eine frühe Energiezufuhr zu schaffen, sondern unterstützen vielmehr eine frühzeitige enterale Ernährung. Die Bedeutung der GRV-Bestimmung wurde bislang oft überbewertet.
Energiestoffwechsel kritisch Kranker
Veränderter Metabolismus
Infektionen, Trauma, Verbrennungen, Intoxikationen oder große operative Eingriffe führen je nach Schwere des Insults zu erheblichen Änderungen des Metabolismus mit
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eingeschränkter Kohlenhydratverwertung,
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vermehrter Freisetzung von Aminosäuren aus Muskeln und Enzymproteinen sowie
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einer verstärkten Freisetzung und Verwertung von Lipiden.
Im Wesentlichen sind es pro-inflammatorische Zytokine, wie z. B. Tumornekrosefaktor-α, Interleukin-1 und Interleukin-6, die gemeinsam mit sog. anti-insulinären Hormonen (z. B. Kortisol, Glukagon und Katecholaminen) katabol wirken und quantitativ die freigesetzten anabolen Hormone (Insulin, Somatotropin und Testosteron) in ihrer Wirkung deutlich übertreffen. Phylogenetisch ist die Freisetzung endogener Substrate ein sinnvoller Mechanismus, um das Überleben des Körpers zu ermöglichen – ohne die in der Evolution nicht vorhersehbare Entwicklung von Intensivstationen und damit die Möglichkeit einer Ernährungstherapie.
Glukose
Im Gegensatz zum Hungerstoffwechsel sind die genannten Mechanismen, die den Stressstoffwechsel kennzeichnen, durch eine exogene Substratzufuhr nicht vollständig supprimierbar. Das bedeutet, dass die exogene Zufuhr von Glukose während der Akutphase stets parallel zu einer gesteigerten endogenen Freisetzung von Glukose stattfindet. Das ist schon ein Hinweis darauf, in der Akutphase des Stressstoffwechsels den Körper mit exogener Glukose im Sinne einer Hyperalimentation nicht zusätzlich zu überlasten.
Lipide
Seit mehr als 30 Jahren ist bekannt, dass eine verminderte Glukoseoxidation während des Stressstoffwechsels gleichzeitig mit einer gesteigerten Oxidation von Lipiden einhergeht [14]. Getriggert durch Katecholamine werden vermehrt freie Fettsäuren aus dem Fettgewebe freigesetzt, die in der Leber zur Synthese von Ketonkörpern verwendet werden. Etliche Organe schalten durch diese neuroendokrine Vermittlung von Glukose- auf Fettverwertung um. Sinnvoll ist dieser Mechanismus, da in unserem Körper die Lipidvorräte gegenüber den Glukosevorräten in Form von Glykogen sehr viel größer sind.
Aminosäuren
Die im Skelettmuskel freigesetzten Aminosäuren werden einerseits zur gesteigerten Synthese von Akutphase-Proteinen in der Leber verwendet, anderseits aber auch – zumindest die glukoplastischen Aminosäuren – in der Leber zur Glukoneogenese herangezogen.
Autokannibalismus
Die genannten Mechanismen ermöglichen teleologisch das Überleben nach schweren Verletzungen. Die ausreichende, oft sogar überschießende endogene Bereitstellung von Substraten erfolgt dann, wenn die Nahrungsaufnahme aus eigener Kraft wegen äußerer Einflüsse unmöglich ist. Im Rahmen moderner intensivmedizinischer Maßnahmen bekommt dieser Mechanismus im Sinne eines Autokannibalismus an körpereigener Substanz besonders bei längerdauernden intensivmedizinischen Prozessen eine eigene pathologische Bedeutung.
Kritisch Kranke haben einen stark veränderten Metabolismus. Dieser sog. Stressstoffwechsel führt zur Freisetzung endogener Substrate, um das Überleben des Körpers zu sichern. Er ist durch eine exogene Energiezufuhr nicht vollständig supprimierbar.
