Rofo 2001; 173(11): 1057
DOI: 10.1055/s-2001-18306
DER INTERESSANTE FALL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Migration eines biliären Tannenbaum-Stents mit Perforation eines Sigmadivertikels

U. Klein, F. Weiss, O. Wittkugel
  • Klinik und Poliklinik für Radiologie, Abteilung Röntgendiagnostik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publication Date:
08 November 2001 (online)

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Die endoskopische Einlage von Stents in die ableitenden Gallenwege ist ein gut etabliertes und standardisiertes Verfahren zur Behandlung der Choledocholithiasis, maligner biliärer Strikturen sowie bei Erkrankungen des Pankreas. Die häufigsten Komplikationen bei der Anwendung dieser Stents entstehen durch Okklusion und aszendierende Cholangitiden. Aus diesem Grund wurde der Tannenbaum-Stent entwickelt, der sich durch das Fehlen der seitlichen Öffnungen, die maßgeblich an der Ausprägung einer Okklusion beteiligt sind, auszeichnet und eine signifikant längere Zeit durchgängig bleibt (Bienmoeller, KF et al., Am J Gastroenterol 1995 Oct; 90 (10): 1764 - 1768). Andere bekannte, aber eher seltene Komplikationen, entstehen durch Dislokation und Migration des Stents.

Wir berichten über einen Fall einer Migration, bei dem der eingebrachte Tannenbaum-Stent bis in das Kolon sigmoideum wanderte, sich dort in einem Divertikel festsetzte und zur Perforation führte. Die durch einen dislozierten biliären Stent verursachte Perforation eines Sigmadivertikels ist in der Literatur der letzten zwanzig Jahre in nur 5 Fällen beschrieben worden. Die Migration eines biliären Tannenbaum-Stents mit Sigmaperforation wurde bisher noch nicht beschrieben.

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Fallbericht

Bei der 70 Jahre alten Patientin wurde vor drei Jahren im Rahmen einer Cholezystektomie akzidentiell der Ductus choledochus durchtrennt. Zur Wiederherstellung der Kontinuität und Schienung des Ductus choledochus wurde die Läsion übernäht und endoskopisch mit einem Tannenbaum-Stent überbrückt. Die Patientin stellte sich drei Jahre nach dieser Operation mit akut zunehmenden abdominellen Beschwerden in der internistischen Notaufnahme vor. Sie bot Zeichen des akuten Abdomens mit deutlicher Schmerzsymptomatik und lokalem Peritonismus im linken Unterbauch bei leicht erhöhten Entzündungszeichen. In den konventionell durchgeführten Röntgenaufnahmen des Abdomens, in Rücken- und Links-Seitenlage angefertigt, bestand der Verdacht auf eine kleine Menge freier intraabdomineller Luft. Zudem sah man in diesen Aufnahmen eine nicht definierbare Schlauchfigur im kleinen Becken linksseitig. Zur weiteren Abklärung erfolgte eine native Computertomographie des Abdomens.

Diese wurde mit einem Multislice-CT mit einer Kollimation von 4 × 2,5 mm bei einem Tischvorschub von 10 mm mit 165 mAs und 120 kV durchgeführt. Es wurden zum einen Schichten von 8 mm, zum anderen zur sagittalen und koronaren Reformatierung überlappende Schichten von 3 mm Dicke rekonstruiert.

Mit Hilfe dieser Untersuchung konnte ein dislozierter und die Wand eines Divertikels perforierender Kunststoffschlauch im Sigma dargestellt werden. Umliegend fanden sich als Hinweis auf eine lokale Entzündungsreaktion eine Verdichtung des peritonealen Fettgewebes und eine geringe Menge freier Flüssigkeit im Spatium rectovaginalis. Es konnten sowohl im kleinen Becken, wie auch im Oberbauch, kleine freie intraabdominelle Luftperlen nachgewiesen werden. Da ein Tannenbaum-Stent im Gallengang nicht nachweisbar war, wurde schon in dieser Untersuchung die Dislokation und Migration des Stentes als Ursache der Kolonperforation vermutet.

Nach sofortiger Laparotomie fand sich tatsächlich ein nach ventral durch ein Sigmadivertikel perforierter Tannenbaum-Stent mit umliegender Peritonitis. Das eröffnete elongierte und mit multiplen Divertikeln übersäte Sigmasegment wurde reseziert, die Kontinuität konnte mit einer End-zu-End-Anostomose wiederhergestellt werden. Nach ausführlicher Spülung erfolgte der primäre Verschluss der Bauchhöhle.

Nach einem komplikationslosen postoperativen Verlauf wurde die Patientin am 10. postoperativen Tag nach Hause entlassen.

Die Frage, zu welchem Zeitpunkt es zu der Dislokation des Stents gekommen ist und in welchem Zeitraum dieser die intestinalen Strukturen durchwanderte, bleibt unbeantwortet.

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Diskussion

Die endoskopische Stent-Einlage wurde erstmals von Sohendra et al. beschrieben (Sohendra et al., Endoscopy 1980; 12: 8 - 11). Sie ist in den letzten Jahren zu einer etablierten und standardisierten Therapieoption für die Behandlung einiger pankreatobiliärer Erkrankungen geworden.

Als bekannte Komplikationen sind die verfahrensbedingten Gefahren der Einbringung des Stents sowie die frühe Okklusion von vorrangiger Bedeutung. Die heute verwendeten Tannenbaum-Stents weisen eine signifikant längere Offenheitsrate auf und müssen aus diesem Grund nicht so häufig revidiert und seltener kontrolliert werden wie herkömmliche Stents. Eine längere Verweildauer und Fehlen einer engmaschigen Nachsorge wiederum könnten aber häufiger unbemerkte Dislokationen nach sich ziehen.

Im Gesamtkollektiv der verwendeten Stents ist die Komplikation der Dislokation oder Migration für annähernd 5 % der Fälle beschrieben worden (Johanson et al., Gastrointest Endosc 1992; 38: 341 - 346). Es sollte grundsätzlich eine Entfernung von dislozierten Stents angestrebt werden. Vorraussetzung ist hier natürlich die frühzeitige Erkennung der Dislokation. Ob bei Patienten mit Tannenbaum-Stents aufgrund der längeren Verweildauer eine konsequentere Nachsorge betrieben werden muss, bleibt abzuwarten.

Der zunehmende Gebrauch von endoskopisch eingebrachten Stents sollte dazu führen, die Komplikationen dieser Behandlungsmethode konsequent zu verfolgen. Denn obgleich es in der überwiegenden Anzahl der Fälle hauptsächlich um die Einschränkung der Lebensqualität geht, können solche Komplikationen auch lebensbedrohliche Ausmaße annehmen wie in dem oben beschriebenen Fall.

U. Klein, F. Weiss, O. Wittkugel, Hamburg