Pneumologie 2016; 70(03): 201-204
DOI: 10.1055/s-0042-101661
Fallbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Differenzialdiagnostische Aspekte der Sarkoidose anhand eines Fallberichts

Case Report with Differential Diagnostic Aspects of Sarcoidosis
X. Baur
1   Institut für Arbeitsmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin, European Society for Environmental and Occupational Medicine (EOM)
,
J. Müller-Quernheim
2   Klinik für Pneumologie, Department Medizin der Universität Freiburg
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Xaver Baur
Institut für Arbeitsmedizin
Charité Universitätsmedizin Berlin
Thielallee 69
14195 Berlin

Publication History

eingereicht 15 January 2016

akzeptiert nach Revision 26 January 2016

Publication Date:
15 March 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Der heute 73-jährige nicht-atopische Patient entwickelte im Alter von 29 Jahren Belastungsdyspnoe, Allgemeinsymptome, eine Vergrößerung der axillären Lymphknoten und kleinknotige Hautveränderungen. Nachdem radiologisch eine bihiläre Lymphadenopathie festgestellt wurde, erfolgte ohne histologische Bestätigung und ohne eingehende Anamneseerhebung unter der Diagnose Sarkoidose eine Steroidbehandlung. In der Folgezeit kam es zunächst zu einer Remission, dann zu einem Rezidiv 12 Jahre später, gefolgt von einem mehr chronischem Verlauf (bis zum Röntgentyp II). Eine therapiepflichtige kombinierte Ventilationsstörung besteht seit dem Rezidiv. Erst vor 5 Jahren führte das Insistieren des Patienten zu einer klärenden Diagnostik. Das Beispiel weist auf die diagnostische Bedeutung insbesondere der eingehenden Anamnese inklusive Arbeitsanamnese hin. Deren Unterlassung gereichte nicht nur zum Nachteil des Patienten, sie führte auch zu einer nicht korrekten versicherungsrechtlichen Behandlung des Falls und zur Nichtbeachtung angezeigter Präventionsmaßnahmen in Bezug auf die Arbeitskollegen.


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Abstract

A 73-year-old non-atopic patient had developed at the age of 29 shortness of breath on exertion, general malaise, enlarged axillary lymph nodes and nodular cutaneous eruptions. Based on the presence of bihilar lymphadenopathy, the diagnosis of sarcoidosis was made at that time without any histological investigations and without taking detailed case history. Administration of systemic steroids resulted in remission. However, 12 years later, there was a relapse with alterations of lung parenchyma, followed by a more chronic course of the disorder. Since this relapse, an obstructive-restrictive ventilation defect requiring treatment has persisted till today. About five years ago and at the insistence of the patient, clarifying diagnostics were performed. The case shows the important role of a detailed case history including occupational history. Its failure not only led to disadvantages to the patient but also to incorrect social insurance handling and missing appropriate preventive measures with regard to co-workers.


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Klinische Anamnese

Der 1942 geborene Patient erlitt als Fünfjähriger ein Schädel-Hirn-Trauma mit passagerer Hemiparese, aus der sich eine anhaltende Gehbehinderung entwickelte. Im Alter von 29 Jahren kam es zu einer zunehmenden Kurzatmigkeit unter Belastungen wie schnellem Gehen oder Treppensteigen; gleichzeitig traten bds. vergrößerte Lymphknoten in der Axilla und am rechten Unterarm und an den Unterschenkeln gerötete Hautknötchen auf. Radiologisch wurde eine bihiläre Lymphadenopathie festgestellt und dann ohne histologische Sicherung von dem Vorliegen einer Sarkoidose Röntgentyp I ausgegangen. Unter einer oralen Corticosteroidtherapie bildeten sich alle Veränderungen rasch zurück. Zu gleichartigen Hautveränderungen kam es allerdings in den folgenden Jahren immer wieder, teilweise auch im Gesicht (eine histologische Untersuchung erfolgte nicht). 1983 wurde erneut Luftnot unter alltäglicher Belastung verbunden mit vermehrter Müdigkeit und depressiver Stimmungslage bemerkt; im Röntgenbild war wieder eine Zunahme der hilären Lymphknoten entsprechend einem Röntgentyp I der Sarkoidose festzustellen. Es erfolgte wieder eine Steroidtherapie. In den folgenden Jahren belegen die Verlaufskontrollen einen leicht wechselnden Röntgenbefund (bis Röntgentyp II); gleichzeitig zeigt sich persistierend eine kombinierte Ventilationsstörung mit meist leicht bis mittelgradig erhöhtem Atemwegswiderstand sowie leicht verminderter Vitalkapazität und Totalkapazität. Es erfolgte unter der Diagnose COPD II eine inhalative Applikation von Bronchodilatatoren, zum Teil auch von Corticoiden. 2004 traten eine geringe Progredienz im Röntgen-Thorax und passager wieder kleine rötliche Hautknoten an den Unterschenkeln auf; diese Veränderungen gingen kurzfristig spontan zurück.

