retten! 2014; 3(2): 120-127
DOI: 10.1055/s-0034-1375269
Fachwissen 
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schmerzen unter der Gürtellinie – Urologische Notfälle beim Mann

Jan H Voegele
,
Rudolf Kern
Further Information

Korrespondenz

Dr. Jan H. Voegele
Rudolf Kern

Publication History

Publication Date:
07 May 2014 (online)

 

Abstract

Ob Hodentorsion, Penisfraktur oder akuter Harnverhalt – mit urologischen Notfällen hat der Rettungsdienst nur selten zu tun. Trotzdem ist es wichtig, mögliche Krankheitsbilder zu erkennen, damit man schnell und gezielt handeln kann.


#


Dr. Jan H. Voegele ist Facharzt für Urologie und Chefarzt der Urologischen Abteilung der GRN Klinik Eberbach. E-Mail: jan.voegele@grn.de

Zoom Image


Rudolf Kern ist langjähriger Rettungsassistent und arbeitet in der Rettungs- und Notarztwache Sinsheim (DRK Kreisverband Rhein-Neckar-Heidelberg e.V.). Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind notfallmedizinische Fortbildungen für niedergelassene Ärzte und medizinische Fachangestellte. E-Mail: kern_rudolf@t-online.de

Zoom Image
Zoom Image

Hodentorsion

Fallbeispiel

Ein junger Mann alarmiert den Rettungsdienst, da er seit 2 h akute Schmerzen im rechten Hoden verspürt. Direkt nach Schmerzbeginn setzten zudem Übelkeit und Erbrechen ein. Es gibt keine Körperposition, in der die Schmerzen erträglicher wären. Die Beschreibungen des Patienten lassen eine Hodentorsion vermuten.


#

Ursachen und Symptome

Zu einer Hodentorsion kommt es, wenn sich ein Hoden um seine Längsachse verdreht, wobei der Samenstrang ebenfalls verdreht wird. Dies führt zu einer Durchblutungsstörung des betroffenen Hodens.

  • Zeichen einer Hodentorsion sind plötzlich einsetzende, heftigste, meist einseitige Hodenschmerzen, die in den Unterbauch ausstrahlen können.

  • Außerdem ist der betroffene Hoden äußerst druckschmerzhaft.

  • Bei längerem Bestehen kann auch eine Schwellung und Rötung des Skrotums auftreten.

  • Aufgrund der Schmerzen kommt es häufig zu einer vegetativen Begleitsymptomatik wie Übelkeit und Erbrechen.

Meist kann der Patient den Zeitpunkt des Schmerzbeginns ganz exakt bestimmen (z. B. nach dem Fußballtraining).


#

Präklinisches Vorgehen

Bringen Sie den Patienten rasch in die nächste urologische Klinik. Dort sollte eine operative Freilegung des betroffenen Hodens innerhalb der ersten 6 h nach Einsetzen der Symptome erfolgen, um ein Absterben des Hodens zu verhindern.

  • Präklinisch sollte der Patient keine Schmerzmittel erhalten, da diese die Symptome verschleiern und so die Diagnosestellung erschweren können.

    • Oft ist das Vorenthalten einer präklinischen Analgesie moralisch nicht vertretbar – hier muss man im Einzelfall situationsadäquat entscheiden. Falls die Gabe eines Schmerzmittels unumgänglich ist, sollte man dies sparsam einsetzen.

  • Um den Zug am Samenstrang und damit den entstandenen Schmerz zu reduzieren, ist eine Hodenhochlagerung bzw. -unterpolsterung sinnvoll.

Bei jungen Patienten bis zum 20. Lebensjahr gilt jeder Hodenschmerz als potenzielle Torsion, die schnellstmöglich fachurologisch versorgt werden muss.


#

Differenzialdiagnose Epididymitis

Die häufigste Differenzialdiagnose zur Hodentorsion ist die Entzündung der Nebenhoden (Epididymitis) [Abb. 1]. Da die Diagnose auch unter klinischen Bedingungen z. T. nur schwer zu treffen ist, muss man im Zweifel den Hoden operativ freilegen, um eine Torsion auszuschließen.

