Änderung der Gelenkreaktionskraft bei Schädigung des medialen Bandapparates im Ellenbogen

Fragestellung Das AnyBody^TM Modeling System (AMS) ist eine muskuloskelettale Simulationssoftware basierend auf dem Prinzip der inversen Dynamik. Damit lassen sich in vivo nur schwer bestimmbare Messgrößen wie Muskelaktivitäten und Gelenksreaktionskräfte im Ellenbogen berechnen. Hierfür wurde eigens ein biomechanisches Modell inkl. der Bandapparatur des Ellenbogens im AMS entwickelt. Ziel der Arbeit ist es unter Zuhilfenahme des Modells Aussagen über die Änderung der Muskelrekrutierung nach einer Schädigung des lateralen Bandapparates im Ellenbogen abzuleiten. Mit dieser Grundlage soll zukünftig eine Beurteilung der Ellenbogenstabilität nach einer Luxation ermöglicht werden.

Methodik Das neu entwickelte Ellenbogenmodell inkl. Bandapparatur im AMS wurde in einer Ganzkörpersimulation eingebettet und kann in Größe und Stärke skaliert werden ([Abb. 1]). Für die Bandsteifigkeiten wurden Werte aus der Literatur (Regan, 1991:170-179) zu Grunde gelegt.

Abb 1 Das neue detaillierte AMS Ellenbogenmodell inkl. Bandapparatur.

Für die Simulation dient ein Modell als Grundlage, das auf eine Person mit 1.65 m Höhe und 68 kg Körpergewicht skaliert wurde. Anschließend wurde eine Flexion des Ellenbogens von 0° bis 120° in Neutralstellung der Hand ausgeführt.

Darauf basierend wurden verschiedene Szenarien mit Kombinationen folgender Parameter berechnet:

• Bewegung ohne und mit Gewicht von 30 N

• Schädigung des medialen Bandapparates: posterior mediales ulnares Kollateralband (PMCL), anterior mediales ulnares Kollateralband (AMCL) (50% und 100% Ruptur)

Ergebnisse und Schlussfolgerung Eine Schädigung des Bandapparates führt im Allgemeinen zur einer Reduktion der Gelenkreaktionskraft im Ellenbogen. Für Flexionswinkel <  30° macht sich vor allem eine Schädigung des PMCL und für >30° die Ruptur des AMCL bemerkbar (Reduktion um bis zu 50% im Vergleich zum Normalfall).

Auffällig ist, dass sich die Reaktionskraft in der mediolateralen Ebene bei einer Ruptur bzw. Teilruptur des AMCL ab 30° von der lateralen zur medialen Seite des Gelenks verschiebt. Dabei ändert sich der Betrag der wirkenden Kraft um 170% (Teilruptur) bzw. 270% (Ruptur). Das lässt auf eine höhere Instabilität des Ellenbogengelenks schließen.

Die beschriebenen Effekte werden bei einer Simulation der Gewichtskraft von 30 N noch zusätzlich verstärkt.

In zukünftigen Studien soll eine erste Übertragung des Modells in die medizinische Diagnostik und Therapie erfolgen. Hierfür wird das Modell zur Beurteilung der Ellenbogenstabilität nach einfacher und komplexer Luxation (Typ-II Fraktur des Processus coronoideus) herangezogen, um in Zukunft die klinische Entscheidungsfindung in Bezug auf die Gelenkstabilität und somit die Indikation für oder gegen einen operativen Eingriff zu unterstützen.

Stichwörter Muskuloskelettale Simulation, Ellenbogenstabilität

Publication History

Article published online:
15 October 2020