Bestimmung des Energiebedarfs
Individuelle Substratzufuhr
Der gesamte Energieumsatz (total energy expenditure, TEE) setzt sich aus metabolischer Basalrate, der nahrungsinduzierten Thermogenese und der physischen Aktivität bzw. dem Stressfaktor zusammen. Inzwischen lässt sich der Ruheenergieumsatz (resting energy expenditure, REE) von Intensivpatienten mittels indirekter Kalorimetrie messen. Seitdem hat eine eher bedarfsadaptierte Substratzufuhr hyperkalorische Kaloriendosen abgelöst. Die Messung von REE und individuellem Kalorienbedarf ist ausreichend genau möglich, allerdings wenig verbreitet, da die Geräte selten verfügbar sind [15]. Sie ist insbesondere bei Risikopatienten wünschenswert und fand vor Kurzem wieder Einzug in die aktuellen ESPEN-Leitlinien [6].
Nachteile der indirekten Kalorimetrie
Ein Problem der indirekten Kalorimetrie ist, dass sie bei den am schwersten Erkrankten (beatmete Patienten mit hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen, FiO2 > 0,6) aufgrund der Haldane-Transformation keine validen Messungen zulässt. Zum anderen kann die Kalorimetrie nicht bei der Entscheidung helfen, wie viel Energie bei der ohnehin nicht supprimierbaren hepatischen Glukoneogenese zusätzlich exogen als Ernährungstherapie zugeführt werden sollte. Der größte Wert der indirekten Kalorimetrie liegt nach aktuellen Untersuchungen in der Erkenntnis, dass während der Akutphase der REE nicht nur erhöht, sondern z. B. bei Patienten mit Multiorganversagen sogar erniedrigt sein kann [16] [17]. Besonders bei septischen Patienten kann damit durch die Dynamik der Erkrankung der REE deutlich variieren.
Berechnung des REE
Neben der Messung des REE ist nach wie vor dessen Berechnung nach verschiedenen Formeln sehr verbreitet. Die weltweit am häufigsten verwendete Formel ist die nach Harris und Benedict [18]:
REEMann [kcal/d] =
13,75 × (KG [kg]) + 5 × (KGr [cm]) – 6,8 × (Alter [a]) + 66
REEFrau [kcal/d] =
9,6 × (KG [kg]) + 1,8 × (KGr [cm]) – 4,7 × (Alter [a]) + 655
Die klinische Anwendung der mittlerweile über 200 publizierten Formeln und Korrekturfaktoren, die der Berechnung des Energiebedarfs dienen, zeigt leider eine große Fehlerbreite im Vergleich zu den gemessenen Werten [19] [20].
Der Energiebedarf wird nicht mehr mit dem Fick'schen Gesetz (zirkulatorische Kalorimetrie) über einen Pulmonalarterienkatheter berechnet. Diese Methode kann nur Momentaufnahmen widerspiegeln und weist im Vergleich zu dem mit respiratorischer Kalorimetrie gemessenen Energiebedarf oft große Abweichungen auf [21].
Berücksichtigung der metabolischen Dynamik
Entsprechend den aktuellen ESPEN-Leitlinien gelten 25 kcal/kg/d als Zielgröße für den Energiebedarf [6]. Bei Verwendung dieses Schätzwerts ist darauf zu achten, dass kritisch Kranke sich nicht in einem statischen metabolischen Zustand befinden, sondern z. B. Patienten mit rezidivierenden septischen Schüben einer ständigen metabolischen Dynamik unterliegen. Aufgrund der dann z. B. wieder erhöhten endogenen Substratmobilisation wird der Patient ggf. exogene Nährstoffzufuhr weniger tolerieren, sodass selbst eine beabsichtigte normokalorische Ernährung in diesem Zustand bereits eine relative Hyperalimentation bedeuten würde.
Kritisch Kranke sind einer erheblichen metabolischen Dynamik ausgesetzt. Die Messung des REE erfolgt im Idealfall über indirekte Kalorimetrie.
Das Problem der Hyperalimentation
Hochkalorische Ernährung
Unter dem Einfluss der von Dudrick konzipierten „parenteralen Hyperalimentation“ wurden während der 1970er-Jahre hohe Nährstoffzufuhrraten für erforderlich gehalten, um den posttraumatischen Energieverbrauch zu decken und die Stickstoffverluste auszugleichen [22] [Abb. 1]. Die hohe Glukosezufuhr sollte den Stressstoffwechsel günstig beeinflussen, indem die Insulinsekretion stimuliert und die Ausschüttung anti-insulinärer Hormone gehemmt wurde. Energiezufuhren von 4000–8000 kcal/d waren keine Seltenheit.
