Ernährung & Medizin 2003; 18(3): 115-116
DOI: 10.1055/s-2003-45084
Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Brauchen wir eine Renaissance der Diätetik? - Eine Einführung zum Schwerpunktthema

Christine Metzner
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Christine Metzner

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Dezember 2006 (online)

Inhaltsübersicht

Das Metabolische Syndrom - globale Epidemie mit hohem Präventionspotenzial

Diätetik als Lehre vom gesundheitsbewussten Lebensstil im Sinne der griechischen diaita hat sich in ihren Grundpfeilern seit der Antike nicht geändert. Wohl aber die Auffassungen über einen gesundheitsfördernden Lebensstil. Nichtinfektiöse chronische Erkrankungen, wie das Metabolische Syndrom, resultieren zu einem Großteil aus dem westlichen Lebensstil.

Westlicher Lebensstil und westliche Ernährungsweise begünstigen die Manifestation der Einzelkomponenten des Metabolischen Syndroms.

Industrialisierung und Computerisierung unserer Gesellschaft sowie die ökonomische Entwick-lung mit Anstieg der Arbeitslosigkeit sind das sozioökonomische Umfeld, in dem das Metabolische Syndrom blüht und gedeiht! So führt einerseits die psychosoziale Bedrohung zu chronischen, unbewältigten Stresssituationen, die auch durch Mobbing geprägt sind und in kardiovaskulären Erkrankungen münden können.

Andererseits waren das Lebensmittelangebot und der Drang zu Convenience Food und Fast Food noch nie so groß wie heute.

Nach der WHO-Definition bilden die zwei globalen Epidemien Typ 2 Diabetes mellitus bzw. gestörter Glukosemetabolismus und die Adipositas die »Basis« des Metabolischen Syndroms. Das Vorliegen mindestens zweier weiterer Risiko-faktoren, nämlich Bluthochdruck, atherogene Dyslipoproteinämie und Mikroalbuminurie plus »Basis« erlauben, die Diagnose Metabolisches Syndrom zu stellen. Während das Verteilungsmuster der Adipositas bei der WHO-Definition unberücksichtigt bleibt, geht dieses bei der NCEP-Definition (National Cholesterol Education Program) in Form der abdominalen Adipositas, erfasst als Taillenumfang, ein.

Die Kombination von Adipositas, atherogener Dyslipoproteinämie, arterieller Hypertonie und genetisch vorbestimmtem Defekt im insulin-vermittelten Glukosestoffwechsel wird auch als »tödliches Quartett« bezeichnet. Dessen fatale Folgen widerspiegeln sich in den Mortalitäts-ziffern der KHK (koronare Herzkrankheit), die weltweit lt. WHO/FAO 2002 ca. 30 % aller Todesfälle ausmachen, wobei die Mortalität der Frauen 1998 (34 %) über der der Männer (28,2 %) lag.

Das Metabolische Syndrom, Geißel des 21. Jahrhunderts, ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Warum?

Bis zu einem Drittel der europäischen Bevölkerung weist ein Metabolisches Syndrom auf, wobei die Häufigkeit bei den Männern im mittleren Lebensalter höher ist als bei den Frauen (Balkau et al. 2002). Diese Häufigkeit ist auch für die USA repräsen-tativ (Meigs et al. 2003).

Gesundheitspolitisch von Bedeutung ist der Umstand, dass kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität mit dem Metabolischen Syndrom assoziiert sind (Isomaa et al. 2001), zu dessen Manifestation neben biologischen auch sozio-demographische und psychosoziale Faktoren beitragen, so die Ergebnisse einer schwedischen Studie mit knapp 7000 Frauen (Lidfeldt et al. 2003). Typ-2-Diabetiker weisen das zwei- bis vierfache Risiko für KHK auf (ADA 2002);

Menschen mit Metabolischem Syndrom unterscheiden sich also von Menschen ohne Metabolisches Syndrom durch ausgeprägtere Insulin-resistenz und ein erhöhtes Risiko für KHK.

In Deutschland fallen pro Jahr heute etwa 75 Milliarden Euro Behandlungskosten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Das ist rund ein Drittel der Gesamtkosten des Gesundheits-wesens.

Die Einzelkomponenten des »tödlichen Quartetts« gehören lt. WHO zu den chronischen nichtinfektiösen Erkrankungen, die durch die Kostform bzw. Nahrung in der Expression ihrer genetischen Suszeptibilität beeinflussbar sind. Als gesichert gilt, dass ein sitzender Lebensstil und Verzehr hoher Mengen an energiedichten, mikronährstoffarmen Lebensmitteln (verarbeitete zucker- und fettreiche Lebensmittel, die wenig Vitamine und Mineralstoffe enthalten) zu einem Gewichtsanstieg bzw. zur Adipositas führen, hingegen regelmäßige körperliche Bewegung und der Verzehr hoher Mengen von bestimmten Ballaststoffen/Nahrungsfasern, nämlich die Nicht-Stärke-Polysaccharide, das Risiko erniedrigen (WHO Technical Report 2003).

