neuroreha 2018; 10(02): 103-104
DOI: 10.1055/a-0596-6511
Veranstaltungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

25. Jahrestagung Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation e.V. (DGNR)

Jan Mehrholz
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Publication Date:
08 June 2018 (online)

Vom 7. bis 9. Dezember 2017 fand im Estrel Hotel Berlin die Jubiläumsveranstaltung, die 25. Jahrestagung, der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) statt. Insgesamt kamen ca. 750 Teilnehmer, darunter die Hälfte Therapeuten. Neben dem 25. Jubiläum der DGNR wurden auch 100 Jahre Neurorehabilitation in Deutschland feierlich begangen.

Themenspezifische Workshops Vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung fanden mehrere themenspezifische Workshops statt. So unter anderem für Therapeuten hervorhebenswert die Workshops zum Thema Cochrane Reviews und ihre Anwendung für die Praxis. Ein Workshop beschäftigte sich mit dem Thema „Wie erstelle ich ein Cochrane Review?“ und wurde von Professor Platz und Professor Elsner organisiert. In diesem Workshop wurden mehrere Cochrane Reviews vorgestellt, so z. B. ein Review zu den Effekten der virtuellen Realität [4], ein weiteres zur Wirkung von Gruppentherapien [2] und ein Cochrane Review zum Nutzen von Fitnesstraining nach Schlaganfall [5].

Es wurde gezeigt, dass der Einsatz von virtueller Realität die Motorik nach einem Schlaganfall deutlich verbessern kann, aber vor allem wenn die virtuelle Realität als Zusatzangebot zur eigentlichen Therapie gegeben wird. Interessanterweise zeigte das zweite Cochrane Review, dass Patienten nach einem Schlaganfall sehr gut von einer Gruppentherapie profitieren können, wenn es darum geht, die Gehstrecke, die Gehgeschwindigkeit und die Alltagsleistungen zu verbessern. Die wohl derzeit bedeutendste Evidenz (mit hoher Qualität der Studien) für die Behandlung von Fitness und Mobilität nach Schlaganfall findet sich durch ein strukturiertes Ausdauertraining [5]. Ein Therapieansatz, der sich wohl gut im stationären wie auch im ambulanten Bereich mit nur geringem technischem Aufwand umsetzen lässt.

Elektronische Postersitzung Ein weiterer diesjähriger Höhepunkt war wieder einmal die sehr gut besuchte elektronische Postersitzung. Besonders hervorhebenswert war eine Posterpräsentation von Anna Coppers, Gera, die auch den mit 500 € dotierten Posterpreis gewann ([ Abb. 1 ]). Sie beschäftigte sich mit einem Messinstrument zur Erfassung von Lebensqualität bei Patienten nach Schlaganfall, einer Kurzform der deutschen Version der Stroke Impact Scale (SF-SIS). Die deutsche Übersetzung dieser Skala in ihrer Kurzform war bislang noch nicht ausreichend untersucht. Frau Coppers beschrieb in ihrer Präsentation die Zuverlässigkeit, die konkurrente Validität sowie die Ansprechbarkeit dieser Skala.

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Abb. 1 Anna Coppers gewinnt den Posterpreis. (Quelle: Jan Mehrholz)

Eröffnung und Hauptvortrag Nachdem die Tagung durch die Kongresspräsidenten und den Eröffnungsvortrag von Peter Frommelt ([ Abb. 2 ]) eröffnet wurde, gab es durch einen geladenen Hauptvortrag ein weiteres Highlight der Veranstaltung – ein Höhepunkt hinsichtlich des aktuellen Wissensstands der Therapie in der neurologischen Rehabilitation. Als Hauptredner entfachte Professor Gert Kwakkel aus Amsterdam, Niederlande ein mustergültiges wissenschaftliches Feuerwerk und diskutierte eine ganze Palette praxisrelevanter Erkenntnisse ([ Abb. 3 ]).