Vermehrte Nebenwirkungen einer solch hochkalorischen Ernährung [23] [24] waren:
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Hyperglykämie-induzierte Immunsuppression
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Elektrolytentgleisungen
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die Entwicklung einer respiratorischen Insuffizienz bzw. Weaningversagen
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eine Verfettung der Leber bis hin zum Leberversagen
So zeigten Burke et al. [24] als erste bei 8 verstorbenen Schwerbrandverletzten mit einem mittleren Verbrennungstrauma von ca. 50 % verbrannter Körperoberfläche, dass eine massive Überdosierung von Glukose die Leber um das 2- bis 4-Fache gegenüber dem normalen Zustand anschwellen lässt. Alle post mortem untersuchten Patienten verstarben nach dieser Hyperalimentation an einem Leberversagen.
Auch neuere Untersuchungen bestätigen, dass eine Hyperalimentation mit > 35–40 kcal/kg/d zu einer Zunahme an Bakteriämien führt – besonders bei kompletter parenteraler Ernährung [25]. Dass in dieser Untersuchung einzelne Patienten 60–70 kcal/kg/d an Energie erhielten, kann sicher nicht als leitliniengerechte Therapie interpretiert werden.


EPaNIC-Studie
Auch die viel diskutierte aktuelle EPaNIC-Studie (Early Parenteral Nutrition in Intensive Care) zeigt, dass eine Hyperalimentation in der Frühphase eines intensivmedizinischen Aufenthalts zu vermehrten infektiösen Komplikationen führt [26]. Die EPaNIC-Studie aus der Gruppe von Van den Berghe ist die bisher größte Studie, die im intensivmedizinischen Bereich zu einem Ernährungsthema publiziert wurde. Von einem hochmotivierten Studienteam wurden 2312 Patienten in der sog. Early-PN-Gruppe (PN = parenterale Ernährung) bereits ab Tag 3 zusätzlich zu einer insuffizienten enteralen Substratzufuhr über parenterale Supplementierung (SPN) künstlich ernährt. In der Late-PN-Gruppe wurde bei weiteren 2328 Patienten eine SPN erst ab Tag 8 nach Aufnahme auf die Intensivstation zugeführt.
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Patienten in der Late-PN-Gruppe signifikant früher lebend von der Intensivstation verlegt werden konnten. Die Gesamtdauer des Intensivaufenthalts war im Median mit 3 Tagen vs. 4 Tagen in der Late-PN-Gruppe signifikant kürzer. Neue Infektionen traten in der Late-PN-Gruppe mit 23 % vs. 26 % in der Early-PN-Gruppe signifikant weniger auf. Weitere Outcome-Parameter unterschieden sich nicht zwischen den beiden Gruppen.
Einschränkungen
Diese an sich bedeutende Studie an einer großen Anzahl an Intensivpatienten ist zur aktuellen Diskussion sehr wichtig. Sie weist aber auch einige methodische Schwächen auf: So waren bereits 50 % der Patienten an Tag 2 extubiert und an Tag 4 verlegt worden. Die Patienten erhielten zu diesem Zeitpunkt ca. 2 Drittel ihrer Kalorien bereits per os, was die korrekte Anwendung der ESPEN-Leitlinien infrage stellt. Der orale Kostaufbau war ein Verlegungskriterium von der Intensivstation. Möglich war ein solches Ergebnis nur dadurch, dass 60 % der in die große Studie aufgenommenen Probanden herzchirurgische Patienten waren, bei denen nach unserer Meinung eine routinemäßige Ernährungstherapie nicht indiziert ist. Eine orale Kostzufuhr nach erfolgreicher Extubation gilt bei diesen Patienten als „standard of care“.
