Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(17): 1214
DOI: 10.1055/s-0042-111107
Aktuell publiziert
Aus der Cochrane Library
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nicht resorbierbare Disaccharide mildern hepatische Enzephalopathie

Tilman Sauerbruch
1   Universitätsklinikum Bonn
› Author Affiliations
Gluud et al.
Non-absorbable disaccharides ….

Cochrane Database Syst Rev 2016;
5: CD003044
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Prof. Dr. Tilman Sauerbruch
Universitätsklinikum Bonn

Publication History

Publication Date:
24 August 2016 (online)

 

Ist die Entgiftungsfunktion der Leber unzureichend, gelangt Ammoniak ins Gehirn. Dies kann zerebrale Funktionsstörungen bis hin zum Koma verursachen. Nicht resorbierbare Disaccharide können die Aufnahme von Ammoniak aus dem Darm hemmen. Ein aktualisiertes Review kommt nun bei der Frage, ob diese eine hepatische Enzephalopathie bei Patienten mit Leberzirrhose vorbeugen können, zu neuen Ergebnissen.


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In das Review wurden 38 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) mit 1828 Patienten eingeschlossen. 8 Studien für den Endpunkt Mortalität weisen ein niedriges Risiko für Bias auf, die der übrigen Endpunkte zeigen alle ein hohes Risiko. Hinsichtlich Mortalität, hepatischer Enzephalopathie und schweren Nebenwirkungen bewerten die Autoren die Qualität der Evidenz nach GRADE als moderat, bei allen weiteren Endpunkten als sehr niedrig.

Eine Metaanalyse zeigt einen Nutzen der Therapie mit nicht resorbierbaren Disacchariden gegenüber Placebo oder keiner Intervention mit einem relativen Risiko (RR) von 0,59 ([95 %-KI: 0,40–0,87]; n = 1487; I2 = 0 %). Gehen in die Analyse nur 8 Studien mit niedrigem Risiko für Bias ein, ergibt sich ein RR von 0,63 ([0,41–0,97]; n = 705). Es fanden sich auch günstige Effekte auf die hepatische Enzephalopathie (RR 0,58 [0,50–0,69]; I2 = 32 %).

Zusätzliche Analysen deuten darauf hin, dass auch mit der Lebererkrankung in Verbindung stehende Komplikationen wie Leberversagen, hepatorenales Syndrom und Ösophagusvarizenblutung vermindert werden (RR 0,47 [0,36–0,60]; I2 = 0 %). Es gab auch Evidenz für eine Verbesserung der Lebensqualität, während sich die Nebenwirkungen auf weniger schwere gastrointestinale Symptome beschränkten.

Dieses Review bestätigt die günstigen Effekte der Therapie mit nicht resorbierbaren Disacchariden zur Prävention oder Behandlung hepatischer Enzephalopathie auf klinisch relevante Endpunkte.

Dr. med. Peter Pommer, Pfronten

Kommentar aus der Praxis

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Prof. Dr. T. Sauerbruch

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine neuropsychiatrische Störung aufgrund einer Einschränkung der Leberfunktion und portosystemischer Shunts. Das vermehrte Anfluten von Ammoniak, Zytokin-Bildung oder Elektrolytstörungen können eine glioneurale Dysfunktion hervorrufen, die sich variabel manifestiert (von subklinischen mentalen und motorischen Störungen bis hin zum Koma). Bei Erstdiagnose einer Leberzirrhose haben 10–15 % der Patienten eine HE. Obwohl meist vorrübergehend, rezidiviert die HE häufig.

Entscheidend ist, Auslöser wie intestinale Blutungen, Infektionen, Elektrolytentgleisungen oder Medikamente zu erfassen und zu beheben. Gleichzeitig ist die intestinale Gabe nicht resorbierbarer Disaccharide (vor allem Lactulose) Standard. Sie senkt den Ammoniakspiegel und beeinflusst möglichweise – durch Veränderung der Darmflora – transintestinale entzündliche Stimuli.

Obwohl Lactulose schon seit 1966 bei der HE erprobt wird (Lancet 1966; 7443: 890–892), war die Analyse von 22 RCT unschlüssig (BMJ 2004; 328: 1046). Das jetzige Cochrane Review, das vor allem die primären Endpunkte Mortalität, Enzephalopathie und schwere Nebenwirkungen auswertet, findet eine Evidenz, dass Disaccharide wirksam sind und sogar die Mortalität senken. Das bestätigt unsere seit Jahrzehnten geübte Praxis, der „Evidenz-Puristen“ ein Fragezeichen anhängten.

Solche auf kontrollierten Studien aufbauenden Reviews geben uns die Richtung, sie unterstützen aber nur bedingt individuelle Situationen (z. B. rektale vs. orale Applikation bei der akuten HE). Dafür reichen die spezifischen Fallzahlen häufig nicht aus. Auch zur Dosis und Dauer der Gabe wird sich nicht alles durch kontrollierte Studien beweisen lassen. Dennoch, wir können uns getrost an die europäische und nordamerikanische Practice Guideline (Hepatology 2014; 60: 715–735) halten: „Lactulose is the first choice of treatment of episodic overt hepatic encephalopathy“ und „Lactulose is recommended for prevention of recurrent episodes of HE after the initial episode“.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Prof. Dr. Tilman Sauerbruch
Universitätsklinikum Bonn


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Prof. Dr. T. Sauerbruch