Dialyse aktuell 2007; 11(2): 12-14
DOI: 10.1055/s-2007-983925
Fachgesellschaften

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Shuntseminar in Erfurt - umfassende Informationen zum Thema „Gefäßzugang”

Weitere Informationen
#

Dr. Bettina Albers

Weimar

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Juni 2007 (online)

Inhaltsübersicht

Das Fortbildungsseminar „Der Dialyseshunt” deckte die gesamte Bandbreite der Problematik „Gefäßzugänge bei Dialysepatienten” ab. Neben Informationen zu AV-Fisteln, Shuntkomplikationen, -training und -monitoring, die sowohl von Pflegekräften als auch von Medizinern vermittelt wurden, erhielten die Seminarteilnehmer auch umfassende Informationen zum Thema „Punktion”. Abgerundet wurde das Programm durch einen Beitrag, der die Bedeutung des Shunts für die effektive Dialyse erläuterte, sowie durch einen interkulturellen Vergleich „Gefäßzugänge Europa versus USA”, der aus den DOPPS[1]-Daten gezogen wurde.

Lebensqualität und Überleben der Patienten an der chronischen Hämodialyse stehen in direktem Zusammenhang mit einem funktionierenden Gefäßzugang. Was das Erreichen einer optimalen Langzeitfunktion aller Gefäßzugänge angeht, kommt besonders den Pflegekräften eine Schlüsselposition zu. Daher war es nicht erstaunlich, dass das Seminar zum Themenspektrum „Dialyseshunts” am 20. Februar 2007 95 interessierte Pflegekräfte aus Deutschland und Österreich in die Thüringer Landeshauptstadt lockte. Gastgeber war die nephrologische Schwerpunktabteilung am Erfurter Helios-Klinikum mit dem Team um Dr. Christoph C. Haufe und die leitende Fachpflegekraft Conny Bringmann.

#

Gefäßzugang als wertvoller„Lebensnabel”

„Die AV-Fistel ist der Zugang der ersten Wahl”, erläuterte Dr. Matthias Schneider, Erfurt, und so sind 90 % aller Erstanlagen AV-Fisteln. Doch auch die Anforderungen an eine Fistel sind vielfältig - gute Punktierbarkeit, günstige Lage, geringe kardiale Belastung, ausreichendes Shuntvolumen und lange Funktionszeit sollten gewährleistet sein.

Welche enorme Bedeutung die Fistel hat, wird klar, wenn man sich folgenden Auszug aus dem Buch „Psychonephrologie” von Koch [1] zu Gemüte führt. Dort heißt es: „So wird die Fistel zu einem Lebenszentrum, einem Ort, dem er [der Patient] wegen dessen Doppelnatur - verstümmelte Körperlichkeit und zweiter Nabel - und der damit verknüpften Gefühlsambivalenz allerhöchste Aufmerksamkeit widmet. Viele Patienten lassen deutlich erkennen, wie sehr diese eine Stelle zum Nabel ihrer Welt geworden ist.”

#

Die AV-Fistel

Ein funktionierender Gefäßzugang ist wertvoll, und da die Natur die Gefäße nicht zum ständigen Punktieren geschaffen hat, ist Vor- und Voraussicht oberste Prämisse. Sobald sich abzeichnet, dass ein Patient dialysepflichtig werden könnte, müssen daher die Venen an beiden Armen geschont werden. Auch sollte der Patient frühzeitig dem Gefäßchirurgen vorgestellt werden, damit eine Fistelanlage geplant und dadurch ein Shaldon-Katheter von vornherein vermieden werden kann. Denn Shaldon-Katheter, die natürlich in der Notfalldialyse eingesetzt werden, haben ein höheres Infektionsrisiko und verursachen etwa 17 % aller Zentralenvenenstenosen. Diese Gefahr sollte man durch eine sorgfältige Planung einer jeden Fistelanlage umgehen.

