Pneumologie 2016; 70(09): 564-566
DOI: 10.1055/s-0042-114156
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sprachbarrieren im Krankenhaus – Wenn dem Arzt die Worte fehlen

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Publication Date:
07 September 2016 (online)

 

Immer mehr ausländische Mediziner arbeiten im deutschen Gesundheitswesen. Ohne sie blieben viele Stellen unbesetzt. Um die Behandlungsqualität sicherzustellen, spielen neben der fachlichen Qualifikation die sprachlichen Fähigkeiten eine zentrale Rolle. Klappt die Verständigung nicht, entscheidet das im Ernstfall über Leben und Tod.

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Neben dem Patientengespräch bereitet zugewanderten Medizinern v. a. die schriftliche Dokumentation große Probleme.(© Anna N. Wolter)

Kliniken in der Klemme Eine Sprache zu lernen, braucht Zeit. Sie zu beherrschen, noch viel länger. Das weiß jeder, der selbst eine Fremdsprache spricht. Im Krankenhaus hat man diese Zeit aber nicht immer. Bei Notfällen muss die Verständigung einwandfrei funktionieren – egal, woher jemand kommt und wie lange er schon in Deutschland lebt. Auf der anderen Seite nimmt der Bedarf an Ärzten und Pflegekräften zu. Und so stehen viele Krankenhäuser vor dem Dilemma, ausländische Fachkräfte schnellstmöglich zu integrieren, ohne dabei die Patientensicherheit zu gefährden.

In 2015 arbeiteten laut Bundesärztekammer knapp 38 000 ausländische Mediziner in Deutschland – ein Plus von 9,1 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders stark steigt die Zahl der zugewanderten Ärzte im Klinikbereich. „In manchen Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen beträgt der Anteil an Muttersprachlern unter den Ärzten mittlerweile weniger als 10 %“, berichtet Dr. Stefanie Merse, Leiterin des Projekts „Empathisch-Interkulturelle-Arzt-Patienten-Kommunikation“ (EI-AP-K) am Universitätsklinikum Essen.

GER*-Sprachniveaus
  • A1 Anfänger

  • A2 grundlegende Kenntnisse

  • B1 fortgeschrittene Sprachverwendung

  • B2 selbstständige Sprachverwendung

  • C1 fachkundige Sprachverwendung

  • C2 annähernd muttersprachliche Kenntnisse

* Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen

Flüchtlingskrise bringt Fachkräfte Der größte Zustrom wurde 2015 – wenig überraschend – aus Syrien verzeichnet. So arbeiteten am Ende des Jahres in Deutschland fast 500 syrische Mediziner mehr als noch 2014. Bei Flüchtlingen ist die Integration ins Gesundheitswesen zusätzlich dadurch erschwert, dass oft keine Zeugnisse vorhanden sind. Im Rahmen einer vorübergehenden Berufserlaubnis müssen sie ihre Qualifikation zunächst unter Aufsicht in der Praxis beweisen.

Sprachliches Mittelmaß reicht nicht

Große Unterschiede Um als ausländischer Arzt in Deutschland die Approbation oder Berufserlaubnis zu erhalten, reichte – neben dem Nachweis der fachlichen Qualifikation – bis Ende 2013 die Vorlage eines GER-B2-Sprachzertifikats („gutes Mittelmaß“) aus. Im ärztlichen Alltag genügt das B2-Niveau aber nicht, um sich in allen Belangen mit Patienten und Kollegen verständigen zu können.

Ein Sprachzertifikat bedeutet außerdem nicht automatisch, dass die Sprachkenntnisse tatsächlich diesem Niveau entsprechen. Je nachdem, wo das Zertifikat erworben wurde, gibt es laut Merse beträchtliche Unterschiede. „Im Extremfall entsprechen die realen sprachlichen Fertigkeiten gerade einmal dem A2-Niveau“. Das gefährde die Zufriedenheit und Sicherheit der Patienten.

