Pneumologie 2016; 70(09): 589-594
DOI: 10.1055/s-0042-111704
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tauchunfälle[*]

Diving Accidents
K. Khan
Institut für Arbeitsmedizin, Prävention und Gesundheitsförderung, Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken, Wiesbaden
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Kareem Khan
Institut für Arbeitsmedizin, Prävention und Gesundheitsförderung
Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken
Aukammallee 39
65191 Wiesbaden

Publication History

Publication Date:
07 September 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Dekompressionsunfälle treten aufgrund der besonderen hyperbarphysikalischen Einwirkungen in der Auftauchphase eines Tauchgangs auf und bedürfen spezieller therapeutischer Kenntnisse. Von entscheidender Bedeutung ist die frühzeitige Notfallbehandlung mit hochkonzentriertem Sauerstoff. Schwere Dekompressionsunfälle müssen in einer Sauerstoffüberdruckkammer behandelt werden.


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Abstract

Decompression injuries occur on account of the special hyperbaric effects during the emerge phase and require superior therapeutic knowledge. Vitally important is emergency treatment with high concentrated oxygen at an early stage. Sever decompression injuries require oxygenation in a hyperbaric treatment chamber.


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Tauchunfälle können mitunter lebensbedrohlich verlaufen, besonders wenn sie in Form eines Dekompressionsunfalls oder eines Lungenbarotraumas auftreten. Sie sind in Deutschland zwar selten, doch kommt es zu solch einem Ereignis, sind spezielle Kenntnisse notwendig – sowohl zur Erstversorgung als auch zur Behandlung.

Inzidenz. Beim professionellen Tauchen sind Unfälle heutzutage durch entsprechende Ausbildungs-, Tauch- und Sicherheitsvorschriften äußert seltene Ereignisse [8] [10]. Beim Sporttauchen wird eine Inzidenz für Dekompressionsunfälle von 1–2/10 000 Tauchgängen geschätzt [6] [9]. Da aber kein Tauchunfallregister existiert und insbesondere milde Verläufe unterdiagnostiziert werden können, muss mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden.

Sporttaucher. Sporttaucher und Berufstaucher unterscheiden sich grundlegend hinsichtlich Qualifikation, Tauchtechnik, Ausrüstung und Belastungen. Bei Sporttauchern kann es sich um den Urlaubstaucher, aber auch um den heimischen Ganzjahrestaucher handeln. Hinsichtlich der Belastungen muss zwischen Strömungstauchgängen, Wracktauchen, Bergseetauchen, Eistauchen oder Tech-Diving unterschieden werden.

Berufstaucher. Auch Berufstaucher sind eine sehr heterogene Gruppe. So finden sich neben Tauchergruppen bei Behörden und Hilfsorganisationen (Polizei, Bundeswehr, Feuerwehr, DLRG u. a.) mit jeweils verschiedenen Arbeitsaufgaben und Ausrüstungen auch gewerbliche Taucher und Forschungstaucher. Im Tunnelbau tätige Druckluftarbeiter unterliegen, mit Ausnahme der immersionsbedingten Veränderungen, denselben physiologischen Besonderheiten wie Taucher [8].

Hyperbarphysik

Hydrostatischer Druck. Von entscheidender Bedeutung beim Tauchen ist die Wirkung des hydrostatischen Drucks auf den Körper. Dieser nimmt pro 10 Meter Tauchtiefe um 1 bar zu. Somit ergibt sich in einer Tauchtiefe von 30 Metern ein Überdruck von 3 bar, bzw. ein Gesamtdruck von ca. 4 bar ([Abb. 1]). Der relative Druckunterschied – und somit das Risiko für Barotraumata – ist in niedrigen Tauchtiefen am größten.

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Abb. 1 Der hydrostatische Druck nimmt pro 10 Meter Tauchtiefe um 1 bar zu. Das Volumen eines Gases nimmt entsprechend ab.

Boyle-Mariotte-Gesetz. Nach dem Boyle-Mariotteschen-Gesetz verhält sich der Druck eines Gases bei gleichbleibender Temperatur und gleichbleibender Stoffmenge nach der Formel p × V = konstant umgekehrt proportional zum Volumen. Somit verkleinert sich das Gasvolumen bei steigendem Umgebungsdruck und dehnt sich bei verringertem Druck umgekehrt aus. Unter diesem Effekt können gasgefüllte Körper ohne Be- oder Entlüftung im- bzw. explodieren.

