Aktuelle Urol 2006; 37(1): 21-24
DOI: 10.1055/s-2006-932272
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom - Ist der PSA-Wert in der Diagnose überholt?

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07 February 2006 (online)

 
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Wenngleich sich die Mortalität des Prostatakarzinoms leicht reduziert hat, ist die Inzidenz dieser Erkrankung in den letzten 2 Jahrzehnten deutlich gestiegen. Der Grund ist in dem ausgedehnten Gebrauch des prostataspezifischen Antigens (PSA) als Marker zur Detektion des Prostatakarzinoms zu suchen. Seit seiner Einführung hat sich der PSA-Test zum Rückgrat in der Prostatakarzinomdetektion entwickelt. Nun mehren sich Stimmen, welche die Validität des gängigen PSA-Tests infrage stellen und einige Studien schlagen vor, seine Rolle in der Prostatakarzinomdetektion neu zu definieren. Anhand der wichtigsten Studien gehen J. B. Shah et al. der Frage nach, ob der PSA-Test noch relevant ist (European Urology 2005; 47: 427 - 432).

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Prostatakarzinom (Bild: Taschenatlas allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).

Große Unstimmigkeit herrscht über die Interpretation des PSA-Tests. So ist der angemessene PSA-Schwellenwert, dessen Überschreitung die unverzügliche Biopsie bedeutet, bislang nicht gefunden. Bisher gelten in den USA 4,0 ng/ml PSA als Cutoff-Wert. Seit 1990 etabliert, ist er nun unter Beschuss geraten. Ursächlich ist ein Veröffentlichung des "Prostate Cancer Prevention Trial" (1). Laut derer Männer mit traditionell als "normal" klassifizierten PSA-Werten eine signifikante Prävalenz für ein Prostatakarzinom hatten. Die Quintessenz lautet: Es gibt keinen PSA-Schwellenwert, dessen Unterschreitung eine Garantie für das Nichtvorhandensein eines Prostatakarzinom bedeutet. Inwieweit ein niedrigerer PSA-Schwellenwert mehr Karzinome detektieren lässt, bedarf noch weiterer Untersuchungen.

Der ideale Schwellenwert sollte die Patienten mit Karzinom von denen ohne differenzieren, also ausreichend sensitiv und spezifisch sein. Zwei Studien bescheinigen aber gerade den gängigen PSA_ Cutoff-Werten von 4,0 ng/ml sehr geringe Sensitivität (2) und sprechen schon von dem Ende der PSA-Ära (3). Die errechnete geringe Sensitivität von 0,18 bedeutet, dass 82% der Männer mit Prostatakarzinom nicht positiv getestet würden. Die hohe Spezifität von 98% des Testverfahrens, bedeutet 2% falsch positive Ergebnisse, also Männer, die einer unnötigen Prostatabiopsie unterzogen würden. Ein niedrigerer Cutoff von 2,6 ng/ml PSA erbrachte rein rechnerisch eine Verdoppelung der Krebsdiagnosen bei leichtem Anstieg der falsch positiven Diagnosen. Auch die Ergebnisse von Stamey et al. lassen an der Sensitivität des PSA-Tests zweifeln. Ihre pathologische Analyse von 1400 Prostatadrüsen von Männern mit Prostatakarzinom ergab, dass die PSA- Werte ihre prädiktive Kraft bezüglich Tumorvolumen und Prozentsatz an Karzinomen mit Gleason-Grad 4/5 verloren haben. Sie lassen nur mehr eine Aussage über das Volumen der Drüse zu und sind demzufolge ein Marker für benigne Prostatahyperplasie.

Ist ein Prostatakarzinom diagnostiziert, lassen die PSA-Daten eine Aussage über die Prognose zu, so eine Studie von DŽ Amico et al. (4). Sie fanden heraus, dass eine PSA-Velozität von mehr als 2,0 ng/ml/Jahr ein unabhängiger Risikofaktor für den Tod aufgrund des Karzinoms ist. Je höher die PSA-Velozität umso kürzer war die Zeit bis zu einem Rückfall, umso höher die Rate an Lymphknotenmetastasen und die Rate an fortgeschrittenen Karzinomen.