Die Indikation zu einer Ernährungstherapie war abhängig von einem NRS ≥ 3 (NRS = Nutritional Risk Screening Factor). Deshalb kann aus dieser Studie geschlossen werden, dass der NRS zumindest bei herzchirurgischen – wenn nicht generell bei allen Intensivpatienten – kein geeignetes Tool ist, um die Indikation zu einer Ernährungstherapie zu erwägen. Weiterhin wurden mangelernährte Patienten, die sicherlich am ehesten von einer Ernährungstherapie profitieren könnten, aus ethischen Gründen von der Studie ausgeschlossen.
Van den Berghe et al.
Das Team um Van den Berghe gilt weltweit als eines der wenigen, das nach wie vor eine intensivierte Insulintherapie mit dem Erreichen eines Blutzuckerwerts (BZ-Werts) um 80–110 mg/dl (4,4–6,1 mmol/l) anstrebt. Deshalb wurde durch diese intensivierte Insulintherapie sicher in etlichen Fällen eine Hyperalimentation maskiert, zumal sich die beiden Gruppen auch hinsichtlich der täglichen Insulinzufuhrraten signifikant unterschieden (58 IE/d vs. 31 IE/d, Early- vs. Late-PN-Gruppe). Die Zufuhr von insgesamt bis zu 2900 kcal/d an Tag 4 – wie in der EPaNIC-Studie durchgeführt – muss definitiv vermieden werden.
Zu diesem Ergebnis kamen auch schon Reid et al., die 2006 zeigen konnten, dass gerade mit einer kombinierten enteralen und parenteralen Ernährung eher eine Hyperalimentation ein häufigeres Phänomen ist. Eine alleinige enterale oder orale Ernährung bei Patienten kann dagegen eher zu einer Hypoalimentation führen [27].
Casaer et al.
In einer Post-hoc-Analyse der EPaNIC-Studie untersuchten Casaer et al. bei 15 neurochirurgischen Patienten gegenüber einer Kontrollgruppe von Probanden den Effekt der frühen SPN auf das Volumen und die Zusammensetzung der Muskeln [28]. Mittels serieller CT-Untersuchungen zeigten sie, dass eine schwere Intensiverkrankung bereits eine Woche nach Aufnahme einen substanziellen Verlust des Muskelvolumens bewirkt – unabhängig von der Behandlungsgruppe in der EPaNIC-Studie. Die zusätzliche frühe SPN reduzierte jedoch die Qualität des Muskelgewebes und zeigte einen erhöhten intramuskulären Wasser-/Fettgehalt. Die frühe SPN steigerte ebenso das Volumen von Adipozyten innerhalb der femoralen Muskelloge.
Hermans et al.
In einer weiteren aktuellen Post-hoc-Analyse zur EPaNIC-Studie [29] konnten die Autoren bei den untersuchten Patienten in der frühen SPN-Gruppe zeigen, dass die Autophagie gehemmt wird – ein auf zellulärer Ebene wichtiger Reparaturmechanismus. Interessanterweise war dieses Phänomen insbesondere bei einer hohen Proteinzufuhr zu beobachten.
Das Ergebnis widerspricht vielen anderen kleineren Untersuchungen aus den letzten Jahren, wonach gerade die Proteinzufuhr bei Intensivpatienten von entscheidender Bedeutung ist. Diese Kontroverse wird Gegenstand künftiger Untersuchungen sein.
Interpretation der Studiendaten
Wie passen diese Ergebnisse zusammen? Möglicherweise weist das spezielle Setting der EPaNIC-Studie erneut darauf hin, dass nicht die frühe SPN per se, sondern die bei Patienten in gutem Ernährungszustand verbundene Hyperalimentation in der Frühphase zu einer Hemmung der Autophagie führt.
In der frühen Phase einer Ernährungstherapie ist eine Hyperalimentation zu vermeiden, da sie zu vermehrten Nebenwirkungen wie Bakteriämien führt.
Das Problem der Hypoalimentation
Energiedefizite
Villet et al. [30] demonstrierten bei Langliegern auf der Intensivstation, dass die Energiebilanzen als Differenz zwischen Energiebedarf und -zufuhr nach 4 Wochen ein mittleres Energiedefizit von ca. 12 000 kcal aufweisen [Abb. 1]. Dabei korrelierte das Energiedefizit bei allen Patienten mit der Anzahl der erlittenen Infektionen während des Intensivaufenthalts. Generell sind eher chirurgische als internistische Patienten von einem späten Start der enteralen Ernährung und einem höheren Energiedefizit betroffen [31].
