Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(18): 1394-1396
DOI: 10.1055/s-0041-105324
Medizin im Kontext
Kommunikation und Management
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reden ist Gold: Umgang mit unerwünschten Zwischenfällen

Maren Schenk
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Publication Date:
11 September 2015 (online)

 

Irren ist menschlich – und Fehler passieren auch Ärzten. Kommt dabei ein Patient zu Schaden, gilt es zunächst, die unmittelbaren Folgen zu begrenzen. Um das Vetrauensverhältnis nicht noch mehr zu erschüttern, ist es außerdem wichtig, den Betroffenen rasch und richtig zu informieren. Dabei gibt es inhaltlich und juristisch einiges zu beachten.


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Fehler während der Behandlung können das Arzt-Patienten-Verhältnis schwerwiegend beeinträchtigen – vor allem dann, wenn sich der Patient alleingelassen fühlt.
Bildnachweis: mangostock / Fotolia

Begriffsdefinition | Als Zwischenfälle gelten unerwünschte Ereignisse oder Schäden im Zusammenhang mit einer medizinischen oder pflegerischen Maßnahme. Sie können vermeidbar oder unvermeidbar sein, z. B. eine

  • Nachblutung nach einer Operation, wenn intraoperativ bestimmte Maßnahmen unterlassen wurde (vermeidbar) oder

  • schicksalhafte Nachblutung (unvermeidbar).

  • Außerdem gibt es fehlerbedingte Beinaheschäden und sogenannte „Never Events“.

„Never Events“ sind schwere Schadensereignisse, die sicher vermeidbar sind und nie auftreten sollten (z. B. Seitenverwechslung bei Operationen an Extremitäten).

Differenzierung schwierig | Ob ein Patientenschaden durch einen Behandlungsfehler entstanden ist, kann häufig erst durch eine gutachterliche Untersuchung festgestellt werden. Oft ist es schwierig, die Folgen der Krankheit und die Folgen einer Fehlbehandlung zu unterscheiden. Von einem Behandlungsfehler spricht man meist, wenn eine medizinische Behandlung nicht unter Beachtung der Behandlungs- oder Pflegstandards durchgeführt oder gänzlich unterlassen wurde.

Verhalten bei einem Zwischenfall

Schaden begrenzen | Nach einem Zwischenfall oder unerwünschten Ereignis mit Patientenschaden müssen zuerst Maßnahmen eingeleitet werden, um die akuten Folgen zu begrenzen und ggf. weitere Patienten vor Schäden zu bewahren. Anschließend sollte umgehend mit dem Patienten über den Zwischenfall gesprochen werden, empfiehlt Prof. Dr. Hartmut Siebert. Der ehemalige Leiter der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik am Diakonie-Klinikum Schwäbisch-Hall ist stellvertretender Vorsitzender des „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ (APS). „Bei unerwünschten Ereignissen und Behandlungsfehlern sind eine gute Kommunikation und ein professioneller Umgang mit den Betroffenen und Beteiligten ethisch geboten“, heißt es in der Broschüre „Reden ist Gold“ des APS [1].

Proaktiv informieren | Nach Sieberts Erfahrung „lässt sich viel Ärger vermeiden, wenn man als Arzt von sich aus früh das Gespräch sucht“ – und nicht erst reagiert, wenn ein Brief vom Patienten oder Rechtsanwalt kommt. Denn viele Patienten wollten nicht unbedingt rechtliche Schritte einleiten und Schadensersatz fordern. Vielmehr möchten sie über den vermeintlichen Behandlungsfehler sprechen und über die Situation aufgeklärt werden, so Siebert.

Wichtig ist ein zeitnahes Gespräch, idealerweise innerhalb von 24 Stunden.


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Patientengespräch: Wann?

Dokumentationspflicht | Nach dem Patientenrechtegesetz von 2013 sollte ein Arzt bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler den Patienten auf Nachfrage oder zur Abwehr gesundheitlicher Gefahren informieren. Fehler, die bei der Behandlung unterlaufen oder beinahe unterlaufen, müssen dokumentiert und ausgewertet werden.

Umfassende Information: Pro | Das APS empfiehlt, ein Gespräch nicht nur dann zu führen, wenn ein Patient zu Schaden gekommen ist, sondern auch, wenn

  • der Patient einen Schaden vermutet,

  • das Personal einen Schaden vorhersieht oder

  • der Patient einen Fehler ohne Schadensfolge bemerkt (beispielsweise eine rechtzeitig erkannte Patientenverwechslung bei einer Medikamentengabe oder diagnostischen Maßnahme) [1].

Umfassende Information: Contra | Die Ärztekammer Nordrhein empfiehlt zwar, alle Zwischenfälle offenzulegen, die

  • zu einer temporären oder dauerhaften Schädigung oder Beeinträchtigung oder

  • zu einer zusätzlichen Behandlung des Patienten führen.