Zoom Image
Abb. 1 Übersicht über die männlichen Genitalorgane

#
#

Paraphimose

Fallbeispiel

Eingehender Anruf bei der Rettungsleitstelle aus dem Alten- und Pflegeheim: Gestern wurde bei einem Bewohner der transurethrale Dauerkatheter gewechselt, heute sähe der Penis „komisch“ aus, wie ein Elefantenrüssel: riesig geschwollen und gerötet. Die Symptome deuten auf eine Paraphimose hin.


#

Ursache und Symptome

Bei einer Paraphimose ist das Vorschieben der (relativ) zu engen Vorhaut über die Eichel nicht möglich und schnürt diese ab. Die Vorhaut hinter der Penisfurche schwillt ödematös an, ist blau verfärbt und verursacht eine Durchblutungsstörung der Eichel, wodurch es zu einer Nekrose des Penis bzw. der Vorhaut kommen kann. Man spricht auch vom sog. „Spanischen Kragen“. Die Paraphimose ist i. d. R. äußerst schmerzhaft.


#

Präklinische Sofortmaßnahmen

Zunächst muss man das Vorhautödem durch zirkuläres, festes Umgreifen der Vorhaut mit der ganzen Hand für ca. 1 min auspressen. Anschließend versucht man, die Vorhaut wieder über die Eichel zu ziehen, indem man die Daumen von vorn auf die Eichel aufsetzt und mit den übrigen Fingern die Vorhaut nach vorne zieht / massiert. Dabei muss v. a der sog. innere Schnürring ebenfalls mit über die Penisfurche reponiert werden.

  • Nach fehlgeschlagenem Versuch: rascher Transport in die nächstgelegene urologische Klinik.

  • Nach erfolgreichem Versuch: Der Patient muss die Vorhaut unbedingt zunächst so belassen (auch nicht zum Waschen reponieren) und eine elektive Zirkumzision (Beschneidung) sollte möglichst bald erfolgen.


#
#

Penisfraktur

Ursache

Zu einer Penisfraktur kommt es durch Ruptur der äußeren Hüllschicht des Schwellkörpers aufgrund grober Gewalteinwirkung, insbesondere durch Scherkräfte von lateral auf den erigierten oder teilerigierten Penis. Meist kommt dies im Rahmen des Geschlechtsverkehrs als Stauchungstrauma vor.


#

Symptome

Bei Abknicken und Ruptur des Schwellkörpers ist bisweilen ein peitschenhiebähnlicher Knall zu hören. Der ausgeprägte Schmerz setzt sofort ein und die Erektion verschwindet. Der gesamte Penis verfärbt sich bläulich und es entwickelt sich ein Hämatom.


#

Präklinisches Vorgehen

Neben der Kontrolle des Kreislaufs sollte eine lokale Kühlung erfolgen, um das Penishämatom zu begrenzen.

  • Die (meist operative) Therapie muss innerhalb der ersten 6 h in einer urologischen Klinik erfolgen.


#
#

Priapismus

Definition

Eine über 2 h anhaltende und schmerzhafte Erektion ohne sexuelle Erregung bezeichnet man als Priapismus. Unbehandelt kann dies zur Schädigung der Penisschwellkörper und somit zu einer erektilen Dysfunktion führen.


#

Ursachen

In der Therapie der erektilen Dysfunktion werden bzw. wurden (insbesondere in der „prä-Viagra-Ära“) sog. vasoaktive Substanzen eingesetzt, indem der Patient selbst das Mittel kurz vor dem geplanten Koitus direkt in den Schwellkörper oder in die Harnröhre appliziert. Mit Einführung von Sildenafil (Viagra®) bzw. anderen PDE-5-Hemmern hat die Nebenwirkung Priapismus deutlich abgenommen. Laut Herstellerangaben kommt es unter Therapie mit PDE-5-Hemmern nicht zu einem Priapismus, da eine sexuelle Stimulation erforderlich sein muss. Die Praxis zeigt indes, dass bestimmte Vorerkrankungen sehr wohl zu einer prolongierten Erektion unter oraler Therapie mit PDE-5-Hemmern führen können. Weitere Ursachen sind:

  • Sichelzellanämie

  • lymphatische Leukämie bzw. hämatologische Erkrankungen

  • Psychopharmakotherapie

  • idiopathisch

  • Trauma mit Wirbelsäulenverletzung (im Rahmen eines spinalen Schocks möglich)


#

Therapie

Bei einem Patienten mit Priapismus sollten Sie zunächst den Kreislauf kontrollieren und einen venösen Zugang legen. Dann bringen Sie den Patienten unverzüglich in die nächstgelegene urologische Klinik, da die Therapie innerhalb der ersten 6 h erfolgen sollte.


