Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(02): 85
DOI: 10.1055/s-0040-100501
Aktuell publiziert
Aus der Cochrane Library
Georg Thieme Verlag Stuttgart

Kardiologie – Chirurgie: Perioperative Betablocker: nicht für alle Patienten geeignet

Perioperative beta-blockers: not suitable for all patients
Thomas Meinertz
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz
Deutsche Herzstiftung
Frankfurt/Main

Publication History

Publication Date:
22 January 2015 (online)

 

Betablocker können kardiovaskuläre Stressreaktionen bei Operationen wirksam dämpfen. Studien kommen jedoch zu uneinheitlichen Ergebnissen, wenn es darum geht, ob Betablocker die perioperative Morbidität und Letalität beeinflussen können. Daher ist die routinemäßige perioperative Betablockade umstritten. Blessberger et al. haben eine aktuelle Übersicht vorgelegt.


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In das Review wurden 89 randomisierte, kontrollierte Studien eingeschlossen (n = 19 211). Die Teilnehmer waren in Betablocker- oder Kontrollgruppen (Standard-Therapie oder Placebo) randomisiert worden. Die meisten Eingriffe hatten unter Vollnarkose stattgefunden.

Anhand der Daten von 53 Studien über herzchirurgische Eingriffe zeigten sich durch die Intervention keine statistisch signifikanten Effekte auf Gesamtsterblichkeit, akuten Myokardinfarkt, Myokardischämie, zerebrovaskuläre Ereignisse, Hypotonie, Bradykardie und Herzinsuffizienz. Hingegen ließ sich durch Betablocker die Häufigkeit von ventrikulären und supraventrikulären Arrhythmien statistisch signifikant reduzieren (relatives Risiko [RR] 0,37 bzw. 0,44; 95 %-Konfidenzintervall 0,24–0,58 bzw. 0,36–0,53). Gemäß der 36 Studien über nicht-kardiale Eingriffe schützten Betablocker statistisch signifikant vor akutem Myokardinfarkt (RR 0,73; 0,61–0,87), Myokardischämie (RR 0,43; 0,27–0,70) und supraventrikulären Arrhythmien (RR 0,72; 0,56–0,92). Zugleich erhöhte sich jedoch das Risiko für Hypotonie und Bradykardie statistisch signifikant (RR 1,50; 1,38–1,64 bzw. RR 2,24; 1,49–3,35). Für ventrikuläre Arrhythmien und Herzversagen ergaben sich keine statistisch signifikanten Effekte. Für nichtkardiale Operationen ergab eine Auswahl qualitativ hochwertiger Studien einen Anstieg von Letalität und Schlaganfällen, den auch der nachgewiesene Schutz vor Myokardinfarkten und Arrhythmien nicht hatte aufwiegen können.

Betablocker können bei herzchirurgischen Eingriffen effektiv Arrhythmien vorbeugen, so die Autoren. Der Einfluss auf die anderen Parameter bleibe jedoch hier unklar.

Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen

Kommentar aus der Praxis

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Prof. Dr. T. Meinertz

Dieses Cochrane-Review ist von doppeltem Nutzen: Es zeigt die Fakten auf, lässt aber auch die Defizite der derzeitigen Faktenlage deutlich werden. Unmittelbare Rückschlüsse für den Einzelpatienten sind nur mit Einschränkung möglich.

Zu pauschal ist die Unterteilung in nichtkardiale und kardiale Chirurgie, zu wenig differenziert die Unterscheidung der Patienten nach Operationsrisiko und -prozedur. Für diese Patientengruppen bzw. chirurgischen Eingriffe liefert das Review naturgemäß keine Antworten. Damit bleibt die Frage offen: Was will man bei welchem Patienten durch die Betablocker-Therapie erreichen bzw. verhindern?

Durchaus plausibel ist, dass sich durch Betarezeptorenblocker generell die perioperative Sterblichkeit bei aortokoronarer Bypass-Operation nicht vermindern lässt. Lediglich Patienten mit einer linksventrikulären Auswurffraktion < 30 % scheinen nach den in diesem Review präsentierten Studien prognostisch zu profitieren. Allerdings sind diese Patienten ohnehin meist schon präoperativ auf einen Betarezeptorenblocker eingestellt. Es empfiehlt sich daher, diese Therapie perioperativ nicht abzusetzen. Ebenso plausibel wird das Auftreten von Herzinfarkten, Myokardischämien und Schlaganfällen durch Betarezeptorenblocker perioperativ nicht vermindert. Einen unbestritten günstigen Effekt dagegen haben perioperative Betarezeptorenblocker gegenüber (supra)ventrikulären Herzrhythmusstörungen. Klinisch hier am bedeutsamsten: Durch diese Therapie wird die Neigung zu Vorhofflimmern vermindert.

Bei nichtherzchirurgischen Eingriffen haben perioperative Betarezeptorenblocker – zumindest bei Niedrigrisiko-Patienten – eher ungünstige Wirkungen. Allein die Häufigkeit von (supra)ventrikulären Herzrhythmusstörungen und Myokardischämien wird durch die perioperative Betarezeptorenblocker-Therapie vermindert. Indiziert sind sie also nur dann, wenn dies bei entsprechend vorbelasteten Patienten (anamnestisch Vorhofflimmern, vorbekannte KHK oder Hypertonie) das therapeutische Ziel ist.

Fazit | Eine generelle perioperative Betablocker-Therapie ist weder bei herzchirurgischen noch bei nichtherzchirurgischen Eingriffen indiziert. Eine Indikation für diese Therapie besteht nur dann, wenn bei einer bestimmten Patientengruppe (z. B. bei vorbestehender Herzkrankheit, eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, bekanntem Vorhofflimmern, bekannter Hypertonie) bestimmte therapeutische Ziele erreicht werden sollen.


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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz
Deutsche Herzstiftung
Frankfurt/Main

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Prof. Dr. T. Meinertz