An aktuellen Beschwerden gibt der Patient weiterhin Luftnot unter Belastungen wie schnelles Gehen und Treppensteigen sowie Symptome einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität an.


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Arbeitsanamnese

Der Patient absolvierte 1957 bis 1960 eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker. Er arbeitete dann zunächst als Schlosser in einer Kraftfahrzeugwerkstatt, dann bis 1968 als Rohrleger. Anschließend wechselte er zu einer Flugzeugwerft im Ostteil von Berlin, wo er ab 1969 als Triebwerkmechaniker in einem separaten Arbeitsraum vorrangig Turbinenteile russischer Kampfjets reparierte und wartete; im Zeitraum 1969 –1975 handelte es sich dabei um ältere MIG-Typen (MIG 15, 16, 17). Die instand zu haltenden Schaufeln (Lamellen) der Turbinen bestanden aus einer Aluminium-Berylliumlegierung (laut Bericht der BGlichen Präventionsabteilung betrug der Beryllium-Anteil weniger 1 %). Nach 1975 mussten Turbinenschaufeln dieser älteren Flugzeugtypen nur noch vereinzelt gewartet werden, ganz vorrangig war nun die Instandhaltung entsprechender Teile des Flugzeugtyps MIG 19; diese waren aus V2A-Stahl gefertigt. Beim Feilen, Schleifen – unter Verwendung eines Pressluftschleifers mit Sandpapier – der Turbinenschaufeln fiel sehr viel feiner Staub der zu bearbeiteten Materialien an. Die Luftabsaugung war völlig unzureichend; lange Zeit standen nur Mundschutz bzw. eine Papiermaske zur Verfügung.

Nach der Flucht eines Cousins 1986 in den Westen erfolgte zunächst eine dreimonatige innerbetriebliche Strafversetzung zu Reinigungsarbeiten, wobei er viel Kontakt mit benzolhaltigem Waschbenzin hatte. Anschließend wurde er entlassen. Er fand dann Anstellung als Lagerarbeiter und Schweißer bis 1989, dann als Kippenwart einer Mülldeponie bis zur Berentung 1994.

Laut Begehungsberichten der Flugzeugwerft im Zeitraum 1966 – 1989 waren die arbeitshygienischen Bedingungen sehr ungünstig; in verschiedenen Arbeitsbereichen wurden erhebliche Überschreitungen der damals zulässigen relativ hohen, maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen für Staub festgestellt (laut Bericht 1000 mg/m3 bzw. 800 T/cm3). In der aktuellen Stellungnahme Arbeitsplatzexposition BK 1110 (Beryllium und seine Verbindungen) der Unfallversicherung wird erwähnt, dass der Versicherte hochwarmfeste Werkstoffe auf Aluminium- oder Nickelbasis mit Beryllium-Beimengungen (in der Regel unter 1 Prozent) geschliffen und dabei anteilig den Schleifstaub inhalativ aufgenommen habe.


