Dtsch Med Wochenschr 2018; 113(13): 921
DOI: 10.1055/a-0601-1750
Editorial
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Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Pathogenese und Therapie

Inflammatory bowel disease: pathogenesis and therapy
Joachim Mössner
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Publication Date:
04 July 2018 (online)

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Prof. Dr. med. Joachim Mössner

Die Pathogenese chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) wird durch ein komplexes Zusammenspiel von Umwelteinflüssen und genetischen Faktoren bedingt. Hierzu gehören, neben vielen weiteren Größen, die angeborene und erworbene Immunantwort, Barrierestörungen sowie eine Fehlregulation des Immunsystems im Darm in der Auseinandersetzung mit dem Mikrobiom. Die Inzidenz der CED nimmt in „jungen“ Industrieländern mit westlichem Lebensstil zu, steigt in Europa und den USA aber nicht weiter an. Innerhalb Europas liegt die Prävalenz des M. Crohn in Deutschland mit 322 pro 100 000 am höchsten, in den USA ist sie mit 319 ähnlich hoch [1].

Da wir die Pathogenese immer noch nur partiell verstehen, hemmen wir in der Therapie das Immunsystem „Schrotschuss-artig“ durch Glukokortikosteroide oder Azathioprin; etwas spezifischer durch Antikörper, die den Entzündungsmediator TNF-alpha blockieren. Auch können wir das „homing“ der T-Lymphozyten mittels eines Inhibitors spezifischer Integrine reduzieren (Vedolizumab) oder bestimmte Interleukine blockieren (Ustekinumab). Darüber hinaus werden niedermolekulare („small molecule“) Inhibitoren von Kinasen als Immunsuppressiva untersucht, vor allem bei der rheumatoiden Arthritis. So ist der Janus-Kinase-Inhibitor Tofacitinib in der Therapie der rheumatoiden Arthritis in vielen Ländern zugelassen. Und Studien zeigen, dass Tofacitinib bei Colitis ulcerosa effizienter ist als Placebo [2].

Kein Durchbruch, aber eine Schrittinnovation ist die Optimierung der anti-TNFalpha Therapie: Bei M. Crohn ist die Step-up-Therapie eher die Regel. Im akuten Schub erhält der Patient Steroide, bei inadäquatem Ansprechen anti-TNF-alpha, kürzere Intervalle der Applikation, zusätzlich Azathioprin. Eine Studie zeigte, dass eine engmaschige Kontrolle (mit Calprotectin-Bestimmung im Stuhl und C-reaktivem Protein im Serum) eine striktere Step-up-Therapie ermöglichte und M. Crohn so effektiver behandelt werden konnte [3]. Diese Ergebnisse sind plausibel und sollten Eingang in die Praxis finden.

In dieser Ausgabe der DMW wollen wir wichtige Aspekte in der Diagnostik und Therapie von CED vertiefen:

Eine oft sehr späte Diagnosestellung bei bestehender Symptomatik lässt vermuten, dass bei Bauchschmerzen, Durchfall und Müdigkeit zu selten an M. Crohn gedacht wird. Der erste Beitrag stellt differenziert das mögliche Symptomspektrum der Erkrankung und die Diagnostik vor. Bei bekannter Grunderkrankung muss man bei einem vermeintlichen neuen Schub auch an die Differentialdiagnose einer infektiösen Komplikation denken!

Patienten mit CED werden i. d. R. nur im schweren Schub, bei Komplikationen oder bei schweren Nebenwirkungen stationär behandelt. Der CED-Patient wird die meiste Zeit ambulant betreut. Der 2. Beitrag fasst zusammen, was in der Praxis zu beachten ist; das Spektrum reicht dabei von der Motivation des Patienten zu diagnostischen Maßnahmen bis zum Erkennen medikamentöser Nebenwirkungen.

Die Autoren des letzten Beitrags fokussieren sich auf unser deutlich erweitertes Verständnis der Pathogenese und die Bedeutung der Defensine – und bieten einen Ausblick auf neue, hierauf basierende Therapiekonzepte.

Ich wünsche dem Thema „chronisch entzündliche Darmerkrankungen“ wieder einen großen Leserkreis!

 
  • Literatur

  • 1 Ng SC, Shi HY, Hamidi N. et al. Worldwide incidence and prevalence of inflammatory bowel disease in the 21st century: a systematic review of population-based studies. Lancet 2018; 390: 2769-2778
  • 2 Bonovas S, Lytras T, Nikolopoulos G. et al. Systematic review with network meta-analysis: comparative assessment of tofacitinib and biological therapies for moderate-to-severe ulcerative colitis. Aliment Pharmacol Ther 2018; 47: 454-465
  • 3 Colombel JF, Panaccione R, Bossuyt P. et al. Effect of tight control management on Crohn's disease (CALM): a multicentre, randomised, controlled phase 3 trial. Lancet 2018; 390: 2779-2789