Fachsprachprüfung fast überall Pflicht Aus diesem Grund müssen nicht-deutschsprachige Mediziner, die neu eine Approbation beantragen, nach einem Beschluss der Gesundheitminister 2014 nun in den meisten Bundesländern eine Fachsprachenprüfung auf GER-C1-Niveau ablegen. Diese gliedert sich in 3 Abschnitte à 20 Minuten:

  • simuliertes Patientengespräch mit Anamnese

  • Dokumentation der erhobenen Anamnese

  • simuliertes Fachgespräch mit Kollegen

Für EU-Bürger ist der Weg zur deutschen Approbation nach der bestandenen Fachsprachprüfung frei. Nicht-EU-Bürger müssen dagegen noch eine Kenntnisstandprüfung ablegen. Im Gegensatz zur Fachsprachprüfung kann diese nicht unbegrenzt wiederholt werden, sondern nur 2-mal.

Initiale Durchfallquote hoch Viele Prüflinge bestehen die Fachsprachprüfung nicht auf Anhieb: In Nordrhein-Westfalen fiel im letzten Jahr mehr als jeder Dritte im ersten Anlauf durch. „GER-C1 ist ein sehr fortgeschrittenes Sprachniveau“, betont Prof. Günter Schmolz, ehemaliger Präsident des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg. „Die Fachsprachenprüfung ist also sehr anspruchsvoll.“ Laut Ärztekammer Westfalen-Lippe hätten viele der durchgefallenen Teilnehmer die Prüfung unterschätzt.

B2 ist nicht gleich B2 Ebenso wie Merse beklagt Schmolz zudem das oft unterschiedliche Ausgangsniveau der Teilnehmer – trotz der GER-B2-Zertifikate, die Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung sind. Hier sieht er dringenden Handlungsbedarf seitens der Politik, z. B. indem künftig nur noch Zertifikate von international akkreditierten Instituten anerkannt würden.

Integration braucht Zeit Trotz der gestiegenen Anforderungen an ausländische Mediziner gestaltet sich die Integration in der Praxis häufig immer noch schwierig. Denn Sprachzertifikate und eine bestandene Fachsprachenprüfung bedeuten noch lange nicht, dass die Verständigung im Klinikalltag problemlos funktioniert. Allerdings bieten zugewanderte Fachkräfte auch große Potenziale, die weit über eine flächendeckende Patientenversorgung hinausgehen. Beispielsweise können ausländische Mitarbeiter bei der Behandlung von Migranten als sprachliche und kulturelle Vermittler eine wichtige (Zusatz-)Funktion übernehmen.


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Hürde 1: Patientengespräch

Basis für Vertrauensverhältnis „Das Patientengespräch ist definitiv eine der größten Hürden für ausländische Mediziner“, berichtet Schmolz. Eine gelungene Kommunikation ist der Schlüssel für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis und einen effektiven Informationsaustausch. Fühlt sich der Patient unverstanden, projiziert er die Unzufriedenheit oft auch auf die fachliche Ebene – unabhängig davon, wie qualifiziert der behandelnde Arzt tatsächlich ist.

Dialekt versus Akzent In Deutschland gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichsten Lokaldialekten. Trifft dies auf den teils ausgeprägten Akzent mancher Zuwanderer, ist eine Verständigung oftmals kaum möglich – selbst wenn die Grammatik und das Vokabular der ausländischen Mediziner völlig korrekt sind. „Hochdeutsche“ Sprachzertifikate helfen ihnen hier nicht weiter. Lautes Lesen von Texten und Fachartikeln kann Zugewanderten helfen, ihre Aussprache gezielt zu verbessern – v. a., wenn sie Rückmeldung von Muttersprachlern erhalten.

Beeinträchtigt wird die Kommunikation zwischen Arzt und Patient aber nicht nur von Dialekt bzw. Akzent. „Anders als in der Fachsprachprüfung, in der der Patient meist von einem anderen Arzt gespielt wird, können ‚echte‘ Patienten ihre Beschwerden oft nicht exakt und medizinisch korrekt ausdrücken.“ So gibt es allein im indoeuropäischen Sprachraum mehrere tausend Begriffe, um Schmerzzustände auszudrücken – in den meisten afrikanischen, asiatischen und arabischen Sprachen hingegen nur sehr wenige.

