Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(18): 1344
DOI: 10.1055/s-0041-103832
Aktuell publiziert
Aus der Cochrane Library
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Depression bei Krebs: Über Antidepressiva bei Krebs im Einzelfall entscheiden

Antidepressants for cancer patients: an individual decision
Claudia Bausewein
1   Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Universität München
› Author Affiliations
Ostuzzi G et al.
Antidepressants for the ….
Cochrane Database Syst Rev 2015;
6 CD011006
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Prof. Dr. med. Claudia Bausewein
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Universität München

Publication History

Publication Date:
11 September 2015 (online)

 

Die Konfrontation mit der Diagnose Krebs ist für viele Betroffene ein traumatisierendes Ereignis. Dies führt häufig zu depressiven Reaktionen. Da Depressionen negative Auswirkungen nicht nur auf die Lebensqualität, sondern auch auf Therapie-Adhärenz und Sterblichkeit haben können, kommen hier nicht selten Antidepressiva zum Einsatz. Die Wirksamkeit dieser Therapie wurde in einem neuen Cochrane-Review bewertet.


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9 randumisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 861 Patienten schlossen die Cochrane-Autoren in das Review ein. In einer Meta-Analyse von 7 Studien war der primäre Endpunkt Wirkung und Annehmbarkeit der Antidepressiva-Therapie bei Patienten mit Krebserkrankungen.

In der akuten Behandlungsphase von 6–12 Wochen scheinen die Antidepressiva im Vergleich zu Placebo die depressiven Symptome zu verringern, die Qualität der Evidenz war allerdings sehr niedrig. Die standardisierte mittlere Differenz (SMD) betrug – 0,45 (95 %-Konfidenzintervall [- 1,01 bis 0,11], 266 Patienten, 5 Studien).

Auch der Anteil von Patienten mit Depression scheint durch Antidepressiva nur geringfügig vermindert zu sein, das relative Risiko (RR) betrug 0,82 im Vergleich zu Placebo ([0,62–1,08], 417 Patienten, sehr niedrige Qualität der Evidenz). Keine der Studien berichtete die Wirksamkeit der Therapie über 12 Wochen hinaus.

Es fanden sich keine statistisch signifikante Unterschiede zwischen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und trizyklischen Antidepressiva (SMD – 0,08, [- 0,34 bis 0,18], 237 Patienten).

Die Analyse sekundärer Endpunkte zur Wiksamkeit ergab auch keine statistisch signifikanten Behandlungseffekte der Antidepressiva verglichen mit Placebo. Die Antidepressiva unterschieden sich auch nicht statistisch signifikant voneinander. Therapieabbrüche kamen bei den einzelnen Wirksubstanzen und Placebo gleich häufig vor.

Die eingeschlossenen Studien hatten entweder unklares oder hohes Risiko für Bias. Bedingt durch unzureichende Präzision der Ergebnisse, niedrige Patientenzahlen und große Konfidenzintervalle werteten die Cochrane-Autoren die Qualität der Evidenz ab.

Aufgrund der sehr niedrigen Qualität der Evidenz lässt sich auf Basis der vorliegenden Ergebnisse keine Empfehlung zur klinischen Anwendung ableiten. Über antidepressive Therapie bei Krebskranken muss individuell entschieden werden. Die Wahl des geeigneten Medikaments sollte sich an der Wirksamkeit der Antidepressive in der Allgemeinbevölkerung orientieren. Daten anderer Studien belegten die Wirksamkeit und Sicherheit von SSRI bei anderen körperlichen Erkrankungen, so die Cochrane-Autoren.

Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

Kommentar aus der Praxis

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Prof. Dr. med. C. Bausewein

Patienten mit Krebserkrankungen können zu verschiedenen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf unter einer Depression leiden. Die Prävalenz wird zwischen 15 und 20 % angegeben. Um den betroffenen Patienten möglichst gut zu helfen, sind eine frühe Diagnose einer behandlungsbedürftigen Depression und eine entsprechende medikamentöse (und psychotherapeutische) Therapie wesentlich.

Es überrascht, dass dieses Cochrane-Review die positiven Ergebnisse eines Cochrane-Reviews aus 2010 nicht bestätigt. Damals wurde die Behandlung der Depression bei fortgeschrittenen körperlichen Erkrankungen (also nicht nur Tumorerkrankungen) in 51 Studien bei 3609 Patienten untersucht. Die Autoren zeigten einen deutlichen Behandlungsvorteil von Antidepressiva.

In diese jetzt publizierte Übersichtsarbeit konnten allerdings nur 9 Studien mit 861 Patienten eingeschlossen werden, mit insgesamt niedriger Qualität der Evidenz. Die Meta-Analyse zeigte keinen Vorteil für den Einsatz von Antidepressiva gegenüber Placebo.

Die schlechte Qualität der Studien wirft die Frage auf, wie aussagekräftig diese Ergebnisse sind. Die Autoren merkten das auch kritisch an, indem sie sagten, dass aus den Ergebnissen keine Schlussfolgerungen für die klinische Praxis gezogen werden können. Daher sollte auch in Zukunft der Einsatz von Antidepressiva immer individuell entschieden und kritisch überprüft werden. Da Depressionen bei krebskranken Menschen die Lebensqualität zusätzlich einschränken und die Kontrolle anderer Symptome zudem erschweren, sollte im Zweifelsfall ein Therapieversuch unternommen werden.


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Interessenkonflikte: Keine.


Prof. Dr. med. Claudia Bausewein
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Universität München


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Prof. Dr. med. C. Bausewein