Ist ein generelles PSA-Screening für das Prostatakarzinom nützlich? Seit der Einführung der PSA-Tests konnte die Prostatakarzinommortalität verringert und Karzinome bereits in einem frühen Stadium detektiert werden, Argumente die für ein generelles Screening sprechen. Gegner führen an, dass die Raten an "Überdetektionen" oder Detektionen von klinisch unsignifikanten Tumoren bei 56% liegen würden. So dass ein solches Programm vielleicht sogar eher schädlich als nützlich wäre.

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Fazit

Das PSA-Screening hat die Diagnose des Prostatakarzinoms Anfang 1980 revolutioniert. Heute, 25 Jahre später, können Therapien signifikant früher begonnen werden und die Mortalität dieses Karzinoms ist zurückgegangen. Die voranschreitende Forschung wird verbesserte Methoden zur Interpretation von PSA-Werten hervorbringen, die aggressive von indolenten Tumoren differenzieren lassen. Der PSA-Test ist derzeit weit von einem perfekten Test entfernt, aber dennoch ist und bleibt er auch im neuen Millennium ein wichtiges Werkzeug zur Detektion des Prostatakarzinoms.

Dr. Sabine Adler Mülsen St. Niclas

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Erster Kommentar

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Ch. Thomas

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Wie viele Information darf Mann von einem Laborwert erwarten

Shah et al. setzen sich in diesem Review kritisch mit dem derzeitigen Stellenwert des prostataspezifischen Antigens in der Prostatakarzinomdiagnostik auseinander. Das Fehlen eines definitiven Grenzwertes zur Unterscheidung zwischen benigner und maligner Erkrankung sowie die Unfähigkeit, aggressive von indolenten Karzinomen abzugrenzen werden als die größten Schwachpunkte dieses Markers angesehen.

Prinzipiell sind diese Kritiken gerechtfertig. Die Frage, die man sich stellen muss ist, wie viel Information man von einem einzelnen Laborwert erwarten darf. Das prostataspezifische Antigen (PSA), seit den 80er Jahren im klinischen Einsatz, hat sich trotz ungenügender diagnostischer Sensitivität und Spezifität für das Prostatakarzinom als einer der besten Tumormarker in der Humanmedizin etabliert. Sein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Serummarkern ist, dass dieser Marker fast ausschließlich in einem Organ, und und zwar der Prostata gebildet wird, auch wenn mit ultrasensitiven Messmethoden Spuren von PSA in nicht prostatischen Geweben bei beiden Geschlechtern nachweisbar. Erhöhtes Serum-PSA ist nicht nur beim Prostatakarzinom sondern auch bei Erkankungen wie die benigne Prostatahyperplasie (BPH) und die akute Prostatitis. Trotz des fehlenden Grenzwerts zur klaren Unterscheidung zwischen benigner und maligner Erkrankung hat sich seit dem Einsatz des Serum-PSA neben der digitalen rektalen Untersuchung (DRU) als Screening des Prostatakarzinoms die Inzidenz dieser malignen Erkrankung deutlich erhöht.

Ist die alleinige Nutzung des PSA bei Serumwerten < 10 ng/ml für die Detektion und zur Indikationsstellung einer Prostatastanzbiopsie bei unauffälligem Tastbefund unzureichend, so existieren durch Bestimmung der Subgruppen dieses Markers und Beurteilung seines longitudinalen Verlaufes mehrere Möglichkeiten, die Sensitivität und Spezifität des prostataspezifischen Antigens zu erhöhen.

Das im Serum messbare PSA (Gesamt-PSA) teilt sich in Protein gebundenes PSA und freies PSA auf und das Verhältnis von freiem PSA zum Gesamt-PSA ergibt den PSA-Quotienten. Die Verwendung des Quotienten anstatt des Gesamt-PSA führt zu einer deutlichen Zunahme der Spezifität des Markers im Screening auf ein Prostatakarzinom. Ein Großteil der Prostatakarzinome weist gegenüber Gesunden und der BPH einen erniedrigten PSA-Quotienten auf. Durch die Verwendung des PSA-Quotienten zur Indikation einer Prostatastanzbiopsie können mehr Prostatakarzinome mit einem Gesamt-PSA < 4 ng/ml detektiert und unnötige Biopsien vermieden werden. In verschiedenen retrospektiven Studien wurde gezeigt, dass 20-60% der negativen Prostatabiopsien durch die Bestimmung des PSA-Quotienten (der Grenzwert ist vom jeweiligen Test abhängig) unter Wahl eines geeigneten Grenzwerts hätten vermieden werden können.