Sind luftgefüllte Kavitäten des Körpers von diesem Effekt betroffen, so bezeichnet man dies als Barotrauma.

Betroffene Körperregionen. In der Abtauchphase (Kompressionsphase) ([Abb. 2]) können typischerweise folgende Organe betroffen sein:

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Abb. 2 Schematische Darstellung der Tauchphasen und tauchmedizinischer Notfälle (in Anlehnung an [6]). DCS = Dekompressionserkrankung; AGE = arterielle Gasembolie
  • Mittelohr (insuffiziente Belüftung der Tuba auditiva)

  • Nasennebenhöhlen (insuffiziente Belüftung der Ostien)

  • Augen (unterlassener Druckausgleich in der Maske)

  • Zähne (schadhafte Zahnfüllungen)

Sollten während der Auftauchphase die Lungen nicht ausreichend entlüftet werden, kann sich die in den Lungen verbleibende Luft ausdehnen und zum pulmonalen Barotrauma führen. Zu einer solchen Situation kann es bei insuffizienter Exspiration beim (Not-)Aufstieg kommen. Beim Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung kann das Phänomen des „Air-trappings“ dies begünstigen.

Nach dem Gesetz von Dalton ist die Summe aller Partialdrücke bei idealen Gasen gleich dem Gesamtdruck des Gasgemisches. Dieser Effekt ist dafür verantwortlich, dass sich bei einer Druckerhöhung die Partialdrücke für Sauerstoff und Inertgasen wie Stickstoff in der Inspirationsluft erhöhen.

Tiefenrausch. Die Konzentrationserhöhung des Stickstoffs ist auch für den sogenannten Tiefenrausch verantwortlich. Dieser wirkt, wie einige andere Inertgase auch, in höheren Konzentrationen am Zentralnervensystem narkotisch und kann in Tiefen ab etwa 30 Metern (Isokompressionsphase) eine dem Alkoholrausch ähnliche Wirkung auf den Taucher haben. Die genauen biochemischen Vorgänge sind bislang unbekannt. Durch Auftauchen in eine geringere Tiefe ist der Zustand vollständig reversibel [2] [11].

Dekompressionserkrankung. Das Gesetz von Henry besagt, dass die in einer Flüssigkeit gelöste Gasmenge bei konstanter Temperatur direkt proportional zum Partialdruck des Gases an der Flüssigkeitsoberfläche ist – abhängig vom Löslichkeitskoeffizienten des Gases für die jeweilige Flüssigkeit. Demzufolge löst sich im Blut mit zunehmendem Partialdruck (Tauchtiefe) mehr Stickstoff, welcher in die Gewebe transportiert wird. Dies ist zunächst unkritisch. Allerdings muss der zusätzlich gelöste Stickstoff beim Auftauchen wieder abgegeben werden. Bleibt in der Auftauchphase (Dekompressionsphase) jedoch nicht genügend Zeit für die Rückdiffusion des Stickstoffs, so wird das gelöste Gas wieder frei und kann im Gewebe als Gasbläschenansammlung die Dekompressionserkrankung (Decompression sickness, DCS, Caisson-Krankheit) auslösen [12].

Mischgase mit einem verringerten Stickstoffanteil (z. B. „Nitrox“) verringern das Risiko, eine Dekompressionserkrankung zu erleiden. Unterschiede in der Therapie von Tauchunfällen ergeben sich hierdurch nicht.


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Tauchunfälle

Definition. Tauchunfälle im engeren Sinne treten in der Auftauchphase auf und werden als Dekompressionsunfälle (decompression illness, DCI) bezeichnet [3] [6] [7] [12]. Hierunter ist die Dekompressionserkrankung und die arterielle Gasembolie (AGE) zusammengefasst ([ Abb. 3 ]). Unfälle in der Abtauchphase oder der Isokompression sind somit nicht als Tauchunfälle im engeren Sinne zu verstehen.

