Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(07)
DOI: 10.1055/s-0040-1714005
Geburtshilfe und Pränataldiagostik

Fruchtwasserembolie – 2 Fälle in 6 Wochen

D Schönbeck
1   1 Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg
,
V Ernst
1   1 Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg
,
C Engelen
2   2 Klinikum Nürnberg, Klinik für Anästhesiologie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg
,
W Köhler
1   1 Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg
,
C Brucker
1   1 Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg
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Zielsetzung: Die Fruchtwasserembolie ist mit 2 – 8/100 000 Geburten [1] ein seltenes und lebensbedrohliches Ereignis und ist weltweit für 5 – 15% der direkten Müttersterbefälle verantwortlich. Die hohe Mortalität (bis 38%) [2], das variable klinische Erscheinungsbild und die Notwendigkeit der zügigen Therapie bei fehlenden Diagnosekriterien machen das Krankheitsbild zur interdisziplinären Herausforderung. Pathogenetisch wird ein Übertritt von Fruchtwasserbestandteilen (Vernix, Bradykinin, Histamin [3]) in den mütterlichen Kreislauf mit resultierender Endothelaktivierung und inflammatorischer Reaktion [4] oder eine Aktivierung des Komplementsystems [5] als Trigger vermutet.

Materialien und Methoden: Falldarstellung zweier Patientinnen, die im Zeitraum von 6 Wochen Symptome einer Fruchtwasserembolie an unserer Klinik erlitten.

Ergebnisse:

Fall 1) Eine 35jährige IVG/IIP mit unauffälliger Anamnese wird bei suspektem CTG mit 38 + 3 SSW mit Misoprostol eingeleitet. Bei unregelmäßiger Wehentätigkeit wird bei einer Muttermundseröffnung von 2 cm die Amniotomie (klares Fruchtwasser) durchgeführt. 10 Minuten später klagt die Patientin über Cephalgie und hustet, sie verliert 4 min später das Bewusstsein. Der Fet wird bradykard, so dass die Notsectio indiziert wird (Kind: männlich 2760 g, APGAR 2/6*/8*, pH 6,78 (ven. 6,83), BE − 21,5). 4 Minuten nach Kindsentwicklung ist die Patientin reanimationspflichtig, es setzt schlagartig eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) ein. Bei kompletten Rechtsherzversagen wird unter dem V. a. fulminante Lungenembolie interdisziplinär ein ECLS (extracorporal Life Support) geplant und parallel aufgrund des starken Blutverlustes die Hysterektomie durchgeführt. Unter Suprarenin stabilisiert sich der Kreislauf nach etwa 30 Minuten. Die Herzfunktion erholt sich. Nach Packing des Abdomens bei weiterhin bestehender DIC wird eine CT-Thorax/Schädel durchgeführt, welche unauffällig ist. Die DIC besteht zunächst trotz Gabe von EK/TK/Fibrinogen/PPSB/Eptacog alpha weiter, so dass eine zweimalige Revision erforderlich wird. Es kommt zu zwei Krampfanfällen. Nach Extubation ist die Patientin neurologisch und motorisch verlangsamt. Nach erfolgter Neurorehabilitation war die Patientin in der Wohnung frei mobil, jedoch noch deutlich eingeschränkt in Ihrer körperlichen Belastbarkeit. Das Kind wurde noch am gleichen Tag extubiert und erhielt keine Hypothermietherapie, EEG und MRT waren unauffällig.

Fall 2) Eine 41-jährige IIG/0P wird bei V. a. IUGR mit 40 + 0 mit Misoprostol eingeleitet. 3 h nach Blasensprung und bei einer Muttermundsweite von 4 cm zeigt sich ein pathologisches CTG (MBU pH 7,14, BE − 12,1), so dass die sek. Sectio in ITN indiziert wird. Nach Kindsentwicklung und Plazentageburt zeigt sich der Uterus aton, kontrahiert sich nach Gabe von Oxytocin jedoch. Sickerblutungen aus der Uterotomie werden umstochen. Im weiteren Verlauf zeigen sich trotz gut kontrahiertem Uterus weiterhin Sickerblutungen aus dem unteren Uterinsegment, laborchemisch zeigt sich nun eine DIC (Quick < 10%), welche nicht mit dem klinischen Blutverlust korreliert. Trotz EK/TK/Fibrinogen/PPSB und lokaler Applikation von Hämostyptika wird am Folgetag eine Revision erforderlich. Daraufhin wird die Patientin problemlos extubiert. Die Patientin war stets kardiopulmonal stabil und neurologisch unauffällig.

Zusammenfassung: Die Fruchtwasserembolie ist ein komplexes Krankheitsbild mit hoher mütterlicher und kindlicher Mortalität und Morbidität. Vermutlich tritt sub partu häufig Fruchtwasser in den mütterlichen Kreislauf über, die Mutter bleibt symptomarm oder zeigt lediglich eine Koagulopathie. Spezifische laborchemische Test existieren nicht. Die Fruchtwasserembolie ist in Diagnostik und Therapie eine interdisziplinäre Herausforderung und bleibt oft eine Verdachtsdiagnose.


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Publication History

Article published online:
14 July 2020

Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York