Der Gefäßchirurg sucht sich ein dafür geeignetes Gefäß, geht dabei von peripher in Richtung zentral vor, natürlich unter Ausnutzung aller autologen Punktionsstrecken. Reicht die gründliche klinische Voruntersuchung nicht aus, können apparative Diagnostikmethoden wie die farbkodierte Duplexsonografie oder die Angiografie herangezogen werden. Nach der Operation ist das Pflegepersonal für die Wundversorgung verantwortlich, Wundkontrollen sind eine Woche lang obligat. Die Gabe von Heparin hingegen ist in den meisten Fällen nicht notwendig. Wichtig ist, die Erstpunktion nicht vor zwei bis drei Wochen vorzunehmen, denn erst dann ist die Venenwand kräftig genug. Bei früherer Punktion kann es zur Bildung von erheblichen Hämatomen kommen, die das Gefäß durch Kompression von außen verschließen.

Gefäßprothesen kommen in der Regel erst dann zum Einsatz, wenn alle nativen Zugangsmöglichkeiten verbraucht sind, sowie primär mitunter auch bei stark adipösen Patienten. In Amerika ist das anders: Hier stellt die Prothese den Zugang der ersten Wahl dar, wie Dr. Johann Schorr, Leiter der DOPPS-Studie Deutschland darlegte. 41 % der amerikanischen Patienten haben eine Gefäßprothese und nur 31 % eine Dialysefistel aus autologen Arterien und Venen.

#

Shuntkomplikationen und Shuntmonitoring

Die häufigsten Komplikationen sind Stenosen, Verschlüsse, Steal-Phänomene und Infektionen. Jeder Shuntverschluss stellt die Fortsetzung der für den Betroffenen überlebensnotwendigen Hämodialysebehandlung infrage. Die wichtigste Devise des Pflegepersonals muss daher lauten, Verschlüsse zu vermeiden. Dafür muss die Verschlussursache gefunden und behandelt werden - und zwar rechtzeitig. Schneider appellierte, die Patienten bei Auffälligkeiten umgehend wieder zum Gefäßchirurgen zu schicken. Infekte sollten durch eine sterile Punktion vermieden werden. Treten sie dennoch auf, muss auch hier eine rasche Intervention erfolgen.

Wie Bringmann in ihrem Beitrag ausführte, ist ein gutes Shuntmonitoring auf die Beobachtungen der Pflege angewiesen. Neben den Messungen zur Rezirkulation und Funktionsbeurteilung ist gerade die pflegerische Kompetenz bei der Einschätzung der Shuntfunktion ein wichtiger Faktor.

#

Shunttraining

Dass Shunttraining durchaus Sinn macht, erläuterte Michaela Birkoben, nephrologische Fachschwester in Erfurt. Das Training stärkt die Blutgefäße. Darüber hinaus lernen Patienten durch das Training, besser mit einem Gefäßzugang umzugehen, es erhöht die Sensibilität hinsichtlich Selbstkontrolle und Shuntpflege. Das Training sollte- idealerweise - bereits drei Monate vor der Anlage der Fistel beginnen und auch nach der Operation fortgesetzt werden.

Zum Training wird dem Patienten eine Blutdruckmanschette angelegt (Kompression 50-80 mmHg), dann muss der Patient zehn Minuten lang einen Ball oder Schwamm kneten. Diese Übung sollte fünf- bis zehnmal täglich wiederholt werden. Perspektivisch sollten sogenannte „Shunt-Koordinatoren” in der Prädialyse eingesetzt werden, um Patienten zu schulen und zu trainieren sowie alle für die Shuntanlage wichtigen, auch individuellen Informationen zu dokumentieren.

#

Die Shuntpunktion

Bringmann, die als Vorstandsmitglied des fnb auch die organisatorische und fachliche Leitung der Veranstaltung innehatte, referierte über die zahlreichen Aspekte der Shuntpunktion. Punktionstechniken und Hygienemaßnahmen waren nur zwei Aspekte ihres Vortrags, aber an ihnen kristallisiert sich die hohe Verantwortung heraus, die dem Pflegepersonal bei Shuntpflege und -erhalt zukommt.

