Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2018; 62(02): 53-54
DOI: 10.1055/a-0595-6219
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kausale Aspekte der Homöopathie

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Publication Date:
13 June 2018 (online)

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Der wissenschaftliche Aspekt der Homöopathie darf nicht übersehen oder heruntergespielt werden. Auch wenn zur Zeit versucht wurde, per Abstimmung die ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie abzuschaffen, was ja nun wirklich kein wissenschaftliches Vorgehen ist, und ihr dabei mangelnde Wissenschaftlichkeit vorzuwerfen, darf man sich als Homöopath nicht vormachen, dass das positive Ergebnis für die Homöopathie ein Beweis eben ihrer Wissenschaftlichkeit sei. Ebenso war ein Meinungsbild der Anwesenden einer Dozentenkonferenz im Januar 2009 kein Beweis einer Naturgesetzlichkeit der Ähnlichkeitsregel (s. Editorial ZKH 1/2009), sondern eben nur eine beliebige mehrheitliche Ansichtssache.

Dass die Homöopathie auch akausale Aspekte aufweist, wie Norbert Winter überzeugend zeigen konnte und kann – wie übrigens auch pharmakologische Studien mit ihrem Placebo-Effekt – spricht ihr nicht ihre kausalen Aspekte ab.

Diesen kausalen Aspekten widmet sich die Mehrzahl der Beiträge dieses Heftes.

Wie wichtig die Revision der Materia medica, die man im kausalen Sinne auch als das Instrumentarium des homöopathischen Praktikers ansehen kann – s. Klaus-Henning Gypser in seiner Einleitung zur Einführung in die Materia medica revisa homoeopathiae – ist, und wieviel Vermutetes sich im Laufe der Zeit zu den Prüfungssymptomen hinzugemischt hat, zeigt Christian Thoma.

Der mathematische Aspekt der Repertorisation mit Hilfe eines Computerprogrammes wird von Heiner Frei am Beispiel des Asperger-Syndroms dargestellt. Hier wird gezeigt, dass Clemens von Bönninghausen mit seinem Diktum zu den Kontraindikationen, nämlich widersprechende Modalitäten, bereits einen Einstieg in die Berechenbarkeit von Phänomenen – Prüfungs- und Krankheitssymptome – vorbereitet hat. Hiermit war Bönninghausen schon ein weit mehr kausal denkender Praktiker als Hahnemann. Letzterer hat immerhin durch seine Art der hervorhebenden Darstellung in seinen Arzneiprüfungen – z. B. Normaldruck und Sperrdruck – die Mathematisierung der Homöopathie angelegt.

Weit weniger im kausalen Bereich arbeitet noch heute die klassische Psychiatrie, wie Ulrich Koch zeigen kann. In dieser medizinischen Disziplin ist der „ganzheitliche(n), holistische(n) Schau“, bzw. dem „Verstehen der Leidensgeschichte und des Erlebens des Patienten“ die „zu stellende Diagnose untergeordnet“ – nicht zuletzt, weil sie eine „Konvention und kein Faktum“ darstellt. Und das, weil objektive Parameter fehlen: die Diagnose wird zu einer „Vereinbarung“ (man könnte hier an die eingangs erwähnten Abstimmungen denken)!

Wie deutlich der zeitliche Zusammenhang zwischen homöopathischer Mittelgabe und einem objektiven Parameter, nämlich der laborchemisch bestimmten Konzentration der Thrombozyten ist, zeigt die Arbeit von Christoph Thomas und Dario Spinedi. Bei der Mittelwahl und Verlaufskontrolle zeigt nicht zuletzt das Miteinander der Beachtung von objektivem Parameter und subjektiven Zeichen (z. B. Träume von wilden Tieren), also gerade dem, auf das sich die zeitgenössische (= klassische) Psychiatrie stützt (s. o.) die Heilungsmöglichkeiten der Homöopathie bei Autoimmunkrankheiten auf – ein Thema, das wir in unserer letzten Ausgabe ZKH 1/2018 bereits in den Fokus gestellt haben.

Für den Abschluss des Editorials habe ich die Ehre, auf eine neue Errungenschaft für die Homöopathie hinzuweisen:

Seit kurzem ist die homöopathische Arznei „Tinctura acris sine kali“ in zwei verschiedenen Präparationen erhältlich: von den vier von Hahnemann geprüften Zubereitungen, die in der 2. Auflage des 2. Bandes seiner Reinen Arzneimittellehre veröffentlicht wurden, sind nun die ersten zwei, nämlich

  1. Tinctura acris sine kali ex acido acetico sowie

  2. Tinctura acris sine kali ex acido sulfurico

für den homöopathischen Praktiker erhältlich.

Die sehr akribisch durchgeführte Herstellung und Analyse der Arzneisubstanz durch Roger Rissel, Susann Buchheim-Schmidt und Ralf Schwarzbach, die auf die Initiative des Apothekers Dirk Bettenworth nach einer Bitte von mir vorgenommen wurden, konnte die chemische Zusammensetzung des erstgenannten Präparates weitgehend aufklären, währen die des zweiten weiterer Klärung bedarf. Hiermit steht nun endlich fest, dass das Causticum der Chronischen Krankheiten chemisch different ist zur Tinctura acris sine kali – ersteres ist höchstwahrscheinlich eine verdünnte Kalilauge, wie Andreas Grimm 1988 in einem historischen Versuch darstellen konnte (s. u.), während das Produkt 1 der Tinctura acris überwiegend in Ethanol gelöstes Kaliumacetat enthält, dem aber noch weitere Bestandteile beigemischt sein können. Stellt Ersteres eine schwache Lauge dar, so stellt das andere ein Salz dar. Beide sind chemisch also in ihren Eigenschaften und ihrer molekularen Zusammensetzung deutlich voneinander verschieden. Daher sollte eine Revision der Materia medica diesem Umstand Rechnung tragen und die Symptomenreihen beider Arzneien getrennt darstellen oder besser, beide Arzneimittelprüfungen getrennt voneinander monografieren. Die Symptomenreihen beider Substanzen zu einer zusammenzufassen, wie Hahnemann es in Unkenntnis ihrer Inhaltsstoffe in den Chronischen Krankheiten vormachte, ergeben ein Märchenprodukt (s. Andreas Grimm: „Causticum – Ätzstoff oder Phantasieprodukt?“ in ZKH 1989; 33(2): 47–57. Diese Arbeit wurde befremdlicherweise in einem Artikel der AHZ 1/2018 zu Causticum Hahnemanni gar nicht erwähnt).

An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei den drei o. g. Autoren der „Tinctura acris sine kali“ und bei Dirk Bettenworth für ihre umfangreiche und für den homöopathischen Praktiker immens wichtigen Arbeit bedanken.

Klaus Holzapfel