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Abb. 3 Der Dekompressionsunfall (DCI) kann infolge einer Stickstoff-Übersättigung oder infolge eines pulmonalen Barotraumas (als arterielle Gasembolie) in der Auftauchphase entstehen. Pneumothorax und Mediastinalemphysem können zwar ebenfalls bedrohliche Komplikationen des Lungenbarotraumas darstellen, zählen aber nicht zu den Dekompressionsunfällen [3].

Ursachen für AGE. Die arterielle Gasembolie kann auf dem Boden eines pulmonalen Barotraumas entstehen,

  • falls Luftblasen (nicht Stickstoffblasen!), beispielsweise bei einer hilusnahen Ruptur, Anschluss zum Gefäßsystem finden, oder

  • falls Stickstoffblasen über einen Rechts-Links-Shunt (persistierendes Foramen ovale, PFO) in das arterielle System übertreten.

Eine gefürchtete Komplikation ist die zerebrale arterielle Gasembolie (CAGE) mit den Symptomen eines apoplektischen Insultes [5] [6] [10] [12].

Ursachen für Dekompressionserkrankung. Bei der Dekompressionserkrankung handelt es sich hingegen um eine Inertgas-Übersättigung des Gewebes. Ursächlich ist ein zu schnelles Auftauchen, wenn Stickstoff schneller aufsättigt als er abgebaut werden kann [7] [9] [10] [12].

Die Differenzialdiagnose Dekompressionserkrankung oder arterielle Gasembolie ist mitunter schwierig. Für die Erstversorgung ist sie aber verzichtbar, da sich hieraus keine unmittelbaren therapeutischen Konsequenzen ergeben. Stattdessen kann der Sammelbegriff Dekompressionsunfälle (DCI) genutzt werden.

Unfallversicherung. Bei der privaten Unfallversicherung kann von Interesse sein, ob es sich bei der Dekompressionserkrankung im versicherungsrechtlichen Sinn nicht um einen Unfall handelt – also ein zeitlich begrenztes, plötzlich von außen einwirkendes Ereignis. Bei der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Frage von untergeordnetem Interesse, da neben Arbeitsunfällen auch „Erkrankungen durch Arbeiten in Druckluft“ als Berufskrankheit (BK 2201) anerkannt werden.

Risikofaktoren. Das Risiko einer Dekompressionserkrankung ist abhängig von verschiedenen Faktoren [3] [7] [12]. Hierunter zählen:

  • Alter/Geschlecht

  • Übergewicht

  • Dehydratation

  • Alkoholkonsum

  • Umgebungstemperatur

  • körperliche Arbeit

  • persistierendes Foramen ovale (PFO)

  • Tauchverhalten/Tauchprofil

  • Fliegen nach dem Tauchen

Einteilung. Nach den aktuellen Leitlinien der deutschen und schweizerischen Fachgesellschaften wird die Dekompressionserkrankung in milde und schwere Symptomatik eingeteilt [3]. Die international noch gebräuchliche Einteilung in DCS I und DCS II ist verlassen worden.

Milde Symptome

  • auffällige Müdigkeit

  • Hautjucken („Taucherflöhe“) mit vollständiger oder fast vollständiger Rückbildung innerhalb von 30 min nach Einleiten der spezifischen Erste-Hilfe-Maßnahmen


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Schwere Symptome

  • Hautflecken und -veränderungen

  • Ameisenlaufen

  • Taubheitsgefühl

  • Schmerzen („Bends“)

  • Lähmungen

  • Blasenentleerungsstörungen

  • körperliche Schwäche

  • Atembeschwerden („Chokes“)

  • Seh-, Hör-, Sprachstörungen

  • Schwindel

  • Übelkeit

  • Bewusstseinsstörungen

  • Bewusstlosigkeit

  • Fortbestehen unveränderter milder Symptome nach 30 min trotz der spezifischen Erste-Hilfe-Maßnahmen oder Wiederauftreten

Symptome der Dekompressionserkrankung treten in der Regel Minuten bis Stunden nach dem Auftauchen auf, oftmals 1–3 Stunden nach dem Tauchgang [4] [7] [12].


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Erste Hilfe

Ersthelfer. Bereits in der Tauchgangsplanung sollte eine funktionsfähige Rettungskette sichergestellt werden. Der Ersthelfer-Ausbildung des Tauchpartners kommt eine besondere Bedeutung zu. Im gewerblichen Bereich sind die entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften zu beachten.