Deshalb kann die Strategie beim Metabolischen Syndrom nur in einer Lebensstiländerung liegen, also die Praktizierung eines gesundheitsfördenden Lebensstils, d. h. Renaissance der Diätetik. Denn Diätetik als Lehre vom gesundheitsfördernden Lebenstil beinhaltet sowohl die körperliche Aktivität - vom sitzenden zum mobilen Lebenstil - als auch die Prämissen einer gesundheitsfördernden Ernährung, wie sie bereits in der Zielsetzung der WHO/FAO 2003 für die Fettzufuhr festgeschrieben sind:

  • Gesamtfett 15-30 (-35[*]) Energieprozent (En %)

  • gesättigte Fettsäuren (SAFA) <10 En %

  • mehrfach ungesättigte Fettsäuren (PUFA) 6-10 En %

    • Omega-6-Fettsäuren 5-8 En %

    • Omega-3-Fettsäuren 1-2 En %

    • Trans-Fettsäuren <1 En %

  • einfach ungesättigte Fettsäuren (MUFA) =

  • Gesamtfett - (SAFA + PUFA + Trans-Fettsäuren)

  • Cholesterin <300 mg %.

Diese Empfehlungen berücksichtigen bereits das Vorhandensein von chronischen Erkrankungen des Metabolischen Syndroms wie Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 und decken sich weitgehend mit den Ernährungsempfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) 2000.

Die Propagierung der notwendigen Lebensstiländerung und die Schaffung der Voraussetzung für eine solche, also der Renaissance der Diätetik, ist eine Herausforderung für das Individuum und die Medizin - aber in genau so hohem Maße für die gesellschaftlichen Gremien und die Lebensmittel- und Werbeindustrie. Packen wir es an!

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Literatur:

  • 1 Balkau B, Charles MA, Drivsholm T. et al. . Frequency of the WHO metabolic syndrome in European cohorts, and an alternative definition of an insulin resistance syndrome.  Diabetes Metab. 2002;  28 364-376
  • 2 Isomaa B, Almgren P, Tuomi T. et al. . Cardiovascular morbidity and mortality associated with the metabolic syndrome.  Diabetes Care. 2001;  24 683-689
  • 3 Laaksonen DE, Lakka HM, Niskanen LK. et al. . Metabolic syndrome and development of diabetes mellitus: application and validation of recently suggested definitions of the metabolic syndrome in a prospective cohort study.  Am J Epidemiol. 2002;  156 1070-1077
  • 4 Lidfeldt J, Nyberg P, Nerbrand C. et al. . Socio-demographic and psychosocial factors are associated with features of the metabolic syndrome. The Women's Health in the Lund Area (WHILA) study.  Diabetes Obes Metab. 2003;  5 106-112
  • 5 WHO/FAO Expert Consultation . Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases. Annex 4: The scientific basis for diet, nutrition and the prevention of cardiovascular diseases. Report of the Joint WHO/FAO expert consultation, Geneva 28.01.-01.02.2002; Draft 26.04.2002.  http://www.who.int/hpr/nutrition/ExpertConsultationGE.htm.
  • 6 WHO/FAO Expert Consultation . Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases. WHO Techn Reprt Ser No 916, Geneva 2003.  htpp://www.who.int/hpr/nutrition/ExpertConsultationGE.htm.

1 35 En % gelten bei reichlicher Versorgung mit Obst, Gemüse und Getreideprodukten.

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Christine Metzner

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Literatur:

  • 1 Balkau B, Charles MA, Drivsholm T. et al. . Frequency of the WHO metabolic syndrome in European cohorts, and an alternative definition of an insulin resistance syndrome.  Diabetes Metab. 2002;  28 364-376
  • 2 Isomaa B, Almgren P, Tuomi T. et al. . Cardiovascular morbidity and mortality associated with the metabolic syndrome.  Diabetes Care. 2001;  24 683-689
  • 3 Laaksonen DE, Lakka HM, Niskanen LK. et al. . Metabolic syndrome and development of diabetes mellitus: application and validation of recently suggested definitions of the metabolic syndrome in a prospective cohort study.  Am J Epidemiol. 2002;  156 1070-1077
  • 4 Lidfeldt J, Nyberg P, Nerbrand C. et al. . Socio-demographic and psychosocial factors are associated with features of the metabolic syndrome. The Women's Health in the Lund Area (WHILA) study.  Diabetes Obes Metab. 2003;  5 106-112
  • 5 WHO/FAO Expert Consultation . Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases. Annex 4: The scientific basis for diet, nutrition and the prevention of cardiovascular diseases. Report of the Joint WHO/FAO expert consultation, Geneva 28.01.-01.02.2002; Draft 26.04.2002.  http://www.who.int/hpr/nutrition/ExpertConsultationGE.htm.
  • 6 WHO/FAO Expert Consultation . Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases. WHO Techn Reprt Ser No 916, Geneva 2003.  htpp://www.who.int/hpr/nutrition/ExpertConsultationGE.htm.

1 35 En % gelten bei reichlicher Versorgung mit Obst, Gemüse und Getreideprodukten.

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Christine Metzner