Unter Einbeziehung der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit kann die Aussagekraft des Gesamt-PSA weiterhin erhöht werden. Mit zunehmenden Alter der Patienten erhöht sich der Referenzbereich des Gesamt-PSA. Bei regelmäßiger Vorsorge kann die Zunahme des Gesamt-PSA über die Zeit zusätzlich Aufschluss über das Vorliegen eines Prostatakarzinoms geben. Carter et al. konnten nachweisen, dass ein Anstieg des Gesamt-PSA von > 0,75 ng/ml und Jahr (Hybritech-Test) mit einer diagnostischen Sensitivität von 72% bei einer Spezifität von 95% auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms hinweist. Nach DŽ Amico et al. haben Männer, deren Serum-PSA um mehr als 2,0ng/ml pro Jahr vor der Diagnose eines Prostatakarzinoms ansteigt, unabhängig einer radikalen Operation, ein relativ höheres Risiko an dieser Tumorerkrankung zu versterben.

Meiner Ansicht nach ist die PSA-Bestimmung unter Ausnutzung all ihrer Möglichkeiten (PSA-Quotient, PSA-Anstiegsgeschwindigkeit) zurzeit immer noch ein Grundpfeiler der Prostatakarzinomdiagnostik. Die von Shah et al. erhobenen Kritiken gegenüber der Aussagekraft des PSA-Wertes lassen sich so teilweise relativieren. Die Fähigkeit, zwischen aggressiven und indolenten Tumoren zu unterscheiden, besitzt der PSA-Wert zumindest im Bereich < 10 ng/ml wirklich nicht. Darüber können nur weitere diagnostische Verfahren wie die Palpation und die Histologie der Prostatastanze Aufschluss geben.

Dr. Ch. Thomas, Mainz

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Zweiter Kommentar

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E. Herrmann

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Zukunft des PSAScreening - keine Aussagen möglich

Weltweit erkrankten im Jahr 2002 679000 Männer an einem Prostatakarzinom, wobei im gleichen Jahr 221 000 daran verstarben. In Deutschland stellte es gemäß den Daten des Robert-Koch-Instituts in Berlin im Jahr 2000 mit über 40 000 Neuerkrankungen das häufigste Karzinom des Mannes dar. Diese ausgesprochen hohe Prävalenz und Mortalität führten in der letzten Zeit sowohl in der uroonkologischen Wissenschaft als auch in der Klinik zu einem besonderen Stellenwert und gesteigerten Interesse an seiner Detektion und der daraus für den Patienten entstehenden Konsequenzen. Mit der Einführung des PSA-Tests als Screeningverfahren kam es Ende der 80er- Jahre zu einem exponentiellen Anstieg der Morbidität bei nicht nachgewiesener Reduktion der Mortalität. Diese "Misbalance" führte zu einer Vielzahl von Studien, die sich mit der Sinnhaftigkeit des PSA-Screenings beschäftigten und den Nutzen des traditionellen PSA-Cutoff-Wertes von 4,0 ng/ml als Indikation zur Stanzbiopsie und etwaiger Detektion eines Prostatakarzinoms hinterfragten.

Shah et al. führten in einem kürzlich veröffentlichten Review die wichtigsten Studien zusammen und analysierten die Ergebnisse in Bezug auf die Relevanz des PSA-Screenings für die Zukunft.

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6,6% aller Männer mit einem PSA-Wert unter 0,5ng/ml mit Prostatakarzinom

In einer kürzlich im "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Studie von Thompson et al. fand man im Rahmen einer Subgruppenanalyse des "Prostate Cancer Prevention Trial" (PCPT) bei 449 von 2 950 Männern mit einem PSA unter 4,0 ng/ml ein Prostatakarzinom. Das entspricht einem Anteil von 15,2%. Für Männer mit einem PSA zwischen 3,1 ng/ml und 4,0 ng/ml lag dieser Anteil sogar bei 26,9%, wobei 25% dieser Karzinome mit einem Gleason-Score von 7 bis 9 schlecht differenziert waren. Sogar für die Gruppe der Männer mit einem PSA unter 0,5 ng/ml wurde noch in 6,6% der Fälle ein Prostatakarzinom entdeckt. Thompson et al. zeigten, dass das Risiko für die Detektion eines Prostatakarzinoms mit niedrigem PSA-Wert zwar vermindert, aber nie auszuschließen ist und empfahlen daher die Herabsetzung des PSA-Cutoffs von derzeit 4,0 ng/ml.