Aber wenn ein Ereignis dem Patienten nicht geschadet hat und vom ihm auch nicht bemerkt wurde, sei eine Aufklärung über den Sachverhalt in der Regel nicht sinnvoll [2].

Der Patient muss über einen Zwischenfall mit Schaden informiert werden, wenn eine Folgebehandlung erforderlich ist [1].


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Patientengespräch: Wie?

Vertrauen schaffen | Für das Gespräch mit dem Patienten und ggf. Angehörigen sollte sich der Arzt Zeit nehmen und eine angenehme, ruhige und ungestörte Atmosphäre schaffen, so Siebert. Der Arzt sollte empathisch auf die Bedürfnisse und Fragen des Patienten eingehen. Er sollte versuchen, „möglichst unemotional in das Gespräch zu gehen und Vertrauen zu schaffen.“

In den Patienten hineinversetzen | Patienten sind durch ihre Erkrankung meist ohnehin schon besorgt. Auf ein unbefriedigendes Gespräch nach einem Zwischenfall reagieren sie oft mit Gefühlen wie Wut und Verbitterung. Nicht selten fühlen sie sich betrogen oder als ständige Nörgler wahrgenommen. Das Gespräch sollte

  • Fürsorge und Kompetenz für die weitere Behandlung vermitteln und

  • das Bemühen erkennen lassen,

    • den Zwischenfall lückenlos aufzuklären und

    • den Patienten bzw. seine Angehörigen einzubinden.

Zusätzliches Trauma vermeiden | Ein unprofessioneller Umgang mit Zwischenfällen kann Patienten zusätzlich psychisch traumatisieren [1]. So kann das Vertrauen in das Behandlungsteam verloren geht. Bei gravierenden Schäden bzw. gestörtem Vertrauen sollte bei dem Gespräch auch eine ärztliche Leitungsperson anwesend sein, empfiehlt Siebert. Das signalisiere Respekt und Verantwortungsbewusstsein. Bei einer kurzen Vorbesprechung im Team kann eine einheitliche Sprachregelung zu vereinbart werden. Empfehlenswert ist es auch, eine Pflegekraft hinzuzuziehen. Diese stehen oft im intensiven Kontakt mit den Patienten und werden häufig mit deren Fragen konfrontiert.

Checkliste für das Patientengespräch:

  • Zeit nehmen

  • Ruhige Umgebung

  • Empathische Gesprächsführung

  • Gespräch vorbereiten

  • ggf. Vertrauensperson hinzuzubitten


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Gesprächseinstieg

Bedauern bekunden | „Am Anfang des ersten Gesprächs sollte der Arzt Verständnis für den Patienten zeigen und sein Bedauern aussprechen – das zeigt Empathie und Wertschätzung“, betont Siebert. Ist offensichtlich ein Fehler passiert, sollte man diesen direkt ansprechen und sich entschuldigen, um nicht das Vertrauen des Patienten zu verlieren [1]. Das ehrliche Bedauern eines möglichen Fehlers ist ein zentrales Element der Kommunikation und hat für den Patienten eine herausragende Bedeutung [2].

Sein Bedauern auszudrücken ist kein Schuldeingeständnis und daher auch nicht haftungsrelevant.

Aufrichtig zuhören | Das APS betont: „Es ist Ausdruck des Respekts vor dem Patienten, wenn seine Fragen das Gespräch bestimmen.“ Hier liegen für Siebert auch mögliche Fehler beim Gespräch: „Der Arzt redet zu viel und hört dem Patienten und Angehörigen zu wenig zu.“ Ein Arzt zeigt dagegen Mitgefühl, wenn er beispielsweise nachfragt, inwieweit die Klinik konkrete Unterstützung vermitteln oder organisieren kann.

Ursachen gemeinsam suchen | Sätze wie „Der Zwischenfall war unvermeidbar“ sind unbedingt zu vermeiden. Siebert empfiehlt, dem Patienten anzubieten, gemeinsam die Ursachen des Zwischenfalls zu ergründen. Diese seien nicht immer gleich erkennbar. Zudem sollte zusammen geklärt werden, welche Folgen das Ereignis für den Patienten hat, so Siebert weiter.


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Gesprächsinhalt

Was darf und muss man sagen? | Viele Ärzte sind unsicher, was sie bei einem Zwischenfall sagen dürfen. Viele fürchten, dass eine Mitleidsbekundung oder eine Entschuldigung bedeutet, den Versicherungsschutz zu verlieren. Dies ist allerdings rechtlich unbegründet [1]. Der Arzt sollte den Patienten informieren über

  • den Vorfall und Schaden,

  • die Folgen und Prognose,

  • Pläne oder Empfehlungen für die Weiterbehandlung sowie

  • ggf. das weitere Vorgehen, wie der Vorfall analysiert wird.