Ursachen
In einer weiteren Untersuchung an langzeitbeatmeten Intensivpatienten fanden Faisy et al. [32], dass gerade bei rein enteraler Ernährung oft < 50 % der notwendigen Energie tatsächlich verabreicht wird. Beispiele für viele Gründe, die in der klinischen Praxis zu einem unerwarteten signifikanten Energiedefizit führen, sind:
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ein Unterschätzen des Energiebedarfs in der prolongierten Phase,
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eine ungenügende Dokumentation der Ernährungstherapie in der Patientenkurve oder
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das ständige Unterbrechen der Sondenkost (z. B. bei Mobilisation des Patienten, bei notwendiger Bauchlagerung des Patienten oder bei langen diagnostischen Eingriffen außerhalb der Intensivstation).
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Häufige Revisionseingriffe mit vielen präoperativen Nüchternheitsphasen verstärken das Problem.
In der Studie von Faisy et al. überlebten die Patienten, denen täglich > 1200 kcal fehlten, nur zu 20 % gegenüber einer Vergleichsgruppe, die eine Überlebensrate von 60 % bei einem täglichen Energiedefizit < 1200 kcal aufwies. Allerdings muss einschränkend berücksichtigt werden, dass beide genannten Studien im Vergleich zur vorher diskutierten EPaNIC-Studie „nur“ als Observationsstudien an einem sehr viel kleineren Kollektiv an Intensivpatienten untersucht wurden.
Insbesondere erhielten in den ersten 7 Tagen nach erfolgter Extubation Patienten auf enteralem Wege nur ca. 30–40 % ihres Energie- oder Proteinbedarfs [33].
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Hier können orale Supplemente oder eine SPN angezeigt sein, um ein zusätzliches Energiedefizit zu vermeiden.
Heidegger et al.
Neben der bereits diskutierten EPaNIC-Studie erschien kürzlich eine ähnliche Untersuchung [34]. Sie konnte an insgesamt 305 Intensivpatienten zeigen, dass eine ab dem 4. Tag begonnene SPN infektiöse Komplikationen um ca. ein Drittel reduziert – im Vergleich zu Patienten mit rein enteraler Ernährung. Allerdings war in dieser Untersuchung das Studienprotokoll deutlich anders. Bei allen Patienten wurde versucht, die enterale Substratzufuhr bis zum 3. Tag nach Aufnahme voll aufzubauen. War dies nicht möglich (< 60 % der enteralen Zielzufuhr), so wurde einer Gruppe (n = 153) zwischen Tag 4–8 eine SPN zugeführt. Das Kalorienziel wurde entweder auf 25 kcal/kg/d angesetzt oder der Energieumsatz mittels indirekter Kalorimetrie bestimmt (65 % der Patienten). Die verbleibenden 152 Patienten erhielten weiterhin lediglich eine rein enterale Ernährung.
Doig et al.
Eine kürzlich publizierte australische Studie [35] konnte in ähnlicher Weise zeigen, dass bei überwiegend chirurgischen Intensivpatienten (n = 1372) mit einer vorübergehenden Kontraindikation gegen eine enterale Ernährung eine am Tag der Aufnahme begonnene SPN zu
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einer niedrigeren Beatmungsdauer,
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einem tendenziell kürzeren Aufenthalt auf der Intensivstation und
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einer deutlichen Kostenersparnis führte [36].
Die SPN war im Hinblick auf die Energiezufuhr sehr moderat. Insgesamt erhielten die Patienten in den ersten 7 Tagen mit einer gleichzeitigen enteralen und parenteralen Zufuhr < 1700 kcal/kg/d.
Diese Tatsache und unterschiedliche Patientenpopulationen in den beiden letztgenannten Studien können den Unterschied zu den Ergebnissen der EPaNIC-Studie erklären.
Signifikante Energiedefizite sind besonders bei Langzeit-Intensivpatienten zu vermeiden.