Sauerstoffapplikation. Zentraler Therapieansatz ist, vorhandene Gasbläschen durch eine Konzentrationserhöhung von Sauerstoff zu verkleinern (Boyle-Mariottesches-Gesetz) und den Abbau von Stickstoff (Partialdruckgradient) zu beschleunigen [6] [9] [10]. Dies geschieht in der Ersten Hilfe zunächst unter normobaren Bedingungen durch sofortige Applikation von Sauerstoff mit einer inspiratorischen Konzentration von möglichst 100 % (FiO2 1,0). Allerdings sind die entsprechenden Sauerstoffapplikationssysteme nicht ubiquitär im Rettungsdienst vorhanden. Auf dem Markt sind zwei Systeme weit verbreitet (Demand-System und Wenoll-System), die auch von geschulten Tauchern angewendet werden können [9].

Sofern hierunter innerhalb von 30 min keine dauerhafte Beschwerdefreiheit erreicht wird, muss die Sauerstoffkonzentration unter hyperbaren Bedingungen in einer Druckkammer weiter erhöht werden (Rekompressionstherapie).

Erstmaßnahmen bei Verdacht auf Tauchunfall [ 3 ]

  • Überprüfung von Bewusstsein, Bewegungsfähigkeit und Wahrnehmung (z. B. „5-Minuten-Neurocheck“)

  • sofortige Atmung von 100 % Sauerstoff

  • Taucher, die selbständig trinken können, sollen 0,5–1 Liter Flüssigkeit pro Stunde trinken. Durch den Effekt der Taucher-Diurese ist davon auszugehen, dass Taucher grundsätzlich eine negative Flüssigkeitsbilanz haben.

  • vor Auskühlung/Überhitzung schützen

  • rasche Kontaktaufnahme mit einem Taucherarzt

  • Die Sauerstoffatmung soll auf jeden Fall bis zur taucherärztlichen Beratung fortgeführt werden.

  • Dokumentieren des Tauchunfallverlaufs und der ergriffenen Maßnahmen, Sicherstellen der Tauchausrüstung inkl. Tauchcomputer

Cave Eine nasse Rekompression, also ein erneutes Abtauchen nach Dekompressionserkrankung, um weitere Stickstoffbildung zu verhindern, ist obsolet [3].

Maßnahmen bei schweren Symptomen. Neben den oben genannten Erstmaßnahmen sollen bei schweren Symptomen zusätzlich folgende Punkte beachtet werden:

  • Lagerung: Seitenlage bei Bewusstseinsstörung, Ruhiglagerung, keine Kopftieflagerung, falls erforderlich kardiopulmonale Reanimation

  • bei ausreichender Spontanatmung sofortige Gabe von 100 % Sauerstoff, ansonsten Masken-Beatmung mit 100 % Sauerstoff

  • Die Rettungsleitstelle soll frühzeitig (Vorlaufzeit der Druckkammerbereitschaft) unter dem Stickwort „Verdacht auf Tauchunfall“ alarmiert werden.

  • Es muss bedacht werden, dass der Tauchpartner, je nach Tauchgang, ebenfalls ein Risiko für die Entwicklung eines Tauchunfalls hat.

Auch bei sehr begrenztem Sauerstoff-Vorrat soll dieser immer in der höchst möglichen Konzentration gegeben werden [3]. Niedrige Sauerstoffkonzentrationen sind wenig effektiv [9].


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Versorgung durch den Notarzt

Keine wirksamen Medikamente. Die notärztliche Versorgung orientiert sich an den oben erwähnten Behandlungsgrundsätzen unter Beachtung der aktuellen notfallmedizinischen Standards. Blasenkatheter bei Blasenentleerungsstörungen und die Anlage einer Pleura-Drainage müssen evtl. erwogen werden. Mit Ausnahme von Sauerstoff fehlt eine wissenschaftlich eindeutig nachgewiesene Wirksamkeit von Medikamenten für die Behandlung von Dekompressionsunfällen [1] [3] [12]. Eine telefonische taucherärztliche Beratung ist in jedem Fall ratsam.