Kein Schuldanerkenntnis geben | Ein Anerkenntnis ist das Versprechen des Arztes gegenüber dem Patienten, für einen Fehler die Haftung zu übernehmen. Man verliert dadurch nicht automatisch den Versicherungsschutz, muss aber ggf. selbst finanziell für den Schaden aufkommen [3]. Dr. Eberhard Foth, ehemaliger Vorsitzender der Gutachterkommission der Ärztekammer Südwürttemberg, rät deshalb dringend von einem Anerkenntnis ab. Es sei Sache der Versicherung, sich mit dem Patienten zu einigen oder die Haftungsfrage gerichtlich klären zu lassen.

Fakten nennen | Laut den Versicherungsbedingungen sei der Versicherungsnehmer „nicht berechtigt, den Anspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen“ (o. ä.). „Das hindert aber nicht daran, objektiv vorliegende Fakten als solche zu benennen – etwa, dass ein Gefäß verletzt wurde. Dieser Sachverhalt wird oft verkannt“, sagt Foth.

Man kann objektiv den Hergang und die Tatsachen eines Zwischenfalls schildern. Es sollte aber keine Haftung anerkannt werden.


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Ende des Gesprächs

Ausblick geben | Es ist ratsam, das Gespräch zu protokollieren und dem Patienten eine Kopie zu geben. Am Ende des Gesprächs sollte man

  • das weitere Vorgehen besprechen,

  • zuständige Ansprechpartner nennen,

  • möglichst den nächsten Gesprächstermin festlegen und

  • den voraussichtlichen Zeitpunkt weiterer Ergebnisse mitteilen.

In der Regel möchten Patienten bei Behandlungsfehlern erfahren, was die Klinik künftig unternehmen wird, um ähnliche Fälle zu vermeiden. Dies sollte dem Betroffenen mitgeteilt werden, sobald der Vorfall intern aufgearbeitet wurde [1].

Externe Hilfe anbieten | „Man sollte gemeinsam festlegen, wie die nächsten Schritte aussehen und keinesfalls nur auf die Haftpflichtversicherung hinweisen“, betont Siebert. Je nach Reaktion des Patienten könne man ihm anbieten, einen anderen Arzt bzw. eine andere Klinik zu finden oder sich an die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern zu wenden. Bei gravierenden, bleibenden Schäden können auch Selbsthilfegruppen oder andere Beratungsangebote hilfreich sein.


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Fehler im Team besprechen

Oft problematisch, aber wichtig | Viele Ärzte versuchen, einem klaren Gespräch über Fehler und Zwischenfälle auszuweichen, weil

  • es belastend für sie ist,

  • sie rechtliche Konsequenzen befürchten oder

  • gute Kommunikation in der Ausbildung noch immer unzureichend gelehrt und geübt wird.

„Man muss stark sein, um von sich aus anzusprechen, dass ein Zwischenfall eingetreten ist“, erklärt Siebert. Er plädiert für eine Sicherheitskultur in den Kliniken, in der über Fehler gesprochen wird. Man sollte dabei stets die strukturellen Gegebenheiten reflektieren, die bei Fehlern oft auch eine entscheidende Rolle spielen.

Konsequenzen ziehen | Aus Fehlern zu lernen erfordert eine offene Kommunikation innerhalb des behandelnden Teams. Siebert zufolge sollte über Fehler und mögliche Ursachen geredet werden, z. B. in regelmäßigen Morbiditäts- und Mortalitätsbesprechungen. Auch ärztliche Leitung, Geschäftsführung und Pflege- und Funktionsdienst sollten dabei eingebunden werden. Sehr wichtig sei zudem, dass auch der Chef über Fehler berichtet.

Regelmäßige, interdisziplinäre Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen können das Sicherheitsklima verbessern [4].

„Zweites Opfer“ verhindern | Menschen in Gesundheitsberufen leiden darunter, wenn sie an unerwünschten Ereignissen beteiligt waren und sich die (Mit-)Schuld geben. Deshalb ist es wichtig, den Zwischenfall im Team aufzuarbeiten. „Zweite Opfer“ sollten erkannt, ernst genommen und unterstützt werden sowie Gelegenheit erhalten, zur Aufklärung und Vermeidung von Zwischenfällen beizutragen [1].

Konsequenzen für Klinik und Praxis
  • Der Patient sollte über einen Zwischenfall auch dann informiert werden, wenn keine Folgebehandlung ist. Es besteht aber keine Pflicht zu „Selbstanzeige“.

  • Gesicherte Tatsachen und Fakten dürfen genannt werden.

  • Man sollte keinesfalls Spekulationen über mögliche Ursachen mitteilen, bevor der Zwischenfall sorgfältig analysiert wurde.

  • Ein Schuldanerkenntnis sollte unterlassen werden, da die Ursachen häufig gutachterlich geklärt werden müssen.


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Fehler während der Behandlung können das Arzt-Patienten-Verhältnis schwerwiegend beeinträchtigen – vor allem dann, wenn sich der Patient alleingelassen fühlt.
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