Haftungsrisiko Missverständnisse zwischen Arzt und Patient können schwerwiegende Aufklärungs- und Behandlungsfehler nach sich ziehen. Sind diese durch Sprachprobleme bedingt, haftet nicht nur der betreffende Mediziner, sondern u. U. auch der Chefarzt im Sinne eines „Organisationsverschuldens“. Denn rechtlich trägt er die medizinische Gesamtverantwortung für seine Abteilung und muss sicherstellen, dass die ihm unterstellten Ärzte für ihre Tätigkeit geeignet sind. Dabei darf er sich nicht auf bestätigte Dokumente verlassen, sondern muss sich regelmäßig von den fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten überzeugen.


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Hürde 2: Dokumentation

Probleme beginnen beim Namen Neben dem Patientengespräch bereitet die schriftliche Dokumentation vielen ausländischen Medizinern große Schwierigkeiten, berichtet Schmolz aus seiner Erfahrung als Prüfer bei der Approbationsbehörde. So werde häufig der Name des Patienten nicht richtig erfasst und die Schreibweise vom ungefähren Lautbild abgeleitet. Schmolz empfiehlt zugewanderten Ärzten, sich das Buchstabieralphabet anzueignen (A = Anton, B = Berta, …), um sich über die korrekte Schreibweise des Namens vergewissern zu können.

Zeitworte werden oft verwechselt Ein weiterer Fallstrick bei der Anamnese sind Zeitworte. Hier rät Schmolz ausländischen Ärzten und einheimischen Kollegen zu besonderer Aufmerksamkeit. Denn wenn der Patient die Beschwerden vor 3 Wochen hatte, der Arzt aber „seit 3 Wochen“ versteht, kann das eine gänzlich andere Diagnostik und Therapie nach sich ziehen – mit möglicherweise fatalen Folgen für den Patienten. Dasselbe gilt für medizinisch relevante Angaben, wie Vorerkrankungen und Medikationen.

Arztbrief ist Aushängeschild Auch bei Entlassbriefen sieht Schmolz noch erhebliches Verbesserungspotenzial – nicht zuletzt deshalb, weil sie neben der fachlichen Relevanz auch ein Aushängeschild für die jeweilige Einrichtung darstellten.In der Praxis kann ein Katalog mit Textbausteinen und häufig verwendeten Formulierungen dabei helfen, Arztbriefe korrekt zu verfassen.

Da es im ärztlichen Alltag nicht möglich ist, jeden Entlassbrief von einem Kollegen gegenlesen zu lassen, müssen hierfür laut Schmolz gezielt Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden – z. B. in Form von Tutoren, die ausländischen Medizinern anfangs zur Seite stehen und ihre Arztbriefe Korrektur lesen sowie die Fehler mit ihnen besprechen. Hier sieht Schmolz Politik und Kliniken in der Pflicht, entsprechende Strukturen und Anreize zu etablieren (z. B. in Form eines Freizeit- oder finanziellen Ausgleichs).

Unterstützungsbedarf unterschiedlich Wie lange jemand die Untersützung durch einen Tutor benötigt, müsse individuell entschieden werden, so Schmolz. „Die deutsche Facharztweiterbildung genießt im Ausland ein hohes Ansehen und die Zuwanderer sind deshalb meist hochmotiviert, schnell Deutsch zu lernen. Aber wie schnell jemand eine Sprache beherrscht, hängt eben auch maßgeblich vom jeweiligen Sprachtalent ab. Und das kann man nicht beeinflussen.“


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Hürde 3: Fachgespräch

Kleinstes Problem Das Gespräch mit ärztlichen Kollegen erachtet Schmolz als die geringste sprachliche Hürde. Gerade an größeren Kliniken sei zu beobachten, dass man sich gelegentlich auch mit Englisch behelfe. „Auf Dauer kann das aber natürlich nicht die Lösung sein“, so Schmolz.