Klinische Umsetzung
Fazit für die Praxis
Wie lässt sich nun das bisher Gesagte in die klinische Praxis umsetzen? Wichtig ist hier die Erkenntnis, dass die exogene Energiezufuhr und der Energiebedarf bei Intensivpatienten nicht konstant sind. Solange ein Zytokin-Sturm eine endogene Substratmobilisation aktiviert, muss vorrangig eine Hyperalimentation vermieden werden [Abb. 1].
Eine solche Hyperalimentation kann metabolisch einfach mittels Hyperglykämie (BZ > 150 mg/dl bzw. 8,3 mmol/l) unter moderater Insulinzufuhr (z. B. < 4 IE/h Insulin bei Nicht-Diabetikern) detektiert werden. Eine weitere exogene Insulin- und Kohlenhydratzufuhr bringt bei solchen Patienten keinen Benefit und führt auch nicht zu einer erhöhten Glukose-Oxidationsrate – wie irrtümlich oft angenommen.
In dieser Phase müssen primär metabolische Störungen vermieden werden und ein Energieziel sollte in dieser frühen Phase sicher nicht erzwungen werden. So ist bei einzelnen Patienten auch über einige Tage hinweg keine exogene Energiezufuhr notwendig, wenn bereits ohne Substratzufuhr höhere Mengen an Insulin verabreicht werden müssen. Solche Patienten tolerieren meist jedoch zumindest eine enterale Zottenernährung (10–20 ml/h) mit einer Standardnährlösung, die einer möglichen Atrophie der Darmschleimhaut vorbeugen soll [Abb. 2].


Erhöhung der Zufuhrrate einer enteralen Ernährung
Bei ungestörtem Gastrointestinaltrakt sollte primär versucht werden, die Zufuhrrate der enteralen Ernährung z. B. um 20 ml/h alle 12–24 h zu erhöhen. Bei eingeschränkter Funktionsfähigkeit des Gastrointestinaltrakts sollte die Zufuhrrate täglich nur um 10 ml/h gesteigert werden.
Beginn einer SPN
Der Zeitpunkt für den Beginn einer SPN wird in der aktuellen Literatur kontrovers diskutiert. Grund dafür sind die unterschiedlichen Patientenpopulationen, die in die einzelnen bereits diskutierten Studien eingeschlossen und miteinander verglichen wurden. Zu berücksichtigen sind im Sinne einer individualisierten Therapie
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der Grad der vorbestehenden Mangelernährung,
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zu erwartende Schwierigkeiten beim enteralen Kostaufbau,
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das Ausmaß eines zusätzlichen Energiedefizits sowie
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der Grad einer gastrointestinalen Unverträglichkeit.
Bei schwerer Mangelernährung ohne Stressstoffwechsel sollte aus Sicht der Autoren eine SPN bereits am 1. Tag nach Aufnahme erwogen werden (bei vorsichtiger Steigerung, um ein Refeeding-Syndrom zu vermeiden).
Bei Patienten im schweren Stressstoffwechsel ohne ausgeprägte Mangelernährung sollte andererseits eine SPN, abhängig vom bestehenden Insulinbedarf, erst ab dem 3.–5. Tag gestartet werden (nach Optimieren der enteralen Ernährung: Lagerung, Prokinetika, evtl. postpylorische Sondenanlage, etc.), um die Nebenwirkungen einer Hyperalimentation zu vermeiden. Für die SPN sollte die max. tägliche Steigerungsrate bei Verwendung eines typischen 3-Kammer-Beutels 20 ml/h betragen, solange keine Anzeichen der Hyperalimentation bestehen.
Dauer der SPN
Bei Patienten mit ausgeprägtem Energiedefizit führen wir die SPN beinahe bis zum vollständigen enteralen Aufbau durch. Bei kombinierter enteraler und parenteraler Zielzufuhr ist bei entsprechender gastrointestinaler Verträglichkeit die SPN um den Betrag zu reduzieren, um den die EN weiter gesteigert werden kann.Zu berücksichtigen ist die Weaningphase, in der die enterale Sondenkost für Extubationsversuche häufig sehr großzügig pausiert wird. Außerdem muss die Zeit nach erfolgter Extubation beachtet werden, in der bei grenzwertigem pulmonalen Gasaustausch die Sondenkost wegen einer möglichen Reintubation nicht selten länger pausiert wird. Hier kann die SPN weitergeführt und evtl. sogar gesteigert werden. Bei Patienten ohne größerem Energiedefizit und bei unkompliziertem enteralen Aufbau beenden wir die SPN, wenn > 70 % der enteralen Zielzufuhr erreicht sind.
