Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(04): 197-204
DOI: 10.1055/a-0608-7226
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Im Augenblick des Lebens: AAPV oder SAPV?

Unsicherheiten in der Entscheidungsfindung zwischen AAPV und SAPV – Eine qualitative StudieAt the Moment of Life: AAPV or SAPV?Uncertainties in Decision Making Between AAPV and SAPV – A Qualitative Study
Gabriela Weiskopf
1   SHG: Bildung gGmbH, Ressort Pflege, Standort Saarbrücken
,
Martha Meyer
2   htw saar Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Fakultät für Sozialwissenschaften, Department Gesundheit und Pflege, Saarbrücken
,
Dagmar Renaud
3   Institut für Gesundheitsforschung und -technologie (igft) der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 April 2018 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund Grundlage der Studie stellt die deutschlandweite Evaluation der Umsetzung der SAPV-Richtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aus dem Jahr 2014 dar. Diese weist in vielen Fällen Unklarheit und Unsicherheit in der Trennschärfe der Fälle in Bezug auf fallspezifische Versorgungskriterien zwischen den Bereichen der Teil- und Vollversorgung, der Allgemeinen (AAPV) und Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) auf, die zu Unter-, Über- oder Fehlversorgung der Patienten führen. Anlässlich einer Modellstudie in einem Landkreis im Saarland untersucht die Studie die Frage, inwieweit unter den Ärztinnen und Ärzten Unsicherheiten in der Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Einschätzung der Versorgungskontexte AAPV/SAPV von Palliativpatienten bestehen.

Methodik Qualitative, semistrukturierte Experteninterviews mit neun niedergelassenen Haus- und Fachärzten, welche in AAPV und/oder SAPV arbeiten. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring.

Ergebnisse Die Ergebnisse deuten auf eine hohe Patientenorientierung hin. Unsicherheitsfaktoren resultieren aus der schwierigen Prognostizierbarkeit der Krankheitsverläufe, nicht vorhersehbare Krisensituationen oder ein nicht vermutetes vorzeitiges Versterben. Praktische Probleme kommen im palliativen Prozessverlauf zu dem Phänomen der Unsicherheitsfaktoren hinzu, wie etwa Kommunikations- und Informationsdefizite, z. B. zwischen dem Krankenhaus und den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten.

Schlussfolgerung Unter den Befragten besteht im Hinblick auf die Entscheidungsfindung AAPV/SAPV und der Abgrenzungsfrage überwiegende Sicherheit in der Einschätzung fallspezifischer Versorgungskriterien und dem notwendigen Versorgungsbedarf.

Abstract

Background The German-wide Evaluation of the implementation of the specialist outpatient palliative care (SAPV) guidance the Common Federal Committee from 2014 serves as the basis of this qualitative study. It exhibited in many cases lack of clarity and uncertainty in the ability to distinguish between generalist (AAPV) and specialist out-patient palliative care (SAPV). This lead to under-, over- or false treatment of the patients. On the occasion of the implementation of the AAPV model study in Saarland, the study examines the question of the extent to which there are uncertainties in decision-making among the medical practitioners in terms of the appraisal of the care context of patients who need palliative care.

Method In the qualitative study nine semi-structured expert interviews with medical practitioners who work in AAPV and/or SAPV were carried out and evaluated according to Mayring’s criteria for qualitative content analysis.

Results The results point that patient’s orientation plays a prominent role. Insecurity factors result from the difficult prognosis of the illness and its further development, unpredictable crisis situations or untimely or unexpected passing away. Practical problems such as communication and information deficits in the process chain between the hospital and the medical practitioners are also a concern.

Conclusion With regard to the distinction between AAPV and SAPV the interviewees feel secure in their decision making in majority of cases concerning case specific care criteria and the necessary care need.