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Technische Untersuchungsbefunde im Verlauf

Röntgen-Thorax: Seit der initialen Krankenhauseinweisung 1971 ist eine bihiläre Lymphadenopathie mit etwas unterschiedlicher Ausprägung festzustellen; im Zeitraum 2009 kam eine netzig-streifige Zeichnungsvermehrung in den Lungenmittel- und Lungenunterfeldern (im Sinne eines radiologischen Typs II der Sarkoidose) hinzu, die sich dann teilweise wieder zurückbildete ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb.1 Computertomogramm des Thorax 2008: Es zeigt sich eine bihiläre Lymphadenopathie. Die Lungenstruktur ist nicht auffällig.

Lungenfunktion: Die seit 1992 vorliegenden Lungenfunktionsmessprotokolle zeigen eine kombinierte Ventilationsstörung, wobei im Verlauf die Vitalkapazität im Bereich von 61 – 86 % des Soll-Mittelwertes, die totale Lungenkapazität großteils um 75 % des Soll-Mittelwertes und der Atemwegswiderstand zwischen 0,3 und 0,5 kPa/l/s, initial auch darüber, lag.

Aktuell beträgt bei nicht optimaler Atemtechnik die Vitalkapazität 2,00 l (57 % des Soll-Mittelwertes), die totale Lungenkapazität 4,10 l (68 % des Soll-Mittelwertes), das Residualvolumen 2,17 l (86 % des Soll-Mittelwertes), die FEV1 /FVC 60 %, der Atemwegswiderstand 0,44 kPa/l/s, der spezifische Atemwegswiderstand 1,31 kPa × s, die DLCO 56 % und KCO 105 % des Soll-Mittelwertes (Referenzwerte: [1] [2] [3]).

Lymphozytenproliferationstest mit Zellen aus der bronchoalveolären Lavage (BAL) und dem peripheren Blut: 2010 erfolgten erstmals eine BAL und Entnahme von Heparinblut und die Versendung des Materials ins Labor (Pneumologische Klinik der Universität Freiburg), wo die Proben am nächsten Tag ankamen. Die Beryllium-Stimulation der Blutzellen und der BAL-Zellen ergab einen grenzwertigen Befund (signifikante Stimulation im zeitlichen Verlauf nicht an allen Untersuchungstagen).

Eine parallele Blutzell-Stimulation in einer großen Laborpraxis zeigte ein negatives Ergebnis, wobei methodische Details nicht vorliegen. Der Empfehlung einer Wiederholung der Untersuchung wurde zunächst nicht gefolgt. Diese erfolgte erst im Rahmen der jetzt vom Sozialgericht angeordneten Nachbegutachtung, wobei die Blutabnahme und die Bronchoskopie in Freiburg durchgeführt wurden, sodass der Transport des Untersuchungsmaterials entfiel. Dabei zeigte sich im Lymphozytenproliferationstest mit Zellen aus der bronchoalveolären Lavage ein signifikant positives Ergebnis, während der Lymphozytenproliferationstest mit Blutzellen negativ ausfiel.

BAL: Aktuell fand sich bei einer Gesamtzellzahl von 25 × 106 eine Lymphozytose von 26 %; die CD4 /CD8-Ratio lag mit 1,8 im Normbereich.

Begutachtung 2010: Es wurde von der Diagnose Sarkoidose ausgegangen und eine Berylliose in Anbetracht des vorgenannten Ergebnisses des Lymphozytenproliferationstests sowie der für diese Diagnose als untypisch angesehenen Hautveränderungen abgelehnt.


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Besprechung

Dem Patienten war die berufliche Belastung gegenüber Beryllium-haltigen Stäuben nicht bekannt; er vermutete zwar bereits in den 1980er Jahren einen Zusammenhang seiner Atembeschwerden mit der erheblichen Staubbelastung am Arbeitsplatz. Auf seine Nachfrage wurde ihm jedoch eine Auskunft über die Arbeitsstoffe unter Verweis auf die Geheimhaltung im militärischen Bereich verweigert.