Die Ernährungstherapie eines enteral ernährten Patienten (z. B. 80 kg KG) kann jedoch dann erhöht und damit das Energieziel von 25 kcal/kg/d erreicht oder überschritten werden, wenn
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der Patient sich bei einer Laufrate von z. B. 80 ml/h (Standardernährungslösung: 1 ml/kcal) in einem stabilen Stoffwechselzustand befindet,
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er weder eine Hyperglykämie noch eine Hypertriglyzeridämie aufweist und
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er keine oder nur eine geringe exogene Insulinzufuhr benötigt.
Dass eine Hyperalimentation vermieden wird, lässt sich an folgenden Merkmalen erkennen: Der geeignete Patient zeigt auch unter der erhöhten Energiezufuhr
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keine Hyperglykämie (BZ < 150–180 mg/dl bzw. 8,3–10 mmol/l),
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keine Hypertriglyzeridämie (TG < 400 mg/dl bzw. 4,6 mmol/l),
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keinen höheren exogenen Insulinbedarf (Insulin < 4–6 IE/h) und
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keine Erhöhung von Leberenzymen im Labor.
Fazit Der Energiebedarf des kritisch Kranken ist nicht konstant. In der Frühphase des Stressstoffwechsels ist unter dem Primat der zu bevorzugenden enteralen Ernährung weniger oft mehr. Beim metabolisch stabilen Patienten muss eher bedacht werden, ein Energiedefizit zu vermeiden. Die Steuerung der Ernährungstherapie in der klinischen Praxis erfolgt nach metabolischer Verträglichkeit mittels Messung der Glukose-, Harnstoff- und Triglyzeridkonzentrationen, der Leberintegritätsparameter im Labor sowie der gastrointestinalen Verträglichkeit.
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0034-1368678
VNR: 2760512014144211041
Literatur online
Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet:
Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „http://www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.
Interessenkonflikt Thomas W. Felbinger erklärt, dass er von den Firmen Abbott, Baxter, B. Braun Melsungen, Fresenius Kabi und Nutricia-Danone Berater- und Vortragshonorare erhalten hat.
Gunnar Elke hat Vortragshonorare von den Firmen Abbott, B. Braun Melsungen und Fresenius Kabi Deutschland erhalten und hat am REDOXS Advisory Board Meeting (Fresenius Kabi) teilgenommen. Matthias Hecker erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Kernaussagen
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Ein schlechter Ernährungszustand während eines klinischen Aufenthalts korreliert mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität. Eine klinische Ernährungstherapie ist die einzige Möglichkeit, einer Mangelernährung zu begegnen.
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Der Metabolismus eines kritisch Kranken ist durch erhebliche Veränderungen gekennzeichnet. Die Freisetzung endogener Substrate kann durch eine exogene Substratzufuhr nicht supprimiert werden.
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Als Richtwert für die Energiezufuhr sollte die vereinfachte Schätzformel 25 kcal/kg/d zum Einsatz kommen.
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In einer akuten hypermetabolen Phase des Stressstoffwechsels ist eine Hyperalimentation, in einem chronischen, metabolisch stabilen Zustand eine Hypoalimentation zu vermeiden.
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Eine supplementierende parenterale Ernährung sollte bei den meisten Patienten erst später, z. B. ab dem 3.–5. Tag, nach Optimieren der enteralen Ernährung erwogen werden.
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Um die Ernährungstherapie steuern zu können, muss die aktuelle Stoffwechselsituation des Patienten bekannt sein. Das metabolische Monitoring (Messung der Glukose-, Harnstoff- und Triglyzeridkonzen-trationen sowie der Leberintegritätsparameter im Labor) und die gastrointestinale Verträglichkeit geben darüber Auskunft.
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Literatur
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Korrespondenz
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