In Notfallsituationen können kleinere sprachliche Hindernisse allerdings schnell zu großen Problemen anwachsen. Zum Beispiel, wenn unter der Vielzahl der einprasselnden Informationen die Kernbotschaft verloren geht. „Unter Stress sinkt das Sprachniveau nochmal deutlich ab“, sagt Merse. Sie rät aber davon ab, in Notfallsituationen ein gebrochenes Deutsch zu verwenden. Vielmehr solle man sich auf die Kernbotschaft und Schlüsselwörter beschränken. Um eine effektive Kommunikation bei Notfällen sicherzustellen, sollte man kurze, prägnante Sätze und eindeutige Zeitangaben verwenden, z. B.: „58-jähriger Patient mit offenem Schädel-Hirn-Trauma. Kommen Sie jetzt sofort in OP 4!

Fehler korrigieren Selbst wenn sich jemand bereits soweit ausdrücken kann, dass man das Gesagte versteht, darf und sollte man wiederkehrende Fehler ruhig korrigieren. Darin sind sich Merse und Schmolz einig. Denn nur durch konstruktives Feedback könne man ausländischen Kollegen helfen, sich sprachlich weiterzuentwickeln.


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Lösungen werden erprobt

Problem hat viele Ebenen Durch Einführung der Fachsprachenprüfung sind die sprachlichen Anforderungen an neu zugewanderte Mediziner zwar gestiegen. Ein Großteil der in Deutschland tätigen Ärzte mit Migrationshintergrund hat die Approbation jedoch schon vorher auf Grundlage von GER-B2-Zertifikaten erhalten. Erschwerend komme hinzu, dass Zuwanderer nicht nur die Sprache lernen müssen, sondern auch die passende Mimik, Gestik und Modulation. Bei der non- und paraverbalen Kommunikation gibt es große kulturelle Unterschiede. Das kann zu Missverständnissen führen und das Arzt-Patienten-Verhältnis massiv beeinträchtigen.

Das EI-AP-K-Modellprojekt in Essen versucht, diese Schwierigkeiten in einem umfassenden Ansatz anzugehen. Ausländische Mediziner werden durch interdisziplinäre Teams aus Ärzten und Sprachdidakten wöchentlich berufsbegleitend in Sprache und Ausdruck geschult – auch mithilfe von praxisnahen Simulationen. Das Programm richtet sich gleichermaßen an bereits zugelassene ausländische Mediziner mit bestehenden sprachlichen Defiziten sowie an solche, die die Approbation noch vor sich haben. Letztere werden zudem bei der Vorbereitung auf die Fachsprachenprüfung unterstützt. Die Erfahrungen mit dem Projekt seien durchweg positiv, so Merse. „Und die Nachfrage unter den zugewanderten Medizinern ist groß, gerade auch bei denen, die schon länger in Deutschland tätig sind.“

Erfolge weitertragen Künftig werden in Essen weitere Dozententeams ausgebildet, die den Ansatz als Multiplikatoren in andere Kliniken weitertragen sollen. Die Universität Duisburg-Essen hat für ihren Medizinstudenten bereits eine longitudinale Kommunikationsausbildung fest im Studium implementiert.

Aufgabe für die Zukunft Aufgrund der derzeitigen Entwicklungen im Gesundheitswesen werden auch in absehbarer Zukunft viele leere Stellen nur mithilfe von ausländischen Fachkräften besetzt werden können. Bei der Integration von ausländischen Fachkräfte sind deshalb alle Beteiligten gefordert – trotz Zeitmangel, Kostendruck und hoher Arbeitsbelastung. „Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen,“ betont Schmolz. „Das gilt für beide Seiten gleichermaßen.“

Julia Arndt, Stuttgart


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Neben dem Patientengespräch bereitet zugewanderten Medizinern v. a. die schriftliche Dokumentation große Probleme.(© Anna N. Wolter)