Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(31/32): 1606-1608
DOI: 10.1055/s-0034-1370215
Kasuistik | Case report
Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kammerflimmern statt Krampfanfall

Ventricular fibrillation or general seizure?
T. Makabe
1   Facharzt für Neurologie, Klinische Geriatrie, Palliativmedizin, Notfallmedizin, Ärztliches Qualitätsmanagement, Münnerstadt
› Author Affiliations
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Korrespondenz

Dr. Tadashi Makabe, MBA
Karlsbergstraße 17
97702 Münnerstadt

Publication History

11 March 2014

18 June 2014

Publication Date:
30 July 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Anamnese und Befunde: Ein 78-jähriger Patient, der seit kurzem wegen eines langjährig bekannten Diabetes mellitus Typ 2 mit Insulin behandelt wurde, schien aufgrund einer grenzwertigen Hypoglykämie rezidivierende Krampfanfälle zu erleiden. Bei der Erstuntersuchung war er kreislaufstabil, wach und ansprechbar. Im Verlauf verlor er immer wieder das Bewusstsein, zeigte heftige motorische Entäußerungen der Arme und des Rumpfes und war dann wieder verlangsamt ansprechbar.

Untersuchungen und Therapie: Zunächst wurde vermutet, dass eine HypogIykämie die Krämpfe ausgelöst habe. Im EKG-Monitor zeigte sich jedoch rezidivierendes Kammerflimmern, das durch einen 3 Jahre zuvor wegen einer dilatativen Kardiomyopathie implantierten Defibrillator jeweils terminiert wurde. Im Krankenhaus wurde eine ausgeprägte Hypokaliämie (1,8 mmol/l) als Ursache des Kammerflimmerns festgestellt. Nach Normalisierung des Kaliumspiegels traten keine weiteren Ereignisse mehr auf.

Folgerung: Bei unklaren Bewusstseinsstörungen sollte frühzeitig ein EKG abgeleitet werden.


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Abstract

History and clinical findings: A 78-year-old patient seemed to have recurrent seizures due to marginal hypoglycaemia. He was initially awake with stable circulation. Subsequently, he lost consciousness followed by extensie twitching arms of his arms and the upper part of his body. Thereafter, the patient was somnolent, but accessible.

Investigations and treatment: Initially hypoglycemia was thought to have caused general seizures. But the ECG monitor showed repetitive ventricular fibrillation, which was terminated by a cardioverter-defibrillator that had been implanted 3 years previously because of dilatative cardiomyopathy. At admission to hospital, marked hypokalemia (1,8 mmol/l) was noted as the cause of ventricular fibrillation. After normalization of serum potassium no further events occurred.

Conclusion: Disorders of consciousness always request an ECG for early diagnosis.


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Einleitung

Die Hypokaliämie ist eine häufige Störung des Elektrolythaushalts, welche insbesondere bei gestörter enteraler Resorption oder unter der Therapie mit Schleifendiuretika auftritt und mitunter zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann [2] [8]. Im hier beschriebenen Fall kam es bei einem 78-jährigen Patienten infolge einer ausgeprägten Hypokaliämie wiederholt zu Kammerflimmern, das zunächst als generalisierte Krampfanfälle fehlgedeutet wurde.


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Kasuistik

Anamnese und prästationärer Verlauf

Unter dem Stichwort „Atemnot“ wurde gegen 15 Uhr der Notarzt alarmiert. Am Einsatzort zeigte sich der 78-jährige Patient, wach, verlangsamt ansprechbar. Nach eigenen Angaben werde er seit kurzem mit Insulin behandelt (Tab.  [ 1 ]). Er habe mittags wenig gegessen und später seine Tochter angerufen, weil er sich nicht wohl fühle. Diese berichtete, dass er bei ihrem Eintreffen „gekrampft“ habe und kurz nicht ansprechbar gewesen sei.

Tab. 1

Medikation bei Aufnahme.

Simvastatin 20 mg

0-0-1

Metoprololsuccinat 47,5 mg

1-0-1

Fosinopril 2,5 mg

1-0-0

Torasemid 10 mg

2-1-0

Xipamid 10 mg

1-0-0

Digitoxin 0,07 mg

1-0-0

Spironolacton 25 mg

1-0-0, pausiert

Natriumpolystyrensulfonat 15 g

1-1-1

Phenprocoumon

Ziel-INR 2.0–3.0

Insulin lispro, 50 % als Protaminsuspension

27-0-14 I.E.