Niedrige Flugtiefe. Nach Indikationsstellung muss möglichst rasch eine Druckkammerbehandlung erfolgen. Das primäre Transportziel ist die nächste geeignete Notaufnahme, idealerweise in der Nähe einer Druckkammer. Kommt ein Rettungshubschrauber zum Einsatz, sollte die niedrigste fliegerisch vertretbare Flughöhe gewählt werden, um eine weitere Stickstoffbildung zu vermeiden. Die Sauerstofftherapie muss ohne Unterbrechung fortgeführt werden, bis der Patient der Druckkammerbehandlung zugeführt wird [3] [9].


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Druckkammerbehandlung

Hyperbare Oxygenation. Die hyperbare Oxygenation (HBO) in einer Überdruckkammer ist die einzig kausale Therapie der Dekompressionsunfälle [1] [3] [7] [12] und soll einem erfahrenen Behandlungsteam vorbehalten bleiben. Durch die HBO gelingt es zum einen, die vorhandenen Inertgasbläschen physikalisch zu verkleinern, zum anderen kann das Abatmen des Intergases durch ein Konzentrationsgefälle zwischen Blut und Lunge beschleunigt werden. Die Standard-Behandlungstabelle für Tauchunfälle ist die „US Navy Treatment Table 6“ oder auf dieser Tabelle beruhende Modifizierungen [3] [7] [12] ([Abb. 4]).

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Abb. 4 Die US-Navy-Behandlungstabelle 6 mit ihren Modifikationen gilt als Standardbehandlungsschema bei Dekompressionsunfällen. Um sauerstofftoxische Effekte zu vermeiden, sind fünfminütige Luftpausen vorgesehen. Falls während der Druckkammerfahrt keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, kann die Behandlung verlängert werden.

Dauer der Behandlung. Falls eine HBO-Behandlung nicht zur Beschwerdefreiheit führt, können durch wiederholte (tägliche) Behandlungen oftmals gute Therapieergebnisse erreicht werden [3] [4] [12]. Begleitend hierzu sollten frühstmöglich spezifische Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen zur Anwendung kommen. Sollte es nach initialer Besserung unter fortgeführter Therapie während 3–5 Tagen dennoch zu keiner weiteren Verbesserung kommen, sollte die Druckkammertherapie abgebrochen werden, um sauerstofftoxische Effekte zu vermeiden [3].


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Fallbericht

Schwindel nach Tauchgang. Ein 32-jähriger spanischer Freizeittaucher (10 Tauchgänge, bisher keine Zwischenfälle beim Tauchen) verbringt seinen Urlaub auf den Malediven. Am Unfalltag begibt er sich auf einen Bootstauchgang mit Druckluft, der zunächst komplikationslos verläuft. Etwa eine Stunde nach Beendigung des Tauchgangs legt das Tauchboot wieder am Steg an. Auf die Insel zurückgekommen rennt der Taucher etwa 500 Meter, um noch ein Ausflugsboot zu erreichen. Unmittelbar vor Erreichen des Anlegestegs bemerkt er einen plötzlich einsetzenden Schwindel und muss sich auf den Boden setzen. Tauchlehrer informieren den auf der Insel befindlichen Arzt, der unmittelbar danach den Patienten ansprechbar, über heftigen Drehschwindel klagend, vorfindet.

Tauchgang unauffällig. Ein erster Neuro-Check zeigt eine Rumpfataxie nach rechts, aber keine weiteren neurologischen Ausfälle. Hörstörungen oder ein Tinnitus werden verneint. Unter Verabreichung von 100 % Sauerstoff über ein Demand-Ventil wird er in das in direkter Nachbarschaft gelegene Medical Center gefahren. Während einer eingehenden körperlichen Untersuchung und Vorbereitung der im Medical Center befindlichen Druckkammer übergibt sich der Patient mehrfach, ist aber kreislaufstabil. Er zeigt eine Fallneigung nach rechts und ein Nystagmus beim Blick nach links. Eine Spiegelung der Ohren verläuft ohne pathologischen Befund. Der Tauchcomputer hat einen unauffälligen Tauchgang aufgezeichnet, bei dem die empfohlenen Safety-Stops eingehalten wurden.