#
#

Urologisches Trauma

Ursache

Durch eine Verletzung des äußeren Genitals kann es zu einem urologischen Trauma kommen – oft im Zusammenhang mit Sport, z. B. Fußball oder Fahrradfahren. Meistens tritt ein urologisches Trauma im Rahmen eines Polytraumas auf, z. B. als Nierenkontusion / -ruptur, Blasenruptur oder Harnröhrenabriss.

  • In diesem Fall greift selbstverständlich das allgemeine Traumamanagement.

Besteht der Verdacht auf einen Harnröhrenabriss, z. B. bei einer Beckenringfraktur, sollte man auf keinen Fall einen transurethralen Katheter legen, da es hierbei zum endgültigen Abriss der Harnröhre bzw. zur Fehlanlage des Katheters kommen kann.

  • Hinweise für eine Beteiligung der Blase oder der Harnröhre können Makrohämaturie (sichtbares Blut im Urin), Blut an der Harnröhrenöffnung sowie ein Hämatom oder eine Schwellung im Dammbereich sein.

Grundsätzlich muss bei jedem Traumapatienten eine Ganzkörperinspektion erfolgen – einschließlich der Genitalien.


#
#

Akuter Harnverhalt

Fallbeispiel

Ein Mann alarmiert den Rettungsdienst: Er könne seit 12 h nicht mehr Wasser lassen, obwohl er starken Harndrang habe. Ihm sei eine deutliche Umfangzunahme der Unterleibs aufgefallen. Palpatorisch kann der Rettungsassistent eine prall gefüllte Harnblase im mittleren Unterbauch tasten und bei der Perkussion fällt ein gedämpfter Klopfschall auf, der typisch für eine Flüssigkeitsansammlung ist.


#

Definition und Ursachen

Beim akuten Harnverhalt kann der Patient trotz gefüllter Blase nicht spontan urinieren. Gründe hierfür können sein:

  • mechanische Verlegung der Harnröhre z. B. durch vergrößerte Prostata, Harnröhrenenge, Blutkoagel bzw. Tamponade

  • neurologische Grunderkrankungen: z. B. Multiple Sklerose, neurogene Blasenentleerungsstörung bei Querschnittslähmung

  • dislozierter oder verstopfter Blasenkatheter


#

Symptome

Bei einem akuten Harnverhalt kommt es i. d. R. zu folgenden Symptomen:

  • Unterbauchschmerzen durch die prall gefüllte Harnblase mit massivem Harndrang und ggf. Rückstau des Urins bis in die Nieren. Unterbauchschmerzen können bei neurologischer Grunderkrankung oder beim dementen Patienten fehlen bzw. nicht adäquat geäußert werden.

  • Eine spontane Blasenentleerung ist nicht oder nur tröpfchenweise möglich, Urinbeutel oder Windel sind leer bzw. trocken.

  • Patient ist unruhig und zeigt vegetative Begleitsymptomatik.


#

Besonderheit

Bei dementen oder nicht sprachfähigen Patienten, z. B. nach einem Schlaganfall oder einer anderen neurologischen Störung, steht bisweilen die vegetative Begleitsymptomatik im Vordergrund. Der Patient kann tachykard, unruhig, aufgeregt oder somnolent bzw. soporös sein und schwitzen, ggf. nestelt er an seiner Kleidung herum. Gelegentlich können auch Zeichen eines akuten Abdomens bestehen.