Die Hygiene ist das A und O bei der Punktion. Die Maßnahmen beim Punkteur sind hinlänglich bekannt (Handdesinfektion, Handschuhe, Mundschutz, Shuntdesinfektion und Verwendung von Sterilmaterial), wichtig ist aber auch, auf Hygienemaßnahmen des Patienten zu achten. Um Tröpfcheninfektion zu vermeiden, sollte sich dieser bei der Punktion unbedingt abwenden und keinesfalls reden.

Hinsichtlich der Punktionsvarianten ist die Strickleiterpunktion die erste Wahl. Aneurysmen und Stenosen treten bei dieser Technik deutlich seltener auf, auch das Infektionsrisiko ist geringer. Narbengewebe und Traumatisierungen werden gewissermaßen gleichmäßig verteilt - was auch ein kosmetischer Vorteil sein kann -, zudem wird die Materialermüdung bei Gefäßprothesen durch den Wechsel der Punktionsstelle vermindert. Trotz dieser erwiesenen Vorteile ist die Strickleiterpunktion in der Praxis noch immer nicht der allgemeine Status praesens, wie auch die Befragung der Seminarteilnehmer zeigte.

#

Was hält das Pflegepersonal von der Strickleiterpunktion ab?

Warum sich das Pflegepersonal mit der Befolgung solcher Empfehlungen in der Praxis schwer tut, führte Katrin Grossmann vom PHV-Dialysezentrum (Patienten-Heimversorgung) Riesa aus. Sie zeigte eine Statistik, der zufolge nur 19 % der Punktionen in Europa mit der „State-of-the-art”-Methode (= Strickleiter) durchgeführt werden.

Neben Aspekten wie der ungünstigen Lokalisierung des Shunts spielen in erster Linie psychologische Faktoren eine Rolle. Ist der Patient ungeduldig oder extrem dominant und besteht er beispielsweise auf eine Punktion nach „Schema F”, fühlt sich das Personal häufig unter Druck gesetzt. Dieser Druck - sowohl Zeitdruck als auch psychischer Druck in Form von Selbstzweifeln - ist die Ursache dafür, dass viele bei kurzfristig bewährten, mittel- und langfristig wenig geeigneten Verfahren (z.B. Arealpunktion) bleiben. Hierin liegt übrigens auch der Hauptgrund für Fehlpunktionen. Es gilt, an die Besonnenheit und das Selbstwertgefühl zu appellieren, denn nörgelnde Patienten sollten die Qualität der fachpflegerischen Arbeit nicht negativ beeinflussen dürfen!

#

Verzicht auf Kompromisse!

So lautete auch das Fazit von Haufe. Das gilt insbesondere unter dem Aspekt der Dialysedosis. Eine ausreichende Hämodialysedosis kann nur erreicht werden, wenn eine gute Shuntfunktion besteht. Für alle Hämodialysepatienten ist der intakte und korrekt punktierte Shunt somit die Basis einer „guten” Nierenersatztherapie, welche darüber hinaus die Flüssigkeits- und Elektrolythomöostase, die Azidosekorrektur, die Blutdruckkontrolle, Anämiekorrektur, Phosphatkontrolle, Erreichen des Trockengewichts und den guten Ernährungsstatus beinhaltet.

Das Shuntseminar in Erfurt fand äußerst positive Resonanz und der fnb wird diese Veranstaltungsform fortsetzen: Am Ende des inhaltsreichen Tages kündigte Conny Bringmann die nächstefnb-Seminarreihe an, die sich mit dem Thema „Der ältere Patient in der Nierenersatztherapie” befassen wird.

#

Literatur

  • 1 Koch U.. Erleben der Dialysesituation. In: Balck FB, Koch U, Speidel H (Hrsg.). Psychonephrologie.Heidelberg: Springer 1984

1 Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study

#

Dr. Bettina Albers

Weimar

#

Literatur

  • 1 Koch U.. Erleben der Dialysesituation. In: Balck FB, Koch U, Speidel H (Hrsg.). Psychonephrologie.Heidelberg: Springer 1984

1 Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study

#

Dr. Bettina Albers

Weimar