Fortschr Neurol Psychiatr 2018; 86(07): 399-400
DOI: 10.1055/a-0626-5400
Fokussiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hormonelle Kontrazeptiva und suizidales Verhalten

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. Juli 2018 (online)

Die Einnahme von Kontrazeptiva kann zu Depression und Suizidalität führen. Die Literatur dazu ist jedoch uneinheitlich; es gibt einige Studien, die diesen Zusammenhang nicht nachweisen konnten. Allerdings sind viele Untersuchungen dadurch limitiert, dass auch Teilnehmerinnen über 25 Jahren untersucht wurden, was Frauen selektiert, die hormonelle Kontrazeptiva gut tolerieren. Dies könnte zu einer Unterschätzung suizidaler Handlungen unter der Einnahme von Kontrazeptiva führen.

Im hier referierten Projekt wurde die Assoziation von Nutzung hormoneller Kontrazeptiva mit Suizidversuchen und Suiziden in einer dänischen populationsbasierten Frauenkohorte analysiert. Individuelle Informationen zur Anwendung von hormonellen Kontrazeptiva und Antidepressiva (= eingelöste Rezepte), zu psychiatrischen Diagnosen, Suizidversuchen, Suiziden, Krebserkrankungen und venösen Thrombosen wurden aus nationalen Registern entnommen. Es wurden alle Frauen in die Analyse aufgenommen, die im Zeitraum von 1996 bis 2013 in Dänemark 15 Jahre alt wurden und die vorher keine hormonellen Kontrazeptiva erhalten haben. Frauen mit früheren Suizidversuchen, Verordnungen von Antidepressiva, psychiatrischen Diagnosen, Krebserkrankungen oder venösen Thrombosen wurden wegen eines möglichen Zusammenhangs von Kontrazeptiva und Suizidrisiko ausgeschlossen.

Die Studienpopulation zählte 475 802 Frauen mit 3 920 818 Personenjahren und einem mittleren Alter von 21 Jahren. Die Nachbeobachtungsdauer betrug im Mittel 8,3 Jahre. 54 % der Personenjahre wurden als gegenwärtige oder kürzlich zurückliegende (innerhalb von 6 Monaten) Anwendung hormoneller Kontrazeptiva klassifiziert. Während der Beobachtungsphase wurden 6 999 Suizidversuche und 71 Suizide registriert. Im Vergleich zu der Gruppe, die niemals hormonelle Kontrazeptiva erhielt, zeigten Frauen mit gegenwärtiger oder kürzlich zurückliegender Anwendung ein relatives Risiko von 1,97 (95 % Konfidenzintervall 1,85 – 2,10) für einen Suizidversuch und 3,08 (1,34 – 7,08) für einen vollendeten Suizid. Dabei war das relative Risiko für einen Suizidversuch in der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen mit 2,06 (1,92 – 2,21) höher als in der Gruppe der 20- bis 24-Jährigen mit 1,61 (1,39 – 1,85) oder in der Gruppe der 25- bis 33-Jährigen mit 1,64 (1,14 – 2,36). Die Analysen zeigten, dass unter Initiierung einer Behandlung mit hormonellen Kontrazeptiva das Risiko für einen Suizidversuch bereits nach 1–2 Monaten ein Maximum erreichte und sich für 1 Jahr mindestens verdoppelte. Wichtig ist auch, dass Frauen, bei denen vor mindestens 6 Monaten hormonelle Kontrazeptiva beendet wurden, ein relatives Risiko von 3,40 (3,11 – 3,71) für einen Suizidversuch und von 4,82 (1,93 – 12,1) für einen Suizid aufwiesen. Das relative Risiko für Suizidversuche lag bei 1,91 (1,79 – 2,03) für orale Kombinationspräparate, bei 2,29 (1,77 – 2,95) für orale ausschließliche Progestinpräparate, bei 2,58 (2,06 – 3,22) für Vaginalringe und bei 3,28 (2,08 – 5,16) für Pflaster.

Kommentar

In der Studie waren hormonelle Kontrazeptiva bei Frauen im Alter von 15 bis 33 Jahren mit suizidalem Verhalten assoziiert. Dabei zeigten adoleszente Frauen das höchste Risiko. Suizidversuche waren bereits einen Monat nach Initiierung zweifach häufiger. Dieser Effekt fiel im weiteren Verlauf wieder ab, was daran liegen könnte, dass Risikopersonen beim Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen z. B. in Form von affektiven Symptomen die Einnahme wieder beendeten. Diese Frauen wurden in der Folge der Gruppe mit früherer Nutzung hormoneller Kontrazeptiva zugeordnet, was das erhöhte Risiko dieser Kohorte erklären könnte.

Die Untersuchung überzeugt durch ihr populationsbasiertes Design mit einer hohen Fallzahl, die es erlaubte seltene Ereignisse wie Suizide bei Frauen zu untersuchen. Die elektronische Erfassung von eingelösten Rezepten reduziert Unschärfe durch einen Erinnerungsbias. Die Frauen bezahlten die hormonellen Kontrazeptiva, was eine gute Adhärenz vermuten lässt. Der etwaige Einfluss postpartaler Depressionen wurde berücksichtigt, indem Frauen vorübergehend während einer Schwangerschaft bis 6 Monate nach Entbindung ausgeschlossen wurden. Außerdem wurden in den statistischen Modellen das Alter, das Kalenderjahr, Bildung, das Vorliegen des Syndroms polyzystischer Ovarien und Endometriose berücksichtigt. Abschließend wurden die Modelle für psychiatrische Diagnosen und Antidepressiva adjustiert, was die Ergebnisse nur leicht veränderte und andeutet, dass es sich bei diesen beiden Variablen nur um schwache Mediatoren handelt.

Die Autoren errechnen, dass unter Annahme zugrundliegender Kausalität die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva zu 1 400 zusätzlichen Suizidversuchen und 12 Suiziden pro 1 Million Personenjahre führte. Diese Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Indikationsstellung für die Anwendung hormoneller Kontrazeptiva.


#