#

Präklinisches Vorgehen

Bei Verdacht auf einen akuten Harnverhalt bei einem Patienten ohne Katheter muss ein unverzüglicher Transport in die nächstliegende urologische Klinik unter Kreislaufkontrolle und ggf. Analgesie erfolgen.

  • Eine Katheterisierung vor Ort wird nicht empfohlen, denn:

    • Wird die überfüllte Blase mittels Einmalkatheter zu rasch entleert, können Blutgefäße in der Blase durch die plötzliche Druckminderung einreißen und bluten.

    • Durch Vorschieben des Katheters kann man die Harnröhre verletzen.

    • Zum Katheterisieren sind eine sterile Umgebung sowie spezielle Materialien nötig, die derzeit nicht standardmäßig auf einem RTW bzw. NEF vorgehalten werden.

    • Das Legen eines Katheters und das sterile Assistieren erfordern theoretisches und praktisches Training.

Ist der Weg zur nächsten urologischen Klinik sehr weit und hat der Patient starke Schmerzen, was hohe Dosierungen von Analgetika bzw. Sedativa nötig machen würde, ist das Legen eines Einmalkatheters zu erwägen. Für solche Fälle ist es sinnvoll, ein steriles Einmalkatheterisierungsset und eine kleine Auswahl an Kathetern und Ablaufbeuteln auf dem RTW / NEF vorzuhalten [Abb. 2].

Zoom Image
Abb. 2 Ein steriles, transurethrales Katheterset enthält u. a. Urin-Ballon-Katheter, 2 l Sekret- / Urinbeutel, Mulltupfer, Pinzette, puderfreie Latexhandschuhe, wasserdichtes Schlitz- / Lochtuch, wasserdichtes Abdecktuch, 15 ml Octenisept (grüne Flasche rechts), 10 ml Aqua-dest.-Spritze zum Blocken (links hinten), 8,5 ml Gleitgel (hinten, verpackte Spritze).

#

Präklinisches Vorgehen bei liegendem Katheter

Hat der Patient mit akutem Harnverhalt einen transurethralen oder suprapubischen Katheter, sollten Sie wie folgt vorgehen:

  • Versuchen Sie zunächst, den Katheter mit NaCl 0,9 % freizuspülen – z. B. mittels Blasenspritze. Hierzu ziehen Sie mit der Spritze ca. 30 ml sterile 0,9 %ige NaCl-Lösung auf und drücken diese sanft über den liegenden Katheter in die Blase. Die Flüssigkeitsmenge sollte dabei so gering sein, dass keine Verletzungsgefahr besteht. Anschließend kann man mit der leeren Spritze die Flüssigkeit wieder aspirieren. Wiederholen Sie dieses Vorgehen bei Bedarf.

  • Kontrollieren Sie den Kreislauf.

  • Bringen Sie den Patienten in die nächste urologische Klinik.

Eventuell ist ein unmittelbarer Transport des Patienten nicht nötig, da die Harnausscheidung zunächst wieder in Gang gekommen ist. Die Weiterbehandlung muss in diesem Fall jedoch zeitnah durch den Haus- oder Facharzt erfolgen. Ein baldiger Wechsel des Katheters ist empfehlenswert.


#

Präklinisches Vorgehen beim dislozierten Katheter

Ist der Katheter des Patienten verrutscht und liegt in der falschen Position, sollten Sie den Patienten unter Kreislaufkontrolle in die nächstliegende urologische Klinik bringen.

  • Insbesondere bei Dislokation eines suprapubischen Blasen- oder Nierenkatheters (Nephrostomas) sollte eine rasche fachurologische Vorstellung zur erneuten Kathetereinlage erfolgen, da sich der Stichkanal ansonsten schließen könnte.


#

Differenzialdiagnose Anurie

Der akute Harnverhalt muss differenzialdiagnostisch von einer Anurie abgegrenzt werden. Die subjektive Beschreibung des Patienten „Ich kann kein Wasser lassen!“ ist bei beiden Krankheitsbildern identisch. Bei einer Anurie liegt allerdings eine fehlende Ausscheidung der Nieren vor, weshalb häufig der massive Harndrang fehlt und sonografisch sowie palpatorisch die Harnblase leer erscheint.