Rückbildung der Symptomatik. Ein Barotrauma des Innenohrs lässt sich durch Anamnese und körperliche Untersuchung ausschließen. Mit der Verdachtsdiagnose schwere Dekompressionserkrankung mit Beteiligung des rechten Innenohrs wird eine knappe Stunde nach Symptombeginn eine Druckkammerbehandlung nach der US Navy Tabelle 6 durchgeführt. Bereits nach 20 min hyperbarer Sauerstoffatmung zeigt sich eine Rückbildung der Symptomatik. Nach einer weiteren HBO-Behandlung am Folgetag ist der Patient vollständig beschwerdefrei (Restitutio ad integrum) und kann unter Einhaltung eines 72-stündigen Flugverbotes den Heimflug antreten. Ihm wird angeraten, sich im Heimatland von einem erfahrenen Tauchmediziner untersuchen zu lassen und solange nicht zu tauchen.

Mögliche Diagnose. Retrospektiv betrachtet, lag hier am ehesten ein bisher unerkanntes persistierendes Foramen ovale vor, das unter körperlicher Anstrengung hämodynamisch relevant wurde und nach dem Tauchgang vorhandene Stickstoffbläschen in die arterielle Strombahn übertreten ließ.

Konsequenz für Klinik und Praxis
  • Die Symptome eines Tauchunfalls können vielfältig sein.

  • Tauchmedizinische Hotlines können im Notfall weiterhelfen (z. B. Nationale DAN-Hotline für Deutschland und Österreich: 00800/326668783)

  • Zentrales Behandlungskonzept des Dekompressionsunfalls ist die Sauerstoffgabe in möglichst hoher Konzentration (Ziel: FiO2 1,0).

  • Goldstandard bei der definitiven Behandlung ist die hyperbare Oxygenation in einer Druckkammer. Diese sollte schnellstmöglich erfolgen.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Erstveröffentlichung in Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 890–894


  • Literatur

  • 1 Bennett MH, Lehm JP, Mitchell SJ, Wasiak J. Recompression and adjunctive therapy for decompression illness. Cochrane Database Syst Rev 2012; 5: CD005277
  • 2 Bennett PB, Rostain JC. Inert gas narcosis. In: Bennett and Elliott physiology and medicine of diving. Brubakk AO, Neumann TS, Edit. Edinburgh: Saunders; 2003: 300-322
  • 3 Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM e. V.). Leitlinie Tauchunfall 2014–2017. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/072-001.html [Letzter Zugriff: 04. 08. 2015]
  • 4 Hadanny A, Fishlev G, Bechor Y et al. Delayed Recompression for Decompression Sickness: Retrospective Analysis. PLoS ONE 2015; 10: e0124919
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  • 6 Muth CM, Shank ES, Larsen B. Der schwere Tauchunfall. Anaesthesist 2000; 49: 302-316
  • 7 Navy Department. US Navy Diving Manual. Revision 6. Vol 5: Diving Medicine and Recompression Chamber Operations. NAVSEA 0910-LP-106–0957. Washington, DC: Naval Sea Systems Command; 2008
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Dr. med. Kareem Khan
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Abb. 1 Der hydrostatische Druck nimmt pro 10 Meter Tauchtiefe um 1 bar zu. Das Volumen eines Gases nimmt entsprechend ab.
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Abb. 2 Schematische Darstellung der Tauchphasen und tauchmedizinischer Notfälle (in Anlehnung an [6]). DCS = Dekompressionserkrankung; AGE = arterielle Gasembolie
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Abb. 3 Der Dekompressionsunfall (DCI) kann infolge einer Stickstoff-Übersättigung oder infolge eines pulmonalen Barotraumas (als arterielle Gasembolie) in der Auftauchphase entstehen. Pneumothorax und Mediastinalemphysem können zwar ebenfalls bedrohliche Komplikationen des Lungenbarotraumas darstellen, zählen aber nicht zu den Dekompressionsunfällen [3].
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Abb. 4 Die US-Navy-Behandlungstabelle 6 mit ihren Modifikationen gilt als Standardbehandlungsschema bei Dekompressionsunfällen. Um sauerstofftoxische Effekte zu vermeiden, sind fünfminütige Luftpausen vorgesehen. Falls während der Druckkammerfahrt keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, kann die Behandlung verlängert werden.