In dieser gut strukturierten und sicherlich aussagekräftigen Subgruppenanalyse gibt es einen Kritikpunkt: Es scheint nicht verwunderlich, dass 10 bis 27% aller Männer aus dem Kollektiv im Alter von 62 bis 91 Jahren mit einem PSA unter 4,0 ng/ml ein Prostatakarzinom haben. Wie mehrere Autopsiestudien in den USA gezeigt haben, liegt die Prävalenz eines Prostatakarzinoms im Alter zwischen 60 und 90 bei 15 bis 60%. 9 von 10 Männer in diesem Alter haben einen PSA unter 4,0 ng/ml. Somit stellt sich die Frage, wie viele der von Thompson et al. endeckten Prostatakarzinome insignifikant sind und zeitlebens klinisch nicht in Erscheinung treten. Auch bei kurativem Therapieansatz bleibt ein Benefit für die Betroffenen unklar.

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Herabsetzung des PSA-Cutoffs auf 2,6 ng/ml?

In einer Studie von Punglia et al. wurde zwischen 1995 und 2001 bei 6691 Männern ein PSA-Screening durchgeführt. 705 oder 11% wurden gemäß des PSA-Cutoffs von 4,0 ng/ml einer Prostatastanzbiopsie zugeführt. In einem komplizierten mathematischen Modell wurden dann Sensitivität und Spezifität für die einzelnen Subgruppen errechnet und auf das Gesamtkollektiv übertragen, wobei unter Anwendung dieses mathematischen Modells 82% aller Prostatakarzinome für Männer unter 60 Jahren und 65% aller Prostatakarzinome für Männer über 60 Jahren bei einem PSA-Cutoff von 4,0 ng/ml übersehen worden wären. Die Spezifität betrug 98%. Bei Herabsetzung des PSA-Cutoffs auf 2,6 ng/ml verdoppelte sich die Sensitivität bei annähernd gleich bleibender Spezifität. Punglia et al. empfahlen daher die Herabsetzung des PSA-Cutoffs auf 2,6 ng/ml.

Es erscheint unzureichend für einen Kliniker die Indikation zur stanzbioptischen Detektion eines Prostatakarzinoms anhand mathematischer Modelle festzulegen. Klinische Faktoren wie die digitalrektale Untersuchung, der transrektale Ultraschall, aber auch die Anamnese (familiäre Risikofaktoren) wurden von Punglia et al. nicht berücksichtigt. Neben der persönlichen Expertise und Erfahrung ist es für jeden Untersucher schwierig, kleine Tumoren der Prostata sicher zu detektieren. Ebenso stellt sich die Frage, ob die Herabsetzung des PSA-Cutoffs auf 2,6 ng/ml mit einhergehender Erhöhung der Detektionsrate zu einer Reduktion der Mortalität an einem Prostatakarzinom führt bzw. mit einer Verbesserung der Lebensqualität für den Betroffenen korreliert.

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Neue Biomarker für die Detektion von Prostatakarzinomen

In einer Studie von Stamey et al. untersuchten die Autoren von 1983 bis 2003 anhand von 1400 Prostatektomiepräparaten die Beziehung von präoperativ gemessenem PSA zu Prostatavolumen, Tumorgröße und seiner Differenzierung. Während zu Beginn der Studie eine Beziehung von PSA zu Tumorvolumen sowie Differenzierung nachgewiesen werden konnte, war zum Ende der Studie ein derartiger Zusammenhang nicht mehr gegeben. Signifikant war letztlich lediglich die Korrelation von PSA und Prostatavolumen. Stamey et al. sahen PSA deshalb nur noch als Marker für die benigne Prostatahyperplasie, beschworen das Ende der PSA-Ära und forderten die Entwicklung neuer Biomarker zur Detektion von Prostatakarzinomen.

Diese Studie führte in den USA und zuletzt auch auf dem deutschen Urologenkongress in Düsseldorf zu heftigen Debatten unter den Experten. Wie ist die Dynamik des PSA in den letzten 20 Jahren zu verstehen? Wie ist es möglich, dass primär eine eindeutige Korrelation zu PSA und Tumorvolumen gesehen wurde und diese zum Ende der Studie abnahm? Eindeutige Antworten konnten nicht gegeben werden. Obwohl Stamey et al. in ihrer Untersuchung eindeutig einen Bezug von PSA zu Prostatavolumen sahen, blieben sie die Antwort schuldig, ob sich in den letzten 20 Jahren die Vorhersagekraft des PSA bez. der Entwicklung eines Prostatakarzinoms geändert hat.