#
#

Nieren- bzw. Harnleiterkolik

Fallbeispiel

Ein Mann ruft den Rettungsdienst: Er habe einen „wehenartigen“ Vernichtungsschmerz von der rechten Flanke ausgehend und bis in den Unterbauch ausstrahlend. Darüber hinaus müsse er andauernd erbrechen und könne dennoch nicht ruhig liegenbleiben. Der Schmerz ist stechend und wellenförmig, kommt und geht (Kolikschmerz) und inzwischen ist er kaum mehr auszuhalten. Alles deutet auf eine Nieren- oder Harnleiterkolik hin.


#

Ursache und Symptome

Durch eine Verlegung der ableitenden Harnwege mit gestörtem Urintransport (z. B. durch Steine oder Blutkoagel) kommt es zu ziehenden / kolikartigen Schmerzen.

  • Die Schmerzen treten je nach Lokalisation des Steins an unterschiedlichen Stellen der betroffenen Seite auf:

    • oberes Harnleiterdrittel: Flankenschmerzen

    • mittleres Harnleiterdrittel: Ausstrahlung der Schmerzen in den Unterbauch

    • unteres Harnleiterdrittel: Ausstrahlung der Schmerzen bis in den Hoden

Der Patient ist typischerweise unruhig und verspürt Bewegungsdrang während des Kolikschmerzes. Oft zeigen sich deutliche vegetative Begleitsymptome mit Übelkeit und Erbrechen, es sind jedoch auch Zeichen einer Obstipation möglich.

Liegt gleichzeitig ein Harnwegsinfekt vor, besteht das Risiko einer Urosepsis mit Fieber, Kreislaufdepression und rascher Verschlechterung des Allgemeinzustands.


#

Maßnahmen

Legen Sie zunächst einen venösen Zugang und machen Sie einen Urin-Schnelltest (Urinstix). Für die analgetische Therapie eignen sich Metamizol (Novalgin ® ) 2,5 g i. v., Pethidin (Dolantin ® ) 25–100 mg i. v. und Voltaren ® Supp 100 mg als Zäpfchen.


#
#

Akute Harnwegsinfektion

Ursachen und Symptome

Die akute Harnwegsinfektion (HWI) wird nach Lokalisation der zugrundeliegenden bakteriellen Entzündung eingeteilt:

  1. untere Harnwegsinfektion: Zystitis (Blasenentzündung), Urethritis (Entzündung der Harnröhre), Prostatitis (Prostataentzündung), Epididymitis (Entzündung der Nebenhoden)

  2. obere Harnwegsinfektion: Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung)

Das Vollbild eines akuten Harnweginfekts führt unbehandelt zu einer sog. Urosepsis (Sepsis, die vom Urogenitaltrakt ausgeht). Wie jede andere Sepsis auch, ist die Urosepsis lebensbedrohlich und endet unbehandelt bei 50 % der Patienten tödlich. Bei einem akuten HWI können folgende Symptome auftreten:

  • schmerzhaftes, häufiges Wasserlassen von oft nur kleinen Urinportionen

  • ständiger Harndrang

  • übelriechender, trüber Urin

  • evtl. Makrohämaturie (blutiger Urin)

  • Fieber

  • je nach Manifestationsort: Flankenschmerzen (Pyelonephritis), Dammschmerzen (Prostatitis), Skrotalschmerzen (Epididymitis), Harnröhrenschmerzen (Urethritis)

  • Bei einem alten, dementen Patienten können Allgemeinsymptome, wie z. B. reduzierter Allgemeinzustand, Verwirrtheit, Eintrübung und unklares Fieber, im Vordergrund stehen.

Die typischen Kardinalsymptome eines HWI müssen einer Pyelonephritis nicht immer vorangehen, was die Diagnostik erschwert.


#

Präklinisches Vorgehen

Kontrollieren Sie zunächst die Temperatur und den Kreislauf, um eventuelle Zeichen einer beginnenden Sepsis zu erkennen, wie Fieber, Tachykardie, Hypotonie, Unruhe, Somnolenz und Apathie.

