Neonatologie Scan 2018; 07(02): 75-76
DOI: 10.1055/a-0622-1451
Gasteditorial
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Verzögertes Abnabeln von Frühgeborenen sollte Routine werden

Heike Rabe
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Publication Date:
29 May 2018 (online)

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Heike Rabe

Die Umverteilung von plazentarem Blut zugunsten der Frühgeborenen bei der Geburt – durch verzögerte Abnabelung oder Ausstreichen der intakten Nabelschnur – hat viele Vorteile. Diese beinhalten verbesserte kardiovaskuläre Adaptation nach der Geburt, Reduktion von Bluttransfusionen und verbesserte Mortalitätsrate. Die größte bisher publizierte randomisierte Studie mit über 1500 eingeschlossenen Frühgeborenen zu diesem Forschungsthema wurde in Ausgabe 2018/1 der Neonatologie Scan diskutiert [1] [2]. Tarnow-Mordi et al. fanden keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich des Primäroutcomes: die Kombination von Tod oder signifikanter Komorbidität [2]. Dieses lag daran, dass die Inzidenz der Komorbidität in der Risikogruppe von Frühgeborenen ≤ 28 Schwangerschaftswochen höher als erwartet war. Bei der Subanalyse der Todesfälle ergab sich eine Reduktion um 30 % in der Gruppe, die eine plazentare Transfusion durch verzögerte Abnabelung erhalten hatten. Die Forschungsgruppe hat ihre Ergebnisse in die Meta-Analyse von Fogarty et al. eingebracht [3], um die Evidenz bezüglich der Vorteile der verzögerten Abnabelung von mindestens einer Minute zu aktualisieren.

Die WHO hat bereits 2014 in ihrer Richtlinie zur verzögerten Abnabelung ausdrücklich die Anwendung bei Frühgeborenen empfohlen, die keine sofortige Reanimation benötigen [4]. Die Methode ist besonders attraktiv für Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen, da sie ohne Mehrkosten angewendet werden kann. Die Meta-Analyse von Fogarty et al. konzentriert sich auf alle Studien, in denen die plazentare Transfusion durch verzögerte Abnabelung erfolgte. Die Ergebnisse zeigen, dass sofortige Abnabelung die Mortalität während des Krankenhausaufenthaltes um 30 % erhöht. Es ist an der Zeit, die verzögerte Abnabelung bei Frühgeborenen als Routinebestandteil der Versorgung bei der Geburt zu integrieren. Der von der WHO empfohlene Pathway zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen kann als Grundlage für lokale Richtlinien dienen. Bei der Implementierung sollten existierende Barrieren, zum Beispiel beim Personal, identifiziert und angegangen werden. Im Rahmen von strukturierten Projekten zur Qualitätsverbesserung könnten regelmäßige Unterweisungen des geburtshilflichen und neonatologischen Personals die Implementierung der verzögerten Abnabelung unterstützen. Prospektive Datenerhebungen, in Deutschland beispielsweise durch die Neonatalerhebung, könnten innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes Veränderungen in den Morbiditäts- und Mortalitätsraten erfassen und als zeitnahes positives Feedback dienen.

Die noch ausstehenden Fragen bezüglich der optimalen Dauer der verzögerten Abnabelung, der Anwendung von Alternativen, wie Ausstreichen der Nabelschnur zum schnelleren Erreichen der erwünschten plazentaren Transfusion, und die Frage, ob zusätzliche Reanimationsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Unterstützung der Atmung bei einigen Frühgeborenen sinnvoll und notwendig sind, sollten in internationalen Studien beantwortet werden.

Fogarty et al. analysierten die Daten bei sehr unreifen Frühgeborenen < 28 Gestationswochen. Es zeigte sich kein Unterschied bezüglich des Anteils der Frühgeborenen mit niedrigen Apgar Scores oder mit Bedarf an kardiopulomonaler Reanimation. Da die Ergebnisse solcher Studien erst in einigen Jahren zu erwarten sind, sollten Geburtshelfer, Hebammen und Neonatologen es nicht versäumen, die Mortalitätsrate der Frühgeborenen in der Zwischenzeit zu verbessern. Unter der Annahme, dass weltweit pro Jahr 1 Million Frühgeborene ≤ 28 Gestationswochen entbunden werden, könnten laut Fogarty et al. bei globaler Implementierung jährlich 11 000 – 100 000 Frühgeborene zusätzlich überleben.

PD Dr. Heike Rabe
Reader in Paediatrics/Honorary Consultant Neonatologist
Brighton & Sussex Medical School
Academic Department of Paediatrics

 
  • Literatur

  • 1 Ernst V, Brucker C. Verzögertes Abklemmen der Nabelschnur bei Frühgeborenen ohne Vorteile. Neonatologie Scan 2018; 07: 7-8
  • 2 Tarnow-Mordi W, Morris J, Kirby A. et al. Delayed versus Immediate Cord Clamping in Preterm Infants. N Engl J Med 2017; 337: 2445-2455 [doi:10.1056/NEJMoa1711281]
  • 3 Fogarty M, Osborn DA, Askie L. et al. Delayed vs early umbilical cord clamping for preterm infants: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2018; 218: 1-18 [doi:10.1016/j.ajog.2017.10.231]
  • 4 WHO. Guideline: Delayed umbilical cord clamping for improved maternal and infant health and nutrition outcomes. WHO 2014 ISBN 978 92 4 150820 9