Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(14): 1004
DOI: 10.1055/s-0042-108143
Aktuell publiziert
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Antimikrobielle Therapie von Dekubitalgeschwüren: Nutzen unklar

Joachim Dissemond
1   Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Essen
› Author Affiliations
Norman et al.
Antibiotics and antiseptics ….

Cochrane Database Syst Rev 2016;
4: CD011586
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Prof. Dr. med. Joachim Dissemond
Oberarzt an der Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Essen

Publication History

Publication Date:
12 July 2016 (online)

 

Dekubitalgeschwüre werden häufig antimikrobiell behandelt. Bisher fehlt dafür jedoch eine klare wissenschaftliche Grundlage. Cochrane-Autoren gingen daher der Frage nach, ob es einen evidenzbasierten Nutzen von Antiseptika und Antibiotika bei Dekubitalgeschwüren gibt.


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Dekubitalgeschwüre sind druckbedingte Defekte der Haut und – je nach Grad – der unter der Haut liegenden Gewebeschichten. Trotz guter Lagerungspflege sind sie nicht immer ganz zu vermeiden. Da eine intakte Hautoberfläche als Barriere gegen das Eindringen von Mikroorganismen fehlt, sind Dekubitalulzera in der Regel infiziert oder zumindest kolonisiert. Eine Behandlung mit antimikrobiell wirksamen Wundtherapeutika liegt daher nahe.

In das Review wurden 12 randomisierte, kontrollierte Studien mit 576 Patienten eingeschlossen, die einen Dekubitus mit einem Schweregrad von mindestens 2 hatten. In diesen Studien wurden folgende antimikrobielle Wirkstoffe untersucht: PVP-Jod, Cadexomer-Jod, Gentiana-Violett, Lysozym, Silberverbände, Honig, Kiefernharz, Polyhexanid, Silber-Sulfadiazin und Nitrofurazon mit Ethoxydiaminoacridin. Diese Wirkstoffe wurden mit Lokaltherapeutika ohne antimikrobielle Wirkung verglichen, in einer Studie mit einer anderen antimikrobiellen Substanz.

Bei der Behandlung mit PVP-Jod heilen in kurzer Zeit weniger Geschwüre als bei Vergleichsbehandlungen ohne antimikrobielle Aktivität, wie Protease-modulierende Wundauflagen (Relatives Risiko [RR]: 0,78; 95 %-Konfidenzintervall 0,62–0,98) oder Hydrogel (RR 0,64 [0,43–0,97]). Die Qualität der Evidenz war in diesem Fall moderat bis niedrig. Fichtenharzsalbe schien mehr Druckgeschwüre zu heilen als Hydrokolloid (RR 2,83 [1,14–7,05], niedrige Qualität der Evidenz). Bei sehr niedriger Qualität der Evidenz gab es Hinweise, dass Cadexomer-Jod nicht wirksamer war als eine Standardbehandlung und eine kombinierte antiseptische und antibiotische Therapie nicht wirksamer war als Honig.

In 6 Studien wurde über Nebenwirkungen berichtet, die selten und ohne signifikante Unterschiede zwischen den Studienarmen auftraten. In einer Studie wurden höhere MRSA-Eradikationsraten mit Polyhexanid-Verbänden beobachtet als nach Abtupfen mit Polyhexanid (RR 1,48 [1,02–2,13]). Auch Schmerzen wurden in der Gruppe mit Verbänden signifikant weniger angegeben.

Ob bei Dekubitalgeschwüren systemische oder lokale antimikrobielle Therapiemaßnahmen im Vergleich zu anderen Behandlungsstrategien Vorteile bieten, bleibt unklar. In Studien, in denen sich Unterschiede zeigten, waren manchmal Therapieoptionen ohne antimikrobielle Wirkung von Vorteil. Bei kleinen Studien mit kurzer Dauer, unklarem Risiko für Bias und erheblicher Heterogenität bewerteten die Autoren die Qualität der Evidenz als moderat bis sehr niedrig.

Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

Kommentar aus der Praxis

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Prof. Dr. med. J. Dissemond

Antimikrobielle Therapien chronischer Wunden inklusive den Dekubitalgeschwüren haben einen sehr wichtigen klinischen Stellenwert. Die in den meisten Studien zugrunde gelegte Fragestellung ist jedoch, ob es durch eine kontinuierliche antimikrobielle Behandlung zu einem rascheren Wundverschluss kommt. Dieser Prozess ist aber von sehr vielen Faktoren abhängig. Kausal ansetzende Therapien, wie in diesem Fall die konsequente Druckentlastung, sind für die Wundheilung deutlich entscheidender.

Wo Meta-Analysen oder S3-Leitlinien aufgrund der unzureichenden wissenschaftlichen Datenlage keine praxisrelevanten Empfehlungen aussprechen können, sollte auf die bestmögliche Evidenz wie beispielsweise Expertenempfehlungen zurückgegriffen werden. Für die antimikrobielle Therapie von Patienten mit chronischen Wunden wird aktuell empfohlen, zuerst die Indikation zu prüfen. So ist eine klinisch unproblematische Kolonisation i. d. R. keine Indikation für eine antimikrobielle Therapie. Beispielsweise können bei klinisch relevanten Infektionen Antiseptika wie Polyhexanid oder Octenidin über einen Zeitraum von 2–3 Wochen eingesetzt werden. Anschließend muss reevaluiert werden, ob überhaupt eine Indikation für die Fortführung einer solchen Therapie besteht.

Daher sollten antimikrobiell wirksame Substanzen wie Polyhexanid oder Octenidin aktuell in der Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden zielgerichtet und zeitlich limitiert eingesetzt werden.


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Interessenkonflikt

Beratungen und Vorträge für, bzw. Forschungsförderung durch Aceiltly, Almirall, B. Braun, BSN, Coloplast, Convatec, Draco, Flen Pharma, Hartmann, Lohmann & Rauscher, Medoderm, Mölnlycke, Sastomed, Serag-Wiessner, Urgo.


Prof. Dr. med. Joachim Dissemond
Oberarzt an der Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Essen


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Prof. Dr. med. J. Dissemond