  • Ein Urin-Schnelltest mittels Urinstix ist im Rettungsdienst unentbehrlich: Dieser Streifentest reagiert je nach Urinzusammensetzung mit einer Farbveränderung und gibt Hinweise auf eine mögliche Harnwegsinfektion [Abb. 3]

  • Beurteilen Sie die Farbe und den Geruch von Windelinhalt oder Katheterbeutelinhalt:

    • Normal ist der Urin stroh- bis bernsteingelb. Ist er weißlich bis cremig deutet dies auf eine Harnwegsinfektion hin.

    • Der Geruch nach Obst ist i d. R. ein Zeichen für Azeton im Urin, was bei einem entgleisten Diabetes mellitus auftritt.

    • Wenn der Urin streng nach Ammoniak riecht, deutet das auf eine Übersäuerung im Blut hin (Azidose).

    • Bestimmte Lebensmittel (z. B. Spargel oder auch Knoblauch) können ebenfalls den Geruch des Urins beeinflussen.

  • Legen Sie bei einem verwirrten, fiebernden Patienten einen venösen Zugang und verabreichen Sie Flüssigkeit.

  • Bringen Sie den Patienten in die nächste urologische Klinik.

Zoom Image
Abb. 3 Urinstix zur Harnuntersuchung. Ein erhöhter Leukozytenwert im Urin ist ein wichtiges Leitsymptom bei entzündlichen Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege. Der Nachweis von Nitrit im frisch gelassenen Harn ist ein Hinweis auf eine bakterielle Infektion.

#
#

Makrohämaturie

Fallbeispiel

Ein Patient alarmiert den Rettungsdienst: Seit gestern sei sein Urin ganz rot und heute komme beim Wasserlassen nur noch Blut – zwischendurch seien immer wieder „Blutbrocken“ dabei. Schmerzen habe er eigentlich keine.


#

Ursachen und Symptome

Mit dem bloßen Auge ist eine Rotfärbung des Urins durch Blut sichtbar – wobei schon wenige Tropfen Blut einen Liter Urin rot färben können.

  • Eine Makrohämaturie kann mit oder ohne begleitende Schmerzen auftreten.

    • Typischerweise tritt eine schmerzhafte Markohämaturie bei Harnwegsinfekten auf, kann aber auch durch z. B. Steinkoliken ausgelöst werden.

    • Eine schmerzlose Makrohämaturie hingegen zählt zu den Kardinalzeichen eines Tumors im Urogenitaltrakt.

  • Aber auch bei Katheterträgern kann eine Makrohämaturie auftreten, die durch Reibung ausgelöst wird und zusätzlich zu einer Verstopfung des Katheters führen kann.

  • Eine Besonderheit sind Makrohämaturien bei Patienten, die Antikoagulanzien einnehmen: Hierbei ist die Blutgerinnung bereits durch die medikamentöse Wirkung der entsprechenden Substanzen teilweise (gewollt) deutlich gehemmt. Neben Marcumar ® , Heparin oder Heparinoiden zählen auch neuere Präparate dazu, wie Xarelto ® , Pradaxa ®, Brillique ® , Efient ® . Im Normalfall weisen die Patienten selbst oder die Angehörigen gezielt darauf hin bzw. können auf entsprechende Nachfrage Auskunft geben.


#

Präklinisches Vorgehen

Blutet der Patient stark, sollte man einen venösen Zugang legen. Kontrollieren Sie außerdem die Vitalparameter und bringen Sie den Patienten sofort in die nächstgelegene urologische Klinik. Ein kreislaufstabiler Patient kann ohne weiteres Vorgehen einem Urologen vorgestellt werden.


#
#

Besonderheiten beim urologischen Patienten

Bestehender Katheter

Es kann vorkommen, dass ein Patient bereits fachurologisch behandelt wird und z. B. mit einem transurethralen Katheter, suprapubischen Harnblasenkatheter oder Nephrostoma versorgt ist. Diese Katheter können durch Blutungen oder Dislokationen Probleme bereiten oder aber Quelle eines akut exazerbierenden Infekts sein.


