Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e31-e32
DOI: 10.1055/s-0038-1667954
SYMPOSIEN
Unerwünschte Effekte psychotherapeutischer Behandlungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Jenseits von Psychotherapie – Analyse der Inanspruchnahme von Hilfe bei psychischen Problemen mittels latenter Klassenanalyse

S Tomczyk
1   Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Psychologie, Lehrstuhl Gesundheit und Prävention, Greifswald, Deutschland
,
H Mühlan
1   Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Psychologie, Lehrstuhl Gesundheit und Prävention, Greifswald, Deutschland
,
S Freitag
1   Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Psychologie, Lehrstuhl Gesundheit und Prävention, Greifswald, Deutschland
,
S Stolzenburg
2   Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Deutschland
,
G Schomerus
2   Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Deutschland
,
S Schmidt
1   Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Psychologie, Lehrstuhl Gesundheit und Prävention, Greifswald, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 
 

    Einleitung:

    Weltweite Befragungen weisen auf eine Versorgungslücke bei psychischen Erkrankungen hin – in Deutschland nehmen zwei Drittel der Personen mit depressiver Störung keine professionelle Hilfe in Anspruch. Denkbar ist, dass diese Personen sich an anderer Stelle Hilfe suchen.

    Material & Methoden:

    188 Personen (50,34 Jahre; 71% weiblich) mit einer aktuell unbehandelten psychischen Erkrankung aus der Allgemeinbevölkerung wurden zur Baseline u.a. zu Soziodemografie und aktuellem Befinden sowie drei und sechs Monate später zur Inanspruchnahme externer Hilfe für ihre Erkrankung befragt. Die Inanspruchnahme von elf Ressourcen (Freunde, Familie, Kollegen, Sozialarbeiter, Beratungsstelle, Heilpädagoge, Hausarzt, Psychologe, Psychotherapeut, Psychiater, Neurologe) wurde mittels latenter Klassenanalyse untersucht und durch Chi-Quadrat-Tests und Varianzanalysen (ANOVA) auf soziodemografische und psychosoziale Merkmale hin geprüft.

    Ergebnisse:

    Unsere Analyse ergab vier latente Klassen: „Mental health professionals“ (MHP; 9,0%), „multiple Quellen (aber nicht MHP)“ (4,3%), „Primärversorgung“ (35,6%), und „keine Hilfe“ (51,1%). In allen Klassen bestand mindestens moderate Wahrscheinlichkeit, Hilfe von Freunden oder Familie in Anspruch zu nehmen. „MHP“ berichteten häufiger über Behandlungserfahrung, geringeres Wohlbefinden und stärkere depressive Symptomatik als Personen, die „keine Hilfe“ suchten. „Primärversorger“ lebten häufiger in fester Partnerschaft. Marginal signifikant: Personen, die „keine Hilfe“ suchten, waren jünger als „MHP“ und „multiple Quellen“.

    Diskussion:

    Der Anteil an Personen, die MHP aufsuchten (9,0%), war geringer als in früheren Studien. Allerdings waren die Beschwerden in dieser latenten Klasse deutlich stärker ausgeprägt. Neben distinkten Ressourcen war die Hilfe von Familie und Freunden in allen Klassen prävalent. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Stabilität der latenten Klassen sowie deren Verläufe in größeren Stichproben und über längere Zeiträume zu untersuchen.

    Schlussfolgerung:

    Unsere Befunde legen nahe, dass Operationalisierungen, die lediglich einzelne Ressourcen in den Blick nehmen, der tatsächlichen Inanspruchnahme nicht gerecht werden. Die faktische Heterogenität in der Gruppe der Unbehandelten sollte bei der Betrachtung der Inanspruchnahme und der Gestaltung der Versorgung stärker Berücksichtigung finden.

    Förderhinweis:

    Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Kennzeichen: SCHO 1337/4 – 1 und SCHM 2683/4 – 1).


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