D'Amico et al. untersuchten in einer prospektiven Studie im Zeitraum von 1989 bis 1992 1095 Männer, deren Prostatakarzinom im Rahmen eines PSA-Screenings aufgefallen war mit der Fragestellung, ob die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit im Jahr vor Diagnosestellung, der Gleason-Score und das klinische Tumorstadium im Zusammenhang mit der Überlebenszeit nach radikaler Prostatektomie stehen. Die Autoren zeigten ein hohes Sterblichkeitsrisko am Prostatakarzinom bei einem PSA-Anstieg von >2,0 ng/ml pro Jahr. Ein hoher Gleason-Score und ein fortgeschrittenes Tumorstadium waren ebenso unabhängige Risikofaktoren.

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint der ehemalige PSA-Cutoff von 4,0 ng/ml veraltet und muss als willkürliche Indikation zur Prostatastanzbiopsie angsehen werden.

Im Rahmen des Studienprotokolls wurden die Patienten für ein Jahr beobachtet; wie die Autoren selbst herausstellten, konnte ein Benefit im Zuge einer sofortigen Therapie gegenüber einer abwartenden Haltung nicht eruiert werden. Hier bedarf es weiterer, sorgsam geplanter klinischer Studien, die diesen Unterschied genauer untersuchen. Ferner konnten die Autoren keine Informationen bez. der einheitlichen Therapie bei PSA-Relapse nach radikaler Prostatektomie geben. Auch hier bleiben die Daten bei sofortigem Hormonentzug gegenüber einem abwartenden Prozedere bez. des Langzeitüberlebens unklar. Trotz der offenen Fragen scheint die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit ein Jahr vor radikaler Prostatektomie ein ungünstiger unabhängiger Risikofaktor für das Versterben an der Grunderkrankung zu sein.

Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Aussagen bez. der Zukunft des PSA-Screenings gemacht werden können. Das Risiko eines Mannes an einem Prostatakarzinom zu versterben liegt derzeit bei ca. 3%. Die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken und es durch eine stanzbioptische Abklärung zu erfahren, beträgt ca. 16%. Die Dunkelziffer der insignifikanten Karzinome liegt deutlich höher und macht die Brisanz des PSA-Dilemmas deutlich. Will man eine hohe Sensitivität mit einer Verringerung der Spezifität erkaufen und 1. gesunde Männer stanzbiopsieren und 2. klinisch insignifikante Prostatakarzinome "kurativ" therapieren? Während in den USA die Tendenz zu mehr Screeninguntersuchungen und der Herabsetzung des PSA-Cutoffs eindeutig zu erkennen ist (der allgemein anerkannte PSA-Experte W.J. Catalona aus Chicago erwähnte auf dem deutschen Urologenkongress Prostatastanzbiopsien bei einem PSA von 1,0 ng/ml bei 50-Jährigen), halten sich die Europäer noch zurück. Im Rahmen einer europäischen (ERSPC) und einer amerikanischen Screeningstudie (PLCO) werden 2008 Ergebnisse bez. des Nutzens und der Gefahren eines generalisierten PSA-Screenings erwartet.

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint der ehemalige PSA-Cutoff von 4,0 ng/ml veraltet und muss als willkürliche Indikation zur Prostatastanzbiopsie angsehen werden. Neben einer ausführlichen Anamnese, der digital rektalen Untersuchung, dem transrektalen Ultraschall, PSA-Dichte, freiem PSA-Anteil und sicher auch der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit und - Verdopplungszeit müssen in einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten das individuelle Risiko für die Manifestation und etwaige Detektion eines Prostatakarzinoms und die für ihn daraus entstehenden Folgen eruiert werden. Die Aufklärung über den derzeitigen Stand der Wissenschaft scheint dem Fortschritt mindestens ebenbürtig und macht ein differenziertes Umgehen mit dem Thema und den Betroffenen erst möglich.

Dr. Edwin Herrmann, Münster

 
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Prostatakarzinom (Bild: Taschenatlas allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).

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Ch. Thomas

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E. Herrmann