Journal Club AINS 2014; 3(1): 44
DOI: 10.1055/s-0034-1374058
Journal Club
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes mellitus senkt Risiko für ARDS

Yu S, Christiani DC, Thompson BT et al.
Role of diabetes in the development of acute respiratory distress syndrome.

Crit Care Med 2013;
41: 2720-2732
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Publication Date:
01 April 2014 (online)

 

    Einige – aber nicht alle – Studien weisen auf eine Assoziation hin zwischen Diabetes mellitus (DM) und einem niedrigeren Risiko für ARDS (acute respiratory distress syndrome). Die Studie von Shun et al. hat versucht, die Assoziation zwischen DM und ARDS zu bestätigen und zu klären, ob andere Faktoren diese Assoziation modifizieren, z. B. der Diabetestyp, die diabetische Medikation oder die Ursache von ARDS.


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    Patienten mit DM beider Typen, die ARDS-gefährdet sind, haben ein niedrigeres ARDS-Risiko. Die Ursache dieses protektiven Effektes besteht nicht in den anderen Unterschieden zwischen Diabetikern und Nicht-Diabetikern, wie z. B. Adipositas, einer akuten Hyperglykämie oder der diabetischen Medikation (Antidiabetika, Antihypertensiva, Statine u. a.). Dies zeigte die prospektive multizentrische Observationsstudie aus dem Montefiore Medical Center, New York.

    Im Zeitraum von 1999–2012 beobachteten die Forscher 3827 erwachsene ITS-Patienten, die ARDS-gefährdet waren, wie Patienten mit Sepsis, Pneumonie, Aspiration oder Polytrauma. Bei 987 von ihnen (26 %) war ein DM von der Anamnese bekannt, 2840 Patienten waren keine Diabetiker. Im Vergleich mit Nicht-Diabetikern waren Diabetiker älter, kränker und adipöser, sie hatten häufiger eine chronische Leberkrankheit und terminale Niereninsuffizienz. Risikofaktoren für die ARDS-Entwicklung waren bei Diabetikern häufiger Sepsis, seltener dagegen schwere Verletzung und massive Transfusionen.

    • 21 % der Diabetiker entwickelten ein ARDS,

    • dagegen 26 % der Nicht-Diabetiker (OR: 0,79; 0,66–0,95).

    Auch die multivariate Analyse (bezüglich APACHE III-Score, BMI, Alter, Hyperglykämie bei der Aufnahme, Nierenversagen, hämatologischem Versagen, Nikotinabusus, Alkoholabusus und ARDS-Risikofaktoren) wies auf eine Assoziation zwischen DM und ARDS-Entwicklung hin (OR: 0,76; 0,61–0,95). Die univariate Analyse deutete auch eine Assoziation zwischen Hyperglykämie bei der Aufnahme und der ARDS-Entwicklung an, die multivariate Analyse allerdings nicht (OR: 1,04). Auch die Einnahme von Clopidogrel und Warfarin senkte das ARDS-Risiko. Die multivariate Analyse, die die Einnahme von Clopidogrel und Warfarin berücksichtigte, bestätigte jedoch ein unabhängiges Verhältnis von DM und ARDS (OR: 0,75).

    Diese Ergebnisse gelten sowohl für DM-Typ 1 (OR: 0,50; 0,26–0,99) als auch für Typ 2 (OR: 0,77; 0,60–1,00), sowohl für septische Patienten (OR: 0,77; 0,61–0,97) als auch für nicht infektiöse Ursachen (OR: 0,30; 0,10–0,90).

    • Die 60-Tages-Mortalität der ARDS-Patienten betrug 34 % und wies keine Assoziation mit dem DM auf.

    Fazit Der Mechanismus für die Assoziation zwischen DM und ARDS ist nicht ganz klar. Die Studie ist trotzdem überzeugend, da sie groß ist, multizentrisch und verschiedene ITS-Patienten betrifft.

    Dr. med. Michal Sitina, Jena

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    Abb. 1 Diabetiker entwickeln seltener ein ARDS, der Grund hierfür ist weiterhin unklar. Am hier abgebildeten Insulin scheint es aber nicht zu liegen.

    Kommentar

    Prof. Dr. med. Rolf Dembinski


    Klinik für Intensivmedizin und Notfallmedizin, Klinikum Bremen Mitte

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    Die klinische Beobachtung, dass Diabetiker ein geringeres Risiko für die Entwicklung eines ARDS aufweisen, konnte in mehreren observationellen Studien bestätigt werden. Eine schlüssige Erklärung hierfür gibt es allerdings bis heute nicht. Häufig wurde eine potenziell protektive Wirkung verschiedener Wirkstoffe, die bei Diabetikern gehäuft eingesetzt werden, als möglicher Grund angeführt. Unter anderen wurden dem Insulin selbst protektive Effekte zugesprochen, wie sie bei der Sepsis vermutet wurden – was sich in Tierversuchen zunächst zu bestätigen schien.


    Die Stärke der hier vorgestellten, großen klinischen Studie ist die Widerlegung dieser Hypothese: Obwohl sich der Zusammenhang zwischen Diabetes und Risikoreduktion erneut belegen ließ, bestand keine statistisch nachweisbare Abhängigkeit zur Therapie mit Insulin oder zur Einnahme anderer Diabetes-assoziierter Medikamente. Zudem ist bemerkenswert, dass es keinen Unterschied machte, welche Form des Diabetes vorlag. Der Kliniker dürfte es bedauern, dass damit (wieder einmal) vielversprechende neue Therapieansätze des ARDS vom Tisch sind. Für den Wissenschaftler sollten die Ergebnisse Ansporn sein, den ursächlichen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen.


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    Abb. 1 Diabetiker entwickeln seltener ein ARDS, der Grund hierfür ist weiterhin unklar. Am hier abgebildeten Insulin scheint es aber nicht zu liegen.
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