Insulin lispro

nach Glucosespiegel

Von den Sanitätern des Rettungswagens (RTW) wurde ein Blutzucker (BZ) von 53 mg/dl (normal postprandial 120–140) gemessen, Blutdruck 142/84 mm Hg, das Pulsoxymeter zeigte eine O2-Sättigung von 89 % bei Raumluft, Herzfrequenz 82/min, unregelmäßig. Die Venenpunktion gestaltete sich aufgrund der Anatomie und häufigen Zuckungen beider Arme und des Rumpfes schwierig.

Auf Nachfrage gab der Patient keine Beschwerden an. Nach Aussage der Tochter müsse er seit 2 Tagen ein Medikament wegen des Kaliumspiegels einnehmen und habe schon länger über allgemeines Unwohlsein geklagt. Vor etwa einem Jahr habe er einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich aber gut erholt habe. Krampfanfälle seien bislang keine aufgetreten. Vor 3 Jahren sei ein ICD implantiert worden.

Unter Gabe von 8 g Glucose in 500 ml Vollelektrolytlösung fühlte sich der Patient etwas besser, zeigte aber weiterhin heftige Zuckungen der Arme und des Rumpfes. Dabei war er jeweils kurzzeitig nicht ansprechbar, äußerte sich dann aber wieder adäquat. Auf Nachfragen verneinte er, Schmerzen zu haben. Auch habe der ICD seines Wissens bisher noch nie ausgelöst. Unter der Annahme von rezidivierenden Krampfanfällen im Rahmen der grenzwertigen Hypoglykämie wurden nach Verbringen in den RTW 10 mg Diazepam i. v. verabreicht und der EKG-Monitor angelegt. Dieser zeigte zunächst eine normfrequente breite Kammeraktion, die im weiteren Verlauf immer wieder in eine Kammertachykardie und schließlich in Kammerflimmern überging, das durch Einsetzen des ICD terminiert wurde (Abb.  [ 1 ]). Aufgrund des rezidivierenden Kammerflimmerns wurden 300 mg Amiodaron langsam i. v. appliziert.

Zoom Image
Abb. 1 EKG-Ableitung. a Kammeraktion. b Kammerflattern. c Kammerflimmern, d Defibrillation mit Muskelartefakten. e Schrittmacheraktion.

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Verlauf nach stationärer Aufnahme

Im Krankenhaus zeigte sich eine ausgeprägte Hypokaliämie von 1,8 mmol/l (normal 3,6–5,0) als Ursache des rezidivierenden Kammerflimmerns – ferner die bereits vorbekannte Niereninsuffizienz mit einem Kreatininwert von 2,62 mg/dl (normal 0,7–1,2). Die Auswertung des ICD-Aggregats, das 3 Jahre zuvor wegen einer dilatativen Kardiomyopathie als Kombination aus Schrittmacher zur kardialen Resynchronisationstherapie und ICD zur Therapie möglichen Kammerflimmerns implantiert worden war, ergab 67 adäquate Entladungen. Die Echokardiographie zeigte eine hochgradig eingeschränkte Pumpfunktion mit einer Ejektionsfraktion (EF) von 25 %. Unter Ausgleich der Hypokaliämie durch zentralvenöse Zufuhr von 5 mval KCl/h mittels Perfusor wurden weitere vier adäquate Schockabgaben des ICD-Aggregats beobachtet.

Als Ursache der Hypokaliämie konnte eine kurz zuvor begonnene Therapie mit Natriumpolystyrensulfonat (Resonium A® 3 mal 15 mg über 2 Tage) festgestellt werden, die wegen einer unter 2,5 mg Fosinopril und 25 mg Spironolacton aufgetretenen Hyperkaliämie (> 6,5 mmol/l) verordnet worden war (Tab.  [ 1 ]). Nach Normalisierung des Kaliumspiegels traten keine weiteren Ereignisse mehr auf, und der Patient wurde kardial stabil nach Hause entlassen (Tab.  [ 2 ]).

Tab. 2

Medikation bei Entlassung.

Simvastatin 20 mg

0-0-1

Metoprololsuccinat 47,5 mg

1-0-1

Fosinopril 2,5 mg

1-0-0

Torasemid 50 mg

1-0-0

Digitoxin 0,07 mg

1-0-0

Phenprocoumon

Ziel-INR 2.0–3.0

Insulin lispro, 50 % als Protaminsuspension

27-0-14 I.E.