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Abb. 2 Peter Frommelt eröffnete als Kongresspräsident die 25. Jahrestagung der DGNR. (Quelle: Jan Mehrholz)
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Abb. 3 Hauptredner war Professor Dr. Gert Kwakkel aus Amsterdam. (Quelle: Jan Mehrholz)

Zunächst beschrieb er die aktuelle Evidenz der Physiotherapie nach einem Schlaganfall anhand von 53 verschiedenen Interventionen, die in knapp 500 Studien mit mehr als 25 000 Patienten belegt wurden [7]. Auf der Basis dieser umfassenden Analyse zeigte er auf, dass die Effektstärken nur gering bis moderat hoch sind und dass die Physiotherapie nach einem Schlaganfall gerade einmal zu 5–15 % das Behandlungsergebnis erklärt. Er wies aber auch darauf hin, dass eine Vielzahl von Studien methodisch und wissenschaftlich nicht ausreichend angelegt wurde und somit keine positiven Ergebnisse zeigen konnte. So wurde in vielen Studien beispielsweise mit inadäquaten Messmethoden, Therapien und Vergleichen zwischen einzelnen Therapien untersucht. Ebenfalls wurde die Erholungszeit in vielen klinischen Studien mit Patienten nach Schlaganfall völlig unzureichend berücksichtigt. Er zitierte drei aktuelle Beispiele aus international hochrangigen Journalen, die keine Erkenntnisse für die Physiotherapie brachten, weil sie ungenügend geplant und die Therapien nicht gut dosiert waren (ATTEND [3], ICARE [8] und EVEREST [6]) Er beschrieb die Hauptschwächen vieler Studien wie folgt:

  • Oftmals wurde die Physiotherapie nicht ausreichend dosiert (hinsichtlich Häufigkeit, Dauer, Umfang und Intensität).

  • Der Zeitpunkt der Physiotherapie nach einem Schlaganfall wurde nicht adäquat festgelegt.

  • Die in Studien verwendeten Messinstrumente waren ungeeignet, um Veränderungen zu messen.

  • Es wurde ungenügend nach Patienten und deren Potenzial in der Physiotherapie eingeteilt.

  • Die der Therapie zugrunde liegenden Theorien waren vage.

Er schlug vor, Studien mit hoher Intensität mit klarem krankheitsspezifischen und zeitlichen Bezug zu initiieren. Seiner Meinung nach sollten Patienten nach einem Schlaganfall auf gar keinen Fall alle die gleiche Therapie bekommen, sondern je nach initialem Schweregrad und individueller Prognose einen adäquaten, auf sie zugeschnittenen Therapieansatz. Abschließend skizzierte er kritisch die möglichen Unterschiede zwischen Erholung (Restitution) und Substitution (Kompensation) [1]. Dabei beschrieb er Ergebnisse, die zeigen, dass sämtliche Verbesserungen nach einem Schlaganfall auf Kompensation zurückzuführen sind [1]. Seiner kritischen Aussage nach gibt es bislang keinen einzigen Therapieansatz, der „echte“ Restitution nach Schlaganfall bewirken kann.

Fazit In der Neuroreha tätigen Physiotherapeuten wurden viele Gelegenheiten geboten, um in den fachlichen Austausch zu treten und sich aktiv am wissenschaftlichen Programm zu beteiligen. Der nächste DGNR-Kongress findet wieder gemeinsam mit der DGNKN vom 6. bis 8. Dezember 2018 in Erlangen und der darauffolgende Kongress DGNR im Dezember 2019 in Leipzig statt. Als Tagungsort für den DGNR-Kongress im Jahre 2021 ist Dresden geplant.

 
  • Literatur

  • 1 Buma F, Kwakkel G, Ramsey N. Understanding upper limb recovery after stroke. Restor Neurol Neurosci 2013; 31: 707-722
  • 2 English C, Hillier SL, Lynch EA. Circuit class therapy for improving mobility after stroke. The Cochrane database of systematic reviews 2017; 6: CD007513
  • 3 Group AC. Family-led rehabilitation after stroke in India (ATTEND): A randomised controlled trial. Lancet 2017; 390: 588-599
  • 4 Laver KE, George S, Thomas S. et al. Virtual reality for stroke rehabilitation. The Cochrane database of systematic reviews 2017; CD008349
  • 5 Saunders DH, Sanderson M, Hayes S. et al. Physical fitness training for stroke patients. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; 3: CD003316
  • 6 Saposnik G, Cohen LG, Mamdani M. et al. Efficacy and safety of non-immersive virtual reality exercising in stroke rehabilitation (EVREST): A randomised, multicentre, single-blind, controlled trial. Lancet Neurol 2016; 15: 1019-1027
  • 7 Veerbeek JM, van Wegen E, van Peppen R. et al. What is the evidence for physical therapy poststroke? A systematic review and meta-analysis. PLoS One 2014; 9: e87987
  • 8 Winstein CJ, Wolf SL, Dromerick AW. et al. Effect of a task-oriented rehabilitation program on upper extremity recovery following motor stroke: The ICARE randomized clinical trial. JAMA 2016; 315: 571-581