 
  • Literatur

  • 1 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Bericht an das Bundesministerium für Gesundheit über die Umsetzung der SAPV-Richtlinie für das Jahr 2014: 41f. Im Internet: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4044/Bericht-Evaluation-SAPV-2014.pdf (Stand: 25.05.2016)
  • 2 Schumacher M, Schneider N. Ältere Menschen am Lebensende – Versorgungssituation und Verbesserungsbedarf aus Perspektive von Hinterbliebenen. Z Palliativmed 2010; 11: 123-129
  • 3 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.. 2013. Im Internet: https://www.dgpalliativmedizin.de/allgemein/allgemeine-ambulante-palliativversorgung-aapv.html (Stand: 22.05.2016)
  • 4 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. und Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V.. Arbeitspapier zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV). 2013. Im Internet: www.palliativmedizin.de www.dhpv.de (Stand: 22.05.2016)
  • 5 Kruse C. Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2014: 150ff
  • 6 Döring N, Bortz J, Pöschl S. Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Lehrbuch. 5. vollst. überarb., aktualisierte und erw. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2016: 65
  • 7 Kaiser R. Qualitative Experteninterviews. Konzeptionelle Grundlagen und praktische Durchführung. Elemente der Politik. Lehrbuch. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2014: 36
  • 8 Meuser MW, Nagel U. Qualitativ-empirische Sozialforschung: Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Westdt. Verl.; 1991: 443
  • 9 Lamneck S, Krell C. Qualitative Sozialforschung. 5. überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz Verlag; 2010: 376ff
  • 10 Helfferich C. Qualität qualitativer Daten. Manual zur Durchführung qualitativer Einzelinterviews. 3. überarb. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag; 2009: 182-189
  • 11 Bortz J, Döring N. Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. 4. überarbeitete Auflage. Heidelberg: Springer Medizin Verlag; 2009: 30f u. 326
  • 12 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in Bausewein C, Roller S, Voltz R. Hrsg. Leitfaden Palliative Care. Palliativmedizin und Hospizbetreuung. 5. Auflage. München: Elsevier GmbH; 2015: 5
  • 13 Bundesärztekammer, Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. Hrsg. Kursbuch Palliativmedizin. Kursweiterbildung, Fallseminar einschließlich Supervision nach den Richtlinien zur (Muster-) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer. 2004. 7. Im Internet: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/MKB_Palliativmedizin.pdf (Stand: 26.05.2016)
  • 14 Schütze F. Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse. Grundlagen der qualitativen Sozialforschung. Herausgegeben von Fiedler W, Krüger HH. Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich; 2016: 30f
  • 15 Kaiser R. Qualitative Experteninterviews. Konzeptionelle Grundlagen und praktische Durchführung. Elemente der Politik. Lehrbuch. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2014: 257
  • 16 Flick U. Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Ein Überblick für die BA-Studiengänge. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2014: 220
  • 17 Przyborski A, Wohlrab-Sahr M. Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 4. erweiterte Auflage. Oldenbourg: Verlag München; 2014: 186f
  • 18 Schnell MW, Heinritz C. Forschungsethik. Ein Grundlagen- und Arbeitsbuch für die Gesundheits- und Pflegewissenschaft. 1. Aufl. Bern: Verlag Hans Huber; 2006: 19-24
  • 19 Kruse J. Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2014: 349-366
  • 20 Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz Verlag; 2015: 12 u. 124-127
  • 21 Döring N, Bortz J. Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. vollständig überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auflage. Heidelberg: Springer; 2016: 107
  • 22 Flick U. Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Ein Überblick für die BA-Studiengänge. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2014: 271f
  • 23 Böcken J, Braun B, Meierjürgen R. Hrsg. Gesundheitsmonitor 2014. Bürgerorientierung im Gesundheitswesen. Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung; 2014: 132ff
  • 24 Fleßa S. Letztverlässlichkeit als Ressource – Der Wert der Palliativmedizin für die Volkswirtschaft. Z Palliativmed 2014; 15: 78-83
  • 25 in der Schmitten J, Nauck F, Marckmann G. Behandlung im Voraus planen (Advance Care Planning): ein neues Konzept zur Realisierung wirksamer Patientenverfügungen. Z Palliativmed 2016; 17: 177-195
  • 26 Gerth MA, Schäufele M, Mohr M. et al. Notfallsituationen und Patientenverfügungen aus der Sicht des Palliativpatienten – Ergebnisse einer Befragung. Z Palliativmed 2012; 13: 91-96
  • 27 Palliativversorgung in Deutschland. Im Internet: https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/151026_Wegweiser%C3%BCbersicht_Homepage_Erwachsene.pdf (Stand: 26.05.2016)
  • 28 Stiel S, Radbruch L. Prognosestellung bei schwer kranken Menschen. Z Palliativmed 2014; 15: 109-121
  • 29 Bollig G, Unger M, Pani P. Gibt es einen Unterschied zwischen Palliative Care und Palliativmedizin?. Z Palliativmed 2010; 11: 304-313
  • 30 Müller-Busch HC. Definitionen und Ziele in der Palliativmedizin. Schwerpunkt Der Internist 2011; 52: 7-14
  • 31 Schneider W, Eichner E, Thoms U, Kopitzsch F, Stadelbacher S. Struktur- und Prozesseffekte der SAPV in Bayern – Evaluation/Qualitätssicherung und (Aus-) Wirkungen der SAPV auf die AAPV (unter besonderer Berücksichtigung des ländlichen Raums). Ergebnisbericht, Universität Augsburg; 2014: 85
  • 32 Deimel D, Müller M-L. Hrsg. Entlassungsmanagement. Vernetztes Handeln durch Patientenkoordination. Stuttgart: Thieme Verlag; 2013: 18
  • 33 Flick U. Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Ein Überblick für die BA-Studiengänge. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2014: 24-27
  • 34 Jansky M, Lindena G, Nauck F. Stand der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) in Deutschland – Verträge und Erfahrungen. Z Palliativmed 2011; 12: 164
  • 35 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Langversion 1.0, 2015, AWMF-Registernummer: 128/001OL. Stuttgart: Kohlhammer; 2015: 142-145, 152 u. 181
  • 36 Gerrig RJ, Zimbardo PG. Psychologie. Aus dem Amerikanischen von Graf R, Mallett D, Nagler M, Ricker B. Deutsche Bearbeitung Graf R. 18. aktualisierte Auflage. München: Pearson Studium; 2008: 380