Insulin lispro

nach Glucosespiegel


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Diskussion

Bei jeder unklaren Bewusstseinsstörung sollte zeitnah ein EKG abgeleitet werden. Im hier geschilderten Fall schien anfangs die grenzwertige Hypoglykämie die Symptomatik zu erklären; daher stand zunächst die Anlage eines venösen Zugangs im Vordergrund, um Glucose zuführen zu können. Letztlich führte aber erst das EKG zur wegweisenden Diagnose, die ein völlig anderes Vorgehen erforderte, als die anfangs vermutete Hypoglykämie.

Insbesondere an strukturell geschädigten Herzen kann ein unausgeglichener Elektrolythaushalt durch die Veränderung des Membran-Ruhepotenzials das Auftreten von Rhythmusstörungen fördern. Dabei ist die Hypokaliämie sicher als die häufigste klinisch relevante arrhythmogene Elektrolytstörung anzusehen [2].

Im geschilderten Fall war aufgrund des Verdachts auf rezidivierende Krampfanfälle notfallmäßig Diazepam i. v. verabreicht worden. Dies kann außerdem zur Reizabschirmung hilfreich sein. Allerdings sollten hierbei kürzer und antikonvulsiv besser wirksame Benzodiazepine wie Lorazepam oder Midazolam bevorzugt werden [1] [7].

Amiodaron ist zur Behandlung von Kammertachykardien und Kammerflimmern im Rahmen einer Reanimation das Mittel der Wahl [5]. Wie alle Klasse-III-Antiarrhythmika ist es allerdings mit zahlreichen Nebenwirkungen behaftet [3]. Primär wäre beim vorgestellten Patienten auch ein Therapieversuch mit einem Betablocker indiziert gewesen [9].

Neben der medikamentösen Therapie hat der Einsatz von Schrittmachern zur Resynchronisationstherapie und implantierter Defibrillatoren einen festen Stellenwert in der Behandlung der Herzinsuffizienz [6]. Das Auslösen eines ICD wird insbesondere dann als äußerst schmerzhaft erlebt, wenn dieses inadäquat erfolgt und die Patienten bei Bewusstsein sind [4].

Konsequenz für Klinik und Praxis
  • Bei allen Patienten mit Bewusstseinsstörung sollte zeitnah ein EKG abgeleitet werden.

  • Das adäquate Auslösen eines ICD-Aggregats muss vom Patienten nicht immer wahrgenommen werden.

  • Gerade bei multimorbiden Patienten sollte ein gestörter Kaliumhaushalt vorsichtig und unter engmaschiger Kontrolle ausgeglichen werden.


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Autorenerklärung: Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma hat, deren Produkt in diesem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

  • Literatur

  • 1 Alldredge BK, Gelb AM et al. A comparison of lorazepam, diazepam, and placebo for the treatment of out-hospital status epilepticus. N Engl J Med 2001; 345: 631-637
  • 2 El-Sherif N, Turitto G. Electrolyte disorders and arrhythmogenesis. Cardiol J 2011; 18: 233-245
  • 3 Kumar K, Zimetbaum PJ. Antiarrhythmic drugs 2013: state of the art. Curr Cardiol Rep 2013; 15: 410
  • 4 Marcus GM, Chan DW, Redberg RF. Recollection of pain due to inappropriate versus appropriate implantable cardioverter-defibrillator shocks. Pacing Clin Electrophysiol 2011; 34: 348-353
  • 5 Nolan JP, Soar J et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2010. Resuscitation 2010; 81: 1219-1276
  • 6 Patwala AY, Wright DJ. Device based treatment of heart failure. Postgrad Med J 2005; 81: 286-291
  • 7 Silbergleit R, Lowenstein D et al. RAMPART (Rapid Anticonvulsant Medication Prior to Arrival Trial): A double-blind randomized clinical trial of the efficacy of intramuscular midazolam versus intravenous lorazepam in the prehospital treatment of status epilepticus by paramedics. Epilepsia 2011; 52 (Suppl. 08) 45-47
  • 8 Weiner ID, Wingo CS. Hypokalemia – Consequences, causes and correction. J Am Soc Nephrol 1997; 8: 1179-1188
  • 9 Zipes DP, Camm AJ et al. ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for management of patients with ventricular arrythmias and the prevention of sudden cardiac death. Europace 2006; 8: 746-837

Korrespondenz

Dr. Tadashi Makabe, MBA
Karlsbergstraße 17
97702 Münnerstadt

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  • 9 Zipes DP, Camm AJ et al. ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for management of patients with ventricular arrythmias and the prevention of sudden cardiac death. Europace 2006; 8: 746-837

Zoom Image
Abb. 1 EKG-Ableitung. a Kammeraktion. b Kammerflattern. c Kammerflimmern, d Defibrillation mit Muskelartefakten. e Schrittmacheraktion.