#

Künstlicher Harnblasenersatz

Des Weiteren gibt es katheterisierbare Harnblasenersatzpouches z. B. in Form eines „Nabelpouches“, bei dem die Öffnung des Blasenersatzes im Nabel versteckt ist. Außerdem können Patienten mit einem sog. Ileum conduit (Ersatzblase) einen auf die Haut aufgeklebten Urinauffangbeutel tragen, der sich typischerweise am rechten Unterbauch befindet.

  • Auch wenn diese Situationen selbst keine Ursache für eine Notfallsituation sind, können sie für die Ersteinschätzung bzw. Erstversorgung des Patienten relevant sein.


#

Urologische Prothese

Eine weitere Besonderheit ist die urologische Prothese. Hierzu gehören z. B. die Penisschwellkörperprothese (Schwellkörperimplantat) und der künstliche Blasenschließmuskel (artifizieller Sphinkter).

  • In diesen Fällen findet man bei den Patienten tastbare Kunststoffkabelverbindungen sowie Pump- und Reservoirvorrichtungen, die im Bereich der Leiste liegen und skrotal sowie in Richtung des rechten Unterbauchs verlaufen.

Wie alle körperfremden Materialien und Implantate können auch diese von Infektionen betroffen sein.

  • Patienten mit solchen Implantaten müssen immer in implantationserfahrenen, urologischen Kliniken versorgt werden.

Die Harnröhre eines Patienten mit aktiviertem künstlichen Blasenschließmuskel darf man nicht ohne Weiteres katheterisieren, da es hierbei zu erheblichen Verletzungen der Harnröhre bzw. des künstlichen Schließmuskels kommen kann.


#
#

Fazit

Urologische Notfälle sind im Rettungsdienst selten. Die wesentliche Therapie besteht darin, den Kreislauf des Patienten zu stabilisieren, ggf. Schmerzmittel zu verabreichen und danach zügig eine geeignete Zielklinik anzusteuern. Oft ist dem Patienten aber bereits damit gedient, dass man über mögliche Differenzialdiagnosen nachdenkt. Die präklinischen Diagnostikmöglichkeiten sind begrenzt (z. B. meist kein Ultraschall) und die Auswahl des mitgeführten Materials ist eingeschränkt (z. B. keine verschiedenen Kathetergrößen an Bord). Deshalb gilt bei urologischen Notfällen die Devise: „load and go“ – und das am besten auf direktem Weg in eine urologische Klinik.

Kernaussagen

  • Jeder Hodenschmerz ist ein Notfall und gehört zur weiteren Abklärung unmittelbar in eine urologische Klinik.

  • Jegliche Katheterprobleme sollten von einem Facharzt überprüft und therapiert werden.

  • Bei Flankenschmerzen in Kombination mit Infektzeichen muss man eine Pyelonephritis mit ggf. septischem Verlauf ausschließen.

  • Urologische Notfälle bedürfen im Normalfall präklinisch keiner spezifischen Therapie, müssen jedoch in einer fachlich geeigneten Einrichtung – einer urologischen Klinik – weiter abgeklärt werden.

Infos im Internet

Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Rufen Sie unter http://www.thieme-connect.de/ejournals die Seite von retten! auf und klicken Sie beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“.

Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0034-1375269


#
#

Ergänzendes Material


Korrespondenz

Dr. Jan H. Voegele
Rudolf Kern


Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Abb. 1 Übersicht über die männlichen Genitalorgane
Zoom Image
Abb. 2 Ein steriles, transurethrales Katheterset enthält u. a. Urin-Ballon-Katheter, 2 l Sekret- / Urinbeutel, Mulltupfer, Pinzette, puderfreie Latexhandschuhe, wasserdichtes Schlitz- / Lochtuch, wasserdichtes Abdecktuch, 15 ml Octenisept (grüne Flasche rechts), 10 ml Aqua-dest.-Spritze zum Blocken (links hinten), 8,5 ml Gleitgel (hinten, verpackte Spritze).
Zoom Image
Abb. 3 Urinstix zur Harnuntersuchung. Ein erhöhter Leukozytenwert im Urin ist ein wichtiges Leitsymptom bei entzündlichen Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege. Der Nachweis von Nitrit im frisch gelassenen Harn ist ein Hinweis auf eine bakterielle Infektion.