Die beiden Krankheitsbilder Sarkoidose und Berylliose sind klinisch nicht unterscheidbar, sie unterscheiden sich aber in der Arbeitsanamnese und der immunologischen Reaktion auf Beryllium. Konkret lagen im vorliegenden Fall eine mehrjährige (1969 bis 1975) intensive, für eine Berylliose, nicht aber für eine Sarkoidose typische Berylliumexposition unter ungünstigen arbeitshygienischen Bedingungen und eine Beryllium-Sensibilisierung vor.

Differenzialdiagnostisch zu erwägende Erkrankungen wie Lungentuberkulose, Histiozytose X, Morbus Hodgkin, andere Lymphome und Tumoren ließen sich aufgrund des insgesamt guten Allgemeinzustandes, des Fehlens einer B-Symptomatik, des Verlaufs und des guten Ansprechens auf Steroide praktisch ausschließen.

Die kürzlich publizierte S3-Leitlinie zum diagnostischen Vorgehen bei Beryllium-assoziierten Erkrankungen [4] empfiehlt einen diagnostischen Algorithmus, wobei folgende diagnostische Kriterien gefordert werden: Nachweis einer Berylliumexposition und einer Sensibilisierung auf Beryllium durch wiederholte positive Antworten im Lymphozytenproliferationstest mit Zellen aus dem peripheren Blut oder der bronchoalveolären Lavage (ein grenzwertig pathologisches und ein klar pathologisches Ergebnis beweisen die Sensibilisierung mit ausreichender Sicherheit), histologischer Nachweis von nicht-nekrotisierenden Granulomen oder hilfsweise einer Symptomatik und Befunde (restriktive Ventilationsstörung, retikulonoduläre Zeichnungsvermehrung), die mit der chronischen Berylliose vereinbar sind. Im vorliegenden Fall sind bis auf eine histologische Verifizierung alle geforderten Kriterien erfüllt.

Die vom initialen, im Jahre 2010 eine Berufskrankheit negierenden Gutachter geäußerte Ansicht, dass eine Hautbeteiligung gegen eine Berylliose spreche, ist durch keine Studie belegt (obwohl in Lehrbüchern zum Teil so mitgeteilt) und kann insofern nicht als Ausschlusskriterium herangezogen werden. So wurden vom Zweitautor wiederholt Hautberylliosen beobachtet. Das Vorliegen einer Beryllium-Sensibilisierung ist ein starkes Indiz für eine Berylliose; eine Sarkoidose geht nicht mit einem solchen Ergebnis einher. Die 2010 durchgeführten Lymphozytenproliferationsteste waren nicht – wie vom Erstgutachter und beratenden Arzt der Unfallversicherung dargestellt – negativ, sondern grenzwertig. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach einem eintägigen Transport die Zellen in ihrer Funktionsfähigkeit häufig vermindert sind; deshalb wurde die Wiederholung der Untersuchung bereits damals vorgeschlagen. Das jetzige Ergebnis der BAL-Zellen ist eindeutig positiv im Sinne einer Beryllium-Sensibilisierung, wie sie für eine Berylliose typisch ist. Dass nach einer 4 Jahrzehnte langen Interimszeit der Test mit den Blutzellen, die nicht unmittelbar mit dem inhalierten und noch in Resten in der Lunge befindlichen Beryllium in Kontakt kommen, jetzt negativ ausfällt, widerspricht dieser Feststellung nicht. Es liegt somit seit 1971 eine therapiepflichtige chronische Berylliose mit Befall der Lymphknoten und der Lunge, wahrscheinlich intermittierend auch der Haut vor; die Hautbeteiligung ist allerdings nicht histologisch bestätigt.

Die theoretisch mögliche Konstellation, dass eine Sarkoidose mit einer asymptomatischen Beryllium-Sensibilisierung einhergeht, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Jedoch ist diese Konstellation deutlich weniger wahrscheinlich als das Vorliegen einer Berylliose. Ein variabler Teil (1 – 100 % je nach Expositionsdosis, im Mittel etwa 20 %) der Beryllium-Exponierten entwickelt eine spezifische lymphozytäre Sensibilisierung [5] [6]; ohne eine solche Sensibilisierung, d. h. einen positiven Ausfall des Lymphozytenproliferationstests bei korrekter Durchführung, gibt es keine Berylliose. Unter Beryllium-Sensibilisierten entwickelt nahezu jeder Zweite dieses Krankheitsbild, wobei die Latenzzeit sehr variabel ist und Jahrzehnte betragen kann [6]. Andererseits weisen Sarkoidose-Patienten typischerweise keine Beryllium-Sensibilisierung auf.

Die Prävalenz der Sarkoidose unter Männern liegt in Deutschland bei etwa 40/100 000, der bevorzugte Altersbereich ist das 20. bis 40. Lebensjahr [7].

Die Prävalenz der Berylliose ist unter Beryllium-Exponierten sehr variabel, sie liegt meist im niedrigen Prozentbereich, kann aber auch bis zu 20 % und mehr der Exponierten betreffen [5] [8]. Nicht alle Beryllium-Sensibilisierten erkranken. Zum Teil sind Dosis-Wirkungsbeziehungen beschrieben, diese zeigen sich allerdings nicht in allen Studien [9]. Auch niedrige Expositionen, unterhalb von Arbeitsplatzgrenzwerten und Richtwerten im Umweltbereich, sind mit einer Überhäufigkeit einer Berylliose verbunden [10]; so wurde über Häufungen unter Personen berichtet, die in der Nähe von Beryllium-verarbeitenden Firmen leben. Bereits Konzentrationen im Bereich von 0,01 µg/m3 wurden als krankheitsauslösend beschrieben [11]. Es spricht also auch die rein statistische Betrachtung der im Vergleich zur Sarkoidose in der Allgemeinbevölkerung unter Beryllium-Exponierten 1000-mal häufigeren Berylliose für letztere Diagnose.

Die in der vorliegenden Patientenakte seit 1992 belegte (frühere Untersuchungsbefunde sind nicht mehr zugänglich) und aufgrund der persistierenden Krankheitssymptome ab 1971 anzunehmende Lungenfunktionseinschränkung ist mit Wahrscheinlichkeit auf die Berylliose zurückzuführen. Es gibt keine Hinweise auf eine außerberufliche Ursache wie zum Beispiel eine Raucher-bedingte COPD oder ein allergisches Asthma.

Der Verlauf der Lungenfunktionsbefunde ist gut mit einer Berylliose mit wechselnder klinischer Ausprägung bzw. Besserung spontan oder unter Cortisionbehandlung vereinbar (eine exakte Angabe von Zeiträumen und Dosierung der Letzteren war dem Patienten jetzt nicht möglich, ärztliche Angaben waren der Akte nicht zu entnehmen). Die sich aus der Beschwerdesymptomatik und Lungenfunktionseinschränkung ergebende Minderung der Erwerbsfähigkeit ist im Zeitraum, in dem die dargestellten Untersuchungsbefunde vorliegen, auf 20 % zu veranschlagen.

Bemerkenswerterweise war über vier Jahrzehnte lang bei chronischem Krankheitsverlauf trotz der Involvierung erfahrener Fachkollegen nicht an eine berufliche Verursachung gedacht und offensichtlich keine Arbeitsanamnese erhoben worden. Erst als der Patient, informiert durch die Laienpresse und bestätigt von Seiten einer Radiologin auf die schwierige Abgrenzung einer Sarkoidose von einer Berylliose aufmerksam wurde, erfolgte aufgrund seines Drängens von Seiten des seit Jahren regelmäßig konsultierten Lungenfacharztes eine Berufskrankheitsanzeige und die Einleitung eines Berufskrankheitenverfahrens. Bei dem dann durchgeführten Lymphozytenproliferationstest wurde nicht beachtet, dass die Funktion der Zellen durch einen längeren Transport leidet. Hinzu kam, dass sowohl der beratende Arzt der Berufsgenossenschaft als auch der initiale Gutachter in unzutreffender Weise von einem negativen Ergebnis des Beryllium-Lymphozytenproliferationstests ausgingen; tatsächlich waren die 2010 erhobenen Befunde aus einer erfahrenen Universitätsklinik aber nicht negativ, sondern nicht genügend aussagekräftig. Der Empfehlung, die Untersuchung zu wiederholen, wurde nicht gefolgt. Da die jetzige BAL und Blutabnahme vor Ort in der Klinik erfolgten, entfiel der Transport, und die BAL-Zellen und Blutzellen konnten unmittelbar untersucht werden. Insofern ist das jetzige Ergebnis nicht durch Transport-Artefakte verfälscht und aussagekräftig.

In der Gesamtschau besteht aufgrund der stattgehabten erheblichen Beryllium-Exposition im Zeitraum 1968 – 1975, eines für eine Berylliose typischen Krankheitsverlaufs und der jetzt objektivierten Beryllium-Sensibilisierung kein vernünftiger Zweifel an dem Vorliegen einer Berylliose und nicht einer Sarkoidose.

Dass eine genetische Disposition für die Beryllium-Sensibilisierung und die Manifestation der Berylliose eine wichtige Rolle spielt, zeigen eine Reihe neuerer Untersuchungen [12]. Genetische Untersuchungen sind bei der Diagnostik der Berylliose jedoch nicht sinnvoll, da die Frequenzen der genetischen Suszeptibilitätsvarianten für zuverlässige diagnostische Aussagen oder präventive Maßnahmen zu hoch sind. Die frühzeitige Diagnose der Sensibilisierung durch einen Beryllium-Lymphozytenproliferationstest bleibt aktuell das wichtigste präventive und diagnostische Instrument.

Fazit

Da mindestens 10 % der bronchopulmonalen Erkrankungen (und auch der meisten anderen Organsysteme) zu einem wesentlichen Teil oder sogar ausschließlich durch berufliche Ursachen bedingt sind, ist die Arbeitsanamnese ein essenzieller Bestandteil der Diagnostik. Das Fallbeispiel zeigt, dass deren Unterlassung nicht nur unter dem Aspekt der Entschädigung negative Folgen für den Patienten hat, sondern auch rechtzeitige präventive Maßnahmen für den Betroffenen und seine Kollegen verhindert und in seiner Konsequenz gegen Paragraf 202 des SGB VII, die Meldepflicht des begründeten Verdachts auf eine Berufskrankheit, verstößt. Nicht selten werden dadurch auch unnötige diagnostische Schritte und nicht geeignete Therapiemaßnahmen initiiert. Hinzuweisen ist darauf, dass sich der Lymphozytenproliferationstest besonders zum Surveillance von beruflich Beryllium-Exponierten eignet; auf diese Weise lassen sich Sensibilisierungen, die mit einem hohen Erkrankungsrisiko einhergehen, frühzeitig erfassen und durch konsequente Expositionskarenz wahrscheinlich chronische Erkrankungsformen verhindern [4].


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Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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  • 10 Dustan C. In Plant and Non-Plant Cases. Report to the Atomic Energy Commission Office of New York Directed Operations. Lorain, Ohio: Brush Beryllium Corporation Lorain; 1948
  • 11 Willis HH, Florig HK. Potential exposures and risks from beryllium-containing products. Risk analysis: an official publication of the Society for Risk Analysis 2002; 22: 1019-1033
  • 12 Muller-Quernheim J, Gaede KI, Prasse A et al. Chronische Berylliose. Pneumologie 2007; 61: 109-116

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Xaver Baur
Institut für Arbeitsmedizin
Charité Universitätsmedizin Berlin
Thielallee 69
14195 Berlin

  • Literatur

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Abb.1 Computertomogramm des Thorax 2008: Es zeigt sich eine bihiläre Lymphadenopathie. Die